Das Licht erlischt kurz, bevor es von gelblich-grün in purpurn rot wechselt. Wie ein längeres Augenzwinkern kommt es einem vor, nicht etwa wie eine Unterbrechung der Show.
Leise beginnt ein Klavier zu spielen. Die Atmosphäre lockert sich, entspannt sich wieder. Die Leute in unserer Umgebung sinken wieder in sich zusammen und verlassen ihre aufrechte Haltung. Die Musik wirkt fröhlich. Schon fast wie in einem Zirkus, setzt die Kapelle mit spielerischen Klängen ein.
„Und du warst schon mal hier?“, fragte ich Sophie, um mich selber von der Bühne abzulenken.
„Ja, irgendwie schon.“
„Irgendwie?“
Sophie schaut mich nickend an und reagiert nicht auf meine Frage. Ich werfe einen kurzen Blick auf die Uhr - 22:30. Es erschien mir gar nicht so lang, wie der Typ auf der Bühne war.
„War da dieser komische Schlangenmensch auch schon da?“
„Gordo? Ja. Er ist faszinierend. Findest du nicht?“
„Auf eine schräge Art und Weise.“ Mit einer hochgezogenen Augenbraue, blicke ich erst zur Bühne, dann zu ihr zurück.
„Er hat etwas Erotisch-Anziehendes. Das ist schon irre.“ Sophie schien völlig abwesend. Regelrecht in Gedanken versunken.
„Ähm – ja.“
Zwischen den Tischen springt jemand herum. Ein Mann der mehr durch seine Kleider auffällt, als durch sein eigenes Aussehen. Es scheint wieder normal zu werden.
Die braunen Haare hat er wuschelig nach oben gestylt. Das ovale Gesicht endet in einem kleinen Ziegenbärtchen, welches er scheinbar mit Gel besonders spitz geformt hat.
Ab und an bleibt er an einem der Tische stehen. Bei dem Pärchen vom Einlass macht er jedoch richtig Halt. Nicht um den Leuten einfach nur provokant in die Augen zu glotzen. Irgendetwas scheint er gezielt zu suchen. Man merkt, wie der Schalk ihm in den Nacken fährt. Er klaut sich das Monokel und lässt ihn wie eine Spielmünze über die Finger wippen. Grinsend schaut er zu dem Herrn hinunter. Mit einem Augenzwinkern und einem Schnips ist das Glas verschwunden. Erschrocken schaut sich der Gaukler um. Sein Blick irrt durch den Raum, als suche er nach dem verschwundenen Monokel.
Irgendwo schreit jemand entsetzt auf. Der Gaukler springt zum Tisch, von dem der schrille Schrei kam. Er nimmt der zierlichen Lady das Monokel vom Auge. Absolut panisch schaut sie ihn an. Mit einer Hand hat sie sich am Tisch fest gekrallt, mit der anderen hält sie sich die Brust.
Zwischen den flachen Händen balancierend, hebt er das Glas in die Höhe. Die Leute fangen zu klatschen an. Das Monokel wirkt wie eine Glaskugel in seinen Händen, zu denen er verehrend aufschaut.
Das Schauspiel amüsiert mich, da ich den Typ, dem der Monokel gehört, von Anfang an nicht ausstehen konnte.
Der Mann mit den grau-blauen Hochwasserhosen reißt seine Arme auseinander. Der Monokel fällt. Ich erwarte den Aufprall auf dem Boden, auf das er in hundert kleine Splitter zerspringt. Wenige Zentimeter vor dem Aufschlagen, klatschen Hände über dem Monokel zusammen. Der Gaukler reibt sich die Hände und richtet sich wieder auf. Zwischen den Handflächen rinnt ein silbriges Pulver nach unten. Das Glas wurde einfach so zerquetscht.
Staunend und Fassungslos schauen die Leute auf das Männlein, welches triumphierend lächelnd da steht. Sich noch immer die Hände reibend, tänzelt er zurück zu dem Mann, dem er das Monokel entwendet hat. Bevor er ihn erreicht, springt er auf und schlägt die Fersen aneinander. Aufgeregt hüpft er über den leeren Stuhl auf den Tisch. Er kniet sich nieder und neigt entschuldigend den Kopf. Mit einer einladenden Handbewegung bedeutet er dem Herren aufzustehen. Noch immer schaut er stur nach unten. Ein Raunen geht durch den Saal, der Monokel ist wieder an seinem Platz.
Unter tosendem Applause springt der Gaukler auf. Sich wieder und wieder verbeugend, dreht er sich auf dem Tisch. Kurz hält er inne, spannt seine Hosenträger und lässt sie zurück schnippen. Als würde ihn die Wucht des Aufpralles davon schleudern, springt er mit einem Salto rückwärts auf die Bühne. Der Beifall wird immer tobender.
Etwas enttäuscht darüber, dass der Herr sein Monokel wieder hat, verfolge ich die Show weiter. Der Gaukler jongliert mit den verschiedensten Gegenständen. Bälle, Keulen, Gläsern, Messern, Fackeln und schließlich mit einer Mischung aus allem.
Gelegentlich blicke ich neugierig zu Sophie. Sie scheint glücklich und ausgeglichen zu sein. Die Zaubertricks faszinieren sie am meisten. Etwas gelangweilt schaue ich mir die anderen Leute im Publikum an. Wieder fallen mir die schrägen Gestalten vom Anfang auf.
Die wiehernde Lady hat sich ihrem Begleiter an den Hals geschmissen. Sie knabbert unentwegt an dessen Hals und Ohrläppchen, während er genüsslich eine Zigarre pafft und dem Treiben auf der Bühne folgt.
Der glubschende Kahlkopf am Nachbartisch ist wieder zurück gekehrt. Mit einem Strohhalm stochert er desinteressiert in seinem Glas, was überwiegend Eis enthält. Die dicke Federfrau neben ihn beäugt ihn genervt, bevor sie die Geduld verliert und ihm das Glas weg nimmt.
Die ungleichen Drillinge schauen gespannt auf die Bühne. Vor ihnen auf dem Tisch sammeln sich leere Schnapsgläser. Mir entgeht dabei nicht, dass der Kleine schon im sitzen kräftig wankt. Ich warte nur darauf, dass er betrunken vom Stuhl kippt. Ich muss schmunzeln.
Auf der Bühne müht sich der Gaukler noch mit allerlei Tricks ab. Sein Lächeln scheint eingefroren zu sein. Mit einem Mal, bleibt er in der Mitte regungslos stehen. Das fröhliche Gesicht verfinstert sich. Ein mächtiger Knall hüllt die Bühne und die ersten Tische in eine weiße Nebelwolke. Das Licht fällt in Strahlen hindurch. Stille ist im gesamten Raum eingetreten. Der Nebel senkt sich und die Bühne ist leer. Kein Männlein, keine Keulen, keine Tücher und Kisten. Alles ist in diesem kurzen Augenblick verschwunden.


© Timere Libertati


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