Die Sonne quälte sich über die Dächer und gab nun zu erkennen, dass der Tag beginnen kann.
Es war noch recht kühl als der junge Herr den Eingang zum Friedhof passierte. Es ist ein schöner Friedhof. Er ist sehr alt. Der Efeu hat sich innerhalb der Jahre so stark ausgebreitet, dass er nun alles zu beherrschen vermag. Bis auf den Gehweg. Denn der Gehweg ist für die Trauernden. Für diejenigen, die den Toten näher sein möchten. Es begann leicht zu nieseln doch der Mann merkte dies nicht. Er war in Gedanken versunken, während er den Weg weiterging, als ob er ihn schon tausendemale gegangen war. Sein leerer Blick verfing sich in den efeuumgebenen Ästen. Kein Laut war zu hören, bis auf die Schritte des Mannes auf den feinen Kiesweg. Ein sanftes knirschen, mehr nicht. An diesem Ort gab es nichts was Geräusche machen könnte. Keine Kinder, die laut durch die Landschaft wetzten. Keine Tiere, bis auf die Würmer und Maden, welche sich im Untergrund vergruben. Versteckt vor den Augen der Menschen. Kein Auto war zu hören, denn die Straße war weit entfernt. Auf dem Feldweg, der zum Friedhof führt, fuhr selten jemand vorbei. Niemand wollte diesen Ort besuchen. Tod und Trauer lag in der Luft. Doch der Mann roch nichts. Er lief stumm weiter, bog ab. Er blieb kurz stehen und schloss seine Augen. Für einen kurzen Moment, war es so Still, wie es nur auf Erden sein kann. Der Mann lief weiter während ihm eine Träne über die Wangen rollte. Die Sonne stieg rasch und die ersten Strahlen schienen auf die Gräber. Ein schöner Anblick, wie sich die Sonnenstrahlen auf den Tautropfen der Blütenblätter reflektierten, die der Mann in der Hand hielt. Sie waren frisch. Kaum zwei Stunden vorher hatte er sie aus seinen Garten entfernt. Kaum zwei Stunden sind vergangen, seit sie noch gelebt haben. Der Mann ging weiter. Die schwere seine Beine waren zu erkennen. Er schleppte sich förmlich Meter für Meter voran. Er blieb wieder stehen. Doch nicht um gleich weiterzugehen. Er hatte sein Ziel erreicht. Sein Blick wanderte nach rechts und er sah einen Grabstein. Er war aus purem Marmor hergestellt und leuchtete durch die aufgehende Sonne. Der Mann kniete nieder und legte den Blumenstrauß auf die Mitte des Grabes. Es waren schöne Blumen. Der Mann richtete seinen Blick auf den Grabstein. Als er den Namen las, schloss er abermals seine Augen, während ihm eine zweite Träne über die linke Wange floss. Hier lag sie. Seine Verlobte. Die Sonne stieg weiter und er reflektierte den Abend, der sein Leben verändern sollte.
Sie waren Essen gegangen. Es war das schönste Restaurant in der Stadt. Es war der Abend, an dem er beschloss sie zu fragen. Als er sich schließlich vom Tisch erhob und in die Knie ging, schaute er ihr tief in die Augen. Er wusste er musste es tun. Er öffnete die kleine blaue Schatulle, die er bei ihm um die Ecke gekauft hatte. Er öffnete sie und ein wunderschöner Ring mit einem strahlenden Diamanten leuchtete ihr entgegen. Als er sie fragte, blieb sein Herz beinahe stehen. Sie wischte sich eine Träne von der Wange, und nickte, mit dem schönsten Lächeln, dass er je bei ihr erblickt hat. Sie umarmten sich mit der Zärtlichkeit der ganzen Welt. Sie verließen einige Zeit später das Restaurant und gingen in die Sternenklare Nacht hinein. Er hielt zart ihre Hand und bemerkte die wunderbare Stille der Nacht. Es war das laute Motorengeräusch, was diese Idylle unterbrach. Es kam näher und näher. Der Mann schaffte es gerade noch sich umzudrehen, bis er bemerkte, was sich innerhalb weniger Sekunden zugetragen hat. Der Autofahrer war von der Fahrbahn angekommen und erfasste die Frau. Der Mann musste zusehen, wie sie viele Meter weitergeschleift wurde, bis das Auto anhielt.
In Gedanken versunken, bemerkte erst jetzt, dass eine Frau sich ihm genähert hatte, und ein paar Meter neben ihm stand. Als er zur Seite sah, wie die Frau sich herunterbeugte, und eine blutrote Rose auf ein Grab legte. Obwohl er ihr Gesicht nicht erkennen konnte, sah er, dass sie weinte. Die Tränen vielen auf die feuchte Erde und versanken im Boden. Der Mann erhob sich wieder und starre nun weiter auf das Grab seiner Verlobten. Da fragte die Frau:?Eine Freundin??. Der Mann begann mit zweiten Anlauf die Worte:?Meine Verlobte.? zwischen die Lippen zu pressen. Ein drittes Mal rann eine Träne und viel vor seine Füße. Mit einer spürbaren Kälte aber unklärbaren Leblosigkeit, sprach die Frau vor wem sie stand. ?Hier liegt auch mein Verlobter. Wir wollten heiraten, doch er wurde mir entrissen. Seit dem Autounfall habe ich ihn nicht mehr gesehen.? Sie machte eine Pause. Mit hörbarer Wut fügte sie hinzu: ?Der Fahrer war betrunken?. Der Mann wollte etwas sagen, aber jeden Satz, den er sich in seinem Kopf ausdachte, klang unpassend für diesen Moment. Schließlich wollte er das Gespräch weiterführen und ihr sagen, dass diese Umstände die gleichen waren, warum er hier stünde. Als er sich zu ihr drehte, war sie bereits weggegangen. Sie befand sich schon beinahe am Ausgang wie er erspähen konnte. Er entschloss sich ebenfalls zu gehen. Als er an dem Grab vorbeiging, vor dem die Frau stand, konnte er es sich nicht verkneifen, den Grabstein zu lesen. Das Sonnenlicht nahm ab, als sich ein paar Wolken vor die Sonne schoben. Das Nieseln wurde stärker. Doch der Mann blieb wie angewurzelt stehen. Seine Augen waren erstarrt und blickten auf den Namen, der auf dem Grabstein stand. Es dauerte ein paar Sekunden bis er realisierte, dass dort sein Name stand. Er las die Inschrift. ?Ich werde dich wiedersehen.? Der Mann fuhr herum und richtete seinen Blick zum Ausgang. Die Frau war weg. Er rannte los um sie noch zu erwischen. Er ließ alles hinter sich. Die Blumen, das Grab, die Efeuumwobenen Bäume. Als er am Ausgang angekommen war, blickte er umher. Er sah sie am anderen Ende des Feldweges. Seine Augen waren nur auf sie gerichtet. Er rannte los. Ein lauter Knall, Reifen quitschten. Der Mann wurde in die Luft geschleudert. Er stand nicht auf. Die Frau stand immer noch an der Stelle. ?Ich werde dich wiedersehen.?, flüsterte sie, während sie sich langsam auflöste und unter den vielen anderen Nieseltropfen verschwand.


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Beschreibung des Autors zu "Am Grab"

Meine erste Kurzgeschichte aus einer endstehenden Serie, die ich nie fortgeführt habe. Man möge mir etwaige Rechtschreibfehler verzeihen.




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