››Sag mir alles, was du über deinen Boss weißt‹‹, sagte eine ungeduldige Stimme im Kopfe des Mannes im teuren Anzug, der von Spiegeln gefangen war.
Er befand sich in einer Lagerhalle vollgestopft mit Teddybären gefüllt mit Kokain. Seine zwei Spießgesellen lagen tot am Boden, ohne eine einzige Verletzung aufzuweisen.
Er hatte gesehen wie sie gestorben waren. Es war schrecklich gewesen. Er wollte zwar nicht sterben, aber niemand verriet die Familie.
››Niemals!‹‹, presste der Mann trotzig, aber mit Mühe hervor. Er sah seinen Feind nicht, nur seine Spiegelbilder die ein unheimliches Eigenleben entwickelt hatten und ihn nun Mordlüstern ansahen.
››Bedauerlich‹‹, war alles was die Stimme sagte, bevor die Spiegel zerbrachen.
Lange hörte man das entsetze Schreien des Mannes, dann erstarb es plötzlich und es kehrte eine Grabesstille ein.

››Hier. Ich hoffe sie gefallen dir‹‹, sagte Pet als er den Blumenstrauß auf den Grasstreifen des Friedhofes legte. Es war ein Massengrab, so wie es seine Gefährtin immer gewollt hatte. Sie hatte immer darauf bestanden. Hatte immer gesagt, dass ein Grabstein nichts für sie war und er bei ihrer Beerdigung „die Korken knallen lassen sollte“, wie sie es ausgedrückt hatte.
Er hatte es getan, wie versprochen. Hatte freundlich gelächelt wenn andere ihm ihr Beileid bekundeten. Aber in seinem Inneren sah es ganz anders aus.
Das Tier hatte sie alle töten wollen. Seine Gier kannte keine Grenzen. Jetzt wo Pet seine Lebensgefährtin, seine Rivalin und sogar seinen Meister getötet hatte, war ihm nichts außer ihm selbst geblieben. Nun wandelte er auf dem schmalen Grad zwischen Menschlichkeit und Monstrosität. Er hatte Dinge tun müssen, die früher undenkbar gewesen waren, aber nun hatte er keine andere Wahl.
Seufzend blickte er auf den mit bunten Blättern übersäten Rasen hinab, wo er seine Gefährtin vermutete, aber nicht mehr wusste, ob sie auch dort zur Ruhe gebettet war. Er weinte bittere Tränen, wie jedes Mal wenn er auf dem Friedhof war, um ihr Blumen zu bringen.
››Es tut mir so leid‹‹, sagte er wie jedes Mal, wenn er vor ihrem Grab stand. Der Wind pfiff durch das Blätterwerk und brachte seinen Kleidung zum Flattern. Einige der bunten Blätter fielen hin und her schaukelnd auf den nassen Boden. ››Ich wollte es nicht. Ich wollte nicht, dass das passiert. Ich hätte … hätte nie …‹‹ Seine Stimme versagte ihm den Dienst. Nichts was er hätte sagen können, hätte sie von den Toten zurückkehren lassen. So wie immer, wenn er an ihrem Grabe stand.
Aus dem Augenwinkel sah Pet eine Gestalt, wie sie in die Büsche verschwand. Es war seine tote Lebensgefährtin! Das konnte nicht sein! Doch er war sich da ganz sicher. Obgleich besseren Wissens, rannte er ihr schnell hinterher. Als er sie erfasste und umdrehte, um sie freudig zu umarmen, erkannte er seinen Irrtum. Diese Frau war nicht seine verstorbene Lebensgefährtin. Sie sah ihr nicht einmal ähnlich. Sie war nur eine einfache Friedhofsbesucherin.
Pet hätte sich für diese Naivität ohrfeigen können. Jetzt schaute ihn diese wildfremde Frau verwundert aus großen Augen an. Pet war das sowas von peinlich.

Auf der Rückfahrt in der Limousine sah Pet lustlos aus dem Fenster. Seine Umgebung nahm er nicht wahr, nur den Mond der fast vollgefressen am Firmament stand. In ein paar Tagen würde er wieder die Zeit des Tieres einleiten. Wie er doch diese Zeit hasste. Ob der Vollmond nun schien oder durch die Sonne versteckt wurde, seine Gegenwart war allgegenwärtig. Er ließ Pet rastlos und aggressiv werden. Ihn überkam ein Durst den nichts in der Welt zu löschen schien, egal wie viel er trank. Sein Körper würde sich in den Nächten unter brennenden Schmerzen krümmen. Aber er würde es nicht zulassen die Kontrolle zu verlieren. Er durfte es nicht, allein um ihretwillen, auch wenn es niemanden gab der sie ersetzen konnte.
Zuhause im Apartment nach einer langen Nacht mit einer der Prostituierten – die einer seiner Leute gebucht hatte – stand Pet nackt im Wohnzimmer und starrte auf ein altes Foto von ihm und seiner Gefährtin wie sie auf dem Sofa saßen. Es brannte kein Licht im Zimmer. Einzig das Licht des Mondes erhellte den Raum auf natürliche Weise mit seinen kalten Strahlen. Pet hatte keine Probleme bei diesem Licht zu sehen. Einer von vielen Vorteilen als Werwolf.
Sanft strich er mit dem Daumen über die Fotografie, auf der seine Gefährtin eine Grimasse schnitt. Ob Pet es ihr nachgetan und sein Gesicht verzogen hatte, wusste er nicht mehr. Sein Gesicht war nicht zu sehen. Die Linse der Kamera hatte einen Lichtstrahl reflektiert und somit sein Gesicht überdeckt. Pet hatte es wegwerfen wollen, doch sie hatte darauf bestanden es zu behalten. Sie fand sogar, dass es ihn geheimnisvoller wirken ließ.
Im folgenden Monat darauf war sie tot. Getötet durch seine eigene Hand in einem sadistischen Spiel seines Meisters. Jetzt wirkte sein Leben nur noch trist. Die Wohnung leer und trostlos. Alles erinnerte ihn an sie. Pet stellte seufzend das Foto zurück auf die Kommode und holte darunter, aus dem mit alkoholischen Getränken gefüllten Kühlschrank, einen Whisky hervor, den er aus der Flasche trank.
Die Hure, die er bestellt hatte, um die Gier nach Fleisch zu befriedigen, stand auf einmal in Schatten getaucht neben ihn. ››Sind wir hier fertig?‹‹, fragte sie genervt. ››Ich hab noch anderes zu tun. Also her´ mit der Kohle!‹‹ Fordernd streckte sie die offene Hand, während sie schmatzend einen Kaugummi kaute.
Pet zahlte wortlos und ließ die Frau ziehen, auch wenn das Tier in ihm nach ihrem Leben schrie.
Doch statt dem Drang nachzugeben, trank er die ganze Nacht weiter, während er sich innerlich in seiner Agonie wand ohne es äußerlich zu zeigen. Einzig seine Augen kündeten von der großen Pein in seinem Inneren, die er mit dem Whiskey herunter spülte, ohne Schlaf zu finden oder betrunken zu werden. Wie jede Nacht starrte er in die Dunkelheit bis die Sonne aufging.

Der nächste Tag begann wie all die anderen vor ihm auch. Pet ging in dem unscheinbaren Nachtclub der ihm gehörte und von dem aus er die Organisation seines ehemaligen Meisters führte.
Desinteressiert setzte er sich in sein Büro und wartete auf seine rechte Hand. Eigentlich interessierte Pet die Familie wenig, doch nachdem er alles verloren hatte, wusste er nichts mit sich anzufangen. Da kam es ihm gelegen, dass man ihn nun als Paten ansah. Unter seiner Führung war die Familie erstarkt. Vampire waren zwar mächtig, hatten aber kein Gefühl was es bedeutete ein Rudel zu sein. Sie waren in der Regel egoistische Einzelgänger ohne soziales Verständnis. Ganz anders als Werwölfe mit ihrem Rudelinstinkt.
Lustlos griff Pet in eine der Schubladen des Schreibtisches und kramte seine alte Pistole aus. Inzwischen war es ihm zur Marotte geworden sie hervorzuziehen, wenn ihm die Nostalgie über die guten, alten Zeiten übermannte.
Mit dieser Waffe hatte er unzählige Leben beendet. Zu jener Zeit hatte er auch eine erbitterte Rivalin gehabt. Eine junge Vampirin, die sein Meister von der Straße geholt hatte. Pet hatte nie verstanden wieso. Aber er glaubte es inzwischen zu begreifen. Sollte eines seines Schoßtierchen außer Kontrolle geraten, gab es immer noch ein zweites, welches er losschicken konnte um den anderen Lakaien zu töten und der Verlust war danach nicht allzu schmerzhaft für seine Machtposition.
Pet schüttelte innerlich den Kopf über die Widerwärtigkeit seines Ex-Meisters. Er war ihm gefolgt und loyal gewesen, weil er keine Wahl gehabt hatte. Er hätte entweder einem Vampir dienen oder von dem Monster verschlugen werden, das in ihm lauerte. So oder so war er ein Gefangener – ein Sklave. Aber nun war er solange eine Marionette gewesen, dass er nicht mehr wusste, wie es war frei zu sein. Zu viele Jahrhunderte hatte er in Ketten gesehen. Hatte im Namen eines anderen getötet und gemordet. Reiche hatten sich aus dem Staub erhoben und waren schlussendlich wieder in der Erde versunken. Aber Pet blieb. Das Tier – die Bestie blieb. Diese Langlebigkeit war mehr Fluch als Segen. Pet konnte sich nicht mehr an seinen wahren Namen erinnern, bevor er zum Tier wurde. Auch das Gesicht seiner Eltern und die Erinnerungen an seine Kindheit waren inzwischen verblasst. War er verheiratet gewesen? Er wusste es nicht mehr.
››Weder Vergangenheit, noch Zukunft sind mir geblieben‹‹, murmelte er zu sich selbst, während er übertrieben mit die Pistole in der Hand rollte, wie um sich an Vergessenes zu erinnern.
Und Pet erinnerte sich. Er erinnerte sich an den ersten Menschen den er mit seinen Krallen zerfetzte. Die ersten gefressenen Innereien und abgenagten Knochen. Eine Kette die das Tier in ihm zurückhielt und wie er mit der Zeit gelernt hatte es zu kontrollieren. Später kombinierte er Waffengewalt mit seinen animalischen Fähigkeiten. Irgendwann war er stärker gewesen, als jeder andere, sogar stärker als sein Meister und seine Rivalin.
Betrübt starrte er auf den Tisch, ohne ihn wirklich wahrzunehmen. Er ging alles noch einmal durch. Jeden Fehler mit darauf folgenden Verletzungen. Jeden Sieg. Jeden … Kuss. Er versuchte es zu verdrängen, es machte ihn wütend – wütend über sich selbst. Dieses Gefühl des Verlustes. Des Schmerzes. Der Reue …
››Boss!‹‹, schrie jemand und riss ihn aus seinen Grübeleien. Einer seiner Auftragskiller war die Treppe herauf gestürmt und hatte die Tür aufgerissen. Den Namen des Mannes hatte Pet vergessen. Für ihn war nichts auf der Welt mehr von Bedeutung. ››Es ist schon wieder passiert! Jemand hat unsere Leute auf der Straße kalt gemacht!‹‹
Jeden anderen Don hätte diese Aussage wütend gemacht oder ängstlich, aber Pet hatte sämtlichen Lebenswillen verloren.
Er seufzte nur resigniert.
Die Geschäfte hatten ihn von Anfang an nicht interessiert. Er ließ sich einfach treiben. Dann war vor kurzem dieser Killer aufgetaucht. Wahrscheinlich wollte er Pet sein Territorium streitig machen. Seinen Methoden zufolge war der Killer kein Mensch und auch kein Werwolf oder Vampir. Er war etwas anderes. Und das machte ihn für das Tier in Pet interessant. Immer wenn er Nachricht davon erhielt, heulte und brüllte es vor Freude. Es wollte kämpfen. Es wollte einen Gegner der seiner würdig war. Aber Pet hatte keine Lust zu kämpfen. Ihm war einfach nicht danach.
››Was sollen wir deiner Meinung nach tun?‹‹, fragte der Mann verzweifelt.
››Wir haben schon nach ihm gesucht und recherchiert wer er ist‹‹, stellte Pet sachlich fest. ››Es kam nie etwas dabei heraus.‹‹
››Wenn das so weiter geht, dann wird alles den Bach runter gehen!‹‹
Pet schaute in sein aufgeregtes Gesicht. Er fand sein Leben einfach nur noch zum Kotzen, was er mit einem Seufzer zum Ausdruck brachte.

››Hierentlang, Don‹‹, sagte einer von Pets Leibwächtern, die die Kämpfe für ihn austragen sollten, für die er keine Kraft mehr aufbringen konnte.
Das Tier in ihm verhöhnte ihn und seine Schwäche. Es wollte kämpfen. Es wollte Jagen. Es wollte töten. Doch Pet hielt es fest an der Leine.
Er setzte sich an einem Tisch im Restaurant. Ihm gegenüber saß eine schöne Frau in einem roten Kleid. Rot wie Blut mit glitzernden Perlen daran, die wie Rubine in der sanften Beleuchtung des Raumes funkelten.
Gelangweilt hörte Pet sich ihr Geschwätz an, während das Tier nach ihrem Körper schrie. Pet hatte sie schon durchschaut, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Ein kaltes Miststück, das nur an Macht und einer schnellen Nummer interessiert war. Wahrscheinlich war sie zu fixiert auf ihre Karriere, als dass sie sich wirklich für jemand anderen interessieren würde, als für sich selbst. Pet konnte solche Leute nicht ausstehen, sah sie aber als notwendig an um zu überleben. Das Tier musste zum Schweigen gebracht werden, wenigstens für den einen Moment. Ansonsten hielt es Pet nicht mehr aus.
Dann fiel sein Blick auf einen Laster, der gerade die Kreuzung überquerte. Er fuhr mit ungewöhnlich hoher Geschwindigkeit direkt auf das Restaurant zu. Pet verstand erst was passierte als es schon zu spät war. Der Laster krachte durch die Mauer. Seine Verabredung wurde in einer Sekunde vom Kühlergrill erfasst der, ihr sämtliche Knochen im Leibe brach. Pet wurde durch den Raum geschleudert. Knallend schlug er mit dem Kopf zuerst auf. Unglaublicher Schmerz wütete durch seinen Körper und ließ ihn wütend knurren. Das Adrenalin rauschte durch seine Adern und ließ sein Herz rasen. Das Rauschen seines eigenen Blutes dröhnte in seinen Ohren.
Gehör- und Geruchssinn schärften sich ins unendliche. Er hörte einen Straßenköter auf der anderen Straßenseite bellen, als stünde er neben ihm. Das Gezeter und Geschrei der anderen Gäste drang schmerzhaft in seine Ohren, während tausend Gerüche in seine Nase eindrangen. Er roch das Essen und das viele Parfüm der Gäste – fast schon konnte er die Gerüche sehen. Besonders hervorstachen aber die Panik, das Blut und der Tod. Genüsslich sog Pet diese wunderbaren Gerüche ein. Ein längst vergessenes Gefühl überkam ihn. Er hatte ganz vergessen wie es sich anfühlte. Was es bedeutete ein Tier zu sein. Eine wilde Bestie die nur darauf wartete zu töten.
››Ich … lebe wieder‹‹, grollte er mehr, als das er sprach.
Scheppernd knallte die Tür des Lasters zu und ein Mann sprang freudig auf Pet zu, wobei er an dem Fleischklumpen auf den Kühlergrill vorbei ging ohne ihm weitere Beachtung zu schenken. Dieser Mann stank förmlich vor angestauter Aggression.
Pet musste sich ziemlich am Riemen reißen, um nicht brüllend aufzuspringen und den Kerl brutal zur Hölle fahren zu lassen.
Als der Fahrer direkt über den Paten stand, meinte er großspurig: ››Das war ja leicht und ich dachte schon es würde schwierig werden.‹‹
Jetzt hielt Pet es nicht weiter aus und sprang hoch. Im Blutrausch schlug er dem Fahrer mit einer Pranke den Kopf von den Schultern, der dann durch den Schutt kullerte.
Pet erkannte seinen Fehler zu spät. Er hatte sich von seiner Mordgier hinreißen lassen. Jetzt konnte er den Fahrer nicht mehr befragen. Und er würde auch nie herausfinden, wer ihn geschickt hatte.
Doch ehe er weiter kam, sirrte eine Kugel knapp an seinem Kopf vorbei in die Wand hinter ihm. Der Fahrer war nicht allein gekommen.
››Schnell, Boss! Zieh dich zurück! Los, Männer! Der Don darf nicht getötet werden!‹‹, schrie einer seiner Leibwächter.
Doch Pet dachte nicht daran das Feld zu räumen. Jetzt war er erst richtig in Fahrt gekommen.
Brüllend stürmte er vorwärts in den Schatten, der ihn sehnsüchtig wie eine langverschollene Geliebte erwartete und ihn gierig verschlang.
Mit Krallen und Zähnen fiel er über die Angreifer her. Ließ jegliche Vorsicht und Vernunft fahren und genoss stattdessen ihr Blut, ihre Schreie und Schmerzen. Über die ganzen Jahre hatte sich all das ihn ihm angestaut und wurde nun durch diesen gewaltigen Rausch ausgelebt.
Schließlich stand Pet umzingelt von den Leichen seiner Feinde. Den Fuß auf den Hals des Letzten noch lebenden Angreifers, der ein schwaches Röcheln von sich gab. Mit einem wölfischen Grinsen bewegte Pet sein Bein zur Seite und mit einem widerlichen Knacken brach das Genick seines Feindes. Seine Leibwächter schauten nicht schlecht, als sie ihren Don so sahen.
Pet spürte aber immer noch diese zerstörerische Wut in sich. Er keuchte schwer und versuchte den letzten Funken Kontrolle zu halten. Sein Brustkorb hob und senkte sich, während sein Blut kochte. Mit roten Augen sah er seine Leibwächter an. Für ihn war ihre bloße Anwesenheit schon Grund genug sie zu töten. Sie waren wie Insekten, deren Herzschlag nur störender Lärm war. Er roch ihre Angst vor ihm. Genau wie er, hatten sie vergessen, wer Pet früher einmal gewesen war. Warum er so gefürchtet wurde. Jetzt würden sie es am eigenen Leibe erfahren.
Lass nicht zu, dass es dich kontrolliert, sagte eine Stimme aus purem Licht in seinem Kopf und brachte Klarheit in seine Gedanken.
Aber Pets Körper wehrte sich dagegen. Er fiel nach Luft ringend auf alle Viere. Jeder Muskel war bis zum Zerreißen angespannt. Er biss die Zähne zusammen. Er durfte nicht aufgeben. Das Tier in ihm bäumte sich auf, tobte und schrie. Es schüttelte vor Wut seinen Kopf, wie um etwas Lästiges abzuwerfen. Langsam bekam Pet den Durst nach Blut im Zaum. Sein Atem beruhigte sich langsam.
Er sah einen Schatten, wie er in der Seitengasse verschwand. Mit zittrigem Finger zeigte er auf die Gasse.
››Hinterher!‹‹, wollte er schreien, doch es war nur ein schwaches Krächzen. Seine Leute gehorchten und nahmen sofort die Verfolgung auf. Pet brauchte einige Momente, bis er wieder normal atmen konnte. Das Licht der Laterne brannte auf seinen Rücken. Er verfluchte sich selbst, weil er sich immer schwarz anzog und somit immer im Licht schwitzte. Doch dann musste er unfreiwillig lächeln, über was für Banalitäten er doch im Moment nachdachte.
Er war gerade angegriffen worden, hatte die Kontrolle verloren und beinahe seine eigenen Leute im Rausch umgebracht. Doch sein amüsiertes Lächeln hielt nicht lange, da er sich unfreiwillig übergeben musste.
Fluchend wischte er sich Erbrochenes vom Mundwinkel und stand wankend auf. Das Tier war unter Kontrolle, für den Moment zumindest.
››Hehehehehe‹‹, kam es aus dem Dunkel.
Erschrocken fuhr Pet herum. In einer alten Gewohnheit, griff er nach seiner Waffe, nur um sich daran erinnert zu fühlen, dass er nur noch selten eine Waffe trug.
››Stärker, als ich gedacht habe.‹‹
Mit einem Mal wurde es sehr kalt. Ein starker Wind kam auf, der ihn frösteln ließ. Er trug den Geruch von Schwefel und Bosheit zu ihm.
Instinktiv drehte Pet sich um, nur um in sein eigenes grimmig dreinschauendes Gesicht zu sehen. Er stand vor einem Spiegel, der bis vor einem Augenblick noch gar nicht dagewesen war.
››Pass auf, gleich wird´s lustig‹‹, sagte die amüsierte Stimme aus den Schatten heraus.
Vereinzelte Wolken flogen über dem Nachthimmel. Sie hatten die Sicht auf den Mond bis jetzt verdeckt, doch nun schien er mit all seiner Pracht und Herrlichkeit auf Pet nieder. Mit seinem kalten Licht lockte und rief er die Bestie herbei. Pet hatte gelernt dem Drang bei Vollmond nicht nachgeben zu müssen, doch nun war es schwieriger. Der Spiegel reflektierte das Mondlicht und verstärkte somit die Wirkung und den Drang die Bestie raus zulassen.
Schmerzend hielt sich Pet den Schädel und ging in die Knie. Seine Sicht verschwamm. Ein blutroter Schleier legte sich über seine Gedanken. Jeder Faser seines Körpers wollte nur noch töten. Sich verändern. Zur Bestie werden. Doch ein kleiner Teil von Pet kämpfte immer noch unter Schmerzen gegen das grausame Licht an. Er schrie, tobte und knurrte. Seine Beine schlugen wild auf und ab, seine Finger krallten sich in den rauen Asphalt, sein Körper windete und bewegte sich. Alles nur um den Schmerz irgendwie umzuwandeln, doch es funktionierte nicht.
››Wirklich tapfer, wie du dich wehrst. Doch es ist sinnlos.‹‹ Die Laterne zersprang und aus dem zersprungen Glas wurden neue Spiegel, die sich um Pet herum formatierten und einen Käfig bildeten. Nur ein kleiner Spalt oben, ließ noch etwas kaltes Licht herein, doch es reichte.
Pet sah nicht, was aus seinen Spiegelbildern wurde. Wenn er es gesehen hätte, wäre sein letzter Kampfeswille auch noch gebrochen. Seine Spiegelbilder verwandelten sich in das Tier, gegen das er ankämpfte. Gänzlich zur Bestie geworden, kratzten sie von ihrer Seite der Spiegel gegen das Glas und knurrten, worauf das Glas vom Atem beschlug und unter den Krallen zerkratzte. Mit aller Macht versuchten die Spiegelbilder auszubrechen aus ihren Käfigen, während Pet sich vor Schmerzen krümmte.
Wehr dich nicht! Erspar dir den Schmerz und gib mir die Kontrolle!, knurrte das Tier wütend.
››Sehr beeindruckend. Selbst ohne Hoffnung kämpfst du noch weiter. Jetzt sag mir mal, wofür kämpfst du eigentlich? Warum erlöst du dich nicht einfach von deinem Leib?‹‹
Das hatte Pet sich auch schon öfters gefragt, aber nie eine Antwort darauf erhalten.
››Du bist allein und niemand interessiert es, ob du lebst oder stirbst.
Oh Verzeihung, das ist so ja nicht korrekt. Die anderen Vampire, die interessieren sich für dich. Ich kann sie schon verstehen. Wer will schon von seinem eigenen Sklaven getötet werden? Egal wie sehr sie die Wahrheit auch verdrehen und kaschieren, letztlich sind sie immer noch Menschen. Menschen die Angst haben ihre Macht zu verlieren. Die Angst vor dem Tod haben. Deswegen hat man mich engagiert. Ich soll dich töten, dann wird dein Name aus der Geschichte getilgt und die Blutsauger können beruhigt weiter in ihren Särgen schlafen.‹‹
Pet schrie, während dieses Wesen weiter im Plauderton fortfuhr: ››Zu Schade. Ich wette du wärst zu einem Symbol für die anderen Mondheuler geworden. Der Sklave, der gegen alles und jeden kämpft. Ohne Hoffnung und ohne Zweifel kämpft er gegen seinen Meister, gegen seine Rivalin, gegen seine eigene Bestie und sogar … gegen seine eigene Liebe. Wie rührend, auf eine melodramatische Art und Weise. Geradezu inspirierend, nicht wahr? Dachtest du wirklich, man würde dich lange genug leben lassen, damit du ein Vorbild für andere wirst? Was glaubst du wie viele Mondheuler sich gegen ihre Herren erheben würden, wenn du Erfolg hättest? Aber den Weg endet genau hier und genau … jetzt!‹‹
Plötzlich hatten sich seine Spiegelbilder aus ihren Gefängnissen befreit. Scheppernd zerbrachen die Spiegel in tausend kleine Teile, jedes von ihnen reflektierte den Nachthimmel mit seinen unzähligen Sternen und den Mond, wie er ganz ruhig die Ereignisse mit verfolgte. Pets Spiegelbilder waren frei, wie bösartige Dämonen fuhren sie in seinen Körper. Jeder einzelne von ihnen stärkte das Tier in ihm. Machte es größer, ließ es anschwellen und monströser werden.
Sein Körper zuckte unter der Gewalt, die in seinem Inneren drohte die Überhand zu bekommen. Knacksend fand die Verwandlung von Mensch in Tier statt. Doch sie ging nur langsam voran und schmerzhaft, da er sich wehrte. Je mehr er kämpfte, desto größer wurde sein Leiden. Eine gnädige Ohnmacht drohte Pet zu übermannen, doch er kämpfte weiter.
Vor sich sah Pet verschwommen die groteske Gestalt seines Gegners, dessen diabolisches Grinsen viele spitze Zähne zeigten. Es war ein menschengroßer, aufrechtstehender Affe, der seine Hände in den Hosentaschen seines Anzuges verbarg. An den Seiten seines Kopfes wuchsen zwei Widderhörner, der von einem Hut gekrönt wurde. Die roten Augen bohrten sich praktisch in seinen von Schmerzen geplagten Körper.
Doch diese seltsame Figur verblasste verglichen mit der Gestalt hinter ihr, die Pets Aufmerksamkeit erregte. Ihr Geruch wurde nur schwach von einer warmen Sommerbrise zu ihm getragen. Der Geruch von Blumen die frisch im Frühling blühten. Ein unnatürliches Licht ging von der Gestalt aus. Sie trug nichts als weiße Fetzen, die gerade das nötigste Verdeckten.
Der Affe schien sie nicht zu sehen. Pet hielt sie im ersten Moment für einen Engel, doch als er sich an das Licht gewöhnte, sah er ihr Gesicht und für einen Moment war alles um ihn herum vergessen. All der Schmerz, der Hohn und Spott mit der ihm der dämonische Affe bedachte, selbst das Toben des Monsters in ihm war nichts weiter als ein Rascheln in den Ästen der kargen Bäume.
Pet wusste nicht wie er auf sie reagieren sollte. Schuldgefühle, Reue, Trauer, Sehnsucht und Freude kämpften um die Vorherrschaft. Sie war noch genauso schön, wie er sie in Erinnerung hatte. Und obwohl seine Lebensgefährtin keinen Ton von sich gab, so reichte ihr Lächeln doch um alles zu sagen. Es war warm und machte ihm wieder Mut. Gab ihm wieder Kraft zu kämpfen. Dann verschwand sie so schnell, wie sie gekommen war.
Brüllend rang Pet die Bestie in sich nieder, während er im gleichen Moment aufstand und mit seinen Krallen nach dem seltsamen Wesen schlug. Der Hieb ging aber durch den Affen hindurch. Es war nichts weiter als ein Trugbild.
››Wirklich erstaunlich. Ich schätze, das reicht für heute Nacht. Aber freu dich nicht zu früh. Das war nur eine von vielen Messerdrehungen, um dich zu testen. Wir sehen uns schon bald wieder‹‹, mit diesen Worten löste sich die Illusion auf.
››Ich werde warten‹‹, murmelte Pet zu sich. ››Ich werde warten.‹‹

The End


© EINsamer wANDERER


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Beschreibung des Autors zu "Wölfe in Spiegeln"

Mir war einfach mal nach einer Fortsetzung von "Narben": https://www.schreiber-netzwerk.eu/de/2/Geschichten/13/Kurze/44990/Narben/
Sollte eigentlich ein Crossover mit dem Vampir Jonne werden, kam dann aber doch anders. Na ja.
Wer weiß. Vielleicht wächst es ja irgendwann zu einer kleinen Reihe heran. ;)




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