Liebe Studierende und Freunde des Diagonal-, Überkreuz- und Selbstdenkens,

in meinem heutigen Vortrag möchte ich mich mit der Entstehung des Universums befassen. Ich hoffe, es wird den einen oder anderen von Ihnen nicht verunsichern, wenn er vielleicht manche lieb gewonnenen Vorstellungen über Bord werfen muss.

Nun! – stellen Sie sich vor, Sie haben zwei gerade Linien, die sich durchkreuzen. Ihr Schnittpunkt wird nichts anderes sein, als der Name bereits besagt – ein Punkt. Somit ist das Schnittgebilde zweier eindimensionaler Gebilde logischerweise nulldimensional, denn ein Punkt hat – wie jeder weiß – null Dimensionen. Schneiden sich zwei Flächen, die ja zweidimensional sind, so entsteht eine Gerade, also ein eindimensionales Schnittgebilde. Durchdringen sich jedoch zwei dreidimensionale Körper, so bildet sich an ihrem Durchdringungsbereich eine zweidimensionale Schnittfläche.

Ich fasse zusammen: Ein Schnittgebilde besitzt grundsätzlich eine Dimension weniger als die beiden Gebilde, die es erschaffen. Könnte es also möglich sein, dass unser dreidimensionales Universum vielleicht das Schnittgebilde zweier vierdimensionaler Universen ist?

Diese These würde manches erklären. Als die beiden vierdimensionalen Universen sich berührten, ereignete sich der sogenannte Urknall. Je mehr sie sich durchdringen, desto größer wird auch unser auf diese Weise entstehendes dreidimensionales Universum, was seine inzwischen wissenschaftlich nachgewiesene Ausdehnung ja auch belegt. Aber das Universum schrumpft natürlich auch wieder, wenn die Durchdringung auf ihr Ende zugeht. Lösen sich die beiden vierdimensionalen Universen wieder voneinander, so ereignet sich – auch diesmal lautlos – ein negativer Big Bang und unser dreidimensionales Universum verschwindet auf Nimmerwiedersehen in einer negativen Singularität!

Ich darf hier ganz am Rande der Genauigkeit halber darauf hinweisen, dass die Singularität damit ja einen negativen Nullzustand darstellt und eine negative Null außerhalb unserer Vorstellungskraft liegt. Ob sie überhaupt existieren könnte, darf angezweifelt werden.

Möglich wäre jedoch auch, dass sich unser dreidimensionales Universen mit einem anderen dreidimensionalen schneidet, das Ergebnius wäre ein zweidimensionales Universum, vielleicht wäre dies das zur Zeit von manchen Astrophysikern postulierte holographische Universum. Zwei sich schneidende holographische Universen würden sich auslöschen, da ihr Schnittgebilde eindimensional wäre. Das würde sich noch einmal fortsetzen, bis zuletzt ein nulldimensionaöes Universum übrigbliebe, das ebenfalls eine letztmögliche Singulatität darstellt.

Lassen Sie uns den Gedankengang trotzdem weiter verfolgen. Die vierte Dimension ist ja laut Albert Einstein die Zeit. Was geschähe also, wenn die beiden sich schneidenden vierdimensionalen Universen unterschiedliche vierte Dimensionen hätten? Wenn sie zu verschiedenen Zeiten existierten? Könnten sie sich dann überhaupt begegnen und ein gemeinsames Schnittgebilde erzeugen? Das wäre ja die Voraussetzung für unser aller Existenz. Andererseits existierte vor der Singularität des Urknalls ja überhaupt keine Zeit, die Uhren begannen gleichermaßen erst mit dem Beginn unseres Universums zu ticken. Es gäbe also gar keinen denkbaren Zeitpunkt, an dem die Universen sich hätten treffen können, oder aber es gäbe unendlich viele. Und diese unendlich vielen Zeitpunkte hätten möglicherweise auch noch gleichzeitig existieren können. Dann geschähen ja auch alle vierten Zeitdimensionen der möglichen Universen, also alle Zeiten und nichtexistenten Zeiten ebenfalls gleichzeitig. Sollte dies nicht der Fall sein, so hätte vor der Entstehung des Universums eine außeruniverse Zeit existieren müssen, die im Gegensatz zu der im zukünftigen Universum zu erwartenden eindeutig gewesen wäre.

Vielleicht denken wir wirklich wie die Menschen in Platons Höhlengleichnis. Die halten die dreidimensionale Realität ja für zweidimensional, weil sie die Schattenflächen an den Höhlenwänden für die Realität halten. Wir schätzen möglicherweise alles um eine Dimension geringer ein, als es ist. Deshalb könnten wir gegenwärtig auch in einem vierdimensionalen Universum leben, dass nur wir für lediglich dreidimensional halten. Dieses vierdimensionale Universum wäre durch die Durchdringung zweier fünfdimensionaler Universen entstanden, und es könnte dann ja sein, dass wir diesem, in der Tat nicht sehr vertrauenswürdigen Universum gern entfliehen würden. Nichts einfacher als das!

So könnte ja beispielsweise ein zweidimensionaler Bewohner seiner Flachwelt problemlos entfliehen, wenn es ihm gelänge, sich einfach nach oben davonzumachen. Da er freilich die dritte Dimension Höhe weder kennt, noch begreift, noch sie sich auch nur im Ansatz vorstellen kann, würde er vermutlich einwenden: "Oben? Was ist denn „oben“? Das ist doch sicher wieder eine Verschwörungstheorie!" Ebenso könnten auch wir uns aus einem dreidimensionalen Universum durch die vierte und aus einem vierdimensionalen durch die fünfte Dimension da­vonstehlen. Wir hätten allerdings nicht nur das Problem, die Tür zu finden, wir wüssten ja auch nicht wohin. Da das Universum, wie schon der Name sagt, das „Ein-und-alles“ ist, dürfte es außerhalb mitnichten ein Refugium geben.

Sie werden nach diesen Ausführungen jetzt vielleicht einwenden, dass man sich die Genese unseres Universums nicht so simpel vorstellen dürfe; die diesbezüglichen Hypothesen seien schließlich weitaus komplexer. Lassen Sie uns im morgigen Seminar weiter darüber diskutieren, ob meine These zur Entstehung des Universums möglicherweise auf dem Müllhaufen unausgegorener Ideen landen sollte, wo sie übrigens unter dem vielen anderen Gedankenmüll noch nicht einmal besonders auffallen würde.

Zumindest aber haben alle Studien, in denen Hypothesen und Theorien auf den Prüfstand gestellt wurden, bewiesen, dass Unsinn deutlich amüsanter ist als Sinn. In diesem Sinne danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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© Peter Heinrichs


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Beschreibung des Autors zu "Über die Entstehung des Universums (Episode 1)"

Mit diesem ziemlich zweifelhaften Vortrag beginnt die Vortragsreihe des durchgeknallten Professors Anatol Hirnzwick, der für seine erratischen Ideen in weiten Kreisen der Spinner und Fantasten berühmt geworden ist.

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