-1-

Wieder sitze ich total übermüdet vor meinem Laptop. Scheinbar sinnlos surfe ich quer durch die Portale. Auf der Suche nach gleichgesinnten, die von Schlaflosigkeit gequält werden, springe ich von einem Chat zum nächsten. Ohne Erfolg. Resignierend schaue ich auf die Uhr – es ist vier. Fantastisch. Da hat man schon einen freien Tag, den man dann damit verbringt, sich von der vorherigen Nacht zu erholen. Ich höre ein dumpfes ‚Pling’. Ein Chatfenster öffnet sich und brabbelt ein fröhliches: „Hallöle, na mein großer, noch immer Wach?“
„Immer noch ist gut…“, schreibe ich leicht genervt zurück.
„Wieso? Haste schon geschlafen?“
Ich reibe mir die Augen und versuche erst gar nicht, mir die Frage zu stellen, warum ausgerechnet Sophie noch wach sein muss.
„Ja ich habe schon geschlafen. Wie die letzten drei Wochen aber nicht für lange.“
„Na wie wäre eine Tasse heiße Milch?“, kommt ihr erster von vielen Einschlaftipps. Nachdem ich sie alle mehr oder minder ignoriert habe und sie scheinbar nicht mehr weiter zu schreiben scheint, antworte ich.
„Hab schon alles Mögliche ausprobiert. Hab das I-net auf den Kopf gestellt um eine brauchbare Methode zu finden, nur damit ich endlich mal wieder in ruhe schlafen kann.“
„Aber wenn du schon geschlafen hast, wieso bist du dann wieder wach?“, fragt sie mit einem traurigen Smile im Anhang.
„Hab mies geträumt. Das mach ich seit den besagten drei Wochen. Nur einschlafen geht dann nicht mehr.“
„Was haste geträumt?“, will sie wissen.
„Dauert mir zu lange zum schreiben. Wollen wir uns Morgen, nein, heute auf ein Kaffee treffen?“ Ich hab Sophie schon eine Weile nicht gesehen. Es wäre mal wieder Zeit für diesen kleinen Freigeist. Sie ist immerhin eine Freundin, die mir schon seit Jahren den Alltag versüßt.
„Na… Kaffee ist schlecht. Treff mich mit meiner Mum…“ Kaum hab ich die Nachricht erhalten, schickt sie einen kotzenden Smile hinterher. Sie scheint sich mit ihrer Mutter also immer nicht ausgesöhnt zu haben.
„Schade.“
„Na… Wie wäre es mit Abend? Vor einigen Wochen hat ein neuer Laden aufgemacht. Schaut recht interessant aus… Wie wär’s?“
„Da kann ich vorher noch ein bisschen Schlaf nachholen. Also – ja – gerne.“
„Supi! Ich hau mich jetzt aber auch hin. Bis denn denn…“
„Cu kleines.“ Kaum habe ich es abgesendet, sehe ich, wie sie wieder offline geht.
Schnaubend lasse ich mich in den Sessel fallen. Wenigstens eine, die ruhig schlafen kann.

-2-

Leicht genervt schaue ich auf mein Handy um die Uhrzeit festzustellen. Sophie wollte schon vor einer viertel Stunde hier sein. Ich suche nach ihrer sms, damit nicht doch ich mich vertan habe.
„21Uhr, am üblichen Treffpunkt. Zieh dir was Schickes an. Sonst kommen wir nicht in den Laden rein. Anzug muss nicht, wäre aber cool. Ich hab ein Kleid an, nur so zur Info.“
Nein – sie ist definitiv zu spät. Als ich mein Handy wegstecke, springt ein kleines Wesen hinter dem Denkmal hervor.
„Tada!“, schreit eine viel zu gut gelaunte Sophie. Sie steht mit weit ausgebreiteten Armen vor mir und grinst mich an. Bei ihrem Anblick muss ich schmunzeln. Das ist so typisch sie. Ich gehe langsam auf sie zu und nehme sie in die Arme.
„Hallo Kleines.“, sag ich. Sie hängt sich an meinen Hals, während sie mir einen Schmatzer auf die Wange gibt.
„Juhu. Lass mich runter und dann los. Ich kann’s kaum erwarten. Bin bisher nur einmal da gewesen.“, redet sie einmal mehr viel zu schnell.

Wir gehen durch die Straßen und Gassen, welche sich mit Menschen gefüllt haben, die den Samstagabend gemütlich ausklingen lassen wollen. Ich genieße ihre Ausgelassenheit und lausche gespannt, was sie die letzte Zeit so getrieben hat. Unser Gespräch ist weit ab vom Höflichkeitsgeplänkel. Viel mehr versuchen wir uns gegenseitig auf den neusten Stand zu bringen.
„Da ist es.“, sie nickt in Richtung eines maroden Hauses.
„Hattest du nicht gesagt, der Club ist neu?“, frage ich mit hochgezogener Augenbraue.
„Ja wirklich. Glaub mir einfach. Das ist echt Wahnsinn dort.“, schwärmt sie und zerrt mich das letzte Stück hinter sich her. Schon fast im Laufschritt gehen wir auf das alte Gemäuer zu, an dem eine kleine Metalltafel hängt. ‚Varieté’ sehr interessant. Scheint zumindest mal etwas neues zu sein.
Wir stellen uns hinter zwei Pärchen an, die ebenfalls in den Club wollen. So wie Sophie gesagt hat, scheint das ernsthaft ein etwas gehobener Laden zu sein. Einer der Männer trägt einen Frack, mitsamt Zylinder. Mutig – denk ich mir. Heute so auf der Straße rumlaufen…Respekt!
Seine Begleitung ist dabei nicht minder gut angezogen. Sie trägt ein langes Abendkleid, welches so ausladend ist, dass sie mir die Schuhe putzt.
Es dauert nicht lang, dass die beiden Pärchen eingelassen werden.
„Worauf haben die gewartet?“, flüstere ich zu Sophie.
„Darauf, dass sie begrüßt werden.“, sagt sie grinsend. „Das wird hier so gemacht. Jeder Gast wird einzeln an der Tür abgeholt.“
„Ist der Laden so groß, dass man sich sonst verirrt?“, frage ich scherzhaft. Ich merke, wie sich ihr Zeigefinger in meine Rippen bohrt.
„Quatschkopf.“, giftet sie zu mir hoch. Im selben Moment öffnet sich die Tür.
Vor uns steht ein kleiner, dicklicher Mann im Anzug. In einer Hand hält er die Klinke, mit der anderen macht er eine einladende Geste. Er hebt seinen Kopf und schaut uns an. Wie bei einer Maschine, bewegt sich seine Hand zur selben Zeit. Bewegungsanfang und –ende von Kopf und Hand sind vollkommen identisch.
„Einen wunderschönen guten Abend meine Dame; ein herzliches Willkommen dem Herren.“, sagt er in eingeübt schmeichelndem Ton. Er hält Sophie die Hand entgegen, welche ohne zu zögern diese ergreift.
„Bitte folgen sie mir.“, sagt er. Mit einer geschmeidigen Wendung, die ich ihm niemals hätte zugetraut, dreht er mir den Rücken zu. Sophie bei der Hand, lässt er sie eine Pirouette drehen, bevor er sie eine kleine Treppe hinauf führt.
Völlig perplex von diesem Empfang, laufe ich hinterher. Der Flur ist mit groben, weisen Fliesen gekachelt. Nur ein schmaler Streifen ist mit einer Bordüre von grünem Blattwerk verziert.
„Garderobe haben sie keine, wie ich sehe.“, wendet er seinen Kopf leicht in meine Richtung.
„Nein.“, antworte ich knapp. Irgendwie ist es mir recht unheimlich. Ich fühle mich in dieser Umgebung eher wie in einem Schlachthaus, als wie in einem Nachtclub.
Vor einem großen, weinroten Samtvorhang bleibt der Dicke stehen.
„Ich wünsche ihnen beiden viel Spaß und recht viel Amusement.“, er beendet seinen Satz mit einem französischem Dialekt, was ihn noch viel unheimlicher macht. Wie zu beginn, bewegt sich Kopf und Hand zur selben Zeit. Seine linke Hand führt er zu Bauch, während sein Kopf wieder in eine Demutshaltung verfällt und seine Recht ein Stück des Vorhanges aufzieht.
Mir läuft es kalt den Rücken hinunter, als ich sehe, wie Sophie ohne Skrupel hinter dem Vorhang verschwindet. Mit zügigem Schritt folge ich ihr.


© Timere Libertati


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