Überrascht, wie etwas erheitert, hatte ich mir eine App installiert. Zwanghaft wirkte wohl mein Schmunzeln, doch in der Tat ich war irritiert und gänzlich verwirrt. Sollte ich das wirklich glauben?

"Geisterradar?", brummelte ich zu mir selbst. Die Beschreibung sagte aus, in einer überaus ernsthaften weiße und wissenschaftlich begründet, dass man damit mehrere Praktiken auf seinem Tablet ausführen könnte, die auch von PSI Forschern genutzt werden, um das Jenseits zu erforschen.
Dazu habe ich einzugestehen, derartigen Forschungen im skeptisch gegenübergestanden zu haben. Ich war grundsätzlich kein sehr gläubiger Mensch. Nicht, dass ich ein Gegner gewesen wäre, doch der Glaube an das Jenseits schien mir zu fantastisch und ehrlich gesagt unbequem. Ich fand das Dasein im Diesseits nicht so außerordentlich reizvoll und mich schauderte der Gedanke es würde niemals enden im Jenseits.

Ich sah eine Anwendung um Geisterstimmen aufzunehmen, aber ich kam mit der Bedienung zunächst nicht zurecht. Eine andere Anwendung schien eine Art Seismograf zu sein und seine Handhabe schien mir noch weniger schlüssig. Eine Fotografiereinrichtung, die man wie jede gewöhnliche Tabletkamera benutzte und, laut Beschreibung, auf die Geisterwelt sensibilisiert war. Und natürlich ein Radar, wie der Name vermuten ließ. Dies bestimmte über GPS meine genaue Position auf einer Karte, die die Umgebung von mir im Umkreis von 500 m wiedergab. Der Satellit sollte in der Lage sein, elektromagnetische Felder zu erkennen und auszuwerten, welche zu jenseitigen Manifestationen zählten. Die App machte diese in drei Kategorien sichtbar, schwarze Kreise für geringe PSI Phänomene, die zweite Stufe war blau, die höchste Kategorie Rot. Es gab eine ausdrückliche Warnung vor den roten Manifestationen. Jedoch fühlte ich mich veräppelt.

Ich las die Kommentare jener, die sich diese App runtergeladen und genutzt hatten. Zu meiner anders gerichteten Erwartung sprachen alle davon, dass die App funktionieren würde, oftmals bestärkt durch angebliche schauerliche Ereignisse, die den Schreibern widerfahren sein wollten. Allerdings gab es da nicht ein Kommentar, das auf einen gesunden Menschenverstand oder durchschnittliche Bildung schließen ließen. Es war alles ein furchtbares Berlin-Kreuzbergdeutsch im vornehmsten Kanakvokabular, sodass ich bei einigen Wörtern drauf und dran war in einer Kristallkugel nach dem Sinn zu forschen. Das alles nun stärkte nicht das Vertrauen in die App. Außerdem zeigte das Geisterradar nichts in meinem Umfeld an. Es hätte also etwas X-Belibiges sein können. Ich vermochte es nicht zu überprüfen. Nach vielen positiven Beschreibungen gab es hin und wieder eine negative Beurteilung. Schon glaubte ich nun berechtigt im Zweifel sein zu können. Doch erneut wurde ich enttäuscht. Die Kritiken beschränkten sich auf Softwareprobleme bei einigen Handymodellen, nervende Werbung oder das die Kaufversion sehr teuer sei und die Probeversion in seinem Leistungsumfang zu beschränkt sei.

Im selben Moment strich mein Kater um meine Beine und miaute, während das Tablet vibrierte. Die App auf das Radar umschaltend glaubte ich einen schwarzen Punkt am äußerten Peripherer entlanghuschen zusehen.
Ich gestehe, dass ich mich sehr seltsam fühlte. Eine Gänsehaut überfuhr mich und deutlich konnte ich spüren, dass sich meine Nackenhaare aufrichteten. Schnell wurde die App nun abgeschaltet und das Tablet beiseite gelegt. Langsam setzte ich mich in einen Sessel und starrte grübelnd auf das Tablet. Der Kater hatte sich auf seinem Kratzbaum zusammengerollt und schlief friedlich.

In Gedanken suchte ich nach allen möglichen Erklärungen die die App als Scherzprogram entlarven sollten, doch das gelang mir erst später bei der Arbeit im Callcenter in Stralsund. Ich selbst lebte in Bergen auf Rügen immer musste ich mit dem Auto hin und wieder zurück.

Langsam und vorsichtig lenkte ich das Gespräch in der Pause bei einem Kollegen das Gespräch auf eine "seltsame App", die ich heute früh auf dem Klo heruntergeladen hätte. Ich wusste, dass er sehr avanciert in derartigen Dingen war. Und tatsächlich schmunzelte er über mich. Ich hatte versucht mich gelassen zu geben, aber es war mir wohl nicht gelungen. Schnell zeigte er mir mehrere Apps auf seinem Handy, die beeindruckende Fotos von Geistern machen konnten. Er machte auch welche von mir, doch erschien ich auf dem Bildschirm als Zombie oder Mumie. Er hatte Apps die Geisterstimmen erzeugten. Nur, keine reichte an die Qualität der App auf meinem Tablet heran. Außerdem erzeugte die App auch nicht derart aufwendige Effekte, im Gegenteil, eigentlich hatte ich ja nichts zu sehen bekommen. Jene App bestach vielmehr durch eine wissenschaftliche Nüchternheit. Doch ich beschloss, um meiner inneren Ruhe willen, dass diese Erklärung für mich akzeptabel sei.

Wieder zu Hause nahm ich die Sache auch weniger ernst auf, schaltete die App ein und scherzte mit dem Radar herum, auf dem mehrere schwarze Punkte zu erkennen waren. Alle waren um mein Haus herum. Das Tablet vibrierte dazu ständig. Erneut aber wurde mir mulmig, als ein Punkt näher kam. Versuchte mir einzureden das dies zur Programmation der Software gehöre. Er hatte den Block erreicht, wo ich wohnte. Theoretisch müsste ich ihn, aus dem Fenster blickend, bereits sehen. Nun kamen immer mehr schwarze Punkte näher, schienen dem Ersten zu folgen. Doch ich traute mich einen Blick zu riskieren, aber da war nichts. Mein Kater sprang unversehens auf das Fensterbrett und erschrak mich so. Natürlich klagte er sein Abendessen ein, was mich die App vergessen ließ.
Sie brachte sich allerdings später in mein Bewusstsein zurück. Das Tablet begann zu vibrieren, während ich fernsehen sah. Erst langsam, dann vermehrte es sich, bis es nicht mehr innehielt und ununterbrochen vibrierte. Schweiß trat mir in den Nacken und meine Aufmerksamkeit wurde vom Bildschirm ab und dem Tisch am anderen Ende des Zimmers zugelenkt. Das Tablet tanzte dort. Ich konnte dem Gerät nicht mehr die Aufmerksamkeit verweigern, die es forderte.

Langsam mich erhebend schritt ich auf den Tisch zu, nahm das Tablet und öffnete die App. Ein Schwarm schwarzer Punkte umzingelte geradezu meinen Block. Ich war das Zentrum. Vermutlich wurde, was auch immer da draußen war, von der App angezogen.

Was auch immer es war? Die App hatte doch einen speziellen Fotoapparat!
Noch immer wusste ich nicht, was ich davon halten sollte. Dennoch bewegte ich mich ans Fenster, um Fotos zu machen, wo, laut Radar, spektrale Aktivitäten herrschen sollten. Und ja, zu meinem Erschrecken schien die Kamera Gestalten auf dem Rasen vor meinem Wohnblock aufzunehmen. Doch alles war auch nicht sehr eindeutig, es waren vielleicht Schatten in der Nacht und auch wahr nicht eine Manipulation durch die Kamera selbst auszuschließen. Dennoch schaltete ich die App aus. Und darüber hinaus das ganze Tablet. Kindisch die Tat! Angenommen es waren wirklich Seelen da draußen, als könne man durch das Abschalten eines besseren Telefon den Spuk verhindern. Aber ich suchte mich auf diese Weise zu beruhigen. Doch in dieser Nacht schlief ich nicht gut.
Es vergingen mehrere Tage, in denen ich sogar das Tablet selbst nicht einschalten wollte. Es lag in der Schublade eines Schrankes im Vergessen. Das funktionierte auch sehr gut, bis eines Abends, ich saß vor dem Fernseher, mein Kater begann sich seltsam aufzuführen. Er schien angriffslustig und gab die typischen Drohgebärden und Laute von sich, Laute, die mir selbst einen Schauer über den Rücken jagten. Es schien aber so, als wolle er mit der mir gegenüber befindlichen Wand streiten. Zu meinem Unwohlsein war dieser Teil der Wand absolut leer, außer mit weißer Tapete beklebt. Es gab dort kein Möbelstück, nicht einmal irgendeine schmückende Wanddekoration. Der Raum glich dort einem unbeschriebenem Blatt. Ich selbst konnte nichts Ungewöhnliches sehen, was also rief die Aufmerksamkeit des Tieres hervor?
Der Kater hatte die Ohren angelegt und peitschte mit dem Schwanz, er hatte die Wand an fixiert und war bereit zum Sprung, während er seine markerschütternde Kampfschreie von sich gab. Ich rief ihn zur Ordnung, aber das Tier gewährte mir nicht die geringste Beachtung.

"Vielleicht war mein Blickwinkel falsch?", dachte ich, erhob mich und stellte mich hinter ihn, um die Wand zu betrachten. Der Kater warf mich nun immer wieder schnelle Blicke zu, als wolle er wissen, was ich tat. Beim besten Willen ich sah nichts als die weiße Wand. Ich näherte mich der Wand, doch als ich meinen Kater passierte, rannte er schnell vorwärts, stellte sich zwischen mir und die Raumbegrenzung. Dies wiederholte sich mehrmals, dann blieb ich stehen, denn es schien als wolle das Tier mich vor etwas schützen. Umgehend viel mir die App und das Tablet ein, war es deshalb, oder weil da wirklich etwas war? Doch ich glaubte etwas zu spüren. Etwas das mich durchlief und mit eisiger Kälte überzog. Als ich mich wieder zu bewegen vermochte, entnahm ich das Tablet seinem Aufbewahrungsort. Das Geisterradar zeigte einen roten Punkt, der sich von mir entfernte. Zögerlich aktivierte ich die Kamera und nahm ein Foto auf von der Wand. Tatsächlich meinte ich dort etwas erkennen zu können, es war wie ein flammendes Auge, das sich dort eingraviert hatte.

Die Nacht über viel es mir schwer zu schlafen. Doch da mein Kater sich nun normal verhielt, schien wohl nichts Jenseitiges nahe. Nach dem Vorfall zeigte das Geisterradar nichts an, absolut nichts. Das verwunderte mich zwar, aber beruhigte auch. Ich schaltete das Tablet aus und schlief schließlich ein, den Kater an meiner Seite. Doch die folgenden Nächte träumte ich immer wieder von diesem flammenden Auge, es beobachtete mich und sein Blick lastete schwer auf mir. Ich fühlte mich unausgeschlafen, als sei ich die ganze Nacht hindurch gewandert.
Es war der darauf folgende Sonntag, das ich mir ein Herz fasste und zum Friedhof spazierte. Ich musste mir endlich Gewissheit verschaffen, bezüglich dieses Gerätes. Und wo könnte man eher ruheloser Seelen finden, als auf dem Friedhof? Zumindest in meiner laienhaften Denkweise, dass seine Jenseitsbildung lediglich aus Horrorfilmen bezogen hatte. Mit jemanden darüber zu reden wagte ich nicht.Es war der neue Friedhof von Bergen auf Rügen, der gar nicht so neu war, und and der Dorfstrasse liegt, die nach Tiltzow führte. Von hier aus konnte ich das Hausieren, dessen Besitzer erst vor knapp einer Woche im hiesigen Hospital starb. Auf horrende Art und Weise. Hunderte von Spinnen hatten ihn, bei lebendigem Leib, aufgefressen.

Auch wagte ich mich nur bei Tageslicht zum Friedhof, der in diesem Spätherbst ohnehin schauerlich genug war. Nebelschwaden hingen über alten Gräbern und knorrigen verformen Bäumen, Blattes und Tod verkündend, unterstützt vom Geschrei der Raben. Und der Himmel sah aus, als wolle er schmutziges Wasser weinen. Ich öffnete die App und sah mich umgeben von schwarzen und blauen Punkten in hoher Konzentration. Sie ruhten über Gräbern oder zogen mir nach. Ich war entsetzt!

Nachdem ich die Lähmung überwunden hatte, unter Aufbringung aller meiner Willenskraft, begann ich Fotos um mich herum zu nehmen. Und meine Panik stieg, denn die Fotos zeigten die Gesichter von Toten.

Ich weiß selbst nicht, woher ich die Kraft nahm, aber ich aktivierte nun den Stimmenrekorder. Und ja er zeichnete tatsächlich etwas auf, ein babylonisches Stimmengewirr. Es war unmöglich etwas Genaueres zuverstehen, eventuell einzelne Worte ließen sich erraten, doch nichts das man als Nachricht verwerten könnte.

"Versteht ihr mich?", fragte ich und erschreckte. Was wenn mich nun jemand hier sah? Allein auf dem Friedhof sprechend? Noch mehr aber packte mich das Grauen, als die App mir ein Hundertfaches "Ja!" zu hauchte, in verschiedenen Tonlagen und Stimmen. "Wer seid ihr?", fragte ich, und die App blieb stumm. "Okay, blöde Frage ich gebe es zu!" gestand ich mir selbst laut ein. "Ja!", ließ sich ein hundertfaches Mal wieder vernehmen.

"Was wisst ihr vom Auge, mit den Flammen, von dem ich Träume?", sprach ich in die mich umgebende Leere.
"Gefahr!" hörte ich aus der App.
"In Gefahr bist du!", hörte ich andere Stimmen.
"Zu uns du kommst schon bald!"

Es dauerte etwas, ehe ich den Schrecken, ob dieser Worte, überwinden konnte. Dann wollte ich Genaueres erfahren. Und in verschiedenen Stimmen reifte sich eine Nachricht zusammen...
"Er ernährt sich von den Lebenden..."
"... um selbst nicht zu sterben."
"Der Geist von Maurgeper."
"Ein König unter Toten und Sklave des Auges."

Ich fasste mich in meiner Panik und fragte: "Was will das Auge?"

"Wahnsinn..."
"... und Tod es bringt."
"Es tötet mit Träumen, denn selbst träumt es."
"So spricht es mit Lebenden."
"Schlaf ist der Bruder des Todes."
"Das Auge sucht, was es verlor. Was das Chaos brachte."
"Sie glaubten, dass das Gesuchte vernichtet wurde..."
"... aber so war es nicht!"
"Das Artefakt wurde nicht zerstört, es weiss es, darum sucht es!"
"Doch die Ordnung geriet aus den Fugen, neun Welten kamen. Ich welcher aber ist das Auge und in welcher, was es sucht?"

Das alles wurde mir nun zu gespenstisch ich ertrug es nicht mehr und lief davon.

Kaum vermochte ich einen klaren Gedanken zu fassen. Suchte noch immer nach der Entlarvung der App, als üblen Scherz. Doch mir blieben die Zweifel noch im Bett. Spät überfiel mich Morpheus und auch das gegen meinen Willen, denn ich habe Angst davor zu schlafen. Doch ich konnte mich nicht wehren. Der Alp plagte mich...

Es war verschwommen. All meine Wahrnehmung war es nun. Doch ich kämpfte gegen etwas im Schlaf, eine große Macht. Soweit ich mich erinnere, sah ich eine Gestalt über mir schweben und sie trank mein Leben. Ich war gelähmt, versuchte mich zu wehren, doch ich spürte, wie die Kraft mir entwich.

Ich wusste genau das irgendetwas nicht stimmte, als ich mich aus dem Bett erhob. Die Sache war, dass ich mich weiterhin im Bett liegen sah. Doch ich erschrak nicht wirklich, fühlte mich frei vom weltlichen Leid. Und es war mir sofort klar, das es galt Abschied zu nehmen, hier würde ich nicht mehr bleiben. Ich sah sie nun da draußen stehen, ganz ohne die App auf dem Tablet, die Toten blickten hinauf zu meinem Fenster. Doch noch hatte ich etwas zu erledigen...

Die App ließ das Tablet tanzen, es registrierte mich und reagierte auf mich. Ich konnte es bedienen! Ich schreibe meine Geschichte auf und verbreitete sie im Internet. Danach werde ich gehen. Mit den Toten da draußen. Ich will nicht dabei sein, wenn sie meinen Körper finden, viel zu spät, wegen des Geruches, über den sich die Nachbar beschweren werden.


© Michael Kleemann


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Beschreibung des Autors zu "Die App"

Eine neue Geschichte, gestern geschrieben. Etwas kleiner gehalten. Diesmal hat es seinen Ursprung hier in Deutschland.




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