Schlussbemerkung

Mit diesem Vortrag enden die Aufzeichnungen der uns übermittelten Hirnzwickschen Gedankenexperimente. Der uns allen liebgewordene Professor ist in seiner abgelegenen Waldhütte leider vor einiger Zeit durch einen Herzschlag dahingerafft worden, welcher ihn zugleich mitten aus der Arbeit an seinem umfangreichen Lebenswerk gerissen hat. Er wurde mittlerweile zur letzten Ruhe gebettet, seine Asche verstreuten – entsprechend einem wiederholt geäußerten Wunsch – die Behörden mit Sondergenehmigung im Nordpolarmeer.

Weitere Mitschriften hatte uns der Student ursprünglich nicht übergeben. Auch die anderen Vorträge, oder sagen wir besser die Essays, die nach Beendigung seiner Lehrtätigkeit auf oft abenteuerlichen Wegen unsere Redaktion erreichten, konnte der Professor leider nicht fortsetzen, da ihm der Tod – bildlich gesprochen – mitten im Wort die Feder aus der doch so emsigen Hand geschlagen hat.

Reste des Manuskriptes seines auf 270.000 Seiten angelegtes Lebenswerkes entdeckten wir als Asche im Kamin der Waldhütte. Ebenso ein seltsames halbverkohltes und halb geschmolzenes elektronisches Gerät. Aus unterschiedlichen Notizen des Professors geht hervor, dass dieser Vernichtungsakt stattfand, nachdem er einen Quantencomputer entwickelt hatte und den gesamten Inhalt seines Gehirns spaßeshalber auf dessen Festplatte kopiert hatte. Jetzt konnte er nicht mehr sagen, wer das Werk eigentlich verfasst hatte, der Computer oder er.

Dieser Umstand musste ihn in eine Art schizophrenen Wahnsinnszustand versetzt haben, in dem er nicht mehr wusste, was er tat.

Das einzige, was wir außerdem in seinem Nachlass auffinden konnten, waren eine Reihe teils äußerst wunderlicher Fragen, die er flüchtig auf verschiedenen Zetteln notiert hatte. Sie waren überall in seinen Wohnräumen verstreut, als habe er sie achtlos dort fallengelassen, wo ihm gerade etwas durch den Kopf gegangen war. So, als sei sein Interesse in dem Augenblick schlagartig erloschen, in dem er die Frage niedergeschrieben hatte.

Diese Fragen, welche er nicht weiter zu Vorträgen verarbeitet hat, wofür wir übrigens in vielen Fällen durchaus dankbar sein dürfen, haben wir kommentarlos dieser Vortragssammlung hinzugefügt. Sie werfen ein letztes bezeichnendes Licht auf die skurrile, in seltenen Augenblicken aber auch durchaus hellsichtige und kritische Denkweise von Professor Anatol Hirnzwick.

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Anhang

Prof. Hirnzwicks letzte unbeantwortete Fragen

Darf man einen Mörder auch dann als Kannibalen bezeichnen, wenn er nach der Tat lediglich die in einer Transplantations-OP implantierte Schweineherzklappe seines Opfers verspeist?
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Kein Mensch würde stolz verkünden „Ich habe fünf Finger an jeder Hand“ oder „ich bin ein Zweibeiner“, weil dies ja Selbstverständlichkeiten sind, die keiner besonderen Erwähnung bedürfen. Sollten also die Sätze „Ich bin tolerant“ oder „Ich bin kein Rassist“ vor diesem Hintergrund nicht ebenso überflüssig sein?
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Meine Freiheit endet da, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Muss dann nicht auch die Freiheit des Internets dort enden, wo die Freiheit der Realität beginnt?
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Warum ist es eigentlich unzulässig, auf Formularen in die Rubrik „Geschlecht: …..............“ den Begriff „Menschengeschlecht“ einzutragen?
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Warum sollte eine Transgender-Person nach erfolgter Operation in das erwünschte Geschlecht, ihr neues Ge“schlecht“ nicht als Ge“gut“ bezeichnen?
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Wäre es zur Optimierung des sozialen Miteinanders nicht sinnvoll, die Begriffe „Menschenrechte“, „Grundrechte“ und „Eigentumsrechte“ durch „Menschenverantwortung“, „Grundverantwortung“ und „Eigentumsverantwortung“ zu ersetzen?
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Ist der Satz :“Ich brauche keinen Gott, ich glaube an die Vernunft“ eigentlich sinnvoll? Und zwar angesichts der Tatsache, dass ein Verzicht auf Gott zwar nachvollziehbar sein dürfte, der Glaube an die Vernunft, deren Nichtexistenz empirisch gesichert ist, hingegen den Gipfel der Unvernunft darstellt.
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Ein Sachbuch soll das Wissen des Autors möglichst weit verbreiten und es zugleich mit anderen Wissensgebieten vernetzen. Warum ist es dann durch zwei Buchdeckel von den Nachbarbüchern im Regal getrennt?
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Wie gehen gläubige Veganer mit der von der Kirche postulierten Tatsache um, dass sich die Oblate beim Abendmahl in den Leib Christi verwandelt?
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Wie steht die Ethikkommission dazu, wenn ein Patient nach einer Blinddarmoperation die Bitte äußert: „Ach packen Sie's mir bitte für den Hund ein!“ Und halten die Kliniken für solche Fälle „Doggybags“ bereit?
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Wenn man in der Presse von einem „katholischen“ Verbrecher spräche, wäre das politisch höchst inkorrekt. Ist es dann angesichts der Gleichberechtigung nicht sogar schon inkorrekt, bei einem Angeklagten von einem „Mann“ zu sprechen, anstatt von einem „Menschen“?
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Pflegekräfte sagen oft, dass es ihnen Glück bereitet, anderen Menschen helfen zu können. Woher nimmt ihr Arbeitgeber aber das Recht, dieses Glücksgefühl wie eine von ihm gewährte Gehaltszulage zu betrachten, und den Arbeitnehmer auf diese Weise auszubeuten?
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Warum bezeichnen wir Gefängnisinsassen eigentlich immer als Weggeschlossene? Vielleicht betrachten ja sie uns durch die Gitterstäbe als Weggeschlossene.
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Könnte es sein, dass Fahrgäste, die nach Betätigen der Notbremse nach vorn geschleudert werden, diesen Hebel vielleicht für eine Art Booster-Button halten, also ein Mittel zum Zweck einer schlagartig einsetzenden Superbeschleunigung?
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Welche Merkmale muss eine Antwort aufweisen, damit dem Fragesteller klar wird, dass er seine Frage niemals hätte stellen sollen?
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Könnte man ganz bestimmte Schreibfehler nicht zur geheimen Übermittlung verschlüsselter Botschaften nutzen, und deshalb Legastheniker als Geheimdienstmitarbeiter einsetzen?
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Warum wird bei der Ermittlung des Durchschnitts-IQ niemals auch die geschätzte durchschnittliche Intelligenz aller weiteren Lebewesen im Universum berücksichtigt?
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Wie beurteilt ein erklärter Gegner jeglicher Form von Gewalt einen Koch, der ein Schnitzel flachklopft? Schließlich es ja der Teil eines Lebewesens, das zwar nicht mehr lebt – aber wer schlägt schon auf Tote ein? Das wäre ja zumindest ein Fall von Leichenschändung.
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Da Licht der Schwerkraft unterliegt, also aus Teilchen besteht, müsste die Hornhaut der Augen, auf die im Lauf des Lebens ja ständig Licht trifft, im Alter nicht massereicher, also dicker geworden sein?
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Sind Wörter, die mit der Silbe „Un-“ beginnen (z.B. Unwetter, Unkraut, Untier, ungemütlich) nicht ungeheuer anthropozentrisch, weil sie fast immer Dinge benennen, die nur uns Menschen nicht zusagen?
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Was soll man von einer Grundschullehrerin halten, die Bilder verteilt und dann die Kinder auffordert, alle Gegenstände auf dem Bild rot auszumalen, die man nicht sehen kann?
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Hummel, Frosch, Fledermaus, Kakerlake, Fliege, Huhn, Ochse – ist diese Aufzählung vielleicht ei.........

Hier brechen auch noch die
letzten Fragen des Professors ab.
Sämtliche Untersuchungen seines
Nachlasses wurden daraufhin beendet.

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© Peter Heinrichs


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Beschreibung des Autors zu "Professor Anatol Hirnzwicks Ende"

Dieser "Bericht" schließt die Veröffentlichung weiterer Hirnzwick-Vorträge nicht aus, die noch aufgefunden werden. :-)

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Kommentare zu "Professor Anatol Hirnzwicks Ende"

Re: Professor Anatol Hirnzwicks Ende

Autor: Michael Dierl   Datum: 01.02.2022 10:46 Uhr

Kommentar: Hi, einfach genial!!! Der Satz: Wie gehen gläubige Veganer mit der von der Kirche postulierten Tatsache um, dass sich die Oblate beim Abendmahl in den Leib Christi verwandelt? Da mußte ich laut lachen! Top!!! Aber andere eben auch! Schön gemacht! Saugern gelesen!

lg Michael

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