Der schwarze Turm

© EINsamer wANDERER

Azrael stand vor der mittelalterlichen Stadt. Sein irres Lächeln entblößten mehrere Reihen haifischartiger Reißzähne. Über seinem Haupt, dessen Haare wie wilde Flammen wirbelten, schwebte ein Wirbelsturm aus schwarzen Federn. Die Raben, die über ihm seine Bahnen zogen wussten, solange sie in seiner Nähe blieben, würden sie niemals Hunger leiden. Seine hagere, leichenblasse Gestalt mit ihren schwarzen Lumpen täuschte über seine wahre Kraft hinweg. Er hielt sein gewaltiges Breitschwert Caedes locker in der, mit schwarzen Krallen bewehrte, Hand. Im Schwert waren Runen alter Macht geschmiedet worden, die zu jeder Zeit blutabsonderten. Die Blutspur, die dieses Schwert hinter sich herzog, war beachtlich und machte jede verdeckte Aktion oder Flucht unmöglich, aber Azrael machte sich eh nichts aus Versteckspielchen. Seine blutrotglühenden Augen mit ihren geschlitzten Pupillen überflogen die Stadt. Das was bei den Menschen weiß war, war in seinen Augen tiefschwarz. Von der Stadt, die vor wenigen Tagen noch hier gestanden hatte, war nichts übrig geblieben. Jetzt waren es nur noch brennende Ruinen, in denen unmenschliche Schatten hin und her huschten. Ein schwarzer Turm ragte in den Nachthimmel und wurde von der brennenden Stadt beleuchtet. Das prasseln der Flammen mischte sich mit den unmenschlichen Lauten der Wesen in den Ruinen und ergab eine Melodie, die Azraels zugespitzen Ohren freudig hörten und ihn magisch anzog. Seine Befehle waren eindeutig. Die Anführer der Dämonen finden und töten. Sollte sich ihm irgendjemand- oder etwas in den Weg stellen, würde er es vernichten. Er allein war geschickt worden, um diese blutige Tat zu vollbringen. Keiner der ihn je begleitet hatte, hielt es lange genug mit ihm aus. Entweder machten sie sich aus Angst vor Azrael in die Hose oder seine eigene Grausamkeit trieb sie in den Wahnsinn. Er ging gemessenen Schrittes durch das brennende Inferno. Seine Füße hinterließen abdrücke in den mit Asche bedeckten Boden. Nicht nur die Flammen mieden seine Gegenwart, sondern auch die Wesen in den Ruinen. Azrael spürte, wie seine von ihm ausgehende Angst ihre Kehlen zuschnürten. Obwohl in ihm eine gewaltige Mordlust brodelte, dachte er nicht daran, die Wesen zu töten. Sie würden nur fliehen und das wollte Azrael nicht. Er wollte einen Kampf. Jemand der ihm die Stirn bot, statt zu fliehen. Ein mutiger Schritt aus den Ruinen. Es war ein hünenhaftes Wesen, mit Bergen aus Muskeln. Seine Haut war rotbraun. Die Hauer leicht gelblich verfärbt. Aus seinen Handgelenken wuchsen Keilartige Knochen. „Ich habe viel von dir gehört, Todesengel.“, wisperte das Ungeheuer, ohne die Lippen zu bewegen. Ein bedrohliches Knurren war das Einzige was seiner Kehle entstieg. „Telepathie, wie interessant.“, bemerkte Azrael. Das Lächeln wich nicht aus seinem Gesicht. Das Ungeheuer schien die anderen Wesen dazu zu motivieren sich ebenfalls zu zeigen. Im Schatten der Flammen und flimmern der Luft waren jedoch keine Details von ihnen zu erkennen. Der mutige verlor keine weiteren Worte und preschte mit geballter Macht vor. Den keilartigen Auswuchs hoch erhoben. Azrael bewegte sich keinen Millimeter, selbst als der Keil seinen Rumpf durchbohrte, bewegte er sich kein Stückchen, stattdessen lachte er nur. „Warum lachst du? Nicht einmal du würdest über deinen eigenen Tod lachen.“, zischte die Stimme in seinem Kopf. „Ich habe schon lange keinen solchen Spaß mehr gehabt.“, mit diesen Worten zog er an der Klingenkette, welche um seinem Arm gewickelt war und die am Knauf seines Schwertes befestigt war. Fast selbstständig fand sie den Weg in Azraels Hand. In einer schnellen Bewegung schlug er dem Dämon die Hand ab. Schreiend fiel er nach hinten. Die kleineren Dämonen ergriffen panisch die Flucht, selbst der Große wollte vor Azrael fliehen, doch so leicht ließ der ihn nicht gehen. Seine Klingenkette schlang sich um den kurzen Hals des hünenhaften Dämons und drohte ihn zu erwürgen. Azrael zog so fest, dass der Kopf sich gelb färbte. Schließlich konnte der Körper dem Druck nicht mehr standhalten. Der Kopf löste sich vom Körper und flog trudelnd in ein brennendes Haus hinein. Asche aufwirbelnd brach der tote Körper des großen Dämons zusammen. Azrael unterbrach sein Lachen, um ein paar der schmackhaften Bluttropfen mit dem Mund aufzufangen. Nur so konnte er hören, dass noch jemand mit in seine Heiterkeit gefallen war. Er wandte sich dem Gekicher zu. Es war ein Mädchen von ungefähr acht Jahren. „Das war lustig.“, kicherte sie weiter. Doch Azrael hatte nur noch Augen für sie. Sein Lächeln war einem verwunderten Gesichtsausdruck gewichen. Etwas umgab das Mädchen. Etwas Mächtiges. Nur eines war klar, es war nichts Menschliches. Azrael warf sein Schwert nach ihr. Das Schwert fuhr durch ihren Körper, ohne auf Wiederstand zutreffen. Die Kleine war verschwunden. „Es war nur eine Illusion.“, stellte Azrael fest. Er drehte sich zu der nächsten Illusion um, die auf einem brennenden Dach stand. „Komm zu mir. Ich lebe in dem Turm dahinten.“, sie zeigte auf den gewaltigen, schwarzen Turm, der aus dem Flammenmeer ragte. „Ich lebe in den Tiefen, aber um dorthin zu gelangen, musst du ihn erst einmal erklimmen. Vielleicht lebst du lange genug, um mich persönlich kennenzulernen.“ Das Mädchen verschwand wieder. Azrael starrte Gedankenversunken zum Turm. Mit einem Ruck zog er den Keil und den damit verwachsenen Arm aus seinem Rumpf. Das dadurch entstandene Loch wurde von einer zähen, schwarzen Flüssigkeit aufgefüllt. Dann färbte sich die Flüssigkeit leichenweiß und nahm die Konsistenz von Azraels Haut an. Zum Schluss, schloss sich das Loch in der Kleidung, wie lebendes Gewebe. Ruhig ging er zum Turm. Welche Grauen mochten ihm im Turm begegnen?

Vor dem Turm angelangt fiel Azraels Blick auf zwei steinerne Statuen, die den Eingang bewachten. Sie erinnerten an Affen, die sich als Menschen ausgaben. Sie standen aufrecht und trugen Äxte und Rüstungen. Mit ihren gekreuzten Waffen versperrten sie Azrael den Weg. Obwohl sie sich keinen Millimeter bewegt hatten, wusste er, dass es Steindämonen waren. Ein lautes stöhnen entrang seiner Kehle. Die Steindämonen, hielten sich selbst wahrscheinlich für wichtig. „Deinesgleichen ist in dem Turm nicht willkommen.“, sagten die Statuen, wie aus einem Munde. „Mir einerlei. Ich will da rein.“ Seine Augen glühten noch intensiver. „Dann musst du uns erst vernichten.“, erwiderten die Statuen. „Das sollte kein Problem darstellen.“, gab der Todesengel kühl zurück. Die Dämonen sprangen von ihren Sockeln und griffen das Monster an. Azrael parierte jeden Schlag mit Leichtigkeit. Diese niederen Wächter waren ihn nicht gewachsen. Er wich den nächsten Angriff des Steinwächters aus, und schlang die Klingenkette seines Schwertes, um seine Brust. Mit seinen übermenschlichen Kräften schleuderte Azrael den Wächter gegen seinen Artgenossen. Krachend zersprangen die beiden Dämonen zu einem wertlosen Steinhaufen. Azrael ging ohne sein berühmtes Lächeln in den Turm. Wenn das die Wächter waren, würden die Insassen des Turmes eine noch kleinere Herausforderung darstellen. Er war diese Schwächlinge leid. Sein Herz schrie nach jemandem, der ihm ebenbürtig war.

Die Atmosphäre des Turms war eine bedrückende. Alles war still. Nur das prasseln der Fackeln war zu hören. Trotz ihres spendenden Lichtes war der Turm düster. Man hatte ihn aus den verbrannten Steinen der Stadt und den Knochen seiner Bewohner erbaut und gestaltet. Eine steinerne Wendeltreppe schlängelte sich in die Höhe. Wie war das noch gleich? Erklimme zuerst den Turm, um dann in die Tiefe vorzustoßen? Azrael schüttelte den Kopf. Was für ein Unsinn, dachte er. Aber ihm kam gerade eine glänzende Idee. „Kommt her, ihr Dämonen des Turmes oder muss ich euch erst in den Ecken dieses Gebäudes suchen?“ Die Schatten erwachten zum Leben und griffen Azrael von allen Seiten. Der wirkte erleichtert. „Und ich dachte schon, es würde langweilig werden.“ Mit tödlicher Präsenz beschrieb Caedes einen Kreis in der Luft und teilte alle Gegner in der Mitte. Die Schatten lösten sich in eine schwarze Flüssigkeit auf. Azrael wusste, dass er noch mehr aus seinen vermeidlich besiegten Gegnern kitzeln konnte. „War das schon alles?“, fragte er Provozierend in die Runde. Die Pfützen flossen zusammen zu einem kleinen See. Ihm entstieg ein gewaltiger Schattendämon. Er ließ nicht durchblicken, ob Azraels vorfreudige Miene ihn schockierte oder verärgerte. Azrael zögerte nicht lange. Er versuchte den Gegner das Bein abzuhacken, doch dieser Dämon besaß eine härtere Haut als die kleineren Exemplare vor ihm. Caedes konnte trotz ihrer schärfe nicht die Gliedmaßen dieses Kolosses durchtrennen. Azrael war nun nicht mehr die Spur gelangweilt. Er begann jetzt erst richtig warm zu werden. Sein Blut kochte und die Bestie, die in ihm geschlummert hatte, war erwacht. Mit einem unmenschlichen Schrei stürzte er sich erneut auf den Koloss, aber diesmal setzte er die Hälfte seiner Kraft frei. Wie ein Pfeil drückte er sich immer wieder von den Wänden ab und zerstückelte seinen Gegner. Das schwarze Blut des Kolosses hatte bereits eine beachtliche Pfütze gebildet. Azrael hatte es vor allem auf seine Beine abgesehen, um ihn zu Fall zu bringen. Von vielen, tiefen Schnitten gepeinigt, sank er zu Boden. Der Todesengel kam vor dem Schattendämon auf die Knie. Der verletzte Koloss griff nach ihm, um ihn in seiner geballten Faust zu zerquetschen. Azrael ließ sich von ihm packen und in die gewaltige Hand einsperren, doch mit seinen gewaltigen Kräften befreite er sich. Der Mund des Kolosses war vor Verblüffung weit geöffnet, was Azrael zu seinem Vorteil ausnutzte. Er sprang selbstmörderisch in den Schlund. In seinem Mund gefangen, versuchte der Koloss ihn zu Kauen. Die Kauleisten begannen zu arbeiteten. Davon unbeeindruckt versenkte Azrael sein Schwert immer wieder in den Oberkiefer. Er zerstörte ihn und arbeitete sich durch den Knochen. Dann sprang er mit einer kleinen Kraftanstrengung aus der Stirn des Koloss. Der Schädel explodierte. Überall spritzte es schwarzes Hirn, Knochen und Blut. Azraels Haut sog das schmackhafte schwarze Blut wie ein Schwamm auf. Die Haut konnte das Blut selbst aus der Kleidung herausfiltern. Selbstzufrieden betrachtete Azrael sein Werk. Alles oberhalb der Nase war entweder übel in Mitleidenschaft gezogen oder ganz zerstört worden. Der Koloss brach in sich zusammen es gab nichts zwischen Himmel und Hölle, was ihn noch am Leben gehalten hätte. Azrael schritt auf die Spitze des Turmes zu. Viele niedere Dämonen stellten sich ihm in den Weg, aber keiner konnte es mit ihm aufnehmen. Fast war es, als hätte er schon alle Dämonen, die es wert waren, getötet. Oben angekommen stand ein seltsamer Klotz aus Metall da. Der Mond war voll und keine Wolke versperrte das silberne Licht, dass direkt auf den Klotz fiel. Überall auf der Spitze lagen Knochen von Menschen und anderen Rassen. Azrael betrachtete den Klotz genauer. Er konnte kaum erwarten, was passieren würde, wenn er sich dem Klotz näherte. Neugierig machte er ein paar Schritte darauf zu. Plötzlich stand der Klotz auf und baute sich vor Azrael auf. Er war nicht so groß wie der Koloss, aber dennoch doppelt so groß wie Azrael. Das Klacken von tausend Zahnrädern kam aus seinem Körper. Er schien durch und durch eine Maschine zu sein. „Bist du der Meister oder das Mädchen?“, fragte Azrael bedrohlich. Seine wirbelnden Haare umrahmten sein Gesicht. ,,Wächter.“, kam es einsilbig von der Maschine. In ihrer Stimme lag ein metallischer Klang. ,,Mir auch egal. Ich hätte dich so oder so getötet.“ Die Maschine versuchte den Todesengel mit seinen Armen zu zerquetschen, denn Hände hatte sie nicht. Azrael sah den Schlag im Voraus. Flink wie eine Wildkatze machte er einen Schritt zur Seite. Der Schlag des Klotzes hinterließ einen ansehnlichen Krater. Azrael nutzte seine Chance. Er sprang auf den Arm. Caedes durchtrennte das Gelenk, das zwischen Ober- und Unterarm war. Krachend fiel der abgetrennte Unterarm auf den Boden. Der Klotz bewegte den nutzlosen Stumpf hin und her. ,,Wie? Wie?“, sagte er immer wieder. Eine graue Flüssigkeit kam aus dem Armstumpf. Zufrieden grinsend schlug Azrael auch noch das rechte Bein des Klotzes ab. Mit dem Armen trudelnd fiel er zu Boden. Der Todesengel stand überheblich auf seiner Brust und fühlte sich, wenn auch gelangweilt, unbesiegbar. Er stieß sein Schwert tief in die Brust des Klotzes. Funken sprühten. Das Metall kreischte, wie Fingernägel auf einer Schiefertafel, als er mit dem Schwert den gesamten Brustkorb aufschlitzte. „Wie? Wie? Wie?“, die Stimme des Klotzes wurde immer schneller und schriller, dann knallte etwas in ihm und er wurde schlagartig still. Im Inneren der Maschine knisterte es und kleine Blitze waren zu sehen. Wieder sprudelte die graue Flüssigkeit aus der Wunde. Hungrig machte Azrael sein Maul auf, um etwas von der Flüssigkeit zu haben. Die Flüssigkeit ausspuckend trat er von der Brust des reglosen Klotzes. Egal, was diese Flüssigkeit war, sie schmeckte scheußlich. Sie brannte im Mund und war dick wie abgestandene Milch. „Zum Glück werden sich Maschinen niemals durchsetzen.“, meinte Azrael überzeugt. Ein Beben ging durch die Turmspitze. Der Tod des Wächters schien etwas ausgelöst zu haben. Der Boden fuhr in die Tiefe. Azrael wusste nicht wohin ihn diese Höllenmaschine bringen würde, aber er würde es bald herausfinden. Die Plattform hielt in einer Kammer, welche tief im Inneren der Erde lag, an. Flammen tobten um die runde Plattform auf der sich der Todesengel befand. Er musste sehr Tief im Erdinneren sein. Von hier aus konnte er noch nicht einmal den Nachthimmel sehen. Die Decke war nichts weiter als ein großer, dunkler Fleck. Aus den Tiefen erhob sich eine Gestalt aus purer Dunkelheit. Sie war viermal so groß wie der Schattenkoloss. Aufgrund ihrer Rundungen wusste Azrael, dass es sich um einen weiblichen Dämon handelte. „Weit bist du gekommen. Ich hätte nicht gedacht, dass du es wirklich bis hierher schaffen würdest.“ Jetzt fiel Azrael die Ähnlichkeit zwischen der Dämonin und dem Mädchen auf, das ihn hierher gelockt hatte. Diese Dämonin hatte eine Illusion erschaffen, die sie als harmlosen Menschen zeigte. Warum sie solche Tricks angewandt hatte, war Azrael egal. Er wollte Blut sehen. „Du hast meine Soldaten vertrieben und meine treusten Diener getötet. Wer bist du eigentlich, dass du glaubst, dass du damit ungeschoren davonkommst?“ Azrael ließ seine Stimme durch den hohen Raum hallen. Die Kälte ihres Klangs ließ die Flammen schrumpfen. Seine Stimme, die nur dem Tod gehören konnte, ließ sogar die Dämonin frösteln. „Ich bin Azrael, der Unsterbliche. Engel des Todes. Sohn von Vlad Drăculea III. Bester Kämpfer eurer ehemaligen Sklaven. Ich bin ein Mischwesen. Halb Vampir und halb dunkler Teufelstitan. Meine Kräfte können es mit den Legionen der Hölle aufnehmen. Niemand kann mich aufhalten.“, den letzten Satz sprach er voller Häme. „Ich habe viel von dir gehört Engel des Todes. Geschaffen von unseren rebellierenden Dienern, den Vampiren, sollst du ein Monster unter den Monstern sein. Deine Gräueltaten lassen sogar deinen Schöpfern das Blut in den Adern gefrieren. Du hast noch nie irgendjemanden verschont. Aber weder dein Ruf, noch deine Macht haben hier an diesen Ort Bedeutung.“ Damit war der Kampf eröffnet. Azrael gefiel die Courage der Dämonin. Sie schien selbst dann Kampfbereit zu sein, wenn sie ihn als Gegner hatte und über seine Taten Bescheid wusste. Azraels Gefühle fanden einen Höhepunkt. Der Kampf würde wenigstens dreiviertel seiner Kraft erfordern, was noch nie zufuhr vorgekommen war. Die Dämonin zeigte gebieterisch mit ihrer Hand auf den Todesengel. Die Finger dehnten sich ins Unendliche und fuhren wie Speere durch Azraels Körper. Der lachte bloß. Er genoss die Schmerzen, welche in seinen Körper wüteten, in vollen Zügen. So köstlichen und aufregenden Schmerz hatte er noch nie gefühlt. Für ihn waren Schmerzen nichts schlimmes, sondern ein Rausch, der ihn wie das Töten in eine unvergleichliche Ekstase versetzte. Der Rausch ließ ihn aufleben und sein ewiges, untotes Dasein lebendiger erscheinen. Genauso schnell, wie die Finger seinen Körper durchstoßen hatten, zogen sie sich zurück. Azrael war von den Schmerzen so berauscht, dass er nicht anders konnte, als auf die Knie zu gehen und schweigsam ins Leere zu starren. „Ich sagte doch, dass deine Macht hier keine Bedeutung hat.“ Die Dämonin schien sein Verhalten falsch zu interpretieren und sich selbst schon als Siegerin zu wähnen. „Bitte hör nicht auf.“, sagte Azrael sehnsüchtig, als die Dämonin ihn bereits den Rücken zugedreht hatte. ,,Was?! Du lebst noch?!“ Ihre Siegessicherheit war wie weggewischt. Nun begann der Samen der Furcht auch in ihren Herzen zu keimen. Es war jene Angst, die alle vor Azrael hatten. Doch diese Angst hielt nur für einen kurzen Moment an, dann kehrte wieder die Selbstsicherheit der Dämonin zurück. Sie stieß ihre Hand in die Plattform. Überall bohrten sich schwarze Speere aus dem Boden. Sie spießten Azrael auf und hoben ihn in die Höhe. Die Dämonin zog ihre Hand zurück. Parallel dazu verschwanden auch die Speere wieder. Azrael fiel wie ein lebloser Stein zur Erde. „Ich lebe immer noch.“, sagte er böse. Vor Wut schreiend versuchte sie den Halbdämon mit ihrer Faust zu zerquetschen. Azraels Blutdurst wurde immer größer und vertrieb die berauschenden Schmerzen. Die Faust der Dämonin wurde von einem gewaltigen, schwarzen Etwas gebremst. Sie neigte ihren Oberkörper zur Seite, um besser sehen zu könne, was sie da aufhielt. Vor Schreck erstarrt, konnte sie nicht den Anblick von dem Abwenden, was sie da sah. Azraels Arm hatte sich in eine große schwarze Masse verwandelt. Ihr Schlag war von einem gewaltigen Maul gebremst worden. Auf der Oberfläche der schwarzen Masse waren hunderte blutrotglühende Augen mit geschlitzten Pupillen. Das Blut der Dämonin wurde gierig von hunderten Mäulern, die mehrere Reihen messerscharfer Reißzähne besaßen, aufgeleckt. Kaum hatte sie das alles in sich aufgesogen, als die Faust weiter in das riesige Maul gezogen wurde. Verzweifelt versuchte die Dämonin ihre Faust herauszuziehen, aber ihre Kraft reichte dafür nicht aus. Mit einem widerlichen Knacken biss das Maul zu und brach ihr die Hand. Die Dämonin schrie vor Schmerz. Das Maul öffnete sich leicht und zog etwas von ihrem Arm in sich hinein. Doch damit gab es sich nicht zufrieden. Es verschlang ihren Arm, ihre Schulter und den restlichen Leib. Wenn etwas nicht verschlungen werden konnte, vergrößerte sich das Maul. Und die ganze Zeit über grinste Azrael und labte sich an der Angst, den Schmerzen und der Verzweiflung der Dämonin. Er genoss die Schreie, wie andere Leute Wein genossen. In ihren Augen, sah Azrael es. Sie erkannte endlich seine wahre Macht. Die Macht der dunklen Teufelstitanen, der Dämonen, die selbst über den zehn Höllenfürsten standen. Die Flammen wurden mit der Dämonin immer kleiner. Als die Schreie verstummten und die Dämonin von Azrael gefressen worden war, ging ein großes Beben durch den Turm. Gewaltige Gesteinsbrocken fielen von der Decke und zermalmten die Skelette zu Staub. Azrael starrte zur Decke. Er machte keine Anstalten sich zu bewegen. Sein Blick blieb störrisch an der Decke und den fallenden Gesteinsbrocken haften. Er würde das alles überleben, ohne einen einzigen Kratzer abzubekommen, das wusste er.

Die Vampire, die die Dämonen töteten, welche vor Azrael geflohen waren, sahen schon vom weiten, wie der eindrucksvolle, schwarze Turm in sich zusammenfiel. Sein Einsturz beschwor eine große Staubwolke herauf, welche das Licht des Aufgehenden Tages verschluckte. Die Vampire mussten bald ins Dunkel zurückkehren, wenn ihnen ihr Leben lieb war. Aber eins wussten sie alle, Azrael hatte, wie immer, auf ganzer Linie gesiegt.

Der Todesengel war dem Krater, den der Turm hinterlassen hatte, wie ein Gespenst, entstiegen. Lautlos wie der Schnitter ging er durch die ausgebrannten Ruinen. Jeder Schritt ließ die Asche unter seinen Sohlen aufwirbeln. Die Flammen waren niedergebrannt. Obwohl unter der Asche keine Glut mehr vorhanden war, schwitzte Azrael. Ihm war ungewöhnlich heiß. Wieder etwas, was noch nie zuvor vorgekommen war. Die Kälte seiner schwarzen Seele ließ selbst die größten Flammen erkalten. Aber diese Hitze schien von ihm unbeeindruckt zu sein. Am Dorfrand fand er die Ursache der ungewöhnlichen Hitze. Im Gras saß im Schneidersitz ein junger Mann, mit langen rotblonden Haaren, die sacht vom Wind umspielt wurden. Die Flammen, die um ihn herum tobten, schienen ihn nicht zu stören. Ihr Flimmern verzerrte leicht seine Züge. Er kaute gelangweilt auf einem Halm rum. „Du hast Allicidia getötet. Schade eigentlich. Ich mochte sie.“ Die gleichgültige Ruhe die er ausstrahlte, machte Azrael wütend. Er kannte es nicht, so behandelt zu werden. Furcht und Abscheu waren ihm bekannt. Aber Desinteresse und Gleichgültigkeit waren ihm Fremd und versetzten ihn in Rage. „Damit hast du einen weiteren meiner Offiziere getötet. Gratuliere.“ Jetzt wusste Azrael, wen er da vor sich hatte. Es war der mächtige Höllenfürst Amon, Herr des Feuers. Der Sohn Satans. Besser bekannt als, der Antichrist. Der Feind und die Herausforderung, nach der Azrael sich schon so lange verzehrte. Er blickte auf das Schwert des großen Dämons. Es war ein zweischneidiger Bihänder. Zwischen Griff und Klinge war ein schmerzverzerrter Teufelskopf, mit brennenden Augen, eingeschmiedet worden. Die Runen auf der Klinge brannten ununterbrochen. Amon legte sich ins Gras und starrte Gedankenversunken in den blauen Himmel. „Ich hasse dieses Blau. Rot oder Schwarz würden da viel besser passen.“, murmelte er vor sich hin. Die Fingerknöchel von Azraels Schwertarm traten weiß hervor. Seine Gesichtszüge verzerrten sich vor Wut. Noch nie war jemand so mit ihm umgesprungen. Er schleuderte Caedes auf den im Gras liegenden Höllenfürsten. Doch die Klinge fraß sich nur in Gras und Erde. Amon war verschwunden und diesmal war es ganz sicherlich keine Illusion gewesen. Die seltsame Hitze war verschwunden und die eisige Kälte, die Azrael immer gegenwärtig gewesen war, kehrte zurück. Noch lange starrte Azrael auf den Flecken, wo der Höllenfürst gelegen hatte. Das Brennen, welche die aufgehende Sonne verursachte, interessierte ihn nicht. Er hing seinen eigenen Gedanken nach. Ihm war noch nie bewusst gewesen, wie sehr er sich doch langweilte. Jeder Dämon, jedes Monster, das er getötet hatte war kein Gegner für ihn gewesen. Selbst der Dämonin im schwarzen Turm, war ihm haushoch unterlegen gewesen. Doch dann war der Höllenfürst aufgetaucht und zeigte den Todesengel, dass er mit ihm gleichzog. Jetzt erkannte Azrael, dass jeder Gegner, vor dem Auftauchen Amons, die reinste Zeitverschwendung gewesen war. Von nun an, würde er nur noch Gegner bekämpfen, von denen er dachte, dass sie es wert waren. So machte Azrael sich auf den Weg zu seinem Meister. Verändert, durch die Begegnung mit Amon. Niemand sah, wie die Räder des Schicksals begannen zu mahlen. Oder, wie viele Generationen die beiden beeinflussen würden. Niemand hätte ahnen können, dass die nächste Begegnung zwischen Amon und dem Todesengel so aussehen würde. Noch unter welchen Umständen sie sich wiedersahen.


The End


© EINsamer wANDERER


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Beschreibung des Autors zu "Der schwarze Turm"

Und damit herzlich willkommen in meiner Sommerpause.
Lange habe ich an meinem Manuskript gearbeitet und nun will ich mal etwas einfacheres Verfassen.
Ich wünsche viel Spaß. Nebenbei bemerkt, wird es ein baldiges Wiedersehen mit Azrael geben, aber dazu mehr nächste Woche.

Mehr von Azrael: https://www.schreiber-netzwerk.eu/de/2/Geschichten/12/Fantasie/42433/Engeltod-I--Azrael/

Derzeitiger Stand von Projekt Endstation: 94 Seiten




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