Die Welt erstarrte in Trauer. Ich war allein. Ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte, was ich fühlen sollte, was ich glauben sollte. Der Himmel war düster und mit grauen Wolken übersät. Das Grab erstrahlte in einem hellen Glanz, fast unnatürlich. Ich betrachtete es lange. Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte. Die grünen Planzen und bunten Blumen in Gedenken an die Verstorbenen erzählten die zahlreiche Trauer der Angehörigen. Das Grab, vor dem ich stand, erstrahlte in einem schlichtem weiß. Keine Blumen, kein Grünzeug, nur der Stein mit seiner Inschrift. Nicht mehr.

Alles war getrübt. Selbst das weiße Grab erschien in einem tiefen grau. Doch es strahlte immer noch eine gewisse Kraft aus. Als lebte es. Ich stand einfach nur davor, unfähig auch nur irgendetwas zu sagen oder zu denken. In meinem Kopf war dichter Nebel, grau und dicht. Ich betrachtete das Grab. Ich sah mich um. Es war niemand zu sehen. Ich war tatsächlich ganz allein. Ich konnte nichts tun. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich war gezwungen auf das Grab zu schauen.

Eine leise Frage meldete sich in meinem Kopf. Wie war es, tot zu sein? War man glücklich? War es eine Erleichterung? Ich würde es gerne wissen. Es fing an zu regnen. Ich stand weiterhin nur da. Im Regen. Ließ mich durchweichen. Es schüttete wie aus Eimern. Der Regen ließ das Grab noch dunkler erscheinen. Meine Kleidung erschien nun auch grau. Tiefgrau, fast schwarz, stand ich da. Den Kopf gesenkt, den Blick nur auf das Grab gerichtet.

Ich strich über den glatten, kalten, nassen Stein. Ich fühlte den Stein. Ich fühlte den Tod. Ich strich über die eingravierten Buchstaben. Ich fühlte die Trauer. Ich fühlte den Schmerz. Ich fühlte die Dunkelheit. Ich hockte mich hin un verweilte in dieser Position. Ich war der Erde so nah. Ich war dem Grab so nah. Ich war dem Tod so nah. Ich nahm mein Messer. Ich schnitt in meine Fingerkuppe und ließ das Blut auf den Stein tropfen. Es verlief auf der nassen, glatten Oberfläche. Wird der Schmerz auch vergehen, so wie das Blut verlief? Ich strich mit dem verletzen Finger über das verlaufene Blut. Ich zeichnete ein Muster auf den einmal weißen Stein. Ich schaute in den Himmel. Ich schloss die Augen und ließ alles auf mich wirken.

Nein, der Schmerz wird nicht vergehen. Die Erinnerung wird bleiben. Die Zeit wird meine Wunden nicht heilen. Die Welt erstarrte in Trauer.


© Eisvogel


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