Ich ging durch den Wald. Ich hörte es flüstern. Überall um mich herum sprachen die Pflanzen, die Tiere und selbst die Erde.

Hier kommt kaum jemand her. Ich bin oft allein. Doch die Stimmen begleiten mich. Alles flüstert. Alles spricht. Die Leute haben Angst davor. Sie trauen sich nicht, es einfach anzunehmen, zuzuhören. Sie verfluchen diesen Wald. Es wohne Teufelswerk darin. Es sei nicht sicher. Man komme verwirrt wieder heraus.

Sie sehen nicht das Einfache. Der Wald spricht. Er erzählt Geschichten. Geschichten aus alter Zeit, Geschichten der Gegenwart, Geschichten zukünftiger Tage. Man muss ihm nur zuhören.

Ich komme oft hier her. Es entspannt mich. Man hält mich für seltsam und verrückt, aber das ist okay. Ich mag die Stimmen. Ich höre ihnen gerne zu. Ich habe so viel über den Wald gelernt, was den anderen verborgen bleibt. Sie verstehen das einfach nicht.

Mir ist jemand gefolgt. Ich nahm es erst nicht wahr. Doch es war unruhig im Wald. Die Stimmen ergaben kaum ein klares Bild. Ich blieb stehen und schaute mich um. Ich sah nichts. Nichts außer dem Wald. Und doch war etwas da. Ich wusste nur nicht, wo.
Ich ging weiter, beachtete es nicht mehr und zog meiner Wege. Es kam näher, ich spürte es. Ich blieb hinter einem Baum erneut stehen. Weit war ich nicht gekommen. Nun hörte ich es auch: Schritte. Jemand war hier. In meinem Wald, dort, wo ich mich sicher fühlte. Wieso?
Ich schaute aus meinem Versteck hervor. Immer noch niemand zu sehen. Doch es knackte dich neben mir. Ich sah mich schnell in alle Richtungen um. Wie kann es sein, dass ich niemanden sehen konnte? Hinter brach ein zweiter Zweig. Ich fuhr herum.

Ein Junge stand hinter mir. Kaum älter als ich. Ich konnte mich nicht daran erinnern, ihn schon einmal irgendwo gesehen zu haben. Er schaute mich stumm an. Ich schaute etwas erschrocken zurück. Er schwieg. Ich wollte aber nicht den ersten Schritt machen, auch wenn er in mein Revier eingedrungen war. Ich war nicht besonders redselig.
„Was machst du hier?“, fragte er.
Die bessere Frage wäre doch: Was macht er hier? Er sah mich an, wartete auf eine Antwort.
„Was willst du?“, fragte ich zurück.
Er schien unbeeindruckt. Er schwieg. Ich seufzte. Na gut, was soll’s. Soll er seine Antwort bekommen.
„Ich bin oft hier. Zum Nachdenken und Entspannen. Was willst du hier?“
Er zuckte mit den Schultern.
„Ich bin dir gefolgt. Wollte sehen, was du so treibst und herausfinden, ob der Wald wirklich so gefährlich ist wie alle sagen. du bist bis jetzt die Einzige, die sich hierher traut.“
Er überlegte, ob er fortfahren sollte. Ich schwieg.
„Aber ich kann dich gut verstehen. Der Wald ist entspannend. Er erzählt Geschichten. Man muss ihm nur zuhören.“
Ich schaute ihn überrascht an. Das hat noch niemand herausgefunden. Alle sind geängstigt von den Stimmen. Ich dachte nicht, dass sich das je ändern wird.
„Er flüstert.“, murmelte ich.
„Wie war das?“
„Er flüstert.“, wiederholte ich lauter. „Er spricht und flüstert. Nicht nur Geschichten, er erzählt auch von sich selbst und offenbart seine Geheimnisse.“
Er nickte. Wir schwiegen. Wie setzten uns ins Gras und lauschten dem Wald und seinen Erzählungen.

Wir sind jeden Tag um die gleiche Zeit verabredet. Wir gehen in den Wald, hören zu und verstehen. Wir lauschen dem Flüstern der Pflanzen, der Tiere und der Erde selbst. Und wir sind einfach glücklich.


© Eisvogel


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