Apostolykta, Die Reise des Ythul (Kapitel 1)

Kapitel 1

Die Welt glitt wie ein Schatten an unserem Karren vorbei, und die schwarze Wiese wirkte wie ein endloses, dunkles Meer, das sich durch das diffuse, flackernde Licht der Fackeln grünlich färbte. Die zwei kräftigen Stuten zogen mit einer solchen Kraft, dass man den Eindruck bekam, über den Boden zu fliegen. Ich fragte mich, wie viel Gewicht wir mit den zehn Rekrutinnen zusammen wohl erreichten, und doch zogen sie, als wäre es ein Leichtes.
Immer wieder blickte ich in Richtung Zhanka zurück, zu dem Berg, in den die Stadt hineingebaut war. Am Horizont der hereinbrechenden Nacht schien er wie ein gewaltiger Zahn aus der Ebene emporzuragen, wo tausende kleiner Lichtpunkte funkelten. „Wo mag meine Schwester jetzt sein?“, fragte ich mich und seufzte.
Dieses Seufzen bemerkte die Rekrutin neben mir, eine beeindruckende Frau, die selbst im Sitzen wie ein Riese wirkte. Als ich beim Losfahren beinahe gestürzt wäre, hatte sie mich aufgefangen, und nun war sie es, die als Erste die drückende Stille durchbrach. „Mann aus Tusam, ich habe gehört, Ihr habt im Utlorterkrieg gekämpft. So klein, wie Ihr seid, kann ich mir kaum vorstellen, wie Ihr Euch gegen die Schattenkreaturen behaupten konntet.“
Ich fühlte mich aus meiner Trance gerissen und wusste nicht, was ich erwidern sollte. Ich hatte nicht mit einer Frage oder gar einer so persönlichen Anrede gerechnet, eher mit dem abfälligen „Sumpfmensch“. Es beschlich mich das Gefühl, dass ich vielleicht doch nicht ganz so allein hier war.
Ich setzte zu einer Antwort an, als mir die Priesterin, die mir gegenübersaß, schroff ins Wort fiel: „Eilana, was geht es dich an, ob dieser Sumpfmensch gekämpft hat oder nicht? Wende dich lieber den Gebeten an Zyva zu, denn ihr werdet ihr bald geweiht werden.“
Die Frau, die anscheinend Eilana hieß, schnaubte verächtlich, und ich bemerkte, wie die anderen Rekrutinnen leicht nervös wurden, denn sie war körperlich eine der Stärksten von ihnen, und ich vermutete, ihr Ruf war ebenso gewaltig.
Leise, aber mit spürbarem Zorn spannte sie ihre Armmuskeln an und wandte sich an Tinsu: „Ich wusste nicht, dass Ihr ein Mann aus Tusam seid, Priesterin. Wenn ich Euch etwas frage, antwortet mir. Wenn ich Euch nichts frage, schweigt und betet, dass ich Euch nicht von diesem Karren werfe.“ Die Anspannung, die sich nun ausbreitete, war fast greifbar.
Ich versuchte, die Wogen zu glätten, indem ich diplomatisch formulierte: „Wenn ich etwas in dem Krieg gelernt habe, dann, dass sich Verbündete schwächen, wenn sie sich gegenseitig bekämpfen.“ Doch Eilana legte ihre Hand auf meine Brust, als wolle sie mich zurückhalten. Es wirkte, als wüsste sie etwas über Tinsu und wolle mich davor bewahren, ein weiteres Wort zu sagen.
Als ich zu Tinsu blickte, erkannte ich auch, was es war: Die Augen der eher zierlichen Priesterin schienen in diesem gelben Ton zu brennen. Es lief mir ein Schauer über den Rücken, als wäre diese Frau nicht von dieser Welt, oder war es wieder nur eine Illusion, die mich beeindrucken sollte?
Ich schaute zu Eilana auf, die Tinsu anstarrte, und ich fühlte mich klein und fehl am Platz. Tinsu erhob ihre gellende Stimme: „Meisterritterin Elisha, wie könnt Ihr es zulassen, dass eine Rekrutin so mit der Priesterin redet, die Zyva als Begleitung verkörpert?“ Elisha gab sich nicht einmal die Mühe, sich umzudrehen. Obwohl alle Insassen auf ihre Reaktion warteten, wirkte sie wie eine starre Puppe. Doch dann antwortete sie leise und genervt:„Die Rekrutin hat nichts Unrechtes gesagt, Priesterin. Entweder Ihr akzeptiert, dass Menschen miteinander sprechen, oder Ihr schweigt dazu. Eure Aufgabe ist es nicht, die Rekrutinnen vor dem Ynorrer zu beschützen.“ Die Worte drangen durch das flackernde Fackellicht an unsere Ohren und mussten wie ein Donnerschlag für Tinsu wirken. Alle Rekrutinnen und auch Eilana kicherten mit ihren tiefen Stimmen, sodass sie wie ein trotziges Kind wirkte, das seine Mutter ankeift.
Wütend erhob sie sich, und ich sah, wie ein seltsam gelbes, schimmerndes Licht ihre schwarzen Lederhandschuhe umspielte. Eilana ergriff eine ihrer Hände und sprach in einem ernsten Ton, der mir einen Schauer über den Rücken jagte: „Wagt es, Priesterin, und Ihr werdet mehr als das Licht unserer Göttin benötigen, um wieder zu Kräften zu kommen.“
Donnernd ertönte Elishas Stimme: „Es reicht, Ihr beide!“ Elisha wies Friga an, den Karren anzuhalten, und mit einem dunklen Schnaufen blieben die zwei Stuten stehen. Ein kalter Wind zog auf, als wollte die Landschaft selbst das, was Elisha nun sagen würde, kommentieren, denn als sie sich erhob und mit ihrer Hand durch ihr kurzes, pechschwarzes Haar fuhr, zuckte selbst die fanatische Priesterin kurz zusammen.
Eilana hatte Tinsu losgelassen, und ihr Gesicht verzog sich zu einem Ausdruck des Respekts. „Es ist mir gleichgültig, welche Streitereien Ihr jungen Leute habt. Weder du, Eilana, noch du, Tinsu, habt den Utlorterkrieg erlebt. Ihr wart beide hinter den hohen Mauern von Zhanka sicher und beschützt von unserer Göttin und den Schwestern des Klerus.“
Eilana senkte beschämt den Blick, ein Ausdruck, den ich von ihr nie erwartet hätte. Elishas Worte mussten wie Dolche in ihr Herz gestochen haben. Jedoch war bei Tinsu keinerlei derartige Reaktion zu erkennen. Unter einem leisen Knarzen spannte sich das Leder ihrer Handschuhe um ihre Hände, als sie sie noch enger zu Fäusten ballte. Man spürte, dass sie etwas sagen wollte, doch die Wahrheit schien stärker auf ihren Lippen zu lasten als ihr Trotz.
Elisha fuhr bestimmt fort: „Dieser Ynorrer dort ist nicht irgendwer. Er ist derjenige, der den Weg fand, die Schattenkreaturen mithilfe seines Gottes zu bannen. Er war es, der zu dem Sieg im Fregarischen Sumpf führte, als Tausende unserer Priesterinnen“, sie fixierte Tinsu mit einem festen Blick, „verschlungen wurden.“
Elisha verschränkte die Arme, und die Rekrutinnen musterten mich mit einem Blick, als könnten sie nicht glauben, was Elisha gerade über mich erzählte. Doch es entsprach der Wahrheit. Ich fand im Flüstern Ynorrs den Weg, die verzerrten Kreaturen des Utlotl zu vertreiben, indem der Name Ynorrs in ihre Köpfe gebannt wurde. Sein Name hat ein so großes Gewicht in den Schatten, dass sie fliehen, weil sie fürchten, er würde sie bestrafen.
Der Fregarische Sumpf war übersät von Körperteilen und furchtbar entstellten Leichen von Priesterinnen, sodass ich mich scheute, diese Bilder in meinen Erinnerungen erneut aufleben zu lassen. Doch Elisha sprach weiter: „So arrogant, wie Ihr jetzt schaut, Tinsu, haben auch jene Priesterinnen auf die Männer von Ynorr geblickt, nur Momente, bevor ihre Knochen brachen, ihre Schädel platzten und sie sich verzweifelt im Maul einer Kreatur windend nach Zyva schrien. Ich höre ihre Schreie noch immer jede Nacht in meinen Ohren, und Zyva ist nicht gekommen, um sie zu retten. Also setzt Euch hin, Tinsu, und seid froh, dass dieser Mann hier ist, denn ohne ihn wären viele nicht zurückgekehrt.“
Tinsu bebte am ganzen Körper. Man spürte, dass sich alles in ihr mit Wut anfüllte, da diese Worte zwar hart waren, aber eben nur Worte, die unmöglich beschreiben können, was ich und Elisha gesehen hatten.
Dann entfloh ein geflüstertes Wort Tinsus Lippen, das man kaum vernahm. Doch allmählich schien sie sich durch dieses Wort zu motivieren, zu sprechen, und schließlich entfuhr es ihr, angetrieben von etwas, das in ihrem Geist zu vibrieren schien. „Ketzerin! Ihr behauptet, unsere Göttin sei nicht zur Stelle gewesen, als die Schwestern starben. Jene waren schlicht nicht fest genug im Glauben an unsere Göttin und wurden als Strafe des gelben Lichts den Schattenkreaturen überlassen. Tinakra wird von dem, was Ihr eben gesagt habt, erfahren, Ketzerin, und dann wird sie als zukünftige Exarchin ihr Urteil über Euch fällen.“
Ein Kichern entkam Tinsu, das aber so grauenhaft verzerrt klang, dass es mich an die Schattenkreaturen des Utlotl selbst erinnerte. Ich erzitterte beim Anblick dieses grotesken Wahnsinns in ihren Augen. Sie waren zwar leuchtend gelb, doch sie drückten eine Bosheit aus, die ich nicht einmal im Fregarischen Sumpf gesehen hatte. Was war nur mit dieser Frau? Konnte sie sich nicht einfach wieder hinsetzen und schweigen?
Erinnerungen an die Schreie und die verstümmelten Leichen durchzogen meinen Kopf, sodass ich begann, schwer zu atmen und zu schwitzen. Eilana bemerkte meine Reaktion und legte ihre starke Hand auf meinen Rücken. Sie nickte mir zu, als wollte sie signalisieren, dass sie für mich da war, als Kameradin. Ich wusste nicht, wie ich das einordnen sollte, denn die Eindrücke der Vergangenheit lasteten auf meinem Verstand, der sich mit aller Macht dagegen wehrte, die Bilder freizugeben.
Hatte Tinsu ihre Mitschwestern eben wirklich verdammt und ihnen unterstellt, sie hätten nicht genug geglaubt? Selbst als die Ersten zerfleischt wurden, sangen sie weiter ihre Gebete und stellten sich den Kreaturen in dem Glauben, ihre Göttin würde sie vor ihnen beschützen und ihre Macht demonstrieren. Wenn das kein Glaube war, was war dann der wahre Glaube in Tinsus Augen?
Eine Wut kochte in meinem Inneren, sodass ich spürte, wie mein Herz pochte und sich meine Fäuste in den Taschen meiner Robe anspannten. Ich spürte ein Vibrieren des Rings der Ythalla und sah plötzlich wieder diesen grünschwarzen Schimmer um Tinsus Kopf. Was zur Hölle hatte das zu bedeuten? Nicht einmal meine Schwester hatte diesen Schimmer, der eine starke Verbindung zu Ynorr signalisierte. Warum hatte eine so grausam fanatische Priesterin diese Art von Verbindung?
Elisha stürmte aufbrausend in den Sitzraum des Karrens auf Tinsu zu. Die Rekrutinnen zogen sich so eng sie konnten an die Lehnen der Sitze zurück, um ihr Platz zu machen. Ich wollte schon aufstehen, um wieder etwas zu sagen, aber Eilana hielt meine Robe an meinem Rücken fest, und mein Blick fiel dann auf das vernarbte Gesicht von Friga, die sich inzwischen zu mir umgedreht hatte und mit einem Kopfschütteln signalisierte, dass ich ruhig sitzen bleiben sollte.
Elisha stand nun in ihrer vollen Größe vor Tinsu, die im Gegensatz zu ihr wie eine Fliege wirkte, die kurz davor war, zerquetscht zu werden. Dann begann Elisha, die Riemen ihrer Armrüstung zu lösen. Das leise Klicken der Schnallen hallte durch die Stille des Moments, als würde es etwas ankündigen. Die letzten Riemen lösten sich, und die Rüstung fiel auf den Boden des Karrens. Zum Vorschein kam der völlig vernarbte Arm von Elisha, der wirkte, als wäre an der Schulter bis zum Ellenbogen etwas herausgerissen worden. An der Hand waren nur noch der Zeigefinger und Daumen, was mir durch die beeindruckende Rüstung zuvor nicht aufgefallen war.
Sie spannte die verbliebenen Muskeln ihres Armes an, was deutlich die Adern darunter hervortreten ließ, und hielt ihn vor das Gesicht von Tinsu, die deutlich zu zittern begann. Die Rekrutinnen stimmten einen Chor des Schreckens an, dem ein schweres Einatmen aller folgte. Eilana blickte weiterhin gebannt auf die Priesterin, ebenso wie Friga. Erneut überkam mich das Gefühl, sie wüssten etwas über Tinsu, was für mich und alle in dem Karren gefährlich werden konnte. Was hatte diese starken Frauen vor dieser Frau erschreckt, dass die Situation so eskalieren konnte? Hatte es vielleicht etwas mit ihrer Schwester, der Hohen Priesterin Tinakra, zu tun? Die Tatsache, dass solch starke Persönlichkeiten, die mich umgaben, eine so kleine, fast schon bemitleidenswerte Person so ansahen, löste mehr Furcht in mir aus als Tinsu selbst.
Drohend und beinahe dunkel flüsternd sprach Elisha zu Tinsu: „Schaut genau hin, Priesterin, mit diesem Arm habe ich eine eurer Schwestern aus dem Maul einer Schattenkreatur gerissen und dabei meine Finger und einen Teil meines Fleisches verloren. Mehrere Meter trug ich die vermeintlich noch lebende Schwester, doch als ich mich in Panik zu ihr umsah, bemerkte ich, dass ich nur noch Kopf und Torso von ihr bei mir trug. Ich habe dann auch zu unserer Göttin geschrien, und nicht sie ist aus dem schlammigen Boden emporgekommen. Nicht sie ist aus den Schatten der Bäume erschienen und hat die Utlorter Kreaturen vertrieben und zu unserem Sieg geführt. Es war der Gott dieses Mannes und nicht Zyva. Sagt mir, Priesterin, wo war sie?“
Der Arm von Elisha bebte unter der Anspannung ihrer Muskeln. Der kalte Wind, der den Karren umspielte, pfiff uns um unsere Gesichter, sodass die Kälte die Härte ihrer Worte in unseren Gesichtern fühlbar machte. Jetzt musste diese Frau doch erkennen, was Elisha meinte und warum sie so sprach. Deutlicher konnte man es ihr nicht mehr vermitteln. Doch ich sollte mich gewaltig täuschen, denn die Antwort von Tinsu hatte nichts Menschliches. Es wirkte eher, als würde eine Hülle antworten, ohne Gefühle und Werte, nur auf das Gesetz und ihre Göttin schauend, sagte sie: „Ketzerin … für diese Worte werdet Ihr brennen …“
Der Hauch des letzten Wortes von Tinsu war noch nicht verhallt, da erstarrte die Welt um mich herum. Ich schaute auf das Feuer der Fackeln, das nun grünschwarz leuchtete, doch es stand still und flackerte nicht in dem kalten Wind. Die Rekrutinnen, Eilana, Friga, Elisha und Tinsu, schienen nicht mehr zu atmen und waren ebenfalls in einen grünschwarzen Schimmer gehüllt und wie eingefroren.
„Ythul …“, hörte ich es eiskalt hinter mir flüstern. Meine Ohren schienen von den Worten zu erfrieren, und ich drehte mich erschreckt um. Da erblickte ich eine jung anmutende Frau, die nun nicht mehr nur ein grünschwarzer Schein war, sondern eine Manifestation. Sie trug ein langes Kleid, und ihre Haare wirkten eher wie schattenhafte, tentakelartige Fortsätze, die sich auch über ihre Arme zogen. Ihre Augen starrten in ein weißes Blau, das mich an das Licht der Sterne erinnerte, und unter ihren Füßen schien bei jedem Auftreten auf den Boden eine grünschwarze Welle die Realität zu erschüttern.
Ich spürte, je näher sie kam, umso kälter wurde mir im Inneren meines Körpers, und jede Faser wollte nur fliehen. Doch dann spürte ich ein heftiges Vibrieren an meinem Ringfinger, nahm ihn aus der Tasche und hielt ihn mir vor das Gesicht, und ich erkannte, wer da auf mich zulief. „Das kann nicht sein“, flüsterte ich und schaute nach links zu den Frauen, die immer noch wie unbewegliche Statuen wirkten.
Ich schaute noch einmal auf meinen Ring, der eine eingeritzte Figur der Legende um die Tochter von Ynorr, Ytalla, enthielt. War sie es wirklich? Aber warum hier, so weit weg von ihrem Vater? „Ythul …“, wieder mein Name. Ich hielt mir vor Schmerzen die Ohren zu und dachte aufgrund der Kälte, ich würde sie mir abbrechen.
Als diese Erscheinung von Ytalla so nah bei mir stand, dass ich sie hätte greifen können, deutete sie langsam mit ihrer Hand auf Tinsu und sprach: „Rette sie, wir brauchen sie …“ Dann ertönte wieder dieser beißende Pfeifton in meinen Ohren, sodass ich einen Schrei von mir ließ und mit dem Kopf auf meinen Knien landete. Das Dröhnen in meinem Kopf war noch nicht verraucht, als ich spürte, wie die Realität sich wieder zu bewegen schien.
Denn Eilana fragte mich, was los sei, und ich spürte, wie ich würgte, und so kam es, dass ich mich auf den Boden des Karrens erbrach. Ich zitterte am ganzen Körper, sodass meine Muskeln meinen Körper wie von selbst zurück in die Realitätsebene schütteln wollten. Ich hatte die Fähigkeit, in die göttlichen Realitäten zu blicken, aber so intensiv hatte ich es noch nie erlebt. Meine körperliche Reaktion rief in Elisha und den Rekrutinnen Ekel und Entsetzen hervor, sodass sie zunächst nichts sagen konnten.
Doch wer etwas zu sagen hatte, das war Tinsu, und ihre Worte waren so widerwärtig, dass sie selbst nach dem Erbrochenen rochen: „Seht Ihr, unsere Göttin zeigt uns, dass der Ynorrer schwach ist. Nicht einmal in so einer kleinen Konfrontation steht sein sein Körper standhaft. Schwach, erbärmlich und ein widerlicher Mann …“ Tinsu konnte ihre Worte nicht zu Ende sprechen, denn mit einem lauten, grummeligen Schrei zog Elisha ihr Bein an und trat Tinsu mit einer Gewalt vom Karren, dass man ihren Hass und die Genugtuung in dem dumpfen Aufprall der Priesterin auf dem Boden spüren konnte.
Ich hatte noch nicht richtig verstanden, was passiert war, als erneut die Zeit stehen blieb. Mein Magen begann sich erneut umzudrehen, aber mein Körper schien von etwas dazu gezwungen zu werden, in Richtung Tinsu zu schauen, die rücklings vom Karren gefallen war und nun auf der Straße lag. Wieder erschien Ytalla neben Tinsu und zeigte wieder auf sie. Dann pfiff es wieder in meinen Ohren, mein Verstand sprang hin und her. Ich schien nach Halt zu suchen und verkrampfte meine Hände in dem Leinenhemd von Eilana, die Mühe hatte, mich von sich fernzuhalten. Elisha schien auf mich zuzukommen und mich zu schütteln.
In einem Dunstkreis aus Flüsterungen der Schatten und den Worten der Ytalla-Erscheinung mischten sich die Worte Elishas unverständlich wabernd in dem Unbegreiflichen, was mich überfiel. An diesem Punkt hatte mich sonst meine Schwester immer gestützt und darauf geachtet, dass ich wieder in die Realität der Menschen zurückfand. Doch sie war nicht da. Ich spürte, wie mein Mund wie ein kleines Kind nach ihr rief, als Elisha mir eine Ohrfeige verpasste und sagte: „Kommt zurück, Ihr dreckiger Sumpfmensch, im Namen Zyvas!“
Ich spürte, wie meine Sinne wieder schärfer wurden und ich den deutlichen Tumult, der mich umgab, erfassen konnte. Ich atmete schwer und blickte zu Eilana und den anderen Rekrutinnen, die mich angsterfüllt, aber mit Sorgen behaftet ansahen. Ich fühlte mich, als hätte ich einen See von berauschenden Wassern ausgetrunken, und hörte, wie mein Mund fragte: „Was ist mit Tinsu?“
Ich schaute in meinen noch halb benebelten Verstand zu der Priesterin, die zitternd am Boden lag, und ich bemerkte, dass ihr linker Arm verdreht war. Sie schien sich mit ihm abgestützt zu haben, was dieses knackende Geräusch, das sich unter den dumpfen Aufprall mischte, erklärte. Dann drang die Stimme von Elisha an mein Ohr, und mit einem triefenden Sarkasmus sagte sie: „Ynorrer, Ihr solltet Euch mehr Sorgen um Euch machen als um die Frau, die Euch sofort verbrennen würde, wenn sie könnte. Sie hat ihren Weg gewählt, und wenn sie so voller Glauben ist, dann wird unsere Göttin ihr schon helfen.“
Ein lautes Lachen ertönte unter den Rekrutinnen, die sichtlich begeistert von ihrer Anführerin waren. Ich konnte nicht von Tinsu wegschauen, obwohl alles in mir mit den Rekrutinnen mitlachen wollte. Es war, als würde mich eine Macht dazu treiben, nicht meinem Hass zu folgen, sondern dem Willen eines anderen. Mit größter Anstrengung rappelte ich mich auf, legte meine Arme stützend auf meine Knie und blickte auf den Boden des Karreninnenraums, wo noch mein Erbrochenes lag.
Das Gelächter der Rekrutinnen verstummte nach und nach, und alle schienen auf meine Reaktion zu warten. Doch ich kämpfte in meinem Inneren mit mir selbst, als wäre mein eigenes Ich mein größter Feind. Meine Arme bebten, als würde ich zu Tode frieren, und aufgrund dieses Eindrucks legte Eilana mir schon eine Decke um, die sie in ihrem großen Reisebeutel dabei hatte. Diese Geste bewirkte etwas, denn mein innerer Geist schien sich wieder langsam an die Schwingungen der Realität anzupassen. Elisha gab Friga den Befehl weiterzufahren und ging wieder nach vorne.
Langsam rumpelte der Karren los, und ich schaute noch einmal zurück zu Tinsu, deren schmerzverzerrtes Stöhnen durch die Stille der Nacht erklang. Wir waren erst ein paar Meter weitergefahren, als ich in der Dunkelheit wieder den grünschwarzen Schimmer sah, und es war mir, als hörte ich die Stimme meiner Schwester, die einst zu mir sprach: „Denk daran, Ythul, dass Ynaran zu uns sagte, dass wir der Schlüssel zu der Erweckung Ynorrs sein werden.“ Da traf es meinen Geist wie ein Blitz, und ich sprang auf. Eilana, die ihre Hand auf meinen Rücken gelegt hatte, um mich zu stützen, zog die Hand weg und erschrak. Ich ballte die Fäuste und spürte einen Sinn in all dem, den ich bereits vergessen zu haben glaubte.
„Haltet den Karren an, im Namen Ynorrs!“ Meine Stimme war so fest, dass es mich selbst erstaunte. Die Rekrutinnen lachten, außer Eilana, und auch Friga schien zu grinsen. Elisha seufzte nur, schüttelte den Kopf und dröhnte in die Nacht: „Der nächste Gott, der etwas fordert!“ Das Gelächter breitete sich aus, doch ich stand da und forderte erneut mit Nachdruck: „Haltet den Karren an, oder ich springe von ihm.“
Das Gelächter wurde nur noch lauter, und Elisha drehte sich um und sagte: „Ynorrer, Ihr und Euer Gott haben hier nichts zu befehlen. Ihr seid ein Rekrut der Armee von Zyvianti. Der Karren bleibt stehen oder fährt weiter auf mein Wort hin, also setzt Euch hin und plant lieber, wie Ihr Euren Dreck, den Ihr verursacht habt, in der Festung dann säubert.“ Sie schüttelte den Kopf und drehte sich wieder um.
Ich ballte meine Fäuste und spürte einen Urzorn in mir kochen, sodass ich nicht weiß, ob die folgenden Worte aus meinem Geist kamen oder es das war, was seit meiner Geburt in mir schlummerte. Mit einer tiefen, grollenden Stimme, die meiner Kehle entkam, sprach ich: „Große Worte, Frau aus Zyvianti, habt Ihr diese Worte auch gesprochen, als ich die Schattenkreaturen schwächte? Hat Euch da Euer Rang gerettet? Also haltet nun den Karren an, ich sage es ein letztes Mal.“
Ich bemerkte, wie sich in meinem Blick ein grünschwarzer Schimmer ausbreitete, wie ein Nebel, der meine Sicht nicht einschränkte, sondern schärfte. Die Rekrutinnen schauten mich angsterfüllt an, und jedes Gelächter war verstummt. Als Elisha sich umdrehte, war ihr Gesicht von Zorn durchdrungen, doch als ihr Blick meinen traf, entwich ihr dieser Zorn. Sie zog die Augenbrauen hoch, und ihre Augen waren von Entsetzen gezeichnet. Dann schlug sie Friga auf die Schulter, und diese hielt den Karren an.
Meine Füße standen so fest auf dem Boden des Karrens, dass die Rekrutinnen sich durch das abrupte Anhalten des Karrens festhalten mussten, doch ich stand unberührt davon. Ich verstand selbst nicht, wie mein Körper das konnte, denn ich steuerte zwar die Bewegungen meiner Glieder, war aber von etwas erfüllt, was über dem Fleisch und den Knochen stand. Elisha stand auf, wandte sich zu mir und räusperte sich, als würde sie ihre Fassung zurückgewinnen wollen. Die Rekrutinnen, außer Eilana, hatten sich zusammengeschoben, um von mir mehr Abstand zu gewinnen. Wer konnte es ihnen auch verübeln? Erst schreie ich, dann erbreche ich mich in den Karren, und dann stehe ich plötzlich hier, erfüllt von etwas, das ich selbst nicht verstehe, und fordere ihre Anführerin auf, meinen Befehl auszuführen, und diese tut das dann sogar. Ich hatte sogar selbst eine gewisse Furcht vor dem, was mich hier erfüllte.
Die Stille, die uns umgab, wurde nur von dem leisen Rascheln der Grashalme durchbrochen, durch die der kühle Nachtwind wehte. Elisha zog langsam noch einen Riemen ihrer Armrüstung fest, als würde sie sich daran festhalten, und sprach ernst: „Ich nehme die Worte Euch und Eurem Gott gegenüber zurück. Ihr habt recht mit dem, was Ihr sagt, Ynorrer, doch erklärt mir, warum Ihr diese Hexe retten wollt. Ihr wisst es vielleicht nicht, aber diese Frau und ihre Schwester sind verantwortlich für mehrere Hinrichtungen von Schwestern, die im Krieg angeblich desertiert sind. Sie wurden als Ungläubige in eben jenem Tempel des Aufstiegs verbrannt, zu dem wir unterwegs sind. Was habt Ihr vor?“
Mein Inneres erzitterte bei ihren Worten, und der Hass auf Tinsu wuchs weiter. Doch diese Kraft, die meinen Körper erfüllte, hielt mich auf den Beinen, und in der Überzeugung, Ynorr erwecken zu können, sprach ich entschlossen: „Mag sein, Meisterritterin, wenn Ihr wüsstet, was meine Vorfahren getan haben, so würdet Ihr mich ebenfalls von diesem Karren treten. Ich kann es nicht erklären, aber diese Frau ist wichtig für die Ynorrer, und es sei nicht Eure Sorge, was ich als Anführer meines Ordens entscheide. Ich werde zurückgehen, und die Götter sollen entscheiden, was geschieht.“ Elisha seufzte und murmelte: „Ja, genau, die Götter …“ Dann sah sie zu Friga, die ihr zunickte, als würde sie sie ermutigen wollen, mich gehen zu lassen.
Dann wandte sie sich mir wieder zu, und in ihrem Gesicht war eine unterdrückte Verzweiflung zu sehen. Etwas schien nicht nach Plan zu laufen, und das verunsicherte etwas in ihr zutiefst. „Ynorrer, Ihr sagt, sie ist für Euren Orden wichtig, und das respektiere ich. Doch erwartet nicht, dass ich zurück zu ihr fahre. Das ist nun die Angelegenheit Eures Ordens. Ich kläre Euch hiermit auf, dass in den Nächten seit dem Krieg in unseren Landen bösartige Schattenmonster umherstreifen, die einst Menschen waren. Mögen Euch Euer Gott und Zyva vor ihnen bewahren, damit Ihr lebend in Tinarra ankommt. Folgt dieser Straße einfach immer weiter, dann solltet Ihr bis des Mittags des morgigen Tages dort ankommen.“
Ich machte eine kurze Verbeugung als anerkennenden Respekt und wandte mich der Klappe zu, die den Karren schloss. Ich hatte wieder ein paar Probleme, die Kette zu lösen, doch wieder half mir Eilana, öffnete für mich die Klappe und sah mir entschlossen und respektvoll ins Gesicht. Als ich dabei war, vom Karren zu steigen, hörte ich ein Gemurmel hinter mir und Elisha, die ernst sprach: „Eilana, was hast du vor? Setz dich hin!“
Ich saß auf der Kante des Karrenendes und drehte mich um. Dort stand Eilana mit ihrem großen Reisesack über die Schulter geworfen und mit geballter Faust. Ihre Muskeln spannten sich an, als sie trotzig Elisha antwortete: „Meisterritterin, ich denke, eine von uns sollte den Ynorrer begleiten, um sicherzustellen, dass er auch lebendig ankommt. Ich werde den kleinen Mann schon vor den Gefahren der Nacht bewahren.“ Ein Kichern ging durch den Karren, und ich schenkte dem Treiben im Karren keine weitere Aufmerksamkeit. Ob diese Frauen nun noch diskutieren wollen, ob eine mit mir geht, war mir gleich. Ich wusste, was mein Ziel ist, und das würde ich erreichen. Also sprang ich vom Karren, zog den Ring an meinem Finger fester und dachte an meine Schwester, die mit mir eine Bürde teilte, die größer war als wir beide zusammen. Ich zog mir dann noch meinen kleinen Reisebeutel über die Schulter und ging in Richtung des schwachen grünen Schimmers, der mir in diesem Meer aus schwarzen Wiesen den Weg wies.
Dumpf und schnaubend erklang es hinter mir, als Eilana vom Karren sprang. Wieder ertönte hart die Stimme von Elisha, die in den Innenraum des Karrens gegangen war: „Eilana, du wirst nicht mit dem Ynorrer gehen, es ist sein Problem, wenn er in die Nacht zu dieser Hexe geht. Wenn du jetzt gehst, war deine gesamte Arbeit, die du dir gemacht hast, umsonst, und ich muss dich aus der Armee ausschließen.“
Ich lief normal weiter, doch ich hörte die Worte Eilanas, die mich dazu brachten, anzuhalten und mich umzudrehen. Ihre Entschlossenheit, mit mir zu gehen, war so stark, dass ich es nicht mehr ignorieren konnte, und sie sprach zu Elisha: „Meisterritterin, werft mich aus der Armee, wenn Ihr wollt, aber dieser Mann ist ein Verbündeter unserer Göttin, und ich werde nicht zulassen, dass verbohrte Frauen, die denken, sie stünden über ihr, diesem Bündnis schaden. Also tut, was Ihr nicht lassen könnt, und fahrt endlich weiter.“
Elisha ballte die Fäuste, und ich spürte, dass sie eine enge Beziehung zu Eilana zu haben schien. Ich dachte hin und her, was es mir bringen würde, wenn Eilana mit mir käme. Doch was sollte ich sagen? Diese Frau war zwei Köpfe größer als ich, wenn sie mit mir gehen wollte, dann würde sie mit mir gehen, ohne zu fragen. Also entschloss ich mich, Elisha zuzurufen: „Meisterritterin, seht es nicht als einen Austritt aus unserer Armee. Seht es als erste Lehrstunde in Schattenkunde für Eure Rekrutin. Ich meine, ausbilden in diesen Techniken tue ich sie, ob nun hier oder in der Festung, macht doch keinen Unterschied. Habt ein Nachsehen, Ihr wisst, wie stark sie ist, das sehe ich Euch an. Also, Meisterritterin?“
Ich spürte, wie sich die Anspannung in Elisha durch meine Worte auflöste. Dann schüttelte sie den Kopf, sprang vom Karren und ging zu dem großen Waffenschrank, der an der Seite des Karrens befestigt war. Nahm ein schlichtes Schwert heraus und rief im militärischen Ton: „Rekrutin! Waffe!“ Eilana grinste, ließ ihren Reisesack fallen und marschierte auf Elisha zu. Als sie vor Elisha zum Stehen kam, legte sie die Hände an die Seite und stand kerzengerade, ohne einen Muskel zu bewegen. Diese Beherrschung des eigenen Körpers faszinierte mich, und Elisha sprach fest: „Rekrutin Eilana, Ihr erhaltet hiermit einen gesonderten Auftrag. Im Namen der Kaiserritterin und meinem werdet Ihr unter Einsatz Eures Lebens diesen Mann beschützen und nach Tinarra bringen!“ Eilana stampfte kurz mit dem Fuß auf und rief: „Jawohl, Meisterritterin!“ Dann nahm sie das Schwert, schob es in eine Schlaufe an ihrem Gürtel und wollte sich schon abwenden, als Elisha sie an sich zog und ihr etwas zuflüsterte, was ich nicht verstand. Die beiden Frauen nickten sich zu, und Eilana griff ihre Reisetasche, warf sie sich über die Schulter und kam auf mich zu.
Ich bemerkte noch, wie Elisha uns nachsah und der Karren im Dunkel der Nacht langsam in Richtung des unendlich wirkenden Horizonts verschwand. Eilana schlug mir auf die Schulter und sagte kichernd: „Nun denn, Priesterchen des Ynorr, lass uns schnell die Hexe holen, die so wichtig für Euch ist.“ Als sie mich Priesterchen nannte, setzte kurz mein Herz aus, denn so hatte mich sonst nur Ynthylla genannt. Es war, als hätte mir Ynorr eine neue Stütze gegeben, ohne dass ich sie gesehen habe. Ich nickte und wandte mich um und sah in der Ferne den grünen Schimmer, der jetzt, da das Fackellicht des Karrens weg war und nur das helle, weißgraue Mondlicht die Umgebung erhellte, deutlich aus dem schwarzen Meer der Wiesen hervortrat.
Wir gingen ein paar Schritte, und ich fragte dann meine neue Begleitung vorsichtig: „Eilana, sagt mir …“, doch ich konnte nicht zu Ende sprechen, da fiel sie mir mit ihrer markanten Stimme ins Wort: „Ich dachte, Ihr würdet gar nicht mehr fragen, kleiner Mann.“ Ich schmunzelte unsicher, ob sie es sehen konnte, und wartete gespannt auf ihre Erklärung. Sie seufzte, schaute zum runden, weißen Mond und verfiel in eine tiefe Melancholie: „Meine Mutter hat im Utlorter Krieg gekämpft, und ich wollte immer wie sie sein. So stark und selbstbewusst. Wie ein Fels, den nichts ins Wanken bringen kann, eine Kriegerin Zyvas, unerschütterlich in ihrem Glauben und ihrer Kraft. Doch als sie aus dem Krieg wiederkam, war sie gebrochen, hatte einen Arm verloren und redete kaum noch. Sie hatte nur ein Thema, wo ihre Augen erstrahlten wie an dem Tag, als sie fortzog in den Krieg, und das war, als sie von Euch Ynorrern erzählte.“
Ich war gleichzeitig verwundert als auch geehrt. Das erklärte natürlich, warum Eilana so ein Interesse an mir hatte und sagte, ich wäre ein Verbündeter ihrer Göttin. Ich meinte, eine Träne in ihrem starren Gesicht ausmachen zu können, als sie weiter sprach: „Sie erzählte Geschichten, wie Ihr aus den Schatten kamt wie Geister und dass Ihr mit Euren seltsamen Worten diese furchtbaren Kreaturen, die ihr den Arm kosteten, bändigen und vertreiben konntet. Immer wieder betonte sie, dass sie nicht zurückgekommen wäre, wenn die Männer und Frauen der Ynorrer sie nicht gerettet hätten.“ Ich seufzte und sagte mit einer fast erleichterten Stimme, als der kalte Wind mir durch die Haare fuhr: „Ich bin froh, das von Euch zu hören, Eilana. Als ich hier mit meiner Schwester ankam, hatten wir den Eindruck, dass es keine Dankbarkeit unter den Zyvianti gäbe für unsere Taten. Doch nun sehe ich, dass es doch auch Menschen gibt, die es sehen und schätzen.“ Eilana blieb stehen und begann herzlich zu lachen. Ich verstand nicht, warum sie lachte, aber ihre Heiterkeit erhellte die Umgebung mehr, als sie erahnte.
Ich wandte mich ihr zu und fragte, warum sie denn so lachen würde. Langsam fing sie sich wieder und sagte noch mit einem unterdrückten Glucksen: „Genau das hat Elisha zu mir gesagt, dass Ihr das sagen würdet.“ Ich zog verwirrt die Augenbrauen hoch, und Eilana schien meine Verwirrung zu genießen. Sie schulterte ihren Reisesack und sprach: „Ihr entsinnert Euch doch sicher, dass sie mir etwas zuflüsterte, als sie mir ihren Befehl gab.“ Ich nickte. „Nun, dort sagte sie mir, dass Ihr Euch sicher unwillkommen fühlt nach alledem und ich doch bitte dafür sorgen soll, dass sich das ändert. Nicht alle Zyvianti sind solche Hexen wie die, die Ihr retten wollt.“ Ich grinste, weil ich Elisha unterschätzt hatte. Sie hatte genau gemerkt, was mich antreibt und was passiert sein musste. Sie will kein Risiko eingehen, dass ich als Anführer der Ynorrer das Bündnis aufhebe und sie am Ende dafür verantwortlich mache. Ich schüttelte den Kopf, murmelte leise vor mich hin: „Hach, Zyvianti“ und ging dann weiter den Weg zu Tinsu. Eilana sagte noch schelmisch: „Ich habe Euer Murmeln gehört, Priesterchen, und ich werde mich daran erinnern.“ Ich lachte leise in mich hinein und dankte Ynorr für dieses Geschenk.
Als wir Tinsu näher kamen, war ein Röcheln zu hören, und immer wieder schien an ihrem Arm kurz ein helles Licht aufzuleuchten. Es kamen Worte aus ihrer Richtung, die nicht die normale Sprache der Zyvianti waren. Ich hatte einige Monate gebraucht, ihre Sprache zu verstehen, aber da selbst Eilana verwirrt in ihre Richtung schaute und es nicht verstand, schien es etwas anderes zu sein. Ich fragte Eilana, ob das normale Gebete der Priesterinnen seien, doch sie schüttelte nur den Kopf und legte ihre Hand an den Griff ihres Schwertes. Je näher wir Tinsu kamen, umso kälter wurde die Luft um uns. Es schien, als sauge sie mir und Eilana die Lebensenergie heraus, und das Röcheln und die zischenden Geräusche, die von ihr ausgingen, deuteten eher auf ein wildes, fauchendes Tier hin als auf einen Menschen.
Eilana beschloss, sich vor mich zu stellen, als wir nur noch ein paar Schritte entfernt waren. Aufgrund ihrer Körpergröße musste ich komplett in der Dunkelheit der Nacht hinter ihr verschwunden sein. Denn Tinsu wandte sich an Eilana und sprach mit einer fast kindlich wimmernden Stimme: „Ihr seid zurückgekommen, dafür werdet Ihr belohnt werden, Rekrutin.“ Dann hielt sie sich wieder den Arm, der im Schein des Mondlichts noch verdrehter wirkte als unter dem Flackern des Fackellichts des Karrens. Eilana streckte sich, nahm die Hand vom Griff des Schwertes und sagte spöttisch: „Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass ich wegen Euch hier bin?“ Sie trat einen Schritt zur Seite und enthüllte dadurch mich. Die Augen von Tinsu begannen gelb zu glühen, als sie mich anstarrte und sagte, eher fauchend als kindlich: „Was wollt Ihr hier? Hat es Euch nicht gefallen, wie diese Ketzerin mich vom Karren trat? Müsst Ihr mich noch begaffen kommen?“
Ich spürte einen Zorn in mir aufsteigen, als der gelbe Glanz in ihren Augen einsetzte. Ich konnte nicht erklären, woher dieser Zorn auf diese Farbe kam, aber er war tief in mir vergraben. Ich beschloss, aufgrund der Situation so ehrlich wie möglich zu sein, um ihr jegliche Argumentation zu nehmen, ich wäre unaufrichtig und würde ein Spiel spielen. Ernst sprach ich: „Ja, Priesterin, ich habe es genossen, als Ihr vom Karren gefallen seid, und der dumpfe Aufschlag Eures Körpers hat mir Freude bereitet.“ Plötzlich erlosch das gelbe Glimmen in ihren Augen, die zwar ihre gelbe Farbe zu behalten schienen, aber durch das schwache Mondlicht war es nicht wirklich zu erkennen. Ich meinte plötzlich einen Menschen dort auf dem Boden sitzen zu sehen und sprach weiter: „Jedoch der, den Ihr verspottet habt, hatte etwas dagegen, dass ich meinen wohlwollenden Gefühlen Eurem Schmerz gegenüber hingebe, und hat mir Schmerzen zugefügt. Ihr, Tinsu, seid von allen verlassen. Euer Volk will Euch nicht aufgrund Eurer Taten, ich hasse Euch, weil Ihr nichts anderes sehen wollt als Eure Welt und dafür unschuldige Menschen getötet habt. Doch er, der im Schatten flüstert, sieht in Euch etwas, was ich nicht sehen kann, doch seine Wege sind nicht die der Menschen.“
Als ich geendet hatte, war es still, und die Luft schien aufgeladen zu sein mit meinen Worten. Plötzlich brach ein Schluchzen und Weinen von Tinsu hervor, mit dem ich nie gerechnet hätte. Flüsternd, kaum hörbar, sagte sie in meine Richtung: „Ich kann sie hören.“ Dann grummelte ein paar Meter in der Wiese die Erde, und sie brach auf. Das Mondlicht warf seinen Schein auf drei Kreaturen, die sich nun langsam aus der Erde erhoben wie Maulwürfe.
Eilana zog sofort ihr Schwert, und ich legte meine rechte Faust in meine linke Hand. Das Symbol, dass die Stärke vom Schatten umhüllt wird. Die Kreaturen waren grotesk, und ein Gestank kam aus ihrer Richtung, der mich an die vielen Leichen erinnerte, die wir während des Krieges in den Sümpfen fanden. Sie schienen auf allen Vieren zu laufen und eine Art Buckel zu haben. Röchelnd und sabbernd kamen sie langsam auf uns zu, und als das Mondlicht ihr Gesicht traf, erkannte ich, dass es entstellte Menschen waren. Ihre Unterkiefer waren stark vergrößert, und die Zunge hing über diesen heraus. Die Nase eingedrückt und ein Auge groß, das andere winzig, fast wie ein Schlitz. Ich meinte, ein grauenhaftes Lachen von einer Kreatur zu vernehmen, als würden sie sich auf das Festmahl freuen, was hier vor ihnen stand.
Ich begann den Singsang des Ordens zu sprechen, während Eilana sich vor mich stellen wollte. Doch mit einer Handbewegung deutete ich ihr an, dass sie sich nicht vor mich, sondern vor Tinsu stellen sollte. Eilana nickte nur und schien mir zu vertrauen. Als sie bei Tinsu stand, klammerte diese sich an das Bein von Eilana und sagte immer wieder: „Ich kann sie hören.“ Immer wieder wiederholte sie diesen Satz, doch ich war so konzentriert in meinen Singsang, dass ich nicht fragen konnte, was sie meinte. Durch meine Worte wurden die Kreaturen angezogen, wie ich es beabsichtigte, und als sie kurz vor mir standen, wurde der Gestank, der von ihnen ausging, fast unerträglich. Einer der Kreaturen sprach mit einer so furchtbaren Stimme, dass die Worte sie noch grausamer klingen ließen. Denn sie sprach: „Ynorr ist nicht hier …“
Einen kurzen Moment stockte ich in meinem Singsang, und Eilana wurde sichtlich nervös. Doch entschlossen schaute ich zu den Kreaturen und sagte laut: „Ynorr ktaghn!“ Da schrie Tinsu auf einmal gellend auf, sodass die Kreaturen zusammenzuckten. Auch Eilana und ich hielten uns die Ohren zu, da ihr Schrei so hoch klang, dass er Glas hätte zerspringen können. Doch dann wurde die Szene von einem grünschwarzen Schimmer erhellt. Ich hörte Schritte hinter mir, war aber noch so in mein Gebet vertieft, dass ich mich nicht umdrehte. Ich sah nur im Augenwinkel, wie Eilana und Tinsu gebannt in die Richtung des Schimmers schauten und flüsterten: „Mutter?“ Was sahen sie nur? Ich starrte weiter gebannt auf die Kreaturen, als die eine sprechende fast in einem befehlenden Ton zu den anderen sprach: „Seine Tochter ist erwacht und sie ist mit diesen Menschen da …“ Winselnd und wie geprügelte Hunde zogen sich die Kreaturen zurück und vergruben sich in jenen Löchern, denen sie entstiegen waren.
Ich atmete schwer, nicht fähig, einen Muskel zu bewegen, als plötzlich Tinsu neben mir stand, ihre Hand auf meine Schulter legte und sprach: „Ynorrer, die Mutter Zyva hat uns gerettet.“
Ihre Worte klangen in meinen Ohren hohl und wertlos. Doch dann sprach Eilana: „Priesterchen, habt Ihr sie nicht gesehen, die Mutter?“ Ich atmete schwerer, während ich den Kreaturen nachsah, die nun komplett in der Dunkelheit des Bodens verschwunden waren. In mir brodelte ein Gefühl, dass ich ihnen gerne in den Boden gefolgt wäre. Weg von dieser Hand auf meiner Schulter und dieser Erscheinung in meinem Rücken. Ich wandte mich von Tinsu ab, denn ihre Berührung und ihre sanfte Stimme widerte mich an. Ich starrte in die Dunkelheit, die hinter mir war, und konnte nichts erkennen. Was war da hinter mir erschienen? Hätte ich mich doch umdrehen sollen, um es zu sehen? Die Kreaturen kannten, wie erwartet, meinen Herrn Ynorr, doch warum sagten sie, er wäre nicht hier und seine Tochter wäre erwacht? Ich begann auf den Ring an meinem Finger zu starren, wo das Antlitz der Ytalla eingeritzt war. Blitzartig kamen mir die Bilder von dem Wesen in mir hoch, was dafür sorgte, dass ich hier stand. Zusammen mit dieser Hexe und Eilana, und nun sagten sie, die, die im Krieg nie etwas tat, hätte hier eingegriffen?
Dann hörte ich die Stimme von Tinsu wieder, und ich hätte gewollt, ich könnte sie zum Schweigen bringen. „Ynorrer, ich weiß, es ist schwer, das Licht der Mutter zu sehen, wenn man es nicht gewohnt ist, doch seht, wie die Kreaturen verschwanden in ihrer Furcht vor Zyva.“ Ich ballte die Fäuste und presste die Zähne aufeinander. In mir kochte eine Wut, die ich nicht mehr halten konnte. Ich wandte mich zu ihr um, sodass meine Robe im Abendwind wehte, ging auf sie zu, um nach ihr zu greifen, doch Eilana hielt mich zurück, indem sie ihre Hand auf meine Brust legte und ernst sprach: „Priesterchen, denkt daran, was Elisha sagte, sie ist es nicht wert.“ Damit hatte sie zwar mein Vorpreschen gestoppt, aber meinen Mund konnte sie nicht aufhalten, der zornig auswarf: „Was habt Ihr gesehen, Tinsu?! War es Eure Göttin mit brennenden Haaren und dem orangefarbenen Goldkleid? Oder eher eine Erscheinung mit weiß leuchtenden Augen, einem grünschwarzen Licht und schattenartigen Fortsätzen an Kopf und Armen? Sagt es mir, habt Ihr das hier gesehen?“
Ich hielt ihr meinen Ring vor das Gesicht, der die Ytalla zeigte. Nichts als ein verwirrtes Gesicht bildete sich bei ihr, und ich fuhr fort: „Habt Ihr gehört, was die Kreaturen sprachen? Dass Ynorr nicht hier wäre, aber seine Tochter erwacht ist?“ Da ging sie einen Schritt zurück und sagte mit ihrer kindlich wirkenden Stimme: „Die Kreaturen haben etwas gesagt?“
Ich zuckte kurz zurück und schaute zu Eilana, die mich sorgenvoll anschaute und fragte: „Was meint Ihr damit, die Kreaturen hätten gesprochen? Sie haben doch nur gefaucht und gegrunzt?“ Ich schaute zu Tinsu zurück, die nun ein leichtes Grinsen auf dem Gesicht hatte, was sich für mich anfühlte, als würde sie sich für das halten, was sie auch tatsächlich war – überlegen. Sie hielt sich zwar ihren Arm, aber ihr Wahn hatte ihr wohl sämtlichen Schmerz ausgetrieben, und jetzt, wo sie die Erscheinung gesehen hatte, brannte dieses Feuer in ihr stärker als zuvor. Eilana stellte sich zwischen uns, doch sie hauchte nur ein eiskaltes: „Tritt zur Seite.“
Ich spürte den Konflikt in Eilana und wollte sie nicht weiter belasten und ging selbst einen Schritt auf Tinsu zu. Ihr Gesicht hatte einen mütterlichen Ausdruck, der Sorge vermittelte, aber etwas in ihr erfüllte meinen Körper mit so einer Kälte, dass es der Kälte und dem Dunkel des Todes ähnlich war. Sie streckte ihre Hand nach mir aus und sagte: „Ynorrer, Ihr hattet eine lange Reise, der Krieg und das Ende Eures Abtes haben ihre Spuren auf Eurer Seele hinterlassen.
Erkennt, dass Zyva mit ihrem Licht die Kreaturen vertrieben hat, und sie wird auch die Stimmen, die Ihr hört, vertreiben.“ Diese Schlange, tat sie jetzt so, um mich selbst an meinem Glauben zweifeln zu lassen? Oder hatte sie es wirklich nicht gehört und sah mich nun verwirrt und verängstigt an? Meine Seele schien zu zittern, und ein Gedanke jagte den nächsten. Stimmen aus den Schatten schienen nach meinem Verstand zu greifen. Töne und grässliche Klänge durchzogen meinen Kopf, obwohl es absolut still um uns herum war.


Meine Arme zitterten, und ich fiel auf die Knie, klammerte mich an den Arm von Eilana, die mich stützte. Wie konnte Ynorr zulassen, dass diese Hexe ihn so verdrehte? Wo bist Du? Eine Frage, die mein Innerstes erschütterte. Ich fühlte mich auf einmal verlassen und allein und dachte mir, dass sich so die Priesterinnen der Zyva im Krieg gefühlt haben mussten.
Eine Leere, ähnlich einem dunklen Loch, breitete sich in meinem Herzen aus, und ich schrie in den Nachthimmel: „Ynorr, Ynorr, ktaghn ketachna Regorsol?“ Was ich da sprach, war in der alten Sprache und bedeutete in der allgemeinen Sprache der Welt: „Ynorr, warum hast Du mich verlassen?“ Meine Verzweiflung wurde so groß, dass sich meine Augen mit Tränen füllten, und Eilana mich anhielt, mich hinzulegen. Sie nahm ihre Decke aus dem Reiserucksack und legte sie über mich, und das Letzte, was ich sah, als mein Bewusstsein in die Dunkelheit überging, war Tinsu und ihre Robe, die auf einmal zu leuchten begann.
Sie sprach noch die Worte: „Mutter, erleuchte die Dunkelheit und vergib Deiner Tochter, doch dieser Mann muss geheilt werden.“ Daraufhin erhellte ihre Robe in einem so grellen Licht, dass ich mir reflexartig die Hand vor das Gesicht hielt und sah, wie der Ring, den mir mein Abt überlassen hatte, zu Staub zerfiel. Dann, zerrissen von alldem, verlor ich das Bewusstsein.
Die Dunkelheit umfing mich, und es war ein Raum aus purem, kaltem Nichts. Doch plötzlich mischte sich in dieses Nichts ein tropfendes Geräusch, und der Ton, der durch den Tropfen verursacht wurde, schien in einer großen Halle oder Höhle widerzuhallen. Langsam verzog sich die Dunkelheit, und ich erkannte meine Hände und den Rest meines Körpers wieder. Ich lag auf einem grauen, felsigen Boden. Viele Spitzen aus grünschwarzem Stein ragten aus dem Boden oder der Decke der Höhle, in der ich mich befand. Ich blickte mich um und hörte das Rauschen eines Wasserfalls und sah metallene, große Kohlepfannen, die mit einer grünschwarzen Flamme brannten. Als ich nach oben blickte, erkannte ich eine große Kuppel über mir, gebaut aus dem schwarzen, holzartigen Gestein. Doch auf dem Gestein war etwas in einer Sprache geschrieben, die ich nicht entziffern konnte.
Dann kam ein Dröhnen von der Wand vor mir. Diese Wand wirkte seltsam wabernd und weniger wie Stein, eher wie ein kristallines Gebilde aus Spitzen und Quadern. Ein grünschwarzer Nebel schien in ihnen zu wabern, und als ich mich auf dieses Gebilde konzentrierte, schien es, als könnte ich jemanden oder etwas in eben jenen kristallinen Steinen erkennen. Es wirkte wie ein Mensch, aber auch seltsam verzerrt. Das Dröhnen wurde deutlicher, als würde etwas versuchen, aus diesen Steinen zu entkommen und von der anderen Seite dagegenhämmern. Ich erhob mich zitternd und fragte mich, wo ich hier war, und drehte mich um, um vielleicht etwas zu sehen, was mir bekannt erschien. Wo waren Eilana und Tinsu? Ich schaute auf meine Hand und erinnerte mich noch daran, wie der Ring zu Staub zerfallen war.
Dann flüsterte eine Stimme aus der Richtung des kristallinen Gebildes: „Ythul …“ Ich drehte mich geschockt um, denn sie war so warm und väterlich für meine Ohren, dass ich schon meinte, die Stimme von Ynaran zu hören. „Ythul …“, erklang es wieder aus der Richtung, und ich meinte, dass an der Kreatur im Stein ein kurzes Leuchten zu erkennen war. Zitternd fragte ich: „Wer bist du?“ Als die Stimme dann antwortete, fiel ich auf meine Knie und drückte meine Stirn gegen den steinigen Boden. „Ich bin der Schatten und der, der alles gleich macht und ungleich hält.“ Es gab nur eine Entität, die das von sich sagte, und ich wurde mir bewusst, dass ich in der näheren Gegenwart von Ynorr selbst war. Bin ich gestorben und nun hier, um vor ihm in die Schatten überzugehen? Mit bebenden Lippen fragte ich: „Was möchtest du von mir?“
Wieder durchzog ein Dröhnen die Höhle, und der steinige Boden erzitterte unter mir, als die Stimme wieder sprach: „Advarr, der gelbe Schrecken, hat die Töchter von Zyva unter seinem Joch, und sie schreien nach Erlösung. Du wirst hingehen und sie befreien, auf dass sie die Wahrheit sehen, die in der Dunkelheit liegt, und sie das Licht sehen, was die Wahrheit ist.“ Plötzlich brach ein Loch in das Kuppeldach, sodass ein großer Teil des schwarzen Gesteins auf den Boden krachte und Staub aufwirbelte. Ich erschrak aufgrund des lauten Getöses und wich zurück, schaute mich um und fragte in meiner Verzweiflung: „Wie soll ich das tun? Du hast mir alles genommen, und nichts ist mir geblieben. Der Ring, der deine Tochter zierte, ist im Lichte Zyvas zerfallen, und ich bin für sie mehr ein Feind als ein Retter.“
Augenblicklich verstummte das Dröhnen, und es war, als würde die Zeit sich zurücksetzen. Das herausgebrochene Teil der Kuppel setzte sich Stück für Stück wieder zusammen, bis es wieder vollständig geschlossen war, und die Stimme sagte eindringlich zu mir: „Der Ring war ein Gefängnis für deinen Verstand, die Gesetze der Menschen sind Fesseln, die du ablegen musst, und dein Wille ist zu kurz, um das Ganze zu sehen.“ Mein ganzer Verstand erzitterte unter der Strenge dieser Worte, aber ich spürte auch eine Entschlossenheit in mir erwachen, die mein Herz zu umfassen schien. Dann umhüllte ein Strudel aus grünschimmerndem Wasser meinen Körper, der mich hochhob. Ich schwebte in der Luft und vernahm noch die Worte: „Folge nicht den Gesetzen der Menschen, folge meinem Willen.“ Und als der Satz geendet hatte, wurde ich durch einen Sog in meinem Rücken in ein dunkles Loch gezogen, und kurz war absolute Stille.
Dann riss ich die Augen auf und schaute in das sorgenvolle Gesicht von Eilana. Die Umgebung, noch durch das Licht von Tinsus Robe erhellt, schreckte ich hoch und starrte auf meine Hand, an der der Ring war, und hörte dann die Stimme Tinsus: „Das Licht Zyvas hat Euch befreit, Ynorrer.“

Ich schaute in ihre gelben Augen, die eine seltsame Zuversicht ausstrahlten. Ihre Worte hallten in meinem Kopf nach, genauso wie die Worte Ynorrs. Doch die Tatsache, dass mein Verstand geordnet war und ich nicht matt und schlapp wurde wie auf dem Karren, verwunderte mich, und ich suchte nach einer Erklärung. Das Licht von Tinsus Robe lag wie eine leuchtende Kuppel über uns und mag etwa den Umkreis von zehn Schritten erhellt haben. Am Horizont kündigte sich schon die Sonne an, und ich fragte zu Eilana gewandt: „Wie lange war ich denn bewusstlos?“ Eilana grinste und sagte: „Priesterchen, Ihr habt wohl die ganze Nacht geschlafen, und ich musste mich mit dem Geschwätz dieser Priesterin allein stellen. Wer weiß, was sie mit Euch getan hätte, wenn ich nicht da gewesen wäre.“ Ihre Worte legten sich wie ein beruhigender Mantel um meinen Verstand, und ich spürte, wie meine Mundwinkel kurz zuckten. Dann sah ich wieder zu Tinsu, deren Robe langsam ihr Licht wieder verlor, und auch die Schmerzen in ihrem Arm schienen zurückzukehren. Denn sie reagierte zwar mit einer abfälligen Geste auf Eilana, aber ihr Gesicht war verzogen von Schmerz.
Etwas hatte sich in mir verändert, denn der unbändige Hass auf diese Frau war gewichen, und ich sah durch die Worte Ynorrs in ihr ein Opfer dessen, den er Advarr nannte. Ich hatte noch nie von diesem Namen gehört, aber ich beschloss, zu versuchen, Tinsu zu helfen, und sagte: „Priesterin, ich sehe Euren Schmerz. Wenn es wirklich Zyva war, die all das hier vollbrachte, so lasst meinen Herrn Euch doch als Dank die Schmerzen Eures Armes erleichtern.“ Sie schaute misstrauisch zu mir und fragte: „Wie wollt Ihr das als Mensch anstellen? Meine Göttin hat entschieden, mich die Schmerzen fühlen zu lassen, sonst hätte sie mich längst geheilt. Es ist uns nicht gestattet, Heilungen zu erzwingen.“ Eilana lachte auf und sagte spöttisch: „Es ist auch jungen Priesterinnen wie Euch nicht gestattet, das Feuer Zyvas anzurufen, und dennoch habt Ihr es getan. Also ziert Euch nicht, Hexe, jetzt zählt nur, dass wir Euch auch nach Tinarra bekommen, und glaubt mir, ich trage Euch bestimmt nicht.“ Sie wollte etwas antworten, aber die Worte blieben ihr im Halse stecken, als sie meinen Blick traf. Es schien sie wieder ein tiefer Schmerz zu durchziehen, denn sie zog die Augen zusammen und atmete schwer.
Ich wandte mich ihr zu und bot ihr erneut an, ihr zu helfen. Da fragte sie zitternd: „Wenn ich auch nur einen Moment merke, dass Ihr mich verhext, werdet Ihr dafür brennen, Ynorrer.“ Ich schüttelte den Kopf, setzte mich vor sie und griff mit meinen Händen nach ihrem Kopf. Ich richtete ihren Blick so aus, dass sie mir direkt in die Augen sah. Eilana sagte kichernd: „Ihr wollt sie doch jetzt nicht etwa küssen, Priesterchen?“ Ich musste kurz glucksen und sprach: „Nein, große Frau, aber in unseren Augen finden wir die Seele, und wenn die verletzt ist, haben wir Schmerzen. Heile ich die Seele, hat sie keine Schmerzen mehr.“ Eilana verschränkte die Arme und beobachtete mich genau. Mein Kommentar, als ich sie große Frau genannt habe, schien ihr gefallen zu haben, und selbst Tinsu bekam in ihrem schmerzverzerrten Gesicht ein Lächeln zustande.
Als ich meinen Blick auf ihre Augen fokussierte, sagte ich zu ihr, dass sie mir nachsprechen solle: „Der Geist herrscht über das Fleisch.“ Wir sprachen das gemeinsam eine Weile, bis es zu einem Singsang wurde, der die Umgebung erfüllte. Als ich plötzlich in ihren Augen ein kleines Mädchen sah, das wohl Tinsu in sehr jungen Jahren war. Es kauerte in der Dunkelheit und weinte. Während Tinsu den Singsang weiter sprach, konzentrierte ich mich auf das kleine Mädchen in ihren Augen und fragte es in Gedanken: „Warum weinst du, schönes Mädchen? Es gibt keinen Grund, schau, wie schön du bist, ist das nicht ein Grund zu lachen und zu tanzen?“ Dann schaute das Mädchen durch die Augen auf und sprach zu mir: „Aber ich bin verletzt und ich habe Angst vor Euch.“ Dann legte ich meine Hand auf den Arm von Tinsu und sprach zu dem Mädchen: „Dein Arm ist stark und kräftig, ich fühle es. Es ist okay, dass du Angst vor mir hast, aber ich weiß, wie Tanzen die Angst vertreibt. Möchtest du mir zeigen, wie du tanzen kannst?“ Das Mädchen in Tinsus Augen erhob sich und begann stolz zu tanzen und lächelte, wie ich es mir bei der Tinsu, die ich kannte, nicht vorstellen konnte. Dann löste ich meinen Griff um Tinsus Kopf und sah, wie eine Träne aus ihrem Auge lief. Sie stoppte langsam mit dem Singsang, und ich sah, wie sie der Schmerz verlassen hatte.
Doch dieser Moment sollte nur flüchtig sein, denn sie wischte sich die Träne aus dem Gesicht und brachte kein Wort des Dankes hervor. Nur die Erwähnung, wie Zyva alle ihre Kinder befähigen würde, entkam ihr, und Eilana schüttelte nur den Kopf. Doch ich sah in diesem kurzen Moment, dass das, was die Stimme Ynorrs mir sagte, eine Wahrheit enthielt, die ich noch nicht begreifen konnte. Ich stand auf, strich die Falten meiner Robe glatt und atmete die Morgenluft ein. Ein Wind zog von Süden über die Wiesenlandschaft und trug einen Hauch von Yren hierher. Ich, der erst verlassen war, fühlte in meinem Inneren, dass etwas mich zwar verlassen hatte, aber auch etwas zu mir durchdrang, was vorher nicht möglich war. Wieso bezeichnete Ynorr den Ring meines Abtes als Gefängnis für meinen Verstand? Ich grübelte darüber nach, als Eilana mir neckisch auf die Schulter schlug, sodass es mich beinahe umwarf, und sagte: „Priesterchen, Ihr habt vielleicht Ruhe gefunden, aber ich und diese Hexe da sollten einen Moment des Schlafes finden, sonst müsst Ihr über uns beide wachen, wenn wir in die Wiese fallen.“ Sie schien unabsichtlich ihre Worte mit einem Gähnen zu betonen, und ich realisierte, wie viel Zeit vergangen sein musste. So schüttelte ich mich, als würde ich meine Fragen zunächst verdrängen, und wir drei folgten dem Weg, wie Elisha es gesagt hatte.


© Peethulhu


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Beschreibung des Autors zu "Apostolykta, Die Reise des Ythul (Kapitel 1)"

„In einer Welt, in der Frauen über Stärke gebieten und Schatten Geheimnisse flüstern, beginnt Ythuls Reise. Ein rätselhafter Brief seines Meisters treibt ihn und seine Schwester Ynthylla in die fremden Lande der Zyvianti – doch als die Geschwister getrennt werden, steht Ythul allein vor einem Tor, das ihn in eine unheimliche Bestimmung führt. Begleitet von misstrauischen Kriegerinnen und einer Priesterin mit dunklen Geheimnissen, rollt sein Karren in die Nacht – getrieben von einem Ring, der vibriert, und einer Heimat, die er verloren glaubt.




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