Jetzt stehe ich da, mitten in Berns Altstadt beim Zytglogge, an jeder Hand ein quengelndes Kind. Und nun? Bereits zum vierten Mal bin ich bei einer Bijouterie gelandet. Seit einer geschlagenen halben Stunde suche ich das Hardtheater am Theaterplatz 1. Keines der Gebäude wirkt, als ob sich darinnen ein Theater verbergen könne. Die Kinder sind müde, sie wollen nicht mehr weitersuchen.

Und dabei hat alles so schön begonnen. Die Vorfreude war riesig, als ich Hanna zu ihrem 8. Geburtstag einen Besuch eines Marionettentheaters versprach. Klar wusste sie nicht, was eine Marionette ist. Ich erklärte es ihr anhand ihrer Puppe, die jetzt um Arme, Beine und Hals mit Seilen versehen zu Hause auf unsere Rückkehr wartet. Und wir fragten uns, wie der Marionettenspieler wohl Zirkuskunststücke mit den Puppen vorführen würde. Denn um Zirkus ging es, das hat mir Petr, unser tschechischer Freund, verraten. Seiltanz vorführen mit den Marionetten konnte ich mir gut vorstellen. Aber wie würde er sie Salto schlagen lassen, jonglieren oder den Löwen durch den Reifen springen lassen?

Im Zug waren die Kinder noch ausgelassen. Hanna versicherte ihrem kleinen Bruder Arnold eindringlich, dass er diesen Ausflug ins Theater nur ihr, Hanna, zu verdanken hätte. Immer wieder trippelte Hanna auf den Zehenspitzen von einem Zugabteil ins andere. Dabei versuchte sie, ihre Gelenke ruckartig wie eine ferngesteuerte Puppe zu bewegen, was ihr aber nicht so recht gelang.

Nun ist von der stolzen aufrechten und zackigen Marionette Hanna nichts mehr zu sehen. In den Knien knickt sie ein. Schlaff hängt sie an meiner Hand und jammert. Die Füsse schmerzen, Hunger und Durst plagen sie, müde ist sie. Kurz, das Theater kann ihr im Moment gestohlen bleiben. Auch Arnold möchte getragen werden. Ich bin verzweifelt. So habe ich mir das nicht vorgestellt. Ich wundere mich vor allem, dass die Berner ihr Hardtheater nicht kennen. Gut, die vermeintlichen Berner, die ich nach dem Theater fragte, haben sich grösstenteils als Touristen entpuppt. In der heutigen Zeit erkennt man die Einheimischen nicht mehr so leicht.

Da überkommt mich die Erleuchtung: Tourismus-Büro! Genau das ist es! In der Nähe des Zytglogge müsste sicher ein Büro für Touristen zu finden sein. Dort sollte man mir gewiss Auskunft geben können!

„Ein Theater namens Hard? Am Theaterplatz 1 in Bern?“ Die freundliche Dame im Touristen-Büro ist erstaunt. Nein, ein Hardtheater gäbe es in Bern nicht. Was denn gespielt werden sollte? Zirkus mit Marionetten? Ob ich wohl das Theaterstück „Marionetten“ meine? Das handle von Zirkusartisten, und es werde von Schauspielern aus Fleisch und Blut aufgeführt. Und mit einem Blick auf meine Kinder meint sie, das sei aber nur für Erwachsene. Nein, nein, Petr hat von einem Marionettentheater erzählt. Aber wenn ich es mir genau überlege, hat er von Schauspielern gesprochen, die sensationell gut agiert hätten. Da habe ich still für mich gelächelt und gedacht, dass Deutsch halt nicht seine Muttersprache sei. Er meine sicher, der Puppenspieler hätte sehr gut gespielt.

Die nette Dame am Schalter konsultiert den Theaterkalender. Plötzlich lacht sie laut auf. „Woher kommen Sie? Aus Zürich? Ja, dort wird das Theater „Marionetten“ aufgeführt. Und wissen Sie wo? Im Bernhardtheater am Theaterplatz 1.“

Mir ist nicht zum Lachen. Die schöne Geburtstagsüberraschung, dahin! Oh Petr, du mit deiner immer wieder falschen Betonung und deinem schrecklichen Akzent!

„Bern, Hardtheater – Bernhardtheater“

Ich werde jetzt mit meinen Kindern in ein Cafè unter den Lauben gehen und ihnen einen grossen Coupe spendieren. Und wenn mir Petr nächstes Mal etwas erzählt, sollte ich vielleicht genauer zuhören und nachfragen.........

Für heute habe ich genug Zirkus.


© Pia Koch-Studiger


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Beschreibung des Autors zu "Theater? Theater!"

Die Raiffeisenbank Züri-Unterland lancierte zu ihrem 75-Jahr-Jubiläum 2009 einen Schreibwettbewerb zum Thema "So ein Zirkus!". Mit meiner Kurzgeschichte "Theater? Theater!" gewann ich sowohl den Jury-Preis als auch den Sonderpreis des Publikums. Die Handlung der Geschichte ist frei erfunden. Grundlage für den inhaltlichen Wortwitz sind die real existierenden Schauplätze in der Schweiz. Die Lauben sind typisch für die Berner Altstadt. Definition für Laubengang: überdachter, seitlich offener Gang an der Vorderseite eines Gebäudes.

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