Bunt wehen die Flaggen in der Arena. Schon schreitet der erste Mann herein; hochgewachsen, schwarz gekleidet, mit einer Aktentasche unter dem Arm. „Das Versprechen ist erfüllt!“, schreit er laut in die fernen Winkel der Tribüne. „Die Wirksamkeit ist unumstritten.“ Aus der Tasche zieht er Papiere, wirft sie zum Beweis in die Luft und lässt sie vom Wind ins Publikum tragen. „Es ist bewiesen, von jedem Labor. Dermatologisch bestätigt! Von freiwilligen Testern gelobt! Was wollt ihr mehr?.“

Schlicht gekleidet, fast unbemerkt, tritt der zweite Herr in den Kampfkreis ein. „Versprechen erfüllt? Ihnen schaden zu wollen!“, brüstet er sich hämisch und zieht in die Schlacht. „Silikone, Glycerine, Paraffine und mehr! Billig produziert! All die Umwelt belastenden und die Haut verklebenden Inhaltsstoffe willst du uns unterschlagen? Zur Hölle mit dir!“

Mit einem breiten Grinsen nimmt der erste Herr die Kampfansage seines Gegners an. „Nichts ist erwiesen. Alles hat Sinn.“, spricht er ruhig und wendet sich dem Publikum zu: „Der Konsument will Wirkung sehen. Ein glatter Teint und feine Poren. Ist es nicht so?“

„Wie kannst du Narr die Inhaltsstoffe verdrängen? Nur natürliche Öle nähren die Haut! Sie sind teuer und edel, rar, kaum anzutreffen. Hier muss nichts versprochen werden! Die Natur ist perfekt, nicht in Frage zu stellen. Erfüllt sich von selbst.“, erklärt der zweite Herr triumphierend.

Sie sehen sich starr in die Augen, rennen beide gleichzeitig los und schleifen eine junge Dame aus der ersten Reihe in die Manege. Mit der ausgestreckten Hand fährt der erste Herr über das Gesicht der Dame: „Glatt, geschmeidig und fein. Willst du das nicht eingestehen? Wo ist die Schädigung, von der du sprichst?“

Der zweite Herr sticht mit dem Zeigefinger brachial auf das Gesicht der stark verunsicherten Frau ein: „Pickel, Mitesser, deine Chemie ist komedogen! Die Vorstufe von Krebs, wie es sich in Tierversuchen zeigt. Krebserregende Geschwüre, von euresgleichen begünstigt! Was seid ihr Lumpenpack doch für merkwürdige Verbraucherschützer. Verschweigt die inkurablen Inhaltsstoffe eurem Klientel. Schön sollen sie sterben und die Umwelt mit sich ins Verderben reißen.“

Von den Worten unbeeindruckt trägt der erste Herr mit geschmeidigen Bewegungen eine Pflegecreme auf der linken Gesichtshälfte der Dame auf. „Die Creme zieht sofort in die Haut ein. Keine Irritationen. Ein durch und durch gepflegtes Erscheinungsbild.“ Lächelnd blickt er auf die Frau und ergänzt: „Sie sehen verjüngt aus, meine Dame. Das Versprechen ist erfüllt.“

Kaltblütig kratzt der zweite Herr mit dem Fingernagel die Creme aus einer feinen Linie ihrer linken Gesichtshälfte. „Verstopft, verklebt, die Falten zugekittet.“ Kopfschüttelnd sieht nun auch er die Frau direkt an und sagt mürrisch: „Machen sie das ein paar Jahre lang und sie werden vermutlich daran sterben. Die Haut muss atmen; frei und unbeschwert.“

Hysterisch lacht der erste Herr auf, während der zweite Herr eine andere Emulsion großzügig auf der rechten Gesichtshälfte der Dame verteilt. „Wunderbar, der geschmeidige Duft. Die leichte Textur, durch das natürliche Öl. Vom Feinsten, will ich meinen.“, kommentiert er die Prozedur und bestätigt: „Nur ein am Wohlergehen des Konsumenten orientierter Verbraucherschutz achtet auf natürliche Ingredienzien. Ihre Haut wird genährt und ihr Erscheinungsbild auf natürliche Weise, ohne Schadstoffe, geglättet.“

„Ranzige Öle! Bis hier her kann ich sie riechen. Wie dieser eklige Schmierfilm auf der Haut zu stehen scheint. Ich traue mich nicht, darüber zu streichen. Das nennst du Kosmetik? Kuhdung und Entengrütze. Was ist der Konsument für dich? Ein Gemüsebeet?“, fährt der erste Herr den zweiten an.

Wütend fuchteln beide Männer vor der Dame herum, wischen abwechseln eine Gesichtshälfte ab, um im Anschluss darauf ihre Creme auftragen zu können. Verzweifelt versucht die Frau sich zu wehren, schützend ihre Hände vor das Gesicht zu halten, doch ständig ist sie dabei einem der beiden Männer unterlegen.

Nicht mehr mit den Verführungskünsten ihrer Rhetorik wirken die Verbraucherschützer jetzt auf die Dame ein, sondern mit brutaler Gewalt. Während das Publikum sich empören müsste, ergreifen sie jedoch Partei für den ein oder anderen und jubeln ihrem Favoriten zu.

Die Frau bricht regungslos zusammen, liegt am Boden und ihr Gesicht ist unnatürlich aufgedunsen, faltenlos entschlackt, ölig erstickt und chemisch zu Tode genährt.


© Andreas Broska


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Beschreibung des Autors zu "Kafkaeske Kosmetik"

Kurzgeschichte und Ausdruck meiner Verwirrung über die Kosmetikbranche und deren Fürsprecher.




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