Ich hatte mich im Büro verspätet, so wie die letzten Tage davor auch. Darum hatte ich auch ein ungemein schlechtes Gewissen. Doch mein neuer Roman musste rechtzeitig fertig werden und gerade jetzt hatte ich einen Flow und wollte nicht dass er versiegt. Nie merkte ich, wie die Zeit verflog und wenn ich dann auf die Uhr schaute , war es bereits jenseits einer partnerschaftlichen und erotischen Hingebungsphase. Tracy war es wichtig, dass sie mit mir Zeit verbringen konnte, mir ja auch. Meine schöpferische Zeit jedoch war dem Verlag widerum wichtig, denn wir hatten einen Vertrag. Diesen musste ich erfüllen und hatte nur noch zwei Wochen Zeit für die Fertigstellung meines neuen Horrorromans. Es war ein Dilemma und der Hund biß sich hier in den Schwanz. Für heute musste ich mich losreißen, obwohl ich noch vor Ideen sprühte.
Nachdem ich mit Tracy telefoniert hatte, um die meisten Vorhaltungen jetzt schon entgegenzunehmen, machte ich mich auf den Weg. Es war bereits nach dreiundzwanzig Uhr dreißig, diesig und kalt. Es sah nach Schnee aus, genau die Atmosphäre, die ich auch gern in meinen Storys verwende. Um sie für später zu konservieren prägte ich sie mir schärfstens ein.
Meim alter Lincoln schnurrte wie ein Kätzchen und die gute Dieselheizung hatte es mollig warm gemacht.
Ich bog vom Highway ab und musste nun eine Weile durch offenes Land fahren, dass nur von einzelnen Farmen unterbrochen wurde. Im Radio dudelte “Country Roads“ und ich hatte noch etwa eine halbe Stunde Weg vor mir, als der Motor plötzlich stotterte, alle Lichter im Wagen blinkten und der Zeiger des Tachos mir wie ein Finger drohte. Der Radiosprecher erklärte, dass in diesem Moment der neue Tag anbrechen würde, dann verstummte auch er und ich stand allein und verlassen im schwärzester Finsternis auf der Straße.
Ich suchte mein Handy, nur um festzustellen, dass ich es wohl im Büro liegenlassen hatte. Als ich da stand und überlegte was ich wohl jetzt machen sollte, riss die Wolkendecke auf. Ein riesiger blutroter Mond überschüttete die Gegend mit einem nichtirdischen Licht. In ihm tauchte zu meiner Linken ein uralter Friedhof auf, den ich während meiner Fahrten hier nie bemerkt hatte. Gleichzeitig fing ein frischer Wind an zu wehen und brachte in einer , wohl hinter Friedhofsgewächsen versteckten Kapelle eine Glocke zum Klingen. Das alte Tor, zu dem ich mich wahrscheinlich unbewußt bewegt hatte, knarrte in seinen Angeln und machte dieses schaurige Szenario perfekt.
Es war unglaublich, wie in einer meiner Geschichten, nur eben real. Ich vergaß, dass ich nach Haus wollte, ging durch das Tor, um Motive und Eindrücke zu sammeln, die ich dann später an meine Leser genauso weitergeben wollte. Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare aufstellten, weil ich wusste, dass gleich etwas geschehen würde.
Eine Eule saß mit verdrehtem Kopf auf einem Grabstein und sah mich an, in ihren großen Augen loderte der Mond, der sich hinter mir darinnen spiegelte.
Auf einmal spiegelten sich zwei weitere Gestalten dort drinnen und ich fuhr mit einem Aufschrei zurück, geradewegs durch diese beiden Gestalten die nicht materiell waren. Ich fiel mit dem Kopf gegen einen weiteren Grabstein, der vorher noch nicht dort stand, da war ich sicher und blieb benommen liegen. Als ich wieder klarer wurde, konnte ich nur geistig rege sein, den Rest meines Körpers konnte ich nicht bewegen.
Die beiden Gestalten im Totenhemd standen vor mir und blickten mich strafend an. Es waren ein Mann und eine Frau, das stand für mich fest.
Das männliche Gespenst ( denn nichts anderes waren sie, als Gespenster )sprach zu mir > Unseliger der du bist, ich kenne dich, besser als du dich selbst. Ich habe dich heute Nacht hierher kommen lassen, um mit dir zu reden. Wir beide sind vom gleichen Schlag und vertreten das gleiche Genre. Genau wie du glaubte ich nicht an die Anderswelten und die Geschöpfe der Nacht, doch schrieb ich so manche Geschichte über sie. Nie hätte ich geahnt was für Auswirkungen das eines Tages für mich haben würde. Meine Annabel Lee hier, seine Begleitung schwebte auf mich zu, war die Liebe meines Lebens und sie ist es auch jetzt noch. Als sie starb ,vor ihrer Zeit, brach eine Welt für mich zusammen und ich beschwor die Mächte der Finsternis sie mir wiederzugeben. Dafür musste ich ihnen etwas geben und das war meine Seele. Als ich über das Haus Usher oder die schwarze Katze schrieb, war mir nicht klar, dass ich mich mit jedem Wort, jeder Zeile für diese Mächte interessanter machte. Nun bin ich seelenlos auf diesem Friedhof den es in deiner Welt nicht gibt, mit meiner Annabell Lee vereint. Mein Körper liegt zwar auf einem irdischen Gottesacker, doch niemand weiß, wie ich genau ums Leben kam. Ich beschwöre dich, lass die finsteren Mächte in Ruhe und suche dir einen anderen Stil, wenn dir deine ewige Ruhe lieb ist.<
Mit diesen Worten schrumpften die sphärischen Gestalten und verschwanden hinter dem Grabstein, vor dem ich lag.
Die Wolken zogen zu, der Mond verschwand, ebenso der Friedhof. Ich konnte mich wieder bewegen und mein Lincoln stand blubbernd an der Straße. Der Radiomann verkündete die Uhrzeit. Es war ein Uhr. Ich zählte eins und eins zusammen. Wenn mich nicht alles täuschte, hatte ich eine Begegnung mit E.A.P. gehabt, einem meiner größten Idole.
Nur weiß ich nicht, ob mir das alles mein übermüdeter und gestresster Geist suggerierte . Solange ich mir das nicht selbst beweisen kann, werde ich unser gemeinsames Genre der Übernatürlichkeit vertreten, so wahr mein Pseudonym P.I.Collow ist!


© Michael Dahm


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