„Wie kannst du es wagen?!“
Alexander, sonst so oft ein taffer und bodenständiger junger Mann, zog den Kopf ein und schien unter der Schelte seines Herrn zu erzittern.
Sein dunkelhaariger Begleiter, ungefähr in seinem Alter, mit muskulösem Körperbau, warf einen Seitenblick auf Alexander und trat langsam einen Schritt vor.
„Herr...“
„Nein“, donnerte der etwas in die Jahre gekommene Mann von seinem massiven Sitz und das eine Wort ergoss sich wie der Nachhall eines Fausthiebs über ihn. Aber Elyar besann sich darauf, die Wucht der ihm entgegen geschleuderten Silbe, an sich abprallen zu lassen. Stattdessen wich er nur wieder den getanen Schritt zurück.
„Wenn du dir die Freiheit nimmst“, wandte sich der Herzog nun wieder an sein Zentrum des Ärgernisses, „dann werde ich alsbald von meinem Recht Gebrauch machen, dich als mein Vasall in den niedrigen Rang eines normalen Ritters zu stellen. Ist das klar?!“
Der Angesprochene schluckte hörbar. Sein Blick ging hilfesuchend zu seinem Freund, doch Elyar waren aufgrund der gerade deutlich ausgesprochenen Zurechtweisung des Herzogs, die Hände gebunden. Er konnte nur dabeistehen und Zeuge werden, wie Alexander, dafür das er ohne Nachricht für einen ganzen Tag mit seinem Pferd vom Hof verschwunden war, in eine Art von Abgrund zu fallen drohte.
Vom Stande eines Vasallen des höchsten Mannes dieser Region zum normalen Ritter herabgesetzt zu werden, war für einen jeden die größte Pein. Der Spott und die innere Unzufriedenheit, es war eine Höllenvorstellung, wie es seit vielen Jahren aus all den Mündern der Bewaffneten zu erfahren war. Entsprechend gedemütigt schaute Alexander nun drein.
„Ich bitte um Vergebung, Herr. Ich bitte vielmals um Vergebung. Aber meine Mutter...“
„Was schert mich diese Frau? Für eine solche Art der Reise hast du dir gefälligst meine Erlaubnis zu holen! Jetzt, gerade jetzt, wo unsere Feinde sich erneut verbünden und jederzeit gegen unsere Mauern anstürmen könnten, nimmst du dir eine Freiheit, die ich dir niemals zugestanden habe! Du hast Frau und Kinder und wärst du als mein zweiter Mann nicht wieder zurückgekehrt, dann hätte man dir übles nachgesagt, Alexander. Du hättest keine endgültige Ruhe finden können.“
Mittlerweile war er aschfahl, was Elyar sehen konnte, als sein Freund den gesenkten Kopf hob und sich kaum sichtbar bekreuzigte.
„Was verlangt Ihr von mir?“
„Das du dich von nun an jeden Tag an meine Worte erinnerst. Einen solchen Verstoß werde ich dir kein zweites Mal ohne Strafe durchgehen lassen. Und nun geht. Beide.“


Die Äste knackten unter ihren schwarzen Lederstiefeln, als Emily den letzten Meter bis zu der kleinen runden Holzhütte lief und die Tür aufzog. Sie hatte damit gerechnet, dass sie nicht verschlossen sein würde, wenn sie eintraf. Sie zog sie wieder hinter sich zu und sofort wurde der fensterlose Raum in Dunkelheit gehüllt. Emily fand jedoch mit einer nahezu automatischen Handbewegung den Lichtschalter neben der Tür und Sekunden später ging sirrend die verstaubte Glühbirne an der Decke an, die ohne Lampe herunterhing.
Dann sahen ihre grünen Augen eine Gestalt. Diese stand an der gegenüberliegenden Wand und hatte ihr den Rücken zugedreht. Der Mann hatte braune Haare, was das Einzige war, was man auf Höhe seines Kopfes aus der Perspektive erkennen konnte. Sein kraftvoller Körper war gekleidet in ein schwarzes Leinenhemd, eine weiße Stoffhose und braune Lederstiefel mit breiter und umgestülpter Krempe. Um seine Hüfte spannte sich ein schwarzer Gürtel, an dessen Seite eine Schwertscheide hing. Die Klinge die er damit bei sich führte, lag jedoch neben ihm auf dem knarrenden Bretterboden.
Ihr Herz schlug schneller.
In einer fließenden Bewegung drehte er sich um und kam ohne einen Moment zu zögern auf die junge Frau zu. Seine starken Arme umfassten in einer unerwarteten Sanftheit ihre Taille, ehe Emily ihre Lippen auf seine presste.
„Du bist wirklich gekommen“, ihre von Freudentränen halb erstickten Worte, kamen nur mühevoll über ihre Lippen.
„Ich habe es dir versprochen, Emily. Und ich halte mein Wort, so wurde ich erzogen.“
Sie sah ihm in die grünen Augen und runzelte die Stirn. „Du wirkst so ernst. Ist alles in Ordnung?“
Er senkte eine Sekunde lang den Kopf, ehe er ihren Blick erneut aufnahm und mit einer Hand über ihre Wange strich.
„Verzeih mir, ich bin so in Gedanken. Alexander wurde zu unserem Herrn gerufen. Er hat vor zwei Tagen unerlaubt für einen ganzen Tag den Hof verlassen. Anlass dafür war ein Brief über den schlechten Gesundheitszustand seiner Mutter, er hatte zu große Sorgen, so dass es ihm wichtiger erschien, sofort zu ihr zu ziehen, als vor den Herzog zu treten.“
„Was hat er für eine Strafe bekommen?“
„Diese blüht ihm im Falle eines zweiten Verstoßes. Er wird seinem Rang enthoben und im Heer herabgesetzt.“
Sie stieß Luft durch die Wangen aus. Die junge Frau wusste nur zu gut, wie unerträglich eine solche Maßnahme für den Betroffenen sein musste, Elyar hatte es ihr genauestens geschildert, da seinem Vater dasselbe widerfahren war. Als einfacher Ritter war er drei Jahre nach der Geburt seines einzigen Sohnes in einer Schlacht gefallen.
Er legte die Hand an ihre Mitte zurück und schüttelte leicht den Kopf. „Ich möchte das Geschehnis einfach vergessen und nicht auf eine Wiederholung hoffen. Alexander ist klug, er wird sich davor hüten.“
„Das glaube ich auch. Als ich ihn kennen gelernt habe, wirkte er wie jemand, der genau weiß, was er tut. Aber auch sehr pflichtbewusst, deshalb überrascht mich sein Handeln.“
Elyar lächelte zärtlich. „Das tust du bei mir doch ebenso. Du faszinierst mich immer wieder.“
Die Zwanzigjährige lächelte und schloss die Augen, als er ihr sanft mit dem Finger über die Unterlippe strich und sie kurz darauf nochmal küsste.
Plötzlich zog sich ihr Herz, durch Einfluss eines blitzartig in ihr aufsteigenden Gedanken, zusammen. Immer wieder aufs Neue wollte Emily sich nicht daran erinnern, dass sie ihn wieder gehen lassen musste. Immer wenn der Zeitpunkt gekommen war, dass er die Falltür im Boden öffnete und wieder auf seine Seite des Lebens zurückkehrte, sträubte sich alles in ihr dagegen, ihn gehen zu lassen. Denn Fakt war, sie konnte sich nie sicher sein, ihn wiederzusehen. Die angespannte Lage in dem Reich in dem er lebte und dem Herzog Ewalt als treu ergebener Vasall diente, war eine nagende Ungewissheit an den Gemütern aller Beteiligten. Sie konnte nur froh sein, dass ihr Freund die offizielle Freiheit seines Herrn genoss, sich frei vom Hof entfernen zu können, so dass ihm solche Treffen mit Emily möglich waren. Danken konnte er für dieses Privileg seinen Eltern, die ihr ganzes Leben als Bedienstete bei Hofe sich einen sehr guten Ruf erarbeitet hatten. Dementsprechend hielt Ewalt auch große Stücke auf ihren Sohn.
Ruth, die Mutter des jungen Ritters, war Zofe der Gemahlin des Herzogs und opferte sich für ihre Herrin regelrecht auf. Von ihr hatte er das kastanienbraune Haar geerbt und seine unerschütterliche Standhaftigkeit.
Elyar hob ihr Kinn an. „Magst du mich begleiten?“
Schwerendherzens schüttelte sie den Kopf. „Ich muss heute Mittag auf meine kleine Nichte aufpassen...“
Was ein außerordentlich bescheuerter Grund!
Er lächelte traurig. „Ich verstehe, einer solchen Verpflichtung sollte man nicht davonlaufen.“
„Es tut mir leid, ich würde auch lieber...“
„Scht, bitte schweig. Du bist mir keine Rechenschaft schuldig, Emily. Du hast deine Aufgaben, ebenso wie ich. Aber“, er schluckte und strich ihr mit der starken Hand eine Strähne aus dem Gesicht, „ich muss gehen. Mein Herr erwartet mich an seiner Tafel, es geht um eine Besprechung der vorherrschenden Lage, der ich um jeden Preis beiwohnen muss.“
Sie nickte und umschlang ein letztes Mal seine Hüfte. „Weißt du, wann wir uns wiedersehen, Elyar?“
„Ich werde versuchen in zwei Tagen wieder hier zu sein. Komm um dieselbe Zeit wie jetzt und sollte es nicht so sein das ich hier auf dich warte, dann wirst du wenigstens ein paar Zeilen von mir finden, die ich dir neben die Falltür legen werde.“
Er beugte sich zu ihr hinab und versiegelte ihre Lippen mit seinen. Emily ging auf den Kuss ein, machte sich jede Sekunde bewusst, die er sie noch in seinen starken Armen hielt. Sie wollte diese Momente nie vergessen.
Als sie sich endgültig voneinander lösten, schaute sie stumm zu Boden. „Warum kann ich nicht zu dir kommen, wenn du nicht hier sein solltest?“
„Es ist zu gefährlich, dass habe ich dir doch erklärt. Ich möchte dich um keinen Preis der widerlich begierigen Blicke irgendwelcher Männer aussetzen, nur weil du dich nach meiner Anwesenheit sehnst, Emily.“ Elyar trat erneut auf sie zu und umfasste ihr Gesicht. „Verstehst du? Ich habe Angst um dich.“
„Das ist nicht nötig, ich weiß mich solchen Situationen angemessen zu verhalten.“
„Das mag vielleicht hier der Fall sein – in deiner Welt. Aber in meiner herrschen rauere Töne, was das andere Geschlecht angeht.“
Sie spürte eine leichte Demut. „Wie denkst du von mir, Elyar?“ Frontal lenkte sie ihren Blick auf seinen, der sich im Moment der letzten geäußerten Silbe zu verschleiern schien. Entgeisterung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Sein mit dunklen Stoppeln übersätes Kinn verhärtete sich in seinen Zügen, sein Gesichtsausdruck wurde ernst.
„Jede Art der Abfälligkeit gegenüber deinem Geschlecht ist vielen meiner Mitmenschen vorbehalten, leider auch in Reihen meiner Kameraden. Aber sowohl in meinem Gedankengut als auch in meinen Äußerungen wirst du nie im Leben eine solche Herablassung zu hören bekommen. Das wäre nicht ich selbst, denn ich habe andere Werte erlebt und schätzen gelernt.“ Er zog sie leicht an sich. „Auch durch dich.“
Sie hätte sich für diese Frage auf die Zunge beißen können. Wie hatte sie so denken können?!
„Bitte entschuldige.“
„Es ist schon gut, ich kann deine Sorge verstehen. In einem solchen Moment denkt man manchmal erst hinterher über seine Worte nach.“
Emily lächelte dankbar.
„Was wäre ein Grund, dass ich bei dir bleiben könnte, Elyar?“
Der Mann ließ den Blick über ihr Gesicht wandern. “Diese Möglichkeit gibt es nicht.“
Nach seinen Worten stiegen ihr Tränen in die Augen. Nur mit Mühe konnte sie diese vor ihm zurückhalten und verbergen. Ein Nicken war alles, zu was sie in dem Moment im Stande war.


© MajaBerg


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