Einst trat ein Mann vor Gott, denn er wollte sich des Lebens wegen beschweren.
"Gott", sprach er:
"Warum hast du denn mein Dasein so unbarmherzig gemacht. Warum hast du mich als Manne auserkoren, all die schweren Arbeiten zu erledigen?
Tagein, Tagaus muss ich schuften, muss ich mich halb Tod arbeiten, nur um genügend Geld nach Hause zu bringen, um mich und meine Familie zu ernähren. Meinen Körper und meine Zeit opfere ich, während meine Kinder und meine Frau sich Zuhause einen faulen Lenz machen. Und wenn ich dann nach Hause komme, zankt mein Weib mit mir und mein Sohn will nichts von mir wissen. Kein Essen finde ich auf dem Tisch und auch das Bier hat man mir lang schon ausgetrunken. Mir bleibt also jeden Abend nichts anderes übrig, als mich stillschweigend ins Bett zu begeben, nur um dann am nächsten Tage erneut nach draußen zu ziehen. Wieso muss gerade ich diese schwere Last auf meinen Schultern stemmen?, fragte der Mann Gott.
Doch Gott schwieg.
Da wurde der Mann fürchterlich zornig.
"Wenn du mir schon nicht antworten willst", fuhr er fort: "Dann verwandle mich wenigstens in eine Frau. Wenn ich das Leben meines Weibes betrachte, wünschte ich mir nichts sehnlichster, als sie zu sein und keinen Finger mehr rühren zu müssen.
Und Gott erfüllt ihm den Wunsch.

Doch kaum zwei Wochen später, stand die selbe Frau wieder vor dem Herrn und wollte sich des Lebens wegen beschweren.
"Gott", sprach sie:
"Warum hast du mir nicht gesagt, welches Leid die Frauenschaft jeden Tag ertragen muss? Der Haushalt muss gemacht und die Kinder versorgt, Essen muss gekocht und Wäsche gewaschen, Gemüse geschält und Böden geschrubbt werden. Tausend Dinge sind jeden Tag im Haus zu erledigen und sobald der Tag rum ist, fallen schon wieder Zehntausend weitere an.
Außerdem wurd mir das Sprechen verboten und das Wählen untersagt. Als Frau ist es noch zehn mal schlimmer zu leben als als Mann. Sag Gott, warum hast du mir nicht verzählt, wie schrecklich es ist, eine Frau zu sein?
Doch Gott schwieg.
Da wurde die Frau schrecklich wütend.
"Wenn du mir schon nicht antworten willst", schrie sie: "Dann verwandle mich wenigstens in ein Kind. Wenn ich das Leben meines Sohnes betrachte, wünschte ich mir nichts sehnlichster, als er zu sein und keinen Finger mehr rühren zu müssen."
Und Gott erfüllt ihr ihren Wunsch.

Doch kaum war eine Woche vergangen, stand das selbe Kind schon wieder vor Gott und wollte sich des Lebens wegen beschweren.
"Herr", sprach es:
"Warum hast du mir verschwiegen, was ein Kind so Tag für Tag alles an Probleme bekommt?
Ich darf nichts mehr bestimmen und muss nur tun wie man von mir verlangt! Vom Vater werde ich verdroschen und von der Mutter abgewiesen. Ich werde gezwungen, zu helfen, erhalte aber gleichzeitig nie ein Lob. Und im selben Atemzug wollen die Eltern den Respekt, denn sie glauben, dass er ihnen zusteht.
Sprich Gott! Warum hast du mir dieses Schicksal nicht erspart und mich von dieser törichten Entscheidung abgehalten?"
Doch Gott schwieg.
Da verfiel das Kind in einen rasenden Wutanfall.
"Wenn du mir schon nicht antworten willst!", schrie es fort: "Dann verwandle mich wenigstens in ein Tier! Dann muss ich mir keine Gedanken mehr um diese Welt machen und kann jeden Tag so leben, als wäre er mein letzter."
Und Gott erfüllte ihm den Wunsch.

Am nächsten Morgen stand ein kleiner Fuchs vor Gott.
"Gott", sprach er leise.
"Ich bin des Lebens leid. So viel hab ich gesehen und keines ist besser als das andere. Ein jedes Leben ist erfüllt von Schufterei und Plagen. Selbst als ein Tier kann ich mich nicht fläzen, sondern muss Tag und Nacht auf der Hut sein.
Gott sag, warum hast du das Leben mit so viel Schmerz gefüllt?"
Doch Gott antwortete nicht.
Da wurde der Fuchs ganz still und dachte nach.
"Wenn du mir schon nicht antworten willst", sagte er schließlich:
"Dann verwandle mich wenigstens in einen Stein. Vielleicht werde ich dann endlich meine Ruhe haben."
Und Gott erfüllte dem Fuchs seinen letzten Wunsch.
Anschließend sprach der Herr zu ihm in sanfter Stimme:
"Bist du nun glücklich?"
Doch der Stein antwortete nicht.

----

Mehr Geschichten und Gedichte findet ihr auch auf meinem Blog: http://korbohned.de/


© Alle Rechte vorbehalten - @KorbohneD


1 Lesern gefällt dieser Text.


Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Stand Mann vor Gott"

Es sind noch keine Kommentare vorhanden

Kommentar schreiben zu "Stand Mann vor Gott"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.