Brief

© EINsamer wANDERER

(Ein handschriftlicher Brief.)

Ich weiß nicht ob ich noch lange genug Leben werde um diese Zeilen zu Ende zu schreiben. Sollte dem so sein, ist es nur ein schwacher Trost für mich. Eigentlich soll ich hier ja nur meine Haftstrafe von 25 Jahren wegen Totschlages absitzen, aber ich schätze mal dass ich nach nun mehr als sechs Monaten tot sein werde. Oder verschwinden so wie andere zuvor.

Als ich das erste Mal von diesem Strafvollzug hörte, dachte ich mir noch das nameless Silence wäre ein ruhiger Ort an dem nichts geschehen würde. Allerdings weiß ich nun, dass es nichts bedeutet wenn von einem Ort nichts Negatives verlautbart wird. Tatsächlich kennen nur die wenigsten dieses Gefängnis. Es wurde nie irgendetwas von diesem Höllenloch berichtet. Es scheint fast so als kümmere es niemanden was mit dem Personal und den Insassen geschieht sobald sich die Tore erst einmal geschlossen haben. Hätte ich schon damals gewusst was mich erwartet hätte – vielleicht hätte ich... es anders gemacht? Ich weiß noch nicht einmal mehr, weswegen genau ich hier bin. War es wirklich Totschlag oder bilde ich mir das nur ein? Es ist für mich jedoch unvergesslich wie der Richter Gift und Galle bei der Urteilsverkündung gespuckt hatte. Eigentlich sollte ich in ein anderes Gefängnis wandern, doch irgendwie haben mich die Behörden hier rein gesteckt.

Vielleicht stimmt es ja was die Leute über Rʼlyeh-City sagen. Diese Stadt scheint verflucht zu sein und nichts anderes als Tod und Wahnsinn hervorzubringen. Aber kann man wirklich eine Stadt für solche Taten verantwortlich machen?

Inzwischen wird sich aber niemand mehr an meinen Fall erinnern. Die Welt vergaß mich als sich die Tore hinter mir schlossen. Niemand verlässt je nameless Silence. Es scheint als wenn sich die Menschen nicht bewusst wären, dass es diesen Ort überhaupt gibt, denn niemand kam um mich zu besuchen. Keine Verwandten oder Freunde. Es scheint als wäre ich bereits tot. Genauso fühlt es sich an wenn man an einem Ort wie diesem hier gefangen ist. Aber so geht es den anderen hier auch. Nie kommt jemand der nicht hier einsitzt oder arbeitet. Keine Besucher oder andere Menschen. Ich habe von Fällen gehört wo ein Insasse mitunter jährlich interviewt wurde weil seine reißerischen Verbrechen immer gut in den Lokalnachrichten ankommen. Dieser Ort scheint so weit weg vom alltäglichen zu sein, dass er dem Gedächtnis eines jeden Menschen entfällt der außerhalb dieser Mauern lebt. Doch wer einmal hier drin ist der vergisst dieses Fleckchen in der Hölle niemals.

Ein Bekannter von mir arbeitete mal in einem anderen Strafvollzug und was er mir damals von Machtmissbrauch und der Angst und Abscheu vor den Insassen erzählte konnte ich früher noch allzu gut nachvollziehen. Sträflinge verdienen es hart bestraft zu werden dafür dass sie unserer ehrbaren Gesellschaft Schaden zugefügt haben. Natürlich ändert meine derzeitige Situation die Sicht der Dinge vollkommen, aber darauf will ich nicht hinaus. Am Anfang hielt ich unsere Wärter noch für grimmige Gestalten die ihre Aufgabe mit dem nötigen Ernst verrichteten, doch ist nun mehr als offensichtlich dass sie sich fürchten und ebenso Gefangene sind wie wir. Trotzdem müssen sie ihrer Arbeit nachgehen, doch ich habe nie gehört oder gesehen wie einer von ihnen dies Gefängnis je verließ. Wenn jemand ging kam er auch nicht wieder. Außerdem bin während meiner Gefangenschaft bei mehr als zwölf Suiziden dabei gewesen. Und das allein im ersten Monat. Als ich damals hier ankam und die orangene Sträflingskleidung mit meiner Nummer darauf anzog konnte ich noch recht gut schlafen. Doch mit der Zeit schlichen sich immer mehr Albträume in meinen Schlummer. Doch es begann ganz leise und langsam, so als würde die Furcht in meinem Geist wie ein Krebsgeschwür wachsen.

Dies ist zugegebenermaßen kurios und unglaublich, verblast aber im Angesicht der Tatsache, dass die Zeit an diesem Ort hier schwerfälliger zu verstreichen scheint. Natürlich vergeht die Zeit immer langsamer wenn ein Mann den ganzen Tag in seiner Zelle hockt und eine verschlossene Metalltür anstarrt, doch ich habe die Sonnenuhr auf dem Platz gesehen. Die Wachen holen uns nach einer Stunde an der frischen Luft wieder rein, doch der Zeiger auf der Uhr hatte sich in dieser Stunde nicht vom Fleck bewegt. Und nach meinem eigenen Zeitgefühl müsste es mit 60 Minuten hinkommen. Aber wie um noch einen draufzusetzen funktioniert die Sonnenuhr selbst dann wenn graue Wolken den Himmel verfinstern, was oftmals hier der Fall ist. Vom Gitter meiner Zelle aus habe ich diese wundersame Uhr gut im Blick. Der Zeiger bewegt sich tatsächlich, doch es scheint als würde die Sonne am Firmament im Schneckentempo dahin schleichen. Ich bin alles andere als leichtgläubig, doch ich habe die Uhr jedes Mal untersucht wenn ich auf dem Platz war und keine Apparatur und keinen Trick gefunden der mir diesen wundersamen Umstand erklären würde. Aber letztlich bestätigt es nur eine Vermutung von mir. Die Tage hier sind endlos lang – viel länger als in der Welt dort draußen und die Nächte hier sind schlaflos. Ich weiß, dass ich nicht der einzige bin der unter Albträumen leidet und aufschreckt wenn das Grauen seinen Höhepunkt erreicht, doch noch nie habe ich jemand anderen schreien gehört als mich selbst. Ich weiß es von den Wachen und anderen Insassen, dass sie ebenfalls in der Nacht schreiend aufwachen, doch nie hört jemand einen anderen Schrei als den eigenen. Mein Zellennachbar direkt neben mir behauptet steif und fest sich jede Nacht in den Schlaf zu weinen und schweißgebadet aufzuweichen wie jeder andere hier auch, doch nie habe ich etwas von ihm gehört wenn wir nebeneinander in unseren Zellen sitzen.

Es scheint fast so als wäre dieser Ort nicht von dieser Welt. Als läge er irgendwo anders. Aber als wenn diese Torturen nicht schon schlimm genug wären geht von den Schatten eine mehr als offensichtliche Bedrohung aus. Am Tage scheinen sie fast stofflich zu sein und mit unsichtbaren Augen einen jeden zu durchbohren. Niemand traut sich in ihnen zu wandeln, was seltsam ist, da manche Insassen zugegebenermaßen ihr Leben lang von ihnen umhüllt waren. Aber eine derartige Dunkelheit hat noch keiner von uns vorher gekannt. In Wirklichkeit sind sie diejenigen die dieses Gefängnis leiten. Die Wärter sind nur offiziell die Wächter um den Schein zu wahren. Nach allem was ich so hörte waren viele von ihnen früher hartgesottene Hunde und Despoten gewesen, doch dieser Ort raubt ihnen die Lebensgeister und lässt aus ihrem heißkochendem Blut Eiswasser werden. Niemand der unschuldig ist kommt nach nameless Silence – dem Ort an dem die Schatten herrschen. Am Tage noch beobachten sie uns, doch in der Nacht kommen sie um jeden an diesem Ort zu quälen. Am Anfang merkte ich noch nichts als die Albträume begannen und am nächsten Morgen wieder verschwanden wie Nebelschwaden die von der Sonne bescheint werden. Aber inzwischen ist mein Geist zerrüttet genug um zu spüren wie mir von ihnen die Lebenskraft geraubt wird. Ich bin nun nur noch kränklicher Schatten meiner Selbst, während die dunklen Ecken in meiner Zelle immer weiter an Kraft gewinnen und beizeiten sogar so tollkühn werden, mit einem unmenschlichen Kichern das sich nicht in Worten beschreiben lässt, nach mir greifen.

Anfangs hatte ich noch an eine Flucht geglaubt, doch mir wurden diese Flausen schnell ausgetrieben als ich die ersten Fluchtversuche gesehen hatte und wie sie endeten. Einer der Insassen – ich glaube sein Name war Edgar – er wollte einen Fluchttunnel graben und ließ die geschaufelte Erde traditionsgemäß in seiner Matratze verschwinden. Jedoch war seine Zelle eines Morgens bis zur Decke mit Dreck und Sand zugeschüttet worden. Das absonderliche an dem Fall war, dass kein einziger Krumen Erde durch die Gitterstäbe auf den Gang gelangt war. Es hatte Stunden gedauert ehe die Wärter den armen Edgar freigeschaufelt hatten. Wenn ich mich recht entsinne hatte ihn dieser Schwall Erde mitten in der Nacht überrascht und bei lebendigem Leibe begraben und dabei den gesamten Raum ausgefüllt. Doch nirgendwo anders wurde Erde gefunden, womit sich die Frage stellt woher all diese Massen so plötzlich kamen. Der zweite war Markus. Er klügelte mit einem der Wärter einen Plan aus und wurde eines Morgens tot aufgefunden. Der Arzt hier drinne meinte er sei mit seinen sechszehn Jahren an Herzversagen gestorben. Aber das ergibt keinen Sinn. Zum einen war es zu verfrüht und andererseits hat er auf seiner Pritsche dagelegen als habe er einen Geist oder etwas Derartiges gesehen. Sein gesamter Körper war vollkommen verkrampft und bleich gewesen. Beim dritten Fluchtversuch ist mir dann klar geworden dass alle Hoffnung vergebens ist. Es war Stephen der mir die Augen öffnete. Als er mittels eines Wäschewagen entkommen wollte fand man ihn am nächsten Morgen auf dem Platz IM Galgenbaum! Wie er da hin kam wusste niemand. Es gab keinerlei Hinweise und ich bin geneigt den Gerüchten zu glauben. Ich habe einfach schon zu viel an diesem Ort gesehen um es besser wissen zu müssen. So abwegig es auch klingen mag, der Baum muss ihn einfach gefressen haben. Etwas anderes würde noch weniger Sinn ergeben. Von den vielen Aufenthalten auf dem Platz kenne ich wie jeder andere den Baum in- und auswendig. Es gab kein Astloch mitten im Baum aus dem ein toter Arm herausragen konnte, aber nichtsdestotrotz war er am nächsten Morgen mit Stephens totem Glied da. Es gab sogar den Fall dass ein Insasse und ein Wärter Freunde wurden. Ja, sogar in der Hölle scheint es so etwas zu geben. Der Gefangene hielt es jedenfalls nicht aus und so prügelte der Wärter ihn unter Tränen zu Tode, da dies sein Wunsch war. Vermutlich lag der Fall etwas komplizierter, aber so erinnere ich mich an ihn. Danach beschwerte jener Wärter sich tagelang über ein Lachen in den Schatten, welches nach seinem toten Freund klang. Vermutlich hatte er die Dunkelheit durch den Totschlag verärgert und nun trieb sie ihn mit ihrem unheimlichen Gelächter in den Wahnsinn. Wer einen Schatten schon mal Lachen gehört hat weiß, dass es mit nichts aus dieser Welt vergleichbar ist. Und eines Tages tauchte der Kerl nie wieder auf. Niemand hatte ihn gesehen oder je wieder von ihm gehört. Manche die jedoch mehr mit dem besagten Wärter zu tun hatten bestätigten ebenfalls ein Lachen im Schatten gehört zu haben, wenn sie in seiner Nähe gewesen waren.

Aber dies ist nur ein kleiner Ausschnitt aus einer langen Geschichte schrecklicher Ereignisse die dieses Gemäuer gesehen hat und die ich mehr oder weniger hautnah von meinem Zellentrakt aus miterlebt habe. Und auch ich w
(Der Rest ist unleserliches Gekritzel, als habe ihn jemand mit Gewalt fortgezogen.)


The End


© EINsamer wANDERER


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Beschreibung des Autors zu "Brief"

Hier eine Geschichte aus Rʼlyeh-City. Ich werde dann und wann versuchen eine Kurzgeschichte hochzuladen, um den Schauplatz der A-S-S auszubauen und ihm den nötigen Tiefgang zu geben. Wünsche viel Vergnügen damit.

Weitere Geschichten:
Der Detektiv mit dem Geisterarm: https://www.schreiber-netzwerk.eu/de/2/Geschichten/12/Fantasie/44705/Der-Detektiv-mit-dem-Geisterarm/

Monster aus Haut: https://www.schreiber-netzwerk.eu/de/2/Geschichten/13/Kurze/46165/Das-Monster-aus-Haut/

Das Autobahnmotel, das mich an Psycho erinnerte: https://www.schreiber-netzwerk.eu/de/2/Geschichten/13/Kurze/46187/Das-Autobahnmotel-das-mich-an-Psycho-erinnerte/




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