Emily lachte, hob die Hände und tat, als würde sie sich ergeben. Schlagartig fühlte sie sich an die Situation mit Paulus erinnert, als dieser spöttisch vor Elyar in Deckung gegangen war. Diesem Heuchler und Scheusal würde sie am liebsten nie wieder begegnen, aber wenn sie ihren Freund wieder sehen wollte, ließ es sich wohl kaum vermeiden.
Heute Abend würde sie zu ihm zurückkehren. Ihre Eltern hatte sie zum Zweck einer wirkungsvollen Ausrede darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Freundin einer Freundin eine Party in ihrem Elternhaus schmeißen würde und sie aus dem Grund zwei Nächte nicht da sein würde. Ihre Mutter hatte gegrinst und sie als Abbild ihrer selbst bezeichnet. Ihr Vater hatte nur die Stirn in Falten gezogen.
„Wollen wir noch ein Eis essen gehen, oder musst du schon los?“ Insgeheim wurde ihr bei dem bloßen Gedanken an einen einzigen Löffel Eis schon speiübel.
„Nein“, Lina schüttelte den Kopf und warf sich die braunen Locken über die Schulter. „Können wir gerne noch machen, mir ist voll warm.“
Sie packten ihre Badetücher und Taschen zusammen und liefen zum Auto.
Als sie wenige Minuten später in der nahen Eisdiele vor ihren Bechern saßen, redeten sie über Gott und die Welt, wie immer. Lina musste wieder einmal loswerden, wie nervig eigentlich die neuen Nachbarn waren, die vor wenigen Tagen in die Wohnung über ihr eingezogen waren und außer lauter Musik noch drei Hunde hatten, die einfach nie ihre Schnauze halten konnten.
Emily konnte die Genervtheit ihrer besten Freundin gut nachvollziehen, sie selbst konnte beim noch so kleinen Geräusch aus dem Schlaf fahren. Eine Eigenschaft, die sich im Leben von Elyar vielleicht noch als nützlich erweisen konnte, sollte einmal Gefahr drohen – nicht besonders abwegig, wenn man bedachte, dass sich die Lage in Ewalts Herrschaftsgebiet alleine in den letzten acht Tagen ziemlich zugespitzt hatte. Die Ruhe im Reich des Herzogs stand auf Messers Schneide.
Elyar musste sich zügeln, um nicht erbost in Anwesenheit seines Herrn von seinem Stuhl hochzufahren. Seine Augen verengten sich und richteten sich auf Paulus und dessen Knappen Jacobin, die ihm gegenüber an der Tafel saßen. Alexander merkte den Blick seines Freundes und räusperte sich leicht. Die vier Männer saßen in unmittelbarer Nähe des sich vor Kopf befindenden Herzogs und seiner Frau Katrina, er wollte nicht, dass Elyar ebenso etwas tat wie er selbst, was er später bitter bereuen würde. Zudem hatte der Vasall sich schon auf gefährliches Terrain gebracht, als er sich vor zwei Monaten seinem Herrn widersetzte, der ihn mit einer ihm würdigen Frau verheiraten wollte. Bis heute hatte Elyar ihm gegenüber kein Wort über diesen Vorfall gesagt, er hatte nur dessen Rivalen in Gesellschaft seines Knappen darüber spotten hören. Bei der Besagten würde es sich wohl kaum um die junge Frau in dem einfachen grünen Bauernkleid handeln, welche ihm von seinem Freund vorgestellt worden war und welcher er vor zwei Wochen auf dem Markt begegnet war.
Ob Unmut und unterdrückte Trauer seines Freundes wohl von diesem Grund herrührten?
Noch hatte er keine Gelegenheit dazu gehabt, ihn darauf anzusprechen und er wollte, falls sich sein Verdacht bestätigte, Elyar nicht noch weiter quälen. Er selbst hatte erst mit der Zeit gelernt, seine ihm von seinem Herrn zugesprochene Frau zu lieben, doch sie hatten es geschafft und aus dieser gegenseitigen Zuneigung waren ihre Kinder hervorgegangen. Elyar würde es mit der Zeit akzeptieren lernen...
Er warf ihm einen Seitenblick zu, inzwischen hatte sich der Ritter wieder unter Kontrolle und griff nach seinem Weinbecher. Als er einen Schluck genommen hatte, wandte er sich der Gesprächsrunde der Anwesenden der Tafel zu. Paulus und sein junger Nebenmann schwiegen. Mit stiller Genugtuung nahm Alexander das zu Kenntnis und wandte sich an Elyar.
Dieser erhob sich urplötzlich und verneigte sich in Richtung Ewalts und dessen Frau tief. „Mit Verlaub Herr, darf ich Eure Runde kurz verlassen?“
Alle wirkten gleichermaßen irritiert.
Der Mann räusperte sich und schaute seinen Getreuen mit zusammengekniffenen Augen lange an, ohne einen Ton zu sagen. Das ging so lange, dass seine Gemahlin eine Hand auf seinen Arm legte und sich räusperte, worauf der Herzog zum Sprechen ansetzte und sich ihrer Berührung entzog.
„Was bringt dich dazu dieses äußerst wichtige Gespräch zu unterbrechen, Elyar?“
Ja, was war der Grund? Er wusste es selbst nicht genau, konnte nur mit Gewissheit sagen, dass er ein komisches Gefühl hatte und es ihn aus irgendeinem Grund in den Stall zu seinem Hengst trieb. Das konnte er seinem Herrn unter keinen Umständen sagen.
„Geh, aber beeile dich.“
Elyar erhob sich, trat vom Tisch zurück und verneigte sich. „Ich danke Euch, ich werde nicht lange brauchen, Herr.“
Eilig verließ er den Raum, sorgsam darauf bedacht, seinem Kameraden nicht mit einem Blick zu begegnen. Womöglich hätte er seine Beunruhigung sofort bemerkt, aber nach den verständlicherweise verwunderten Gesichtern als Folge seiner Frage zu urteilen, würde man ihn nachher eh ansprechen. Aber das war jetzt unwichtig, er wollte nur seiner Intuition folgen und zu den Stallungen gehen.
Emily versuchte ruhig zu atmen, um die Pferde nicht nervös zu machen. Abey schnaubte leise, was einen beruhigenden Effekt für die junge Frau hatte, die sich in der hintersten Ecke zusammengekauert hatte. Wie lange sie schon so dasaß wusste sie nicht, aber nach einer Weile hörte sie plötzlich Schritte, die durch die Stallgasse kamen.
„Was...“
Sie hob ruckartig den Kopf und schaute in sein Gesicht, welches sich mit erstaunt geweiteten Augen über der Boxentür zeigte.
„Was machst du hier?“ Seine Stimme war leicht besorgt und er schlüpfte zu ihr in die Box. Er suchte ihren Blick. „Was ist geschehen?“ Er setzte sich neben sie, wohl darauf bedacht, weit genug von Abeys Schweif weg zu sein, welcher nach Fliegen schlug. „Sprich mit mir.”
Sie atmete tief durch, spürte ihre Nervosität in sämtliche Bereiche des Körpers fahren. Sie schaffte es nicht ihm in die Augen zu sehen, die seit seinem Auftauchen auf sie gerichtet waren. Schon zum Ergreifen seiner Hand musste sie ihren Mut zusammennehmen.
“Ich”, sie musste erneut ansetzen, denn sehr zu ihrer Überraschung zitterte ihre Stimme leicht. “Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll. Ich weiß nicht, was es bedeutet, sobald ich es ausgesprochen habe und wie es dann weitergeht...”
Er drückte sachte ihre Hand und wiederholte seine Frage – eindringlicher, bestimmter. Er war bereit ihr zuzuhören.
“Ich bin schwanger, Elyar.”
Schweigend strich er ihr über die Schläfe, versuchte seine Fassung zu wahren. Dann fand er seine Stimme wieder. “Was denkst du selbst, wie lange du dieses Kind schon in dir trägst, Emily?“
Sie schluckte und versuchte in seinen beherrschten Gesichtszügen auch nur den Hauch einer Regung zu erkennen. Minutenlang vergebens, doch dann spürte sie etwas. Sie war überrascht, wie ruhig er reagierte. Langsam richtete sie sich auf und sah direkt in glänzende Augen. Er mühte sich nicht, die Tränen zurückzuhalten, die sich langsam einen Weg über sein Gesicht bahnten. Als er völlig unerwartet eine Hand auf ihren Bauch legte, brach es auch aus ihr heraus.
Emily musste ihm keine Antwort mehr geben, es war alles gesagt. Dieses ungeborene Leben war in der Nacht im Wald entstanden, es bestand kein Zweifel. Für beide nicht. Auch als er sich zu ihr beugte und sie küsste, waren keine Worte mehr nötig. Sie wusste, dass er das Kind schon ebenso liebte, wie sie es tat. Nur jetzt kam die Ungewissheit, was weiterhin passieren würde. Wie sollte sie sich gegenüber ihren Eltern erklären? Sie hatte nach deren Wissen keinen Freund. Wie sollte sie ihr langes Fortbleiben erklären, welches nicht ausbleiben würde, da sie nicht ohne den Vater des Ungeborenen sein wollte. Auch wenn es bald bedeutete, dass sie sich heimlich treffen und immer auf der Hut davor sein mussten, von seiner Ehefrau entdeckt zu werden.
“Ich”, er fuhr sich mit der Hand übers Kinn, sah plötzlich ratlos aus. “Ich muss wieder in den Saal zurück. Warte auf mich, wenn die Besprechung beendet ist, komme ich sofort zu dir zurück und wir denken darüber nach, was nun auf uns zukommen wird. Was uns bevorsteht. Mach dir keine Sorgen”, er küsste sie ein letztes Mal, bevor er sich erhob und seine Schwertscheide richtete. “Ich liebe dich.”
“Ich dich auch.”
Sie schaute ihm nach, wie er de Box verließ und hörte seine Schritte in den massiven Stiefeln in Richtung des nächtlichen Hofs verhallen. Ja. Was jetzt? Was stand ihnen nun bevor? Was würde ihnen blühen?


© MajaBerg


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