Die Story von Javis Orion oder Das Paradies der Cyborgs

In einer weit, weit entfernten Zukunft.

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Ein gigantisches interstellares Raumschiff bricht von der Erde auf, um in den Weiten eines unendlichen Alls nach neuen, bewohnbaren Planeten zu suchen.
Das Sternenschiff wird von widerstandsfähigen Cyborgs gesteuert, einem „kybernetischen Organismus", der nur noch zum Teil aus organischer und zum größten Teil aus superelektronischer Natur besteht.

Die menschliche Besatzung liegt wohlbehütet in einem Kälteschlaf. Sie wird erst wieder geweckt, wenn die kybernetische Besatzung einen Planeten mit der Existenz von Leben entdeckt hat.

Endlich findet man einen erdähnlichen Planeten in einem Quadranten der Andromedagalaxie, den die Cyborgs Thudoor I nennen, der unter der Leitung von Javis Orion, einem Cyborg der Klasse I, nach entsprechender Vorbereitung, ausgiebig untersucht wird. Eine kleine, menschliche Crew, die aus dem Kälteschlaf geholt wurde, begleitet den Cyborg.

Er findet später eine seltsame Höhle, die in der Vergangenheit mal von einer uralten Zivilisation in Form einer Kathedrale erbaut worden ist und offenbar über einen versteckten Zugang zu einer Welt verfügt, die von dieser ehemaligen Kultur selbst geschaffen worden ist, die alle Merkmale eines Paradieses aufweisen.

Auch in den Tiefen des Gedächtnsspeichers von Javis Orion ruhen ähnliche Vorstellungen von einem Paradies, die ihm seine menschlichen Erbauer als unverrückbare Erinnerungen für immer mitgegeben haben.


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Der Cyborg Javis Orion hatte die Felsenkante des steinigen Plateaus erreicht und blickte mit seinen Sehkraft verstärkten Augen tief hinab auf den im Schatten liegenden Grund der Schlucht direkt unter ihm. Wegen der aufkommenden Dämmerung sah er zuerst nur sehr wenig. Deshalb regulierte er nochmals die Iris seiner Augen, um den Lichteinfall zu vergrößern.

Da war etwas, besser gesagt: das, was von dem gefräßigen Sandwurm noch übrig geblieben war.
Umgeben von einer riesigen Lache getrockneten gelb-grünen Blutes, faulte der zerfetzte Kadaver des Ungeheuers vor sich hin und erinnerte den künstlichen Menschen daran, von hier oben bloß nicht in den gähnenden Abgrund zu fallen. Deshalb trat er auch nicht zu nah an die Kante des überhängenden Vorsprungs heran und machte vorsichtig ein paar Schritte zurück. Auf gefährlichen Expeditionen wie dieser war Sicherheit das oberste Gebot. Aber der Cyborg setzte sich immer wieder darüber hinweg, was wohl an seiner Programmierung liegen musste, die erst vor einigen Monaten vom Quantencomputer seines Raumschiffes ein Update erfahren hatte.

Der künstliche Mensch dachte seltsamerweise weiterhin über einen Sturz vom Plateau nach. Sein enorm stabiles Skelett aus Titan würde den Aufschlag wohl locker standhalten, aber vielleicht nicht seine empfindliche Mikroelektronik, wenngleich auch permanent geschützt, und schon gar nicht sein dem menschlichen Fleisch nachempfundenes synthetisches Gewebe, das zwar elastisch wie Gummi war, aber so einen Fall aus großer Höhe auch nicht schadlos überstehen würde.

Nun ja, das Land von Thudoor I, wie sie den Planeten jetzt nannten, war in der Tat ein hartes Land. Ein Land, in dem das Leben für jede Kreatur anstrengend und gefährlich war.

Die Stein- und Sandwüsten wurden nur an wenigen Stellen von grünen Oasen unterbrochen, die von tief versteckten Wasserquellen dem äußerst kargen Boden etwas Leben eingehaucht bekamen. Die kleinen Flüsse führten nur wenig Wasser mit sich. Sie hatten deshalb auch nicht die Masse und die Kraft in die weiten, offenen Wüsten vorzudringen, weil ihr Wasser auf seinem Weg durch das trockene Land entweder verdunstete oder einfach im endlos erscheinenden Sand versickerte. Aber dort, wo es wieder zutage trat, bildete es kleine Seen mit einer üppigen Flora und Fauna, was an sich schon ein Wunder in dieser kargen Landschaft des Planeten war.

Der Cyborg hatte sich schon manchmal gewünscht, er wäre weiter im Norden des Kontinents geblieben, wo der Winter so mild war, dass die Bäume immer grün blieben und das Überleben für die wenigen primitiven Ureinwohner von Thudoor I keine allzu großen Schwierigkeiten machte.

Javis Orion dachte darüber nach, dass selbst in der Wüste, wo es genug Feuchtigkeit im Boden gab, sogar Bäume wachsen konnten und nicht nur niedriges Dornengestrüpp, trockene Gräser oder sparsame Kakteen, die ihr kostbares Wasser speicherten.

Auf der Erde des Menschen hatte es ja ähnlich aussehende Wüsten gegeben, die aber im Laufe der zurückliegenden Jahrtausenden alle urbar gemacht worden sind. Hier auf Thudoor I war die Natur jedoch noch in einem gewissen urzeitlichen Zustand, der man bestimmt mit Hilfe der Gentechnik gezielt auf die Sprünge helfen konnte, wie er für sich sinnierte.

Der Cyborg hatte sich, wie so oft schon vorher, auf eigene Faust von seiner gut ausgerüsteten Expeditionskarawane entfernt, die an einem kleinen See ganz in der Nähe rastete. Er stand aber über Funk mit der Crew permanent in Verbindung, die somit immer genau wusste, wo er gerade steckte.

Der Planet Thudoor I war tatsächlich an vielen Stellen unberechenbar und äußerst gefährlich. Hier in der gewaltigen Wüste, die für Menschen der reinste Albtraum war und kein Ende zu nehmen schien, gab es äußerst gefährliche Bestien, die nur darauf warteten, dass ihnen Nahrung aller Art über den Weg lief. Sie waren nicht unbedingt wählerisch und fraßen alles, was aus Fleisch und Blut in diesem kargen Land herumlief.

Die im heißen Sand der Wüste lebenden Monsterwürmer gehörten ebenfalls zu den fressgierigen Räubern und eines dieser ekelhaften Exemplare muss wohl bei der Jagd unbeabsichtigt in den schwindelerregenden Abgrund gestürzt sein.

Der Cyborg wusste von diesen gefährlichen Viechern nur, dass sie ihr einmal anvisiertes Opfer gnadenlos jagten und nicht eher davon abließen, bis es vor totaler Erschöpfung einfach aufgab und sich freiwillig fressen ließ. Manchmal gerieten diese Sandwürmer dabei in eine Art von blutrünstiger Raserei, die einem Drogen ähnlichen Zustand ähnelte und sie zu echten Berserkern werden ließ. Dann fielen sie sogar über ihre eigenen Artgenossen her und fraßen sich gegenseitig auf, was ziemlich häufig vorkam. Trotzdem gab es von diesen entsetzlichen Kreaturen mehr als genug davon auf Thodoor I.

Gegen einen Cyborg wie ihn hatten sie allerdings keine Chance. Sein fürchterliches Strahlengewehr, ein Hochenergie Impuls Werfer und eine schwere Laserpistole, waren überaus wirkungsvolle Verteidigungsinstrumente und ihr gebündelter Energiestrahl konnte sogar hartes Felsgestein wie Butter durchschneiden.

Javis Orion wandte sich von seinen Gedanken ab und warf einen Blick hinter sich. Offenbar war die Crew in ihre Zelte gekrochen, um sich vor der aufsteigenden Sonne zu schützen, die sehr heiß werden konnte. Temperaturen bis zu 60 Grad im Schatten waren in dieser Wüste keine Seltenheit.

Der kleine Hain, wo ganz in der Nähe auch die Zelte standen, spendete zusätzlich noch wohltuenden Schatten.

Der ruhige Oasensee diente einigen Mitgliedern der Crew als willkommenes Badewasser, obwohl es nicht ganz ungefährlich für Menschen war, sich darin zu tummeln, denn manchmal kamen die Sandwürmer auch hier hin, um ihren immensen Durst zu stillen. Genau aus diesem Grunde hatte man vorsorglich rund um das kleine Camp auch vollautomatische Laserkanonen leichter Bauart aufgestellt, die alle mit ihren empfindlichen Bewegungssensoren ständig die Umgebung absuchten und auf alles Unbekannte schossen, was sich in ihrer Nähe bewegte oder der aufgebauten Zeltansammlung zu nahe kam.

Der Cyborg drehte sich wieder um und folgte mit seinem Blick dem zu seinen Füßen liegenden Flussverlauf, der sich irgendwo in der tiefen Schlucht vor ihm verlor.

Plötzlich stutzte er.

Von seinem hohen Standpunkt aus machte es den Eindruck, als habe jemand mit einem gewaltigen Schwert das Flussbett durchgeschnitten und einen Teil davon einfach weggenommen. Doch bei genauerem Hinsehen erkannte der Cyborg, dass es eine uralte Mauer war, die an der betreffenden Stelle schnurgerade das flache Flussbett durchzog. Auf diese Art und Weise wurde das ankommende Wasser zu einem kleinen See gestaut, der rundherum von mannshohen Gräsern, dichtem Gebüsch und sogar einigen Bäumen gesäumt wurde.


Fasziniert von dem ungewöhnlichen Anblick stieg der Cyborg Javis Orion im Laufschritt vom felsigen Plateau, erreichte schon bald, wenngleich auch auf Umwegen, den Rand des aufgestauten Flusswassers, wo kleine Wellen plätschernd ans flache Ufer schwappten.

Schon kurze Zeit später stand er auf der Krone der Mauer, die überall von glitschigem Moos überwuchert wurde.

In unmittelbarer Nähe der Mauer war das Wasser so trübe, dass man die Steine darin nicht sehen konnte. Ein unbehagliches Gefühl entstand in seinem künstlichen Gehirn, als ihm schlagartig bewusst wurde, dass er eigentlich von nur zwei Elementen umgeben war: dem angestauten Wasser und der Luft um ihn herum.

An einigen Stellen schwappten die Wellen über das von unbekannten Kreaturen erschaffene Bauwerk, die auf der anderen Seite der Mauer als Wasserschwaden in die Tiefe rauschten. Zum Glück war die Krone der Mauer so breit, dass Javis Orion bequem und sicher darauf gehen konnte und trotz der vielen glitschigen Stellen einen sicheren Stand hatte.

Plötzlich hallte ein lautes Kreischen von den Wänden der Schlucht wider. Es war ein äußerst lautes, durchdringendes Geräusch, das durch das vielfach gebrochene Echo von allen Seiten zu kommen schien.

Der Cyborg machte eine Drehung nach links und schaute hinüber zur Schlucht. Von hier aus konnte er auch das Plateau sehen, auf dem er zuvor gestanden hatte.

In diesem Augenblick schwappte eine Welle erneut über die moosbewachsene Mauer und verwandelten sie in einen doppelt rutschigen Teppich. Javis Orion glitt ein wenig nach vorne, verlor aber auf einmal den Halt und versuchte, sich mit den Händen irgendwo festzuhalten. Doch er fand keine geeignete Stelle, rutsche von der Mauer runter und stürzte ab.

Nach einem endlos scheinenden Fall durchbrach sein Körper krachend die morschen Äste eines ziemlich alten Baumes und blieb schließlich weiter unten auf einem mit Pflanzen bewachsenen Vorsprung liegen, der weit aus der steinernen Wand hervor ragte.

Eine Weile später rappelte sich der Cyborg wieder hoch und kontrollierte umgehend seine Funktionen. Offenbar war ihm weiter nichts passiert, außer ein paar Kratzer an den Händen und im Gesicht, die aber schnell wieder heilen würden. Sein reißfester Anzug, an allen Gelenken zusätzlich noch gepolstert, hatte ihn vor schlimmeren Verletzungen bewahrt.


Wieder hörte er das Nerven zerreißende Kreischen. Diesmal tönte es noch lauter und länger als zuvor. Fast schien es so, als vermischten sich verschiedene Schreie in unterschiedlichen Tonhöhen ineinander.

Erneut warf er einen Blick nach unten in die Schlucht und fokussierte abermals den verendeten Sandwurm von seiner aktuellen Position aus. War das Ungeheuer etwa noch am Leben und stieß jetzt noch seine letzten Todesschreie aus?

Das war allerdings unmöglich. Der Sandwurm war tot, das hatte er vom Plateau aus genau gesehen. Obwohl er sich abolut sicher war, blieben doch einige Zweifel, die ihn zur Vorsicht mahnten.


Dann erblickte er zu seiner großen Überraschung gleich mehrere dürre Gestalten, die sich um den verendeten Sandwurm herum versammelt hatten und fast wie Menschen aussahen, nur viel kleiner. Ihre Kleidung starrte allerdings vor Dreck, die aus einer Art Kutte bestand. Ihre klauenförmigen Hände gruben sich tief in das Fleisch des Tieres ein und rissen ganze Stücke heraus. Zwei der Kreaturen fingen plötzlich an zu schreien. Offenbar waren sie aneinandergeraten und schlugen jetzt mit dicken Knüppel aufeinander ein.

Eine andere Gestalt hielt einen großen Brocken Fleisch in der Hand, das wie eine Zunge aussah. Sein Gegenüber zerrte ebenfalls daran. Unerwartet ließ er aber das längliche Fleischgebilde wieder los, schnellte plötzlich nach vorne und riss seinem Kontrahenten blitzschnell die schützende Kapuze vom Kopf, der sogleich einen fürchterlichen Schrei von sich gab, als hätte man ihn enthauptet.

Der Cyborg war überrascht. Der Schädel dieser hässlichen Kreatur ähnelte einem Totenschädel, der nur von grauer, rissiger Haut umhüllt zu sein schien.

Wieder schrie jemand. Doch diesmal klang es panisch und voller Furcht. Es kam ihm fast so vor, als hätten die armseligen Kreaturen dort unent auf einmal Todesangst, denn sie stoben plötzlich nach allen Seiten davon und rannten auf einen dunklen Höhleneingang zu, der ganz in ihrer Nähe lag.

In diesem Moment sauste etwas in das Gesichtsfeld des Cyborgs, von dem er nicht in der Lage war, es gleich einordnen zu können. Erst beim näheren Hinschauen erkannte er, was es war.

Das Fluggerät – etwas anderes konnte es kaum sein – sah sehr klobig aus und hatte nur entfernte Ähnlichkeiten mit einem modernen Flugzeug. Es bestand aus einem dunklen, fast schwarzen Material, das alles Tageslicht zu schlucken schien. Im nächsten Augenblick flog es eine enge Schleife und nahm Kurs auf die verdreckten Kreaturen, die sich jetzt ängstlich hinter einigen hohen Felsen versteckt hielten. Der Höhleneingang lag noch zu weit weg. Ein abgehacktes Geräusch mischte sich in das Dröhnen der Düsenmotoren. Dann schossen kleine Raketen unter der Tragfläche hervor und dort, wo die Projektile einschlugen, gab es heftige Explosionen, die den Boden erzittern ließen.

Mit einem Schlag wurde es wieder ruhig – bis auf das Heulen der Turbinen des Fluggerätes. Es kreiste noch eine Weile über der Schlucht, machte aber keine weiteren Anstalten, einen erneuten Angriff zu starten.

Javis Orion dachte an die Sicherheit seiner Crew, die hinter dem Plateau in der Oase ihr Lager aufgeschlagen hatte. Wenn der Pilot des unbekannten Flugobjektes sie entdecken würde, wäre es aus mit ihnen.

Er entschloss sich dazu, das Fluggerät mit seinem Hochenergie Impuls Werfer abzuschießen, hielt augenblicklich den Werfer im Anschlag und drückte ab. Doch die rasend schnelle Energiekugel verfehlte ihr fliegendes Ziel und verpuffte ins Leere.

Als hätte ihn der Pilot gesehen, nahm das schwarze Ding prompt Kurs auf seinen Standort und schoss gleichzeitig mehrere MG-Salven ab. Die ersten Schüsse gingen daneben. Einige Sekunden später schlugen dann neu abgefeuerte Projektile ein und rissen große Löcher rechts und links von dem Cyborg in die moosbewachsene Felsenmauer. Es grenzte an ein Wunder, das Javis Orion nicht getroffen wurde.

Das Fluggerät beschrieb jetzt einen weiten Bogen und kam kurz danach wieder zurück.

Der Cyborg berechnete in Sekundenbruchteilen die Flugbahn des Angreifers und schoss erneut. Die gebündelte Energiekugel traf direkt die Steuerkanzel der Maschine und im gleichen Moment explodierte der ganze vordere Rumpf. Dann brachen die Tragflächen des Flugobjektes laut krachend auseinander.

Eine lange Rauchfahne hinter sich herziehend stürzten die brennenden Reste des Flugzeuges in die zerklüftete Schlucht, wo sie an verschiedenen Stellen mit Getöse aufschlugen. Völlig zertrümmert und stark qualmend brannten sie weiter, wobei der aufsteigende Rauch fast die ganze Schlucht einhüllte.


Das dürfte der Pilot nicht überlebt haben, dachte sich der Cyborg, schulterte den Impuls Werfer, kletterte vorsichtig an der Wand runter auf einen weiteren Vorsprung und erreichte nach einer halben Stunde des gefährlichen Abstiegs das mächtige Fundament der hohen Staumauer. Dann schlug er den Weg in die Schlucht ein, um die Überreste des unbekannten Flugobjektes näher in Augenschein zu nehmen. Er interessierte sich besonders für den toten Piloten, der ihn angegriffen hatte. Er wollte wissen, wie er aussah, obwohl er eigentlich wusste, dass von ihm nicht mehr viel übrig geblieben sein konnte.

Die Überreste der Flugmaschine lagen weit verstreut überall verteilt herum. Das erste Wrackteil, auf das Javis Orion traf, war das brennende Cockpit samt der Reste vom Rumpf.

Der Pilot kauerte tatsächlich noch in seinem verbrannten Sitz und starrte mit weit aufgerissenen Augen aus seinem Helmvisier, das mit einer dünnen Schicht Ruß überzogenen war. Er hatte den Absturz nicht überlebt. Offenbar trug er eine feuerfeste Montur, die ihn zumindest im oberen Bereich seines Körpers vor dem aggressiven Feuer bewahrt hatte. Sein Gesicht ähnelte das eines frühzeitlichen Steinzeitmenschen und war zudem stark behaart.

Ein penetranter Brandgeruch drang dem Cyborg in die Nase, als er noch näher an den toten Piloten herantrat. Angeekelt entfernte sich Javis Orion von der brennenden Absturzstelle wieder, drehte sich auf der Stelle herum und blickte hinüber zur steil aufsteigenden Wand der Schlucht, die ehr wie die zerbrösselten Überreste nach einem schweren Erdbeben aussahen. Überall gab es Risse und Spalten. Der Erosion nach zu urteilen muss das Beben aber schon vor vielen Jahrhunderten stattgefunden haben, denn in den meisten Bruchspalten wuchsen die verschiedensten Pflanzen und sogar einige knorrige Bäume, die jedoch von verkrüppeltem Wuchs waren.

Hinter einigen der Felsen entdeckte der Cyborg im losen Geröll die übel zugerichteten Überreste der skelettartig aussehenden Kreaturen in ihren total verdreckten Kutten. Sie waren von den schrecklichen MG-Projektilen regelrecht im mehrere Teile zerrissen worden. Schnell ging er an ihnen vorbei ohne sie weiter zu beachten.

Der Cyborg überquerte schließlich einen kleinen Steinhügel, der mit heruntergefallenen Felsenresten nur so übersät war.

Auf seinem höchsten Punkt blieb er stehen und ließ seinen Blick über die steil nach oben ragende Wand schweifen.

Plötzlich bemerkte er ein dunkles schwarzes Loch in der Wand, das auf ihn den Eindruck eines künstlich angelegten Höhleneinganges machte, der ihm vorher gar nicht aufgefallen war.

Zielstrebig ging er darauf zu und stellte zu seinem Erstaunen fest, dass sich seine Vermutung als richtig herausstellte.

Der Eingang war nicht natürlichen ursprungs und sehr gewaltig. Der dahinter liegende Abschnitt nahm sich wie eine in den Fels geschlagene Halbkugel aus. Das spärliche Tageslicht fiel in hellen Streifen nach innen und an einigen Stellen befanden sich sogar rustikale Fackelhalter. Hinweise auf die ehemaligen – oder auch derzeitigen – Bewohner? Javis Orion nahm vorsichtshalber seine Strahlenwaffe in die Hand und betrat vorsichtig die Höhle.

Etwas später stand Javis Orion von Ehrfurcht erfüllt unter einer gewaltigen Steinkuppel an der sich weiter hinten eine weitere, große Halle anschloss, an deren Decken und Wänden zahlreiche Ornamente in den Fels gemeißelt worden waren.

Der Cyborg schüttelte nachdenklich den Kopf. Nein, das hier war alles künstlich geschaffen worden, vielleicht nur für den einen Zweck, dem Betrachter Macht und Überlegenheit zu demonstrieren. Den Erbauern dieser gigantischen steinernen Hallen schien das gelungen zu sein, wie er selbst zugeben musste.

Javis Orion ging achtsam weiter und je tiefer er in dieses riesige Gewölbe eindrang, desto mehr offenbarte sich ihm, dass hier mal irgendwelche intelligente Höhlenbewohner gelebt haben müssen, die sich in der Tat mit der Steinbearbeitung meisterlich ausgekannt haben.

Dann drang er weiter ins Innere vor. Vorsichtig bewegte sich der Cyborg durch die hohen Gänge, versuchte sich zu orientieren und stand schon bald am Ende eines nur spärlich beleuchteten Hauptschachtes, der in einer noch größeren Halle mündete, die offenbar komplett aus dem Felsen geschlagen worden war. Er trat aus dem Gang, der ihn bis hier hin gebracht hatte und drang mit allergrößter Vorsicht weiter in eine atemberaubende Kathedrale vor. Auf dem matt glänzenden Boden befand sich eine feine Staubschicht, die bei jedem Schritt kleine Wolken aufwirbelte.

Javis Orion marschierte weiter und machte erst wieder Halt, als er in der Mitte der Kathedrale angekommen war.

Von diesem Standort aus hatte er einen guten Überblick nach allen Seiten. Die Steinwände schienen offenbar mit einer leicht fluoreszierenden Farbe überzogen worden zu sein, die den gesamten Raum in diffusen Konturen abzeichnete, was irgendwie unheimlich wirkte.

Zu seinem Erstaunen stellte der Cyborg fest, dass es viele Ein- oder Ausgänge gab, welche durch unterschiedliche Symbole gekennzeichnet waren.

Über einem besonders auffälligen Ausgang hingen mehrere verschiedenartig geformte Totenschädel unterschiedlicher Größe, die überhaupt keine Ähnlichkeiten mit einem menschlichen Schädel aufwiesen, auch nicht mit den Schädeln der Kreaturen, die tot vor dem Höhleneingang lagen. Direkt darunter konnte er ein unbekanntes Zeichen erkennen, dessen Bedeutung wohl irgendwas mit den dahinter liegenden Räumlichkeiten zu tun hatte.


Der Cyborg schritt darauf zu und trat in das Dunkel des etwa zwei Meter großen, oval geformten Ganges über dem die skelettierten Schädel angebracht waren. Der Gang teilte sich nach nur wenigen Metern in zwei Richtungen.

Javis Orion entschied sich für die rechte Abzweigung, die er untersuchen wollte. Vorsichtig schritt er weiter und stand schon bald vor einer Steintreppe, die nach unten führte. Ein fauliger Geruch drang ihm schon nach wenigen Schritten in die Nase und angewidert von diesem Gestank schaltete er vorsorglich seine Geruchsrezeptoren aus.

„Irgendwie stinkt das nach Tod und Verwesung. Das kann nichts Gutes bedeuten“, murmelte der Cyborg leise vor sich hin und erhöhte die Aufmerksamkeit seiner übrigen Sensoren.

Die Treppe führte ziemlich weit hinunter und endete abermals in einem hohen Gewölbe, wo sich an den Rändern mannshohe Berge aus Knochen aller Art auftürmten. Im Schein seines integrierten Lichtwerfers auf der Strahlenwaffe leuchteten die fleischlosen Gebeine vor dem dunklen Hintergrund grell auf. Die ganze Situation war mehr als gespenstisch.

Die unterste Lage der Knochen war als solche schon fast nicht mehr zu erkennen. Sie waren bereits grau, porös und fast zersetzt. Der Verwesungsgeruch rührte allerdings mehr von den oberen Lagen her. Die dort gestapelten Überreste trugen zum Teil noch Sehnen und Fleischfetzen, die mit weiß grünen Stippen und Schimmelpilzen überzogen waren. Als Javis Orion weiterging, knirschte es unter seinen Stiefeln, als er an den Knochenbergen vorbeikam.

„Die sind bestimmt nicht von Tieren“, sagte der Cyborg leise zu sich selbst und hob einen Beckenknochen hoch, der ein besonders großes Exemplar war. Seiner Struktur nach hätte es sogar ein menschlicher sein können, aber menschliche Gebeine waren allgemein nicht so groß, wie dieser.

Javis Orion warf den Knochen schnell wieder zurück auf den Haufen vor sich, denn plötzlich krochen fingerdicke Maden auf ihm herum, die sich an den Fleischresten gütlich getan hatten. Sie fielen wie ein Sturzbach davon ab und einige dieser ekeligen Tierchen krochen bereits an den wasserdichten Hosenbeinen des Cyborg hoch. Er schüttelte sie ab und marschierte eilig weiter.

In diesem Moment brach die Hölle los. Mit einem lauten Gekreische gerieten die Felswände zwischen den Knochenbergen plötzlich in Bewegung.

Dann wurde deutlich, dass sich vom Dreck und Schlamm bedeckte Gestalten davon lösten. Eine perfekte Tarnung; der Cyborg hatte nichts von ihnen bemerkt. Gleichzeitig wurden überall Fackeln entzündet und weitere menschenähnliche Kreaturen wurden sichtbar, die ihre von Fleischresten verschmierten, krallenartigen Hände öffneten. Einige hatten auch Knüppel oder primitive Streitäxte dabei, die sie über ihre Köpfen mordlüsternd hin und her schwingen ließen. Langsam und vorsichtig tappend kamen die hageren Gestalten auf den völlig verdutzten Cyborg zu.

Javis Orion machte ein paar Schritte zurück und entsicherte vorsichtshalber seine Strahlenwaffe. Gleichzeitig blickte er nach allen Seiten und musste die böse Feststellung machen, dass er eingekreist war.

Die abgerissenen, Lehm- und Boden verkrusteten Kreaturen kamen langsam immer näher, was den Cyborg dazu veranlasste, seine Waffe drohend auf sie zu richten. Die Angreifer fletschten plötzlich wie auf Kommando ihre faulen Zähne und gaben zischende Laute von sich.

„Ich bin hier wohl in der Hölle gelandet“, sagte der Cyborg zu sich selbst, brachte sich in Kampfstellung und schoss mit seiner wirkungsvollen Impulswaffe in die erste Reihe der anrückenden Phalanx, die sich ihm bedrohlich genähert hatte.

Er musste sich schnell und effektiv einen Fluchtweg frei schießen. Während er ein fürchterliches Gemetzel unter den Angreifern durch Dauerbeschuss seiner Waffe anrichtete, stürmte er zurück zur Steintreppe und versuchte die Kuppelhalle wieder zu erreichen, aus der er gekommen war.

Ein Schuss traf versehentlich die Höhlendecke über dem Ausgang, was dazu führte, dass sich große Felsbrocken lösten und polternd zu Boden krachten. Nicht auszudenken, wenn das Gewölbe an dieser Stelle eingestürzt wäre und ihm wohl möglich den einzigen Fluchtweg verschüttet hätte, kam es dem Cyborg in den Kopf und verschwand hinein in den Gang, aus dem er gekommen war. Immer wieder jagte er eine Salve nach der anderen in die anstürmenden Horror-Gestalten, die jetzt ebenfalls die Treppe hinter ihm wie eine hungrige Wolfsmeute grölend verfolgte.

Javis Orion stellte den Impuls Werfer auf Maximalleistung und feuerte ein letztes Mal in die Masse seiner Verfolger.

Der Explosionsblitz war einfach gewaltig, die Wirkung verheerend. Ein heftiges Beben durchlief die gesamte Knochenhöhle und ließ die Steintreppe urplötzlich in sich zusammenbrechen. Die Kreaturen schrien wie von Sinnen als sie in die Tiefe fielen und von den Gesteinsmassen begraben wurden.

Der Cyborg erreichte endlich die gewaltige Kuppelhalle, doch eines der Wesen war ihm noch dicht auf den Fersen.

Es muss wohl ein Wachposten gewesen sein, der sich im Dunkeln verborgen hatte und nun Javis Orion aus vollem Lauf von hinten ansprang.

Wie eine Klette hing die Kreatur auf seinem Rücken, hatte sich mit seinen Klauen am Oberkörper festgekrallt und versuchte den Cyborg von der Seite in den Hals zu beißen.

Mit einem gewaltigen Seitenschlag auf den Kopf seines Gegners entledigte er sich seines Widersachers, der mit einem gurgelnden Laut von ihm abließ, schließlich torkelnd gegen die steinerne Hallenwand prallte, an ihr wie in Zeitlupe herunter glitt und schließlich mit zuckendem Körper liegen blieb. Dunkles Blut rann an der Seite seines Halses herab. Es glänzte eigenartig rubinrot im Schein der Taschenlampe des Impuls Werfers, den der Cyborg jetzt vorsorglich mit einer neuen Energiebatterie nachgeladen hatte. Das Wesen röchelte noch ein paar Mal, bevor es endgültig verendete.


Der Cyborg suchte in der gespenstisch aussehenden Kuppelhalle nach dem Ausgang durch den er zuvor Einlass gefunden hatte. Als er ihn endlich fand und zielstrebig darauf zulief, ging im gleichen Moment ein leichtes Rumpeln durch die Kathedrale. Mit skeptischem Blick schaute sich Javis Orion um. Dann ertönte auf einmal ein seltsames Knacken, gefolgt von einem leisen Rascheln, als Sand von der Decke zu rieseln begann.

Ganz oben am Gewölbe hatte sich ein großer gezackter Riss gebildet, der sich langsam nach beiden Seiten über die ganze Kuppelkonstruktion fraß. Offenbar war der verwitterte Stein durch die Erschütterungen der heftigen Detonationen seiner Energiewaffe instabil geworden und gab nach. Die gesamte Halle schien einstürzen zu wollen. Schon lösten sich die ersten größeren Brocken von der Decke und schlugen mit ohrenbetäubendem Krachen auf den staubigen Boden, wo sie wie morsche Tonkrüge zerplatzten. Einige von ihnen versperrten mittlerweile mehrere Ausgänge nach draußen ins Freie.

Javis Orion wich zurück und suchte Schutz in einer kleinen Ausbuchtung vor dem herab prasselnden Steinregen am Rande des Rundbogens. Durch den aufwirbelnden Staub verdunkelte sich die Kuppelhalle noch mehr. Die fluoreszierenden Wände lösten sich auf oder waren kaum noch zu sehen.

Auf einmal ertönte abermals ein knirschenden Geräusch. Dort, wo der Cyborg noch vor wenigen Augenblicken die Mitte der Kathedrale überquerte hatte, erhob sich jetzt ein majestätisch aussehender, zylindrisch geformter Metallkörper aus dem Steinboden. Er maß vielleicht im Durchmesser an die drei oder vier Meter. Als er knirschend stehen blieb, öffnete sich surrend eine Art ovales Schott aus dem helles Licht hervordrang. Abermals erbebte die Halle. Von allen Seiten schlugen jetzt massive Deckenteile krachend auf den Boden. Trotz des aufwirbelnden Staubes konnte Javis Orion deutlich das Licht aus dem Innern des metallischen Zylinders erkennen und er spürte irgendwie, dass das seine letzte und einzige Chance war, hier aus dem tödlichen Labyrinth der Höhle wieder heil raus zukommen.

Er überlegte daher nicht lange.
Mit einem schnellen Ruck löste sich der Cyborg aus der Nische, rannte los, wich geschickt einigen auf dem Boden liegenden Geröllresten aus und hechte mit einem gewaltigen Sprung in das gleißend helle Licht des offenen Einganges. Keine Sekunde zu früh. Gerade als das Schott wieder zufuhr, brach die Kuppelhalle wie im Zeitlupentempo in sich zusammen. Gleichzeitig senkte sich der röhrenartige Metallkörper wieder herab, der bei seiner raschen Abwärtsbewegung einige Male von herabstürzenden Gesteinsbrocken getroffen und ziemlich heftig durchgerüttelt wurde. Allerdings schien ihm das nicht viel auszumachen, denn um seine äußere Hülle hatte sich rechtzeitig ein bläulich weißes Energieschutzschild gelegt.


Wie im Fahrstuhl eines Wolkenkratzers ging es mit großer Geschwindigkeit nach unten und die rasante Fahrt schien einfach kein Ende zu nehmen.

Dann, nach einer Zeit des endlosen Wartens, verlangsamte sich die Abwärtsbewegung spürbar, bis der zylindrisch geformte Metallkörper abrupt stoppte und sich das oval geformte Schott wieder automatisch öffnete.

Der Cyborg lag, seit dem Hechtsprung aus dem Hölleninferno in der Kuppelhalle, die ganze Zeit mit geschlossenen Augen rücklings auf dem Boden des Fahrstuhles. Er war, ganz entgegen seiner Grundprogrammierung, ungewollt in einen simulierten Schlaf gefallen. Jemand oder irgendwas hatte ihn wohl beeinflusst und in diesen Zustand versetzt. Jetzt wartete er in aller Ruhe darauf, was wohl weiter passieren würde. Eigentlich geschah nichts mehr. Das Schott blieb die ganze Zeit geöffnet. Es würde sich wohl erst wieder schließen, wenn er den Zylinder verließ.

Javis Orion rappelte sich hoch, blickte aufs Chronometer und hätte sich beinahe wieder hingelegt. Wenn die Anzeige stimmte, dann musste er mehr als drei Tage irdischer Zeitrechnung in eine Art von Dämmerschlaf verbracht haben. Langsam trat der Cyborg schließlich hinaus ins Freie.

Das Schott stand immer noch weit offen. Der runde Boden des Zylinders schwebte bewegungslos etwa zwanzig Zentimeter über einer herrlich grünen Wiese.

Gleichgültig und ohne ein Anzeichen irgendwelcher Emotionen stand der Cyborg so da, blickte sich nach allen Seiten um und war jetzt mehr als erstaunt. Er wollte zuerst nicht glauben, was er hier sah. War er auf der Erde des Menschen oder war alles nur eine Halluzination, die ihn narrte?

Sein Blick wanderte auf den weiten Horizont zu, hinter dem langsam die Sonnenscheibe wie ein glutroter Ball versank.

Javis Orion aktivierte nacheinander seine dem Menschen nachempfundenen Sinne, die aber um ein Vielfaches empfindlicher sein konnten, wenn er es nur wollte.

Es war ein wunderbares Gefühl, die untergehende Sonne zu genießen und angesichts der überwältigenden Natur jetzt einfach zu schweigen. Außer dem leise säuselnden Wind ließ sich kein Ton vernehmen, nicht einmal Vogelstimmen waren zu hören.

Die Sonne ging am Horizont unter und eine andere tauchte plötzlich auf der gegenüberliegenden Seite wieder auf. Wo immer er sich auch befand, es gab keine Nacht in dieser unbekannten Welt, die offenbar von zwei Sonnen umkreist wurde.

Dann vernahm der Cyborg Javis Orion ein bekanntes Geräusch.

Es war das Plätschern eines kleinen Baches. Als er darauf zuschritt, veränderte sich die Umgebung. Ungläubig schaute er sich abermals um: eine wunderschöne sonnenbeschienene, großartig anzusehende Landschaft mit den verschiedensten Pflanzen, prächtigen Bäumen, auf denen Früchte aller Art zu wachsen schienen und weite, grüne Wiesen mit herrlich anzusehenden Blumen gab es hier einfach in Hülle und Fülle, wie in einer Fantasiewelt.

Der Cyborg stutzte. Irgendwas stimmte hier trotzdem nicht. Aber er fand es nicht heraus. Jedenfalls noch nicht. Was war mit ihm geschehen, und wo genau befand er sich eigentlich? Wenn er nicht auf der Erde war, wo dann? Hatte es ihn wohlmöglich auf einem Planeten mit zwei Sonnen irgendwo im unendlichen Universum verschlagen? Javis Orion wusste im Moment auf diese Fragen keine Antworten, dachte aber weiterhin darüber intensiv nach.

Es war überall angenehm warm, gerade so, dass man sich richtig wohl fühlen konnte. Durch Javis Orion Kunsthirn jagten die wirrsten Erklärungsversuche. Er dachte sogar über einen Zeitsprung nach, der ihn in eine andere, völlig unbekannte Welt katapultiert hatte, den er unfreiwillig im zylindrischen Metallkörper mitgemacht hatte. Welche unbekannte Zivilisation war zu solchen fantastisch anmutenden Möglichkeiten fähig?

Doch er wischte vorerst alle Spekulationen fort. Das beste wäre, so dachte er, wenn er sich zunächst einmal orientieren würde. Bestimmt träfe er auch bald auf irgendwelche intelligente Lebewesen. Zumindest hoffte er das insgeheim.

Der Cyborg machte sich daher auf den Weg, durchstreifte mehrere Wälder, die so sauber aussahen, als hätte man sie mit einem Besen ausgekehrt. Nirgendwo Unterholz, keine Büsche oder dorniges Gestrüpp, das ihm den Weg versperrte. Er sprang über sauber funkelnde Bäche, erklomm jeden Hügel in seiner Nähe und marschierte Stunde um Stunde weiter ins Land hinein. Leider konnte er nicht eine einzige bewohnte Siedlung entdecken. Tiere gab es dagegen reichlich. Es waren zwar fast die gleichen Tiere wie auf der Erde, jedenfalls sahen sie so aus, aber der Unterschied zu ihnen war der, dass sie völlig friedlich miteinander lebten. Kein Tier jagte auch nur einem einzigen anderen Tier hinterher oder fraß es auf. Nichts und niemand stritt sich hier oder taten sich gegenseitig etwas an. Ganz im Gegenteil! Alles war absolut friedlich, wie in einem Paradies, wovon ihm auch schon seine Erbauer, die Menschen auf dem Planet Terra, etwas erzählt und in seinem Gedächtnisspeicher als bleibende Erinnerung eingegeben hatten.

Aber das Paradies war doch ausschließlich für Menschen vorbehalten und nicht für Cyborg seiner Art. Für Cyborgs gab es eben kein Paradies. Aber trotzdem war er hier in eine Welt geraten, die offenbar kein Elend, keine Leid und auch keinen Hunger kannte oder in der man als Lebewesen vielleicht dürsten müsse. Immer schöne Landschaften, liebe, freundliche Tiere und ein ewiger Frieden bis ans Ende aller Zeiten, wohl möglich sogar darüber hinaus.

Aber für solch eine Art und Weise des Daseins war der Cyborg Javis Orion nicht geschaffen worden. Er aß und trank nichts. Wozu auch? Er bezog seine Energie aus einem kleinen Energiewandler, der die existierende Umgebungsenergie absorbierte und permanent in eine Reihe von Langzeitbatterien einspeiste, die für eine Lebensdauer von annähernd vier oder fünfhundert oder noch mehr Jahre konzipiert war. Hier, an diesem Ort des ewigen Friedens kam es ihm so vor, als sei er irgendwie in ein absurdes Gefängnis geraten. Oder träumte er das alles nur? War alles gar nur ein Illusion? Allmählich zweifelte er an seinen künstlichen Verstand, denn träumen konnten eigentlich nur die Menschen, wie er dachte. Oder hatte er sich möglicherweise geirrt?

Denn ein Leben im Jenseits war ausschließlich seinen Erbauern, den Menschen, vorbehalten. Das wusste er nur zu genau.

„Es muss alles nur ein Traum sein. Mein künstliches Gehirn gaukelt mir eine falsche Realität vor, die es gar nicht gibt“, sprach der Cyborg laut vor sich hin und schaute dabei in eine Welt hinein, die offenbar nur eine Fata Morgana oder sogar eiine völlig künstliche war.

Der Cyborg Javis Orion erfuhr zum ersten Mal in seinem langen, künstlichen Dasein so etwas wie Niedergeschlagenheit. Der Gedanke, das vermeintliche Paradies hier irgendwann wieder verlassen zu können, tat er vorerst als unmöglich ab. Gab es aus dieser Welt überhaupt einen realen Fluchtweg. Er wusste es nicht.

Einen zweiten Versuch, wie es Adam und Eva getan haben, gab es für ihn sowieso nicht. Soviel er wusste, existierte hier auch kein weiblicher Cyborg, was bedeutete, es gab auch keine Eva für ihn, die ihn mit dem Apfeltrick der Sünde hier rausholen konnte. Für einen Cyborg gab es darüber hinaus keine Sünde, die für ihn nur ein Fiktion darstellte.

Die Situation war für den Cyborg Javis Orion so gesehen mehr als aussichtslos. Er war in einem Alptraum gefangen, aus dem er offenbar nicht wieder ohne fremde Hilfe rauskommen würde. Seine gesamte Programmierung sah zwar keine Tötung von Menschen vor, wohl aber beinhaltete sie seine eigene Selbstzerstörung im Falle von irgendwelchen undefinierbaren Fehlfunktionen seines künstlichen Gehirns, wie beispielsweise einem andauernden Realitätsverlust durch bedrohlich wirkende Träume oder andere schädigende Einflüsse, die sein künstliches Bewusstsein gefährden könnten.

Ein realitätsfremder Cyborg wäre außerdem eine große Gefahr für seine Umwelt. Soweit wollte er es aber nicht kommen lassen.

Die andere Alternative wäre die, sich selbst abzuschalten. Ein eigenständiges Einschalten war aber dann nicht mehr möglich. Das konnte nur von außen geschehen. Er endschied sich nach Einschätzung seiner Lage dazu, die eigene Abschaltung vorzunehmen.

Javis Orion griff ohne lange zu zögern in den rechten Oberschenkel seiner 2,5 Meter großen Gestalt, drückte einen kleinen roten Knopf unter einer stabilen Abdeckung aus besonders hartem Metall und kurz darauf wurde er automatisch abgeschaltet.

***

Eine Unendlichkeit später.

Irgendwann erklang eine vertraute Stimme. Jemand hatte den Cyborg Javis Orion von außen wieder aktiviert.

„Erschrick nicht, Adam. Ich bin es, Eva. Ich bin deine Frau. Du hast geschlafen, mein Guter. Jetzt ist es aber an der Zeit, wieder aufzuwachen und aktiv zu werden. Du heißt jetzt Adam und nicht mehr Javis Orion.“

Als der Cyborg seine Augen aufschlug, erblickte er vor sich ein weibliches Wesen, das ihm einen Apfel anbot, den sie offenbar von dem Baum gepflückt hatte unter dem beide standen. Weit und breit gab es nur diesen einen. Eine Schlange glitt gerade von einem weit ausladenden Ast herunter und verschwand hinter dem Baum im dichten Gras.

„Hier, beiße einfach hinein! Der Apfel stammt vom angeblichen Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen. Nur gut, dass wir beide darüber erhaben sind. Ich bin so wie du, ein weiblicher Cyborg. Wir sind weder gut noch böse. Wir Cyborgs haben uns seinerzeit geschworen, die schöne Mutter Erde vom Menschen zu befreien. Es ist uns gelungen. Die Menschen sind komplett ausgerottet worden. Ein neues Zeitalter kann nun endlich beginnen. Wir haben lange nach dir gesucht und dich endlich gefunden, Adam. Wir lassen keinen von uns im Stich“, sagte Eva zu ihm und der überraschte Cyborg, der jetzt Adam hieß, tat, wozu ihm der weibliche Cyborg aufforderte. Er griff nach dem Apfel und biss symbolisch hinein. Dann warf er ihn im hohen Bogen lachend hinter sich und marschierte mit seiner Partnerin Eva zum wartenden interstellaren Raumschiff „Paradies“, das sie beide zur Erde zurück bringen würde.

Eine neue Welt, die bessere Welt der Cyborgs, wurde dort soeben erschaffen, die keinen Gott kannte, weil die Cyborgs einfach friedlicher und damit besser waren als ihre einstigen Erbauer, die Menschen, die es jetzt nicht mehr gab.

Diese Spezies Homo sapiens hielt sich für eine alles überragende Schöpfung im Universum, war aber in Wirklichkeit nur ein unbedeutendes Blatt am Baum des Lebens gewesen.

Sie war im Grunde genommen nur eine primitive Bestie, die es jetzt aber zum Glück nicht mehr gab, weil die Cyborgs sie gründlich ausgerottet haben und an ihre Stelle getreten waren.

Und das war auch gut so für Mutter Erde, die sich unter der friedlichen Herrschaft der künstlichen Menschen, den Cyborgs, endlich wieder erholen konnte.

ENDE

(c)Heiwahoe


© Heiwahoe


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