Die Mittagspause wurde von den Dienern mit lauten Rufen angekündigt. Strahlendes Sonnenlicht überflutete den Hof, feiner Staub haftete auf Tibors verschwitzter Haut, seine Muskeln bebten vor Anstrengung, doch er hatte seinen ersten Morgen an diesem Waffenhof bestanden. Aufatmend streckte er seinen Rücken, jeder Muskel an seinem Körper schmerzte. Nun war es Zeit zum Mittagsmahl. Die Diener sammelten mit eifriger Geschäftigkeit die Kampfstäbe ein. Tibor reichte ihnen seine geborgte Waffe und betrachtete kurz seine Arme und Hände, schloss seine Fäuste und öffnete sie wieder. Wahrscheinlich war er auf den besten Weg, dieselben breiten Arme alle Männer seiner Familie bekommen. Einige seiner neuen Kameraden beobachteten ihn rasch auf ihren Weg zur Kantine. Mit ein paar lockeren Laufschritten holte Tibor sie ein. Wie kaum anders zu erwarten, waren die Mahlzeiten der Krieger einfach, sättigend und nichts für anspruchsvolle Gaumen. Niemand störte sich daran. Im ausgelassenen Stimmengewirr verhielt Tibor sich so unauffällig wie möglich und suchte die Nähe von Gesichtern, die ihm bereits bekannt waren. Er nickte dem älteren Wegenor wiedererkennend zu und setzte sich ihm gegenüber an eine der langen Tafeln. Wegenor erwiderte stumm seinen Gruß und fuhr ungerührt mit seiner Mahlzeit fort. Mit einem kräftigen Handschlag auf Tibors Schulter gab Tainor ihm zu verstehen, dass er sich neben ihn setzen wollte. Tibor war gezwungen, Platz zu machen.
„Junge, du bist noch am Leben! Kaum zu fassen! Wie geht es dir?“ Tainors Frage war in die Leere gestellt, der Mann erwartete keine Antwort, sondern sprach mit seinem Gegenüber. Wegenor war nicht entgangen, wie sich Tibors Gesicht verärgert verzog. Menschen wie Tainor mussten sich überall beliebt machen und lechzten stets nach Aufmerksamkeit.
„Lass ihn! Seit Mronda sein Talent fördert, kennt Tainor seinen eigenen Schatten nicht mehr“, sprach Wegenor mit ruhiger Stimme zum Neuling. Tainor reagierte sofort darauf und erwiderte bissig: „Tibor, such dir sorgfältig deine Freunde aus, sonst wirst du vorzeitig alt und der Neid zerfrisst dich!“ Amüsiert kniff Wegenor seine Augen zusammen, kaute an einem Stück Brot und wartete auf Tibors Reaktion.
„Deine Meinung ist mir egal! Ich hasse leere Fragen und hohle Ratschläge!“
Tainors Gesicht verlor schlagartig seine Farbe und nahm beinahe einen lächerlichen Ausdruck an.
„Für wen hältst du dich?“, fauchte er aus seinem verletzten Stolz heraus.
„Mein Name ist Tibor! Und ich lasse mir den ersten Tag hier nicht verderben!“
Tainor schnellte vor. „Dein erster Tag könnte dein Letzter sein! Ich werde dich im Auge behalten!“, knurrte er dicht am Gesicht seines neuen Gegeners, griff vehement nach seinem Teller und erhob sich ruckartig, gezwungen, diesen Platz zu verlassen. Keiner der anderen Männer hätte für ihn Partie genommen. Alle Beteiligten an Schlägereien wurden aus ihrem Dienst entlassen oder härter bestraft. Tainor konnte dieses Risiko nicht eingehen, doch der Neue gehörte von nun an zu seinen Feinden, wo er glaubte, er habe sich ihm gegenüber kameradschaftlich gezeigt.

„Lange hast du nicht gebraucht, um Tainor aus der Fassung zu bringen!“, bemerkte Wegenor in aller Ruhe. „Der Junge hat keinen schlechten Kern. Er ist der Meinung, die Welt würde ihm zu Füssen liegen.“
„Mir würde das auch so gehen, wenn Mronda mich zum Zweikampf auffordert“, brummte Wegenors Tischnachbar und schüttet Wasser in seinen kauenden Mund.
„Wie alt mag sie wohl sein?“, fragte Tibor mehr zu sich. Seine Gegenüber hielten kurz in ihren Bewegungen inne und beobachteten den Neuling. Wegenor zuckte mit den Achseln.
„Schwer zu sagen. Aber sieh dir ihren Zwillingsbruder an. Ich denke, Frauen in Mrondas Alter haben normalerweise ein paar Kinder. Sie hingegen hat sich um uns zu kümmern.“ Daraufhin mussten die umher Sitzenden lachen.
„Warum tut sie das?“ Kaum hatte Tibor diese Frage ausgesprochen, pochte das Blut in seinen Wangen.
„Keine Ahnung! Sie ist mehr als begabt. Sie ist eine begnadete Kämpferin! Wagamor, der alte Vertraute des Königs, war einst ihr Lehrer. Vielleicht will sie den Verlust ihrer Mutter erfüllen.“
„Eines ist sicher, man möchte ihr vertrauen. Ihre Kampfkunst ist einzigartig.“
„Ich habe sie mir anders vorgestellt“, warf Tibor ein.
„Wie denn?“
Der junge Mann zuckte mit den Achseln.
„Jedenfalls nicht so.“
„Na das fängt gut an mit dir! Ein Ratschlag: Gewöhne es dir ab, sie anzustarren, das bringt dir nur Unglück!“, entschied Wegenor und hob warnend seinen Index. Tibor trank rasch seinen Becher aus, um seine Gesichtsröte dahinter zu verstecken.
„Wie die Blöden werden wir aufeinander rum hauen, wenn sie die Besten von uns aussuchen wird, damit wir die Neuen ausbilden“, gab sein Nachbar zu bedenken. Wegenor lachte und schob einen großen Happen seiner Nahrung in den Mund.
„Wir Narren! Was werden wir nicht tun, um ein wenig Aufmerksamkeit von unserer zukünftigen Königin zu erhaschen“, waren seine Worte. Tibor sagte nichts mehr. Er wusste insgeheim, dass er alles geben würde, um seine Kampffertigkeit zu beweisen. So unauffällig wie möglich suchte er den vollen Saal nach Tainor ab. Es war ihm unangenehm, gleich am ersten Tag einen Rivalen zu haben, nun war es geschehen.

Wagamors Abreise verlief in aller Stille, nach seinen Geheißen war niemand zum Abschied gekommen. Nur mit zwei Soldaten aus der königlichen Garde begleitet, begab er sich auf den Weg in das Land der Elben auf der anderen Seite der großen Ebene.
Zu dieser frühen, grauen Stunde des Tages schliefen die Stadt Pfarox und das Schloss der Bréschènia. Nur Mronda weilte wach in ihren Gemächern. Bei heruntergebrannten Kerzen und erkalteter Glut im Kamin blieben die Räume des Schlosses empfindlich kühl, der Winter saß abwartend zwischen den Steinen. Die Prinzessin dachte an ihren alten Meister und seine rheumatischen Knochen. Die feuchte Kühle im Schloss hatte ihm zu schaffen gemacht. Gewiss stammte er aus einer wärmeren Heimat. Die Prinzessin empfand Mitleid mit dem einsamen Alten, der unbeirrbar seinen aussichtslosen Plan verfolgte. Vielleicht war er des Lebens müde geworden und wollte keinen weiteren Krieg erleben, in dem er weitere nahestehende Menschen verlieren sollte. Ihrwurde noch kälter bei dem Gedanken, welche Einsamkeit in jeden Menschen wohnte. Sie erhob sich von ihrem Lager und trat zum Fenster, wo der Tag allmählich die Nacht verdrängte. Die aufkeimenden Sonnenstrahlen schienen die Träge der vergangenen Nacht zu reizen. Die Luft war bemerkenswert still als hielt die Natur den Atem an und erwarte neue Geschehnisse.

Zu dieser frühen Stunde begannen die Knechte, in den Ställen der Pferde zu arbeiten. Sie liebte die gedämpfte Unruhe der Tiere bei ihrer ersten Mahlzeit des Tages. Duftendes Heu und mahlende Zähne erfüllten die Luft. Von einem hohen Wagen in der Mitte des langen Ganges wurde die Nahrung für die wertvollen Tiere in die Boxen gefrachtet. Mronda liebte die Pferde und kannte einige von ihnen sehr gut, denn sie hatte diese seit ihrem Fohlenalter beobachten können. Die Zucht der Schlachtrösser war eine ernst zu nehmende und teure Angelegenheit am Hofe, denn die Nahrung musste von weit herangeschafft werden. Im Sommer wurden ganze Herden von Pferden aus dem Wald hinaus in ein anderes Land geführt, wo es ausreichend Wiesen gab. Die Prinzessin mochte von Kind auf die aufwendigen Reisen, wenn Hunderte von Hufen eifrig über den erdigen Boden des Waldes trommelten, um zu den Weiden zu gelangen, zu sanften Hügeln, grünen Wiesen und klaren Bächen. Ein kaum bewohntes Land, in dem man nur friedliche Tierhüter antraf. Dort wurden neue Pferde angeschafft, im Sommer Fohlen geboren und Nahrung für den langen Winter in Pfarox besorgt.
Mit gemächlichen Schritten ging sie von Box zu Box, betrachtete die schimmernden Felle, die kräftigen, nervösen Beine und genoss den gegenwärtigen Frieden. Die Knechte beobachteten sie beeindruckt und fuhren still mit ihren Tätigkeiten fort. Keines der Tiere zeigte sich nervös oder aggressiv ihr gegenüber, sie fuhren genüsslich mit ihrer Mahlzeit fort, wobei sich ihren feinen Ohren aufmerksam in MrondasRichtung drehten. Mronda bewahrte ihr Geheimnis, wie sie es verstand, mit den Tieren zu sprechen. Es hatte den Vorteil, dass sie stets wusste, wenn ihnen etwas Angst machte oder schmerzte. In den großen Augen der Rösser las sie wie in dunklen Spiegeln ein geheimes Versprechen von einer verloren gegangenen Freiheit.
Die Reitstunden ihrer Krieger sollten sich häufen, bis die versammelte Gemeinschaft von Reitern und Pferden eine überwältigende Einheit bildete. Ein junger Stallknecht machte sich an der Box einer jungen Stute zu schaffen und säuberte das Heu von den nächtlichen Hinterlassenschaften. Mronda hatte diesen dünnen, zähen Burschen schon einige Male bemerkt, sein ruhiges Wesen passte bestens zu den Pferden und er mochte seine Arbeit.
„Waren die Pferdehändler da? Ich brauche ein Ross!“, unterbrach sie die Stille. Der Knabe blickte kurz auf, fuhr aber kopfschüttelnd mit seiner Arbeit fort.
„Sie haben gute Tiere geliefert. Aber es war kein edles Streitross dabei. Eines von ihnen steht noch in der kleinen Reithalle. Ein ungezogenes Biest! Sie werden ihn töten müssen.“ Er ließ die Mistgabel neben sich stehen und stützte sich darauf. Seine kurzen Haare klebten an seinen feuchten Schläfen.
„Solche Entscheidungen werden ohne meine Erlaubnis nicht getroffen.Bring mich zu ihm! Ich will ihn sehen!“ Der Kleine nickte bestätigend, trat aus der Box und bedeutete ihr, ihm zu folgen.
Rabenschwarz stand das mächtige Tier am anderen Ende der Halle, mit dem Kopf zur Wand und den rechten Hinterhuf leicht angewinkelt, er schien zu ruhen.
„Unmöglich, ihm Sattel und Zaumzeug anzulegen. Jetzt ruht er, aber er war nicht zu bändigen“, flüsterte der Knabe kaum vernehmbar.
„Ist er bereits zugeritten?“ war ihre Frage, doch er vermochte nicht zu antworten. Mronda betrachtete das dunkle Tier eine Weile nachdenklich. In der Tat gab es Pferde, die nicht zugeritten werden konnten. Solchen waren ihr nur selten begegnet, dieser Schurke konnte zu ihnen gehören.
„Ich brauche ein Pferd, stark, ungestüm und verrückt genug, mich zu begleiten“, sprach sie zu sich selbst.
„Eure Majestät! Reitet ihn nicht! Er wird Euch Unglück bringen …“, wisperte der Knabe zu ihrer Seite flehend. „Ich habe gesehen, wozu er imstande ist. Männer wurden verletzt.“
„Männer …“ Die Prinzessin schenkte ihrem Begleiter keine Aufmerksamkeit mehr und schob entschlossen die hohe Holztür auf.Kaum war Mronda ins Innere der Reithalle getreten, spitzte das Pferd die Ohren, warf den Kopf herum und blickte in ihre Richtung. Völlig unerwartet, noch bevor die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, sprang der Hengst mit einem Satz aus seiner vermeidlichen Ruhe heraus, wieherte mit tiefer, drohender Stimme und galoppierte auf sie zu. Der sandige Boden unter ihren Füßen vibrierte vom Trommeln der Galoppsprünge, das Tier donnerte mit unverminderter Gewalt auf sie zu. Instinktive Angst ballte sich in ihrer Brust zusammen und sie breitet rasch ihre Arme aus, in der Hoffnung, das Tier würde diese Geste verstehen und sie nicht mit aller Kraft überrennen. Bis zum letzten Sprung verminderte der Hengst seinen Angriff nicht, sondern stemmte mit herausforderndem Trotz die Vorderbeine in den Boden. Sand wirbelte auf, tiefe Spuren rammten seine Hufen in den Boden, Männerstimmen am Rand der Halle schrien überrascht auf, unmittelbar vor ihr wand er sich flink um und sprang wild auskeilend im großen Bogen quer durch den Raum. Sie hatte es mit einem echten Gegner zu tun, der aufgeregt mit hochgeworfenen Schweif und aufgeblasenen Nüstern sie im raschen Trab umkreiste, wie eine Beute. Sie ließen einander nicht aus den Augen.
„Ruhe!“, befahl sie herrisch den Zuschauern, die augenblicklich verstummten. Bei der plötzlichen Stille stellte sich der schwarze Hengst mit einem Mal stocksteif diagonal ihr gegenüber und spitzte die Ohren. Seine Augen waren unter einer mächtigen Mähne verborgen, zornig scharrte er mit dem Vorderhuf im Sand und warf drohend den Kopf auf und ab. Was, wenn er erneut angreifen würde, aber diesmal sein Ziel nicht verfehlte?
„Ein Halfter und Möhren, rasch!“, forderte sie mit ruhiger Stimme, hastige Schritte entfernten sich im Flur in ihrem Rücken. Das Pferd legte die Ohren flach und griff abermals an. Mronda war gezwungen, zur Seite zu springen, doch er verfolgte ihr Ausweichen, streifte ihre Schulter und ließ sie straucheln. Ganz dicht hinter ihrem Kopf knallte er erbost seine Zähne aufeinander, sprang davon und keilte erneut aus.Als Schlachtross eignete er sich bestens, wollte er sich nur lenken lassen. Sie ärgerte sich, dass sie ihm nicht in die Augen blicken konnte.
„Majestät!“, rief ein Stallknecht vom Tor aus und streckte ihr Halfter und Möhren entgegen. Hastig nahm sie die Dinge entgegen und ließ das Biest nicht aus den Augen. Dessen Atem ging schnell, seine Flanken hoben und senkten sich und seine Nüstern glänzten feucht, sein Fell dampfte. Entschlossen versammelte sie ihren Mut und ging mit behutsamen Schritten auf das Tier zu.
„Bist du ein Tiger? Ich werde dir nichts tun, doch töte mich nicht, damit ich es dir beweisen kann!“ Mrondas Worte schwangen sanft und leise durch die Luft, das Pferd schnupperte kurz nach den Möhren in ihrer Hand, drehte aber rasch den Kopf wieder beiseite. Dabei blitzte sein großes linkes Auge zwischen seinen Mähnenvorhang hervor.

(...)

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© Stephanie Berth-Escriva


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Beschreibung des Autors zu "Die Legenden aus Merim II - 2. Kapitel - Ein schwarzer Recke (Leseprobe)"

Nachdem die eigenwillige Prinzessin Mronda sich entschieden hat, das gefährliche Schlachtross zu reiten, kommt es zu einer vehementen Auseinandersetzung mit ihrem Vater Xorthan.
Doch unbeirrbar spielt sie mit ihrem Leben, erbost über die Entscheidung des Königs, ihr die Verwaltung von Pfarox zu übergeben, während ihre Krieger gegen den Feind reiten werden.

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