"X-Files" - Das Unfassbare (Staffel 2)

Episode 6: Klausurhorror

Aline ging es gar nicht gut. Sie war angespannt und ihr Herz pochte. Aus den Poren drang Angstschweiß und sie zitterte. Sie saß im 1.Stock einer Berufsschule und schrieb eine berufliche Handlungssituation. 150 Minuten und knapp 15 Seiten wurden von ihr erwartet. Ihre Tutorin, die sie auch im Laufe der Woche betreute, stand vorne und teilte die Bögen aus, auf die man für die Klausur schreiben sollte. Als sie durch die Reihen ging, fühlte sich Aline überhaupt nicht gut. Sie hatte zwar genug dafür gelernt und eigentlich wusste sie auch, dass sie das konnte, aber heute war einfach nicht ihr Tag. Beim letzten Mal hatte ihre Hand vom Schreiben so weh getan, dass kaum mehr de Stift halten konnte. Aber das half ihr jetzt alles nichts mehr, denn ihre Tutorin bat bereits um absolute Ruhe und teilte die Aufgabenblätter aus. Im Raum konnte man jetzt einen Nadel auf den Boden fallen hören. Als dann alle Blätter verteilt waren und die Aufgaben durchgegangen worden waren, ging es endlich los. Und Aline hatte einen Blackout. Sie wusste gar nichts mehr.

Immer wieder las sie die Aufgaben durch und machte sich bewusst, dass dies genau das war, was sie besprochen hatten. Sie konnte das doch. Warum hatte sie gerade jetzt einen Blackout? Sie sprach innerlich mit sich selbst und vertiefte sich immer mehr in das Blatt. Als sie zu schreiben begann, fiel es ihr nicht leicht, mehr als zwei Sätze zu Papier zu bringen. Immer wieder geriet sie ins Stocken und wusste nicht mehr weiter. Und die Zeit lief scheinbar immer schneller. Als sie 20 Minuten nach Beginn auf die Uhr schaute, war alles noch ganz normal um sie herum, doch dann geschah etwas, was sie sich bis heute nicht erklären konnte.

Als etwa eine halbe Stunde vorbei war und Aline mittlerweile zumindest eine Seite zu Papier gebracht hatte, ließ ihre Angst endlich etwas nach. Es lief gut. Würde sie so weitermachen, könnte das vielleicht sogar eine 2 werden. Oder sogar besser. Nach 45 Minuten war sie richtig in den Text und ihr Papier vertieft, dass sie um sich herum nichts mehr mitbekam. Das passierte ihr allerdings öfters. Man liest und schreibt und nimmt gar nicht mehr wahr, wie schnell die Zeit vorbei geht. Man hört auch nicht mehr das Husten der Anderen oder wenn ein Stift auf den Boden fällt. Unsere Wahrnehmung blendet einfach alles Unwichtige aus, denn der Fokus liegt gerade auf der Klausur und nirgends sonst. Als sie ihre Hand ausschüttelte, weil sie wieder einen Krampf in die Hand bekommen hatte, fiel ihr zum ersten Mal auf, dass ihre Tutorin gar nicht mehr da war. Sie stand weder vorne noch bei sonst irgendwem am Tisch. Die anderen waren konzentriert am Schreiben, aber sie hielt es nicht für notwendig, nach der Tutorin zu fragen, weil das so ausgesehen hätte, als würde sie spicken wollen. Das hatte sie ja gar nicht nötig. Aber die Tutorin blieb verschwunden und tauchte auch nicht mehr auf. Nur schien das niemand sonst aufzufallen.

Als eine volle Stunde vorbei war, fiel Aline erst auf, dass nicht nur die Tutorin fehlte, sondern auch einige ihre Mitschüler, die eben noch an den Tischen gesessen hatten. War sie denn so vertieft in ihre Klausur gewesen, dass sie nicht bemerkt hatte, wie die ihre Klausur vorne abgegeben haben und nach draußen gegangen sind? Denn davon hatte sie wirklich nichts mitbekommen. Und wem sollten sie die Klausur denn auch geben, denn die Tutorin war definitiv nicht mehr im Raum. Vorne am Pult lagen auch keine Klausuren. Soviel konnte sie von hier aus sehen. Was war denn hier nur los? Als sie mittlerweile 4 Seiten geschrieben hatte und gut voran kam, fiel ihr erneut auf, dass wieder einige Mitschüler fehlten. Sie waren definitiv nicht nach vorne ans Pult gegangen, denn das hatte Aline jetzt ständig im Blick. Es war doch seltsam, dass eine Klausur ohne Aufsicht geschrieben wurde? Als sie hinter sich schaute, redete aber niemand ein Wort und keiner half dem anderen. Es herrschte Totenstille. Als Aline das Fenster einen Spalt öffnen wollte, klemmte das Fenster und sie bekam es auch mit roher Gewalt nicht auf. Als sie danach nochmal nach hinten schaute, war niemand mehr da. Alle ihre Mitschüler waren verschwunden. "Hallo?", sagte sie laut und niemand gab ihr Antwort. Auf dem Pult lagen weder Klausuren, noch die Tasche der Lehrerin. Die Tafel war sauber, obwohl zuvor noch etwas darauf gestanden hatte. Die Fenster waren alle verschlossen und auf den Tischen lagen weder Mäppchen noch Stifte. Es war auch keine Tasche oder Jacke mehr zu sehen. Die Stühle waren in Reih und Glied an die Tische gerückt. Als hätte nie eine Klausur stattgefunden. "Hallo?", rief Aline noch etwas lauter und bekam erneut keine Antwort. In ihrer Unruhe stand sie auf und ging zur Tür. Hatte man sie vergessen? War sie so vertieft gewesen, dass sie nichts mitbekommen hatte? Hatte man denn nicht gesehen, dass sie noch dort saß? Aber die Tür vom Klassenraum war nicht verschlossen. Sie konnte nach draußen in den Flur und hielt dabei ihre noch nicht fertige Klausur in der Hand. Laut der Uhr im Flur hatte sie sich auch nicht in der Zeit geirrt. Die Klausur hatte um 9.00Uhr begonnen und es war nun 10.17Uhr morgens. Träumte sie das hier etwa alles? Wo waren denn die Anderen alle? Als sie erschrocken und verwirrt im Flur verweilte, ging neben ihr plötzlich die Tür auf und ihre Tutorin stand vor ihr. "Aline? Wo waren sie denn?", fragte sie verdutzt und wunderte sich, warum Aline im Flur stand und nicht reingekommen war. "Aber ich war doch da! Ich war im Raum nebenan und sie haben die Klausur ausgeteilt und die Bögen verteilt! Ich habe schon 4 Seiten geschrieben und habe ja auch ein Aufgabenblatt! Auf einmal waren sie weg und die anderen dann auch!". Als sie in den Klassenraum schaute, sah sie ihre Mitschüler beim Schreiben der Klausur. Es war ganz ruhig und alle schauten sie verdutzt an. "Geht es ihnen gut Aline? Ich habe gedacht, sie kämen nicht mehr! Die Klausur hat vor über einer Stunde begonnen und einen Nachschreibtermin gibt es nicht!". Aline kamen fast die Tränen. Warum glaubte ihr denn keiner? "Ich war nebenan im Raum! Sie waren doch auch dort! Ich habe mir das doch nicht eingebildet!". Doch Aline bekam an diesem Tag eine 6, weil sie nicht zur Klausur erschienen war. Daran konnte sie nichts mehr ändern. Und als sie der Lehrerin das Aufgabenblatt hinhalten wollte, hatte sie es nicht mehr in der Hand. Es war verschwunden. Die 4 Seiten Text, die Aline "angeblich" geschrieben habe, waren nicht mehr zu sehen. Das Einzige, was sich in ihrer Hand befand, war ein leerer Bogen Papier. Woher sie den hatte, konnte sich zwar niemand erklären, aber es war kein Grund, ihr die 6 nicht zu geben. Aline war kreidebleich angelaufen. Bis heute kann sie sich nicht erklären, was ihr an diesem Tag zugestoßen ist.

Seralgo Refenoir


© Seralgo Refenoir


3 Lesern gefällt dieser Text.







Kommentare zu "X-Files - Das Unfassbare (Staffel 2) (Episode 6/13)"

Es sind noch keine Kommentare vorhanden

Kommentar schreiben zu "X-Files - Das Unfassbare (Staffel 2) (Episode 6/13)"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.