Karin genoss die Stille. Schon lange war es hier nicht mehr so ruhig gewesen. Ihren Mann und die Kinder hatte sie zum Camping geschickt, um sich endlich mal wieder ein freies Wochenende gönnen zu können. Sie hatte sich ein heißes Bad eingelassen und ihre Lieblings-CD eingelegt. Vorsichtig nippte sie an ihrem Wein, ehe sie sich zurücklehnte und die Augen schloss.
Ein Poltern holte sie zurück ins Hier und Jetzt. Es hatte sich angehört, als wäre etwas umgefallen, aber die Kinder waren doch gar nicht hier. Ihr Mann hätte sie sicherlich angerufen, wenn sie zurückgekommen wären. Vielleicht spielten aber auch nur ihre Nerven verrückt. In letzter Zeit hatte sie viel Stress gehabt. Kaum eine freie Minute für sich. Bestimmt war sie einfach nur überarbeitet. Erneut schloss sie die Augen und lauschte den bizarren Klängen von Mozart.
Plötzlich klirrte es ganz laut und Karin hörte deutlich, wie etwas zu Bruch ging. Nein, sie war nicht überarbeitet, hier war jemand in der Wohnung! Rasch schlüpfte sie in ihren Bademantel und drehte die Musik leiser. Angestrengt lauschte sie an der geschlossenen Tür. Nichts. Sie suchte auf dem Waschbecken nach ihrem Handy, bis ihr einfiel, dass sie es zusammen mit ihrer Handtasche auf dem Küchentisch liegen gelassen hatte. Innerlich verfluchte sie sich selbst und schwor sich, ab jetzt ihr Handy immer dabei zu haben.
Sie schaltete das Licht und den CD-Player aus. Der Einbrecher musste ja nicht direkt wissen, dass hier noch jemand war. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spalt breit und sah hinaus. Angst überfiel sie bei dem Gedanken, dass der Einbrecher bewaffnet sein könnte. Ein lautes Rumpeln ließ sie zusammenzucken. Er schien im Schlafzimmer zu sein. Die Tür zum Schlafzimmer stand offen, doch sie konnte niemanden sehen. Plötzlich huschte ein Schatten an der Wand entlang. Er schien etwas in der Hand zu halten. Sie hatte es geahnt, der Einbrecher war bewaffnet.
So leise sie konnte schloss sie die Tür wieder. Bis zu ihrem Handy würde sie es unmöglich schaffen, denn dazu musste sie einmal quer durch den Flur, der vom Mondschein hell erleuchtet war. Ihr blieb also nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass der Einbrecher schnell wieder weggehen würde. Sie duckte sich vor die Tür und drehte den Schlüssel ganz langsam herum. Das Knacken des Schlosses, als er heraussprang und die Tür verriegelte, klang wie ein Donnerschlag in ihren Ohren. Karins Nerven waren gespannt wie Drahtseile und ihr Herz raste.
Im Flur knarrten die Dielen. Der Einbrecher stand fast vor ihrer Tür! Sie sackte zu Boden und versuchte, so flach zu atmen wie sie konnte. Ein Kratzen an der Wand ließ sie erschaudern. Sie brauchte etwas, um sich zu verteidigen, falls der Einbrecher es zu ihr ins Bad schaffen sollte. Zwar würde sie nichts gegen seine Waffe ausrichten können, aber wenn sie nur schnell genug war, konnte sie ihm eins überziehen, bevor er die Waffe auch nur auf sie richten konnte. Doch sie konnte nichts entdecken, was ihr helfen würde. Sie wünschte sich gerade, dass sie ihren Mann nicht weggeschickt hätte, als etwas über das Holz der Tür strich. Karins Augen weiteten sich und sie bekam kaum noch Luft. Ihr Kopf projizierte immer mehr mögliche Szenarien in ihren Kopf, wie das hier enden würde.
Karin versuchte sich zu beruhigen und einen klaren Gedanken zu fassen. Erneut strich etwas über das Holz. Es hörte sich an, als würde jemand ein Stück Stoff daran reiben.
Verzweifelt sah sie sich um und entdeckte eine schwere Taschenlampe, die ihr Mann wohl beim Einpacken vergessen hatte. Sie dankte Gott für die Schusseligkeit ihres Mannes und nahm die Taschenlampe an sich.
Wenn sie hier sitzen blieb, würde sie dem Einbrecher schutzlos ausgeliefert sein. Sie musste ihm zuvorkommen, sie musste ihn überraschen; den Überraschungseffekt ausnutzen und fliehen. Hätte sie doch nur mehr an, als einen Bademantel. Sie fühlte sich so nackt. Ein Kratzen an der Tür rief ihr die Gefahr ins Gedächtnis. Ängstlich umklammerte sie die Taschenlampe fester und richtete sich langsam auf. Mit zitternden Fingern drehte sie den Schlüssel im Schloss. Erneut ließ sie das Schnappen des Schlosses zusammenfahren. Sie lauschte intensiv auf eine Reaktion des Einbrechers, doch es war nichts zu hören.
Erst, als sie das Knarren der Dielen hörte, war sie sich sicher, dass er nichts vernommen hatte und sich in Sicherheit wägte. Anhand des Knarrens versuchte sie herauszufinden, wo in etwa er sich befand. Am lautesten knarrten die Dielen vor der Küche, am leisesten vor den Kinderzimmern. Er musste ungefähr auf Höhe der Küche sein. Karin machte sich kampfbereit. Sie zog den Bademantel enger um ihren Körper, verlagerte ihr Gewicht und wischte sich den Schweiß von den Handflächen. Als es erneut knarrte, riss sie die Tür auf und lief schreiend auf den Flur. Angst pochte durch ihren Körper. Sie sah sich hektisch um, sah jedoch niemanden. Nur ihren Hund, der mit wedelndem Schwanz auf sie zulief.


© a.k.heidmann


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