Episode 19: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (Teil 2)

Eine weitere Woche war vergangen und die Trauer und der Schmerz über den Tod von Zip und jetzt auch Alti war kaum mehr auszuhalten. Gabrielle dachte sich manchmal selbst, das Leben zu nehmen. Welchen Sinn hatte diese Welt denn noch für sie? Jeder, der ihr etwas bedeutete, war tot. Ken und Michaela hatten Pläne für die Zukunft und in diesen Plänen kam Gabrielle nicht mehr vor. Sie selbst würde bald ein Baby bekommen, das nie einen Vater haben wird. Sie wird wieder alleinerziehend sein, kann nicht mehr arbeiten gehen und hat kaum Freunde um sich. Ken und Michaela hatten von der ersten Minute des Bordells zu ihr gehalten und sie immer bei allem unterstützt. Ihre Freundschaft verband sie über die Zeiten hinaus, aber jetzt im Moment fühlte sich Gabrielle ganz alleine. Viele Gräber hatte sie auf ihrem Weg hierher hinterlassen. Zips Grab zu besuchen machte sie fast ohnmächtig. Seinen Namen dort stehen zu sehen war fast unbegreiflich. Und sie hatte Schuld. Wie auch bei ihrem Ehemann Sven und ihrem Freund James. Sie alle liefen in den Tod durch die Auswirkungen ihrer Freundschaft mit Gabrielle. Ken und Michaela begleiteten Gabrielle auf dieser letzten Reise. Nachdem sie Zip besucht hatten, wollten sie in ihr altes Dorf fahren, wo damals das erste Bordell Türkis entstanden war und vor fast genau 5 Jahren dort öffnete. Dort wollte sie den Friedhof und die Gräber von James und Sven besuchen. Sie spürte in sich drin, dass dies das Mindeste war, was sie tun sollte. Nur so konnte sie mit allem teilweise abschließen und hoffentlich irgendwann Frieden in dieser Welt finden.

Bei Zips Grab standen frische Blumen. Gabrielle, Michaela und Ken standen ohne ein Wort zu sagen davor. Es war ganz ruhig auf diesem Friedhof. Hier war auch niemand weit und breit zu sehen. Und wenn man hier jemanden zu Gesicht bekam, dann mit gesenktem Kopf und ohne Augenkontakt. Ein Friedhof war kein schöner Ort und wer von all ihren Freunden hatten ihn näher kennengelernt als ihm lieb war. Viele Menschen waren in diesen 5 Jahren ums Leben gekommen. Dass es am Ende den innersten Kreis treffen würde, hatte Zip oft vermutet. Doch jetzt war er tot und er sagte kein Wort mehr. Hier sprach niemand mehr. Gabrielle konnte die gequälten Seelen dieser Verstorbenen schreien hören. Lange hielt sie es hier nicht aus. Was ihnen beim Verlassen des Friedhofes zurück ins Auto nicht aufgefallen war ist, dass ein kleines rotes Bändchen aus Seide um eine Blume am Grab von Zip gewickelt war. Er hatte wohl schon Besuch bekommen. Von seinen Mördern....

Auf dem Weg zurück in ihr altes Dorf kamen viele Erinnerungen hoch, die alle 3 gerne vergessen würden. Der schwere Weg vom Kauf bis zur Eröffnung, die ganzen Probleme über die Jahre, die schlimmen Ereignisse innerhalb und außerhalb des Bordells und das bittere Ende, als diese Sekte das Dorf übernahm und das Bordell verbot. Sie mussten auswandern und ihr Glück in einer neuen Stadt suchen. Auch dort fanden sie nicht, was sie suchten. Die Stadt war groß, schillernd bunt und vermögend, aber ihr Glück fand dort niemand. Das Schlechte verfolgte sie immerzu. Egal wohin sie gingen, es saß ihnen im Nacken. Auch zuletzt am Meer. So schön die Umgebung auch war, umso grauenhafter ihr Innerstes. Im Auto sitzend sah Gabrielle alles an ihr nochmal vorbeiziehen. Es war wie ein Alptraum. Das hatte sie sich niemals so vorgestellt. Vor 5 Jahren bei der Eröffnung hatte sie sich so sehr gewünscht, dass ihr Traum mit dem Bordell in Erfüllung ging. Doch heute wusste sie, dass es zu viele ungelöste Probleme gab, als sie damals eröffnet hatten. Sie wollte sich mit dem Bordell ablenken und versuchen die Schuld, die sie in sich trug, zu vergessen. Das hatte zwar meistens funktioniert, aber ihre Vergangenheit kam immer wieder auf sie zurück. In ihrer Gegenwart hing immer ein unbehaglicher Schleier über ihrem Kopf. Sie war nie ganz frei oder glücklich. Für ihre Zukunft musste sie etwas tun, ansonsten würde sie niemals Ruhe finden. Auch alle anderen glaubten mittlerweile daran. Wenn Gabrielle darin Frieden fand, wenn sie die Gräber ihrer alten Freunde besuchte, dann sollte es so sein. Nichts war ohne Grund in den letzten 5 Jahren geschehen. So würde auch dies einen Sinn ergeben.

Es begann auf der Strecke zum Grab von Sven zu regnen. Der Himmel war grau von gefüllten Wolken. Als sie in ihrem alten Dorf ankamen, wo damals das erste Bordell eröffnete, wirkte es fast idyllisch. Hier hatte sich viel getan, seit das Dorf nicht mehr von Utopia besetzt und besessen war. Es wirkte trotz Regen freundlich und harmonisch. Hier konnte man Ruhe finden. Und so fiel es Gabrielle auch ein wenig leichter zum Grab von Sven zu gehen. Sie war sich bewusst, dass er ihr nach dem Leben getrachtet hatte und sie umbringen wollte. Doch das war auch ihre Schuld. Er wollte sich rächen, weil Gabrielle ihn betrogen und hintergangen hatte. Sie hatte niemals für ihre Taten bezahlen müssen und das störte Sven immer am meisten. Heute verstand Gabrielle, was in ihm vorgegangen sein musste. Als sie vor seinem Grab stand, fühlte sie sich angespannt. Er konnte sie zwar nicht hören oder sehen, aber sie spürte, dass er ihre Anwesenheit bemerkte. Er war verärgert und Gabrielle kamen die Tränen. Ken und Michaela hielten ihre Hand und gaben ihr genug Kraft, um sich vor seinem Grab für alles zu entschuldigen, was sie getan hatte. Dabei war es ihr egal, dass sie nass wurde und in einer Pfütze stand. Der Regen weinte genauso wie sie. Sie fühlte sich gut dabei und es fühlte sich endlich an wie ein Abschluss. Sie verbrachten fast eine halbe Stunde bei Sven. Diese Minuten waren kostbarer, als alles was noch kommen würde. Noch schwerer fiel es ihr bei James. An seinem Grab kamen ihr wieder die Tränen. Diesen Mann hatte sie so sehr geliebt. Es tat ihr im Herzen weh, seinen Namen auf dem Stein lesen zu können. Er hatte ihr alles gegeben, was sie jemals gebraucht hätte. Bei ihm hatte sich Gabrielle so wohl gefühlt. Und sie hatte nicht auf ihn geachtet und ihn niemals genug wertgeschätzt. Das führte am Ende zu dem, was nun geschehen war. Zwar war er schon fast 4 Jahre tot, aber sie sah James noch immer vor sich. Sein Lachen war echt und wirkte nie aufgesetzt. Er hatte sich in Gabrielle alleine durch ihre Stimme verliebt. Er sah in ihr etwas Gutes und eine Aura aus Positivem. Warum musste das nur alles passieren?

Heute würde sie alles anders machen. Sie würde ihre Strafe für Sven absitzen, denn nicht Zip sondern sie war dafür verantwortlich. Das würde verhindern, dass Sven ihr nach dem Leben trachten würde. Und wenn sie nach ihrer Entlassung auf James oder Zip treffen würde, bliebe sie zunächst eine Weile Single, um zu erkennen, wer ihr wirklich besser tat. Sie würde sich nicht festlegen lassen und sich um das Bordell kümmern. Dadurch, dass sie ihre Schuld dann abgesessen hatte, würde es vielleicht besser für sie alle laufen. Als Single würde sie Clementine nicht bekommen und musste nicht mit ansehen, wie sie entführt wurde und starb. Und kämen die Leute von Utopia auf die Idee, sich hier wieder festzusetzen, würde sie diesmal mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft dafür sorgen, dass sofort aufgedeckt wurde, was sie mit den Leuten machten. Alle waren sie damals viel zu beschäftigt gewesen, um rechtzeitig zu erkennen, welche Gefahr diese Sekte für sie war. Auch auf das Grab von James legte sie Blumen. Und innerlich fühlte sich Gabrielle zum ersten Mal befreit. Noch nie in 5 Jahren hatte sie sich so losgelöst gefühlt. Sie hatte das Gefühl, etwas gut gemacht zu haben. Nun würde es hoffentlich bergauf gehen. Von nun an hatte sie die Hoffnung, dass alles etwas freundlicher und heller für sie wurde in ihrem Leben. „Na ihr 3?“, sagte plötzlich jemand hinter ihrem Rücken und riss Gabrielle damit aus ihren Gedanken. Und dann fielen 3 laute Schüsse, deren Hall man über den ganzen Friedhof hören konnte. Gabrielle schaute an sich herunter. Da war ein Loch. Und aus diesem Loch blutete sie. Wie in Zeitlupe schaute sie nach rechts und nach links. Ken und Michaela lagen bereits am Boden. Auch sie waren erschossen worden. Gabrielle konnte sich nicht mehr länger auf den Beinen halten und knickte seitlich weg. Am Boden liegend erkannte sie ihre Mörder. Es waren die 3 Männer von Utopia. Sie trugen ihre roten Seidenschals so glatt wie nie zuvor. Und dann wurde alles schwarz vor Augen. Gabrielle fühlte sich erleichtert und frei. Jetzt war endlich alles vorbei.

Fortsetzung Folgt zum letzten Mal! :)

Es wird noch einmal spannend. Es folgt in Kürze die allerletzte Episode von "Bordell Türkis".

Seralgo Refenoir


© Seralgo Refenoir


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