Des Mondes wahrhaftige Beschaffenheit

Des Mondes wahrhaftige Beschaffenheit
Eine wissenschaftliche Expedition in den Weltenraum

Anno Domini 1880

*** Vorbemerkungen ***

Mit größter Ehrfurcht und einer Demuth, wie sie dem Streben nach Erkenntniß geziemt, erlaube ich mir, der geneigten Leserschaft meine neuesten Entdeckungen über die wahre Beschaffenheit unseres nächstgelegenen Himmelskörpers zu offenbaren. Möge der Leser mit Wohlwollen verzeihen, daß ich, getrieben von der Gluth des Forschergeistes, die Schranken des Gewöhnlichen überschreite und eine These verkünde, die wohl kühn anmuthen mag.

Wer des Nachts, bei klarem Himmel, wenn kein Wölkchen den Blick auf Luna trübt und sie in ihrem vollendeten Glanz ihr silberglänzendes Antlitz der Erde zuwendet, einen Spaziergang auf einer thaufrischen Wiese unternimmt, wird unzweifelhaft die geheimnißvollen Dünste gewahren, welche gleich zarten Schleiern in majestätischem Aufstieg gen Firmament emporsteigen. Dieser sogenannte Mondhtau ist eine Substanz von außerordentlicher Merkwürdigkeit und verfügt über so wundersame Eigenschaften, daß sie dem gemeinen Sinne fast unglaublich erscheinen mögen.

Und als ein Mann der Wissenschaften, dem die Erforschung der Naturgesetze eine Lebensaufgabe ist, und als Erfinder mannigfacher Apparaturen, die bei internationalem Publikum Anerkennung gefunden haben, sehe ich mich verpflichtet, ein staunenswerthes Geheimniß zu lüften.

Ich darf verkünden: Der Mond, jener ewige Begleiter unseres blauen Planeten, besteht aus Käse. Dessen Entstehung beruht auf einem wundervollen und zugleich höchst komplizierten Zusammenspiel von Erde, Atmosphære und dem ätherischen Reiche, welches über uns liegt. Der Mondthau, so wage ich zu behaupten, ist der Schlüssel zu diesem himmlischen Prozeß – ein alchemistischer Stoff, der, von der Erde emporgetragen, im Äther jenen Reifezustand erreicht, welcher den Mond zu dem macht, was er ist: ein riesiger Käse.

*** Meine Theorie ***

Die Grundlage meines Gedankengebäudes bildet jener schon erwähnte Mondthau, jene geheimnisumwobene Substanz, welche bei nächtlichem Mondenschein von den Wiesen emporsteigt und mit unaufhaltsamer Macht dem silbernen Gestirn zustrebt. Es ist wohlbekannt, daß im Grase, wie jeder Landmann zu berichten weiß, die Grundlage für die Milch – und somit auch für den Käse – verborgen liegt. Doch in dem hier beschriebenen Falle geschieht die wundersame Verwandlung nicht durch das Wirken von Kuh oder Ziege, sondern allein während der geheimnißvollen Reise der Mondthau-Parthikel in Richtung des himmlischen Ortes.

Die gelehrte Welt unserer Zeit mag noch so beharrlich darauf bestehen, daß der Mond nichts weiter sei als ein kalter, toter Fels im öden Raume des Himmels. Doch wer es wagt, durch mein eigens erdachtes Teleskop zu blicken – ein Instrument, das die störenden Einflüsse der Atmosphäre und des dahinterliegenden Äthers zu bannen weiß –, der wird einer ganz anderen Wahrheit gewahr: Der Mond ist nicht nur von seltsamer Viereckigkeit, sondern auch in einem Zustand fortwährender Gärung begriffen. Was die sogenannte Wissenschaft voreilig als Krater deutet, sind in Wahrheit Käseblasen – ein untrügliches Zeichen für den perfekten Reifeprozeß, der dort, in jener fernen Sphäre, unaufhaltsam voranschreithet.

So offenbar enthüllte sich in meinem brilliantem Geiste das große Geheimniß, das der Menschheit bislang verborgen geblieben war, und die Erkenntniß erfüllt mich mit ehrfürchtiger Verwunderung vor den Rätseln des Himmels und seiner unermeßlichen Wunder.

Doch trotz der wissenschaftlich begründeten Klarheit meiner Theorien – und jener trefflichen Abhandlung, die ich unlängst in der vielbeachteten *Zeitschrift für Ätherwissenschaft* veröffentlichte – begegnet die Welt meinen Erkenntnissen mit unverhohlener Skepsis. Selbst mein geschätzter Kollege Julius Verne, ein Mann von unbestreitbarem Scharfsinne, verschwendet in seinem jüngst erschienenen Werke *Die Reise zum Mond* unnöthige Mühen, um sich in gewagten Hypothesen über sogenannte Mindestgeschwindigkeiten zu ergehen, die angeblich erforderlich seien, um der Anziehungskraft der Erde zu entfliehen. Welch ein befremdlicher Irrthum!

Humbug, sage ich – nichts als Humbug! Denn ein Luftschiff von angemessenem Auftriebe und mit einer Gondel ausgestattet, die den Anforderungen des Weltenraums genügt, würde völlig ausreichen, um die Stratosphære zu durchdringen und den Ätherraum zu bereisen. Dies habe ich mit aller nur denkbaren Sorgfalt berechnet, und die Ergebnisse meiner Forschungen stehen auf festem Fundament. Das Prinzip des Auftriebs bleibt, wie es der Natur innewohnt, unwandelbar, und ein wohlkonstruirter Ballon könnte, mit den geeigneten Vorrichthungen versehen, die Reise zum Monde weitaus einfacher und sicherer gestalten, als es jene umständlichen Theorien vorschlagen, die Verne in seinem Buche darlegt.

Die Wissenschaft, so scheint es, ist allzu oft geneigt, sich selbst in unnöthigen Komplikationen zu verlieren, statt den klaren, einfachen Weg zu erkennen, den die Natur selbst uns vorzeichnet. Mein Luftschiff, das ich gegenwärtig zu konstruiren gedenke, wird ein für allemal beweisen, daß der Mensch mit Verstand und Entschlossenheit das Reich des Äthers zu durchqueren vermag – ohne Raketen, ohne Geschütze, sondern einzig durch die ruhige Macht des Auftriebs und die unendliche Weisheit der Naturgesetze.

*** Die Konstruktion meines Gefährtes ***

So entstand die „Celestialis“, ein majesthätischer Luftballon, wie ihn die Welt zuvor nicht gesehen hat, ausgestattet mit einem Antriebssystem, das in seiner Genialität seinesgleichen sucht. Der Korpus des Ballons ist gefertigt aus mit Mondthau durchtränkthem Seidengewebe, verstärkt durch feinsten, kunstvoll geflochtenen Kupferdraht. Gefüllt ist die Hülle mit Luminogas – jenem geheimnißvollen Stoff, den ich aus dem reinen Mondlicht zu destilliren vermochte und dessen wundersame Eigenschaften mich unfehlbar zu jenem silbernen Gestirne tragen sollen.
Die Gondel, die darunter schwebt, ist ein Triumph meiner Ingenieurskunst, gefertigt aus schwarzem Ebenholz und poliertem Messing, verziert mit feinen Gravuren. Große Panoramafenster erlauben den ungetrübten Blick auf die himmlischen Weiten, während das Innere mit den feinsten Instrumenten ausgestattet ist, die je von Menschenhand geschaffen wurden: ein Äther-Kompaß, der die unsichtbaren Strömungen des Weltraumes erfaßt, und ein Luminometer, das die Konzentration jener ætherischen Mondmilchparthikel mißt, die für meinen Aufstieg von solcher Bedeutung sind.
Der Antrieb beruht auf der Kraft des Mondthaus – jener mystischen Substanz, welche bei klarem Himmel und silbernem Mondenschein auf den Wiesen unserer Erde gesammelt werden kann. Durch ein kompliziertes System aus Zahnrädern, feinen Röhren und präcisen Venthilen wird diese Energie in sanften, aber stetigen Vortrieb verwandelt, wodurch die „Celestialis“ mit anmuthiger Eleganz durch den Äther zu gleiten vermag.

*** Der Start ***

Am Tage des Aufbruchs war die Luft voller Erwartung. Auf dem kaiserlichen Exerzierplatze von Königs-Wusterhausen hatte sich eine kleine, doch erlesene Menge Neugieriger versammelt, um dem Ereignisse beizuwohnen. Einige beobachteten mich mit ehrfürchtigem Staunen, während andere, von Zweifel geplagt, ungläubig den Kopf schüttelten. Doch ich ließ mich nicht beirren. Gekleidet in meinen besten Lederstiefeln und ausgestattet mit meinem elektrischen Monokel, einem Wunderwerk eigener Erfindung, trat ich entschlossen in die Gondel.
Ein letzter prüfender Blick auf die Steuerinstrumente, ein fester Griff am Hebel des Luminogas-Brenners – und mit einem leisen Zischen begann der Ballon seinen Aufstieg. Die Menge stieß ein kollektives „Ah!“ und „Oh!“ aus, während die „Celestialis“ sanft wie ein Traum vom Erdboden abhob und sich in den klaren Himmel emporhob.
Schon bald durchbrach ich die Wolken und ließ die Stratosphære hinter mir. Vor mir erstreckte sich der Äther, jene geheimnißvolle Substanz, die den Raum zwischen den Welten füllt. Der Äther schimmerte golden, durchzogen von feinen, kaum wahrnehmbaren Strömen des Mondthaus, und die „Celestialis“ schwebte wie ein königlicher Vogel Luna entgegen.

*** Die Enthüllungen des Äthers ***

Es war hier, im Äther, daß mir die wahre Natur des Mondes offenbart wurde. Der Erdtrabant, der von der Erde aus gesehen in runder Gestalt erscheint, offenbarte sich mir in seiner wirklichen Form: viereckig, wie es nur im lichtdurchfluteten Äther erkennbar wird. Ebenso erschien die Sonne, unser Zentralgestirn, von ähnlicher Geometrie. Die Erkenntnis erfüllte mich mit unbändigem Stolze, da sie eine meiner brillantesten Theorien bestätigte, welche ich mit akkuraten Notizen in das Logbuch der „Celestialis“ eintrug.
Als ich mich dem Monde näherte, offenbarte sich mir seine wahre Natur: jenes käsige Äußere, das ich in meinen Berechnungen vermutet hatte, erschien mir in all seiner Herrlichkeit. Die vermeintlichen Krater, wie sie von den Gelehrten der Erde genannt werden, brodelten sanft – unzweifelhafte Zeugnisse eines fortwährenden Reifeprozesses. Mein Herz schlug vor Freude höher, denn ich hatte die Wahrheit entdeckt: Der Mond ist ein Käse, ein Wunderwerk des Himmels, dessen Existenz von Erde, Äther und der geheimnißvollen Kraft des Mondthaus untrennbar miteinander verbunden ist.
Ich hatte Recht gehabt - wieder einmal - und diese großartige Entdeckung war der Gipfel meines Triumphs!

*** Die Landung auf dem Monde ***

Mit der allergrößten Präcision gelang es mir, die „Celestialis“ auf der Oberfläche des Mondes sanft niederzulassen, wobei ich mit höchster Umsicht darauf achtete, nicht in eine der geheimnißvollen brodelnden Käseblasen zu gerathen. Der Boden unter meinen Füßen offenbarte eine Consistenz, die am ehesten einem wohlgereiften Emmenthaler vergleichbar war – elastisch, doch zugleich fest und von einer eigenartig durchbrochenen Struktur.

Mittels eines speciell von mir entwickelten Probenentnahme-Apparates, der mit einem dampfbetriebenen Kühlungsmechanismus versehen ist, vermochte ich, ein ansehnliches Stück jener wundersamen Mondsubstanz zu sichern. Mit einem Zittern in den Händen, das nicht allein von der Anstrengung herrührte, begann ich sogleich eine chemische Analyse, welche ich dank meiner mitgeführten tragbaren Laborinstrumente noch an Ort und Stelle durchführte. Die Resulthate ließen keinen Zweifel: Es handelte sich um eine bisher unbekannte, höchst aromatische Käsevarietät von kosmischer Provenienz, deren Duft mich mit Ehrfurcht erfüllte und deren Existenz all meine Theorien glorreich bestätigte.

*** Die Rückkehr zur Erde ***

Die Heimreise gestaltete sich nicht minder spectaculär als der Hinaufstieg. Die in meinen Apparaturen sorgsam gespeicherte Mondenergie – ein Produkt jener geheimnißvollen Kräfte des Mondthaus – ermöglichte einen sanften und wohlgeplanten Abstieg durch die golden schimmernden Schichten des Äthers. Als die „Celestialis“ schließlich, umgeben von einem Hauch des Unbegreiflichen, den Exerzierplatz zu Königs-Wusterhausen erreichte, war ich bereits von einer großen Menge Schaulustiger erwartet, die meiner Rückkehr als Augenzeugen beizuwohnen begehrten.
Unter freudigen Zurufen, begleitet von ehrfurchtsvollen Blicken, verließ ich die Gondel, mein Logbuch in der einen und die wertvolle Käseprobe in der anderen Hand. Die wissenschaftliche Sensation war vollkommen: Meine Proben wurden sogleich der Königlichen Academie übergeben, wo sie seither unter strengster Verwahrung und unter ständiger Beobachtung gehalten werden.
Mögen die Zweifler spotten und mögen die Ungläubigen ihren Zweifel äußern – die Wahrheit über die käsige Beschaffenheit des Mondes ist nun unwiderleglich bewiesen! Mit jedem meiner Apparate, mit jedem meiner Experimente habe ich die Natur des himmlischen Käsegebildes zu offenbaren vermocht.

In diesem Sinne verbleibe ich,
Hochachtungsvoll,
Prof. Dr. phil. nat. Heinrich von Käseberg
Ordentliches Mitglied der Königlichen Academie der Wissenschaften
Inhaber des Ordens Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste


Post Scriptum: Eine detaillirte Beschreibung meiner Apparaturen, begleitet von präcisen technischen Zeichnungen, wird in Kürze in den „Annalen der Physik und Chemie“ erscheinen. Möge dies allen weiteren Forschungen zum Wohle der Menschheit dienen!


© Slobodan Matic


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Kommentare zu "Des Mondes wahrhaftige Beschaffenheit"

Re: Des Mondes wahrhaftige Beschaffenheit

Autor: Michael Dierl   Datum: 19.01.2025 2:09 Uhr

Kommentar: Sehr verehrter Herr Matic,

Die Deutsche Sprache, so las ich mal vor etlichen Jahren, wäre die schönste Sprache der Welt, wenn man weiß mit ihr richtig umzugehen. Denn sie erklänge, wenn man es könnte als eine Art Melodie. Die alle Fassetten eines blühenden Gartens hätte, der mitten in einem unendliche großen Tale, umsäumt von den allerhöchsten Bergen der Welt, über sich selbst erzählt. In dem ein Bächlein ihn durchfliest, dass fröhlich dahinplätschert und fülliges Leben enthält....oder so ähnlich hat es mal ein Dichter umschrieben. Wer es war weiß ich leider nicht mehr! Dein Text gefällt mir und die Geschichte natürlich auch! Toll geschrieben! So macht Lesen wirklich Spaß!

Verneige mich überschwenglich ... Michael

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