Ich stand auf einem Berg. Unter mir schlicht dichter Nebel durch das Land. Vereinzelte Tannenspitzen lugten daraus hervor wie wagemutige Soldaten. Kühler Wind fegte durch die Baumwipfel und brachte den Nebel in Wallung. Nebelschwaden bäumten sich zu einem stillen Widerstand empor. Kreischend versuchten sie ihren Halt nicht zu verlieren. Geschwächt sanken sie zurück in die dichte Masse.

Ich ging weiter. Vereinzelte Büsche säumten meinen Weg. Ängstlich und zaghaft steckten sie ihre Äste zum Himmel empor. Schnell und leise schlichen Vögel und andere kleine Tiere von Busch zu Busch. Aus großen Tannen schauten mich gleich mehrere Augenpaare an. Schreckhaft. Verletzlich.

Mein Weg führte weiter hinauf. Die Sichtweite verringerte sich. Von oben krochen seichte Nebelschwaden hinab. Unheilverkündend schwebten sie dahin, wie die Gefallenen eines langen, zermürbenden Kampfes. Der Wind schob sie Stück für Stück weiter, wie ein Meister, der seine Sklaven vorantreibt. Bedrohlich kam die Prozession näher, verschlang alles auf ihrem Weg und hinterließ ein Hauch von nichts.

Ich ging in den Nebel hinein. Ich folgte meinem Weg. Schnell wurde mir die Sicht genommen. Der Nebel verschlang mich. Ich setzte einen Fuß vor den anderen, weiter und immer weiter. Mein Weg war nicht mehr zu sehen. Ich konnte nur fühlen, ob ich richtig lag. Die Sklaven zogen an mir. Sie lechzten nach meinem Leben und wollten mich stoppen. Sie warfen sich mir mit aller Kraft entgegen. Steine und Gräser flogen mir entgegen. Die Überreste vergangener Kämpfer.

Der Nebel fing an zu schwächeln. Kühler Wind pfiff stark den Weg entlang und trieb auch die letzten Nachzügler unerbittlich voran. Die Sicht klärte sich langsam. Das Ausmaß der Zerstörung wurde sichtbar. Ich stieg weiter empor. Die Kühle des Windes verschwand und an ihre Stelle trat schwache Wärme. Die ersten Sonnenstrahlen durchdrangen die Reste der Sklaven und zwangen den Wind zu einem noch schnelleren Tempo.

Ich bestieg die letzen Sinne des Gipfels. Von dort aus ließ ich meinen Blick über die Landschaft unter mir schweifen. Ein dichter Nebelstreif befand sich direkt unter mir, gefolgt von einer Armee aus Tannenspitzen und schließlich erstreckte sich ein Tal dem Horizont entgegen, soweit das Auge reichte. Dort wollte ich hin. Das war mein Ziel.


© Eisvogel


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