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Aber nicht nur Es litt unter gewaltigen, jedoch wahrscheinlich absichtlich unbemerkten geistigen Defiziten. Wunderle z.B. verblüffte mich immer wieder mit akrobatisch anmutenden Logikketten, bei denen ich Schwierigkeiten hatte sie nachzuvollziehen.
Da sie die ganze Welt anscheinend aus ihrem, als „höher“ empfundenen Moralsystem heraus beurteilte fand sie es aber stets unnötig sie zu überprüfen bevor sie etwas aussprach, bei dem sich jeder hätte wundern müssen, der noch alle Tassen im Schrank hatte.

Erst kürzlich hatte ein Bekannter von uns, er hieß Perry,einen schrecklichen Motorradunfall erlitten. Eine junge Frau hatte ihm die Vorfahrt genommen und er hatte einen unglaublichen Zusammenprall erlebt, bei dem an seinem Körper so ziemlich alles zu Bruch gegangen war was brechen konnte.
Wir sprachen darüber – und ich vermaledeite mit Worten und Gedanken den fatalen Vorgang. „Diese elenden Feuerstühle“. lamentierte ich, „die sind wirklich verdammt gefährlich“! Wunderle schaute mich empört an und antwortete: „Wieso, Perry war doch gar nicht schuld?!“
Leider verstand Wunderle nicht warum mich ihre Reaktion dermaßen verblüffte daß mir der Mund offen stehen blieb. Als ich zu lachen anfing wurde sie jedoch sofort missmutig.

Schmarrtina Vetteles Missmut resultierte aus meiner Forderung, daß sie ein bestelltes Bild auch zu bezahlen hätte! Nachdem ich es abgeliefert und sie an unsere Vereinbarung erinnert hatte, wonach für meine monatelange Arbeit nun ein Entgelt von 5000.- Euro fällig wurden, brach sie fast in sich zusammen. Mit Tränen in den Augen beklagte sie sich bei mir: „Ja, soll ich denn verhungern, wenn du so viel verlangst?! Ich dachte das Bild sei ein Freundschaftsdienst von dir gewesen, nachdem ich dir so viel Gutes getan habe!“
Natürlich hatte sie völlig recht. Sie hatte mir tatsächlich immer wieder kleinere Gefälligkeiten für meine Dienste erwiesen, die ich jedoch mehr als ausglich indem ich jahrelang ihren Chauffeur spielte, Tag um Tage für sie opferte, nichts sonst tun konnte als meine ihr meine ganze Aufmerksamkeit zu widmen.
Zum Glück hatte sie jetzt aber, dank meiner unausgesetzten Beratertätigkeit, einen klugen und finanzstarken Mann bekommen, der sie schließlich überredete mir den Betrag auszuhändigen – damit ich nicht verhungern musste...

So langsam machte sich in mir die Einsicht breit, daß Missmut und Unlogik wohl weiter verbreitet waren als ich ursprünglich gedacht hatte...und erneut, oder auch wieder einmal beschloss ich mir meine eigene Welt auszuschmücken, die zwar nicht unbedingt mehr auf logischen Überlegungen fußte als die der anderen Menschen (= Nichtrolle), dennoch aber weit angenehmer aussah als die allerorts anerkannte „Realität“.
Ergo sollte jetzt endlich Es herhalten, damit sich meine Träume von einer goldenen Zukunft wenigstens partiell erfüllen konnten: Wir vereinbarten ein Treffen in meinem Stadt-Atelier, das mittlerweile zur Lasterhöhle der besonderen Art geworden war.

Die Inkredienzien für die Ermischung einer goldenen Paste hatte ich besorgt, ohne besorgt über Schnatteratas geistige Verwirrung zu sein, die ich, mittels zarter Berührungen zu kurieren gedachte. Immerhin wurde ja eine Person gebraucht, die die künstlerische Umgestaltung einer erwachsenen Frau (wenn man Es als solche bezeichnen konnte) zur goldnen Glückverheißungs-Statue vornahm. Ich freute mich schon auf die prickelnden Reaktionen in und an Es, wenn sie quasi gezwungen war sich dem „Einseifen“ mit dem flüssigen Gold auszusetzen.

Dann erwartete ich sehnlichst den Abend der unmoralischen Schandtat (nach Wundereles Begriffen) und bemerkte wie sich ein Menschenleben doch in die Länge ziehen konnte... Wer nichts erwartet, sondern immer nur seine Pflicht erfüllt, dem mag das Dasein wie im Flug vergehen, wer jedoch Schönes plant und die Verwirklichung seines Planes, seiner Pläne, schleunigst herbeiwünscht, für den schleichen die Augenblicke dahin wie ein träger Fluss.

Um mir die Wartezeit zu verkürzen drängte ich mich noch einmal verstohlen an Wunderle heran. Wusste ich doch, daß mein Begehren nach körperlicher Nähe bei Es, der geheimnisvollen Schnatterata kaum erfüllt werden würde. Bei ihr musste ich mich hauptsächlich auf therapeutische und optische Spaßfaktoren konzentrieren.
Wunderele zeigte sich von meiner Frechheit ein wenig überrascht, ließ sich jedoch zum Schein auf mein Anliegen ein. Bald lag sie nackt neben mir im Bett und ließ sich stimulieren. Als ich dachte sie sei endlich „soweit“ versuchte ich in sie einzudringen. Aber sie starrte nur die Zimmerdecke an und versuchte krampfhaft nichts zu empfinden.

Nach einer halben Stunde intensiver Bemühungen gab sie endlich widerwillig ihren Widerstand teilweise auf und stöhnte ein wenig. Doch ihr Ziel erreichte sie schließlich doch: Sie erweckte in mir das deutliche Gefühl sie missbraucht zu haben!
Damit musste ich leben, solange ich nicht Bauhelfer, Vertreter für irgendwas, oder Ausfahrer für Bäckereien werden wollte, was mir von Wunderles Seite mehrfach vorgeschlagen wurde. Da konnte ich als Künstler so viel verdienen wie ich wollte. Denn nur wer dient verdient! Das hatte sich in ihrem Verständnis zementiert und Nimmich half ihr nach Kräften dabei, da für sie Männer ohnehin nur notwendige Übel waren.

So dachte ich vermehrt an die Reize von Es, deren Brüste makellos schön waren und ich fing an zu verstehen warum die Götter, die Elfen, die Aliens, der Teufel, oder alle zusammen, das Säugetier erschaffen hatten. Und schließlich kam der Tag der Wunder ohne Wunderle, der Tag an dem meine kreativen, aber aus der Sicht der einfachen Bevölkerung verwerflichen Absichten wahr werden sollten. Und wieder hatte ich Anlass zum Staunen!
Mein Stadtatelier wirkte – für einfache Geister wohlgemerkt – wie ein Vorhof der Hölle. Überall standen Scheinwerfer herum und verschiedene Hintergründe warteten auf ihren Einsatz: es gab sogar einen goldenen aus mehreren Rettungsfolien...sie reflektierten das Scheinwerferlicht so stark, daß es unglaublich heiß um uns wurde. Die Heizung konnte ich abstellen.

Unglaublich heiß bewegte sich auch die schöne Es und ich hätte mich nicht gewundert wenn sie plötzlich Flügel bekommen hätte und davongeflogen wäre, mit mir zusammen direkt in den Himmel auf Erden, wo keiner mehr denkt, sondern einfach nur noch fühlt. Aber das waren unerfüllbare Wunschträume!
Nach ein paar einleitenden Normalaufnahmen nahmen wir die Sache „Goldmachen“ in Angriff. Es trug jedoch die vorbereite Paste selbst auf ihren strahlenden Körper auf, nur ein winziges Stückchen, hinten am Rücken blieb mir vorbehalten.
Dann klickte die Kamera schier unaufhörlich, weil sich immer wieder neue Perspektiven ergaben die unbedingt sehenswert waren.

Schließlich, nach schätzungsweise wiederum ca. 1000 Aufnahmen, sanken wir ermattet zu Boden und Schatterata begann lustig seltsames Zeug zu schnattern, damit ich ihr zustimmend folgen solle. Nebenbei wusch sie sich den goldenen Film vom Leibe. Bald stand sie wieder vor mir wie der Zufall gewollt hatte, daß ein aufregendes Geschöpf entstehe, um die Gedanken von begeisterten Trollen zu verwirren...denn wahren Männern zeigte sie sich (noch) nicht.
Dann wurde wieder Essen bestellt...“Hier spricht Schnatterata Engelland“ hauchte sie ins Handy, dann saßen wir erneut nebeneinander und sie verlangte verwöhnt zu werden.
Diesmal sollte ich auch ihren Oberkörper massieren, die Arme, den Bauch und die Brüste, wobei sie streng darauf achtete, daß ich nicht zu lange an den hochsensiblen Stellen verweilte.

Als die Essenslieferung kam zitterte sie bereits erotisiert an allen Ecken und Enden. Ihre meerblauen Augen waren noch blauer geworden und ihr goldenes Haar stand ihr (nunmehr längst wieder ungefärbt) wirr vom Kopf.
Sie sah beinahe aus als wäre sie leidenschaftlich geliebt worden. Schweigend stürzte sie sich auf ihre Nahrung! Ich bemerkte, daß sie jetzt offenbar wieder regelmäßig aß, denn ihre Rundungen waren noch ein Stück anziehender geworden: Neben mir saß die pralle Versuchung eines reichen Angebots aus der Schatztruhe der Natur – und ich war rundum entzückt.
Wann würde sie geküsst werden wollen??

Aber ich musste zufrieden sein mit dem was frau mir zugestand, außerdem wäre es jetzt ohnehin fatal gewesen mich hemmungslos zu verlieben. Ich setzte immer noch auf Wunderele, samt ihren Hirnkrämpfen, ihrer bodenständigen Unlogik, ihre Intoleranz, was Trolle angeht und ihr kurioses Interesse an mir, das sich vielleicht doch eines Tages noch zum Guten für alle Beteiligten wenden konnte.

Meine Überlegungen, während ich Es massierte und sanft streichelte glitten ins Uferlose, so daß ich gar nicht bemerkte wie sie sich förmlich losriss, aufstand, sich schleunigst anzog und sich anschickte das Atelier zu verlassen Diesmal jedoch umarmte sie mich beim Abschied und versicherte mir, daß ich ihr sehr sympathisch sein. Was für ein Erfolg?! Dann war sie meiner Aufmerksamkeit entglitten...

Ich notierte:

Lust empfinden willst du: keine!
Du bleibst nur dem Ekel treu...
In den Weg legst du dir: Steine!
Bleib nur immer eben scheu!

Kurz sind alle Freundlichkeiten,
die wir dieser Welt erweisen -
anstatt Lieben lieber Streiten?
Zähl dich doch zum alten Eisen!

Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman) 46

© Alf Glocker


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman) 46"

Re: Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman) 46

Autor: Sonja Soller   Datum: 02.11.2022 15:59 Uhr

Kommentar: Das Leben eines Trolls scheint sehr abwechselungsreich und aufregend zu sein,
und doch nicht immer lustig.
Du hast es sehr anschaulich, packend und realistisch beschrieben, lieber Alf!


Herzlich Grüße aus dem realistischen Norden, Sonja

Re: Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman) 46

Autor: Alf Glocker   Datum: 02.11.2022 17:40 Uhr

Kommentar: Herzli. Grü. aus dem Unrealistischen Süden

Alf

Re: Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman) 46

Autor: Jens Lucka   Datum: 02.11.2022 19:42 Uhr

Kommentar: Lieber Troll, das wäre mir doch viel zu anstrengend. Ich habe es wohl lieber einfach und Zielgewiss.

Liebe Grüße, Jens

Re: Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman) 46

Autor: Alf Glocker   Datum: 03.11.2022 7:46 Uhr

Kommentar: Hast recht lieber Jens!

Liebe Grüße
Alf

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