Es war einmal eine Prinzessin mit dem Namen Rosenblut, die lebte in einem fernen Land und war bekannt als das schönste, liebste und auch klügste Kind im ganzen Reich. Das Prinzesschen war im Februar in der Karnevalszeit geboren worden, und deshalb gab es an seinem Geburtstag immer jedes Jahr eine Verkleidungsparty, bei der alle Geburtstagsgäste in verrückten, einfallsreichen und auch prächtig geschmückten Verkleidungen erschienen. Und da die Prinzessin Tiere über alles liebte, kamen die Gratulanten durchweg in Tierverkleidungen.

Als Prinzessin Rosenblut ihren achtzehnten Geburtstag feierte, kamen nicht nur die verkleideten Geburtstagsgäste, sondern es mischten sich auch einige Prinzen aus anderen Ländern unter die Feiernden, die gehört hatten, dass da im Nachbarreich eine schöne Prinzessin volljährig wurde. Vielleicht hielt sie ja auch Ausschau nach einem geeigneten Ehemann, der später sicher einmal, wenn der alte König starb, auch das wohlhabende Königreich erben würde.

Der König fragte seine Tochter, ob sie denn überhaupt jetzt schon heiraten wolle. Rosenblut antwortete, wobei sie etwas rot wurde, dass sie sich das durchaus vorstellen könnte, aber nur, wenn wirklich der Richtige käme. „Klug müsste er sein, ansehnlich und sehr sanft und liebevoll“, sagte sie, „dann würde ich ihm wohl meine Hand zur Ehe reichen“.

Der König überlegte. Dann sagte er: „Rosenblut, ich habe eine Idee, lass uns die Bewerber testen. Wer von ihnen in der einfallsreichsten Verkleidung um deine Hand anhält, beweist dadurch, dass er Fantasie hat, und sicher auch klug, ansehnlich und ordentlich ist“. Und so geschah es, dass Herolde im ganzen Reich verkündeten, dass derjenige Prinz sein Schwiegersohn werden könne, der in der fantasievollsten Verkleidung zum kommenden Geburtstagsfest erscheinen würde.

Das Fest nahm seinen Anfang. Als die Feier im vollen Gange war, flüsterte eine der Hofdamen der Prinzessin zu, dass sich sechs Prinzen unter die Gäste gemischt hätten, mit dem Vorhaben, irgendwann am Abend um ihre Hand anzuhalten.

Die Prinzessin klatschte nach dem nächsten Tanz in die Hände, und als die Kapelle eine Pause machte, gab sie bekannt, dass die sechs heiratswilligen Prinzen, die sich unter den Gästen befänden, sich um Mitternacht zu erkennen geben sollten.

Als die Turmuhr zwölfmal schlug, traten sechs Prinzen aus der Menge, jeder sorgfältig in ein teures, von den besten Schneidern gefertigtes Tierkostüm gekleidet. Und das waren die Verkleidungen, in denen sie eintrafen: Einer kam als Fuchs, einer als Wolf, einer als Känguruh, einer als Stinktier, einer als Faultier und einer schließlich sogar als Schwein.

Rosenblut klatschte in die Hände, weil sie diese Verkleidungen sehr lustig fand, und winkte die Schar der heiratswilligen Bewerber herbei. Als erstes erschien der Fuchs vor ihr. Er verbeugte sich, schält sich aus seiner Verkleidung und sprach: „Ich habe mich als Fuchs verkleidet und wie ich sehe, fandet Ihr die Verkleidung lustig“.

„Das ist wahr“, war die Antwort der Prinzessin, „aber was habt ihr sonst noch zu bieten?

„Ich bin listig, ich kann Menschen perfekt hinters Licht führen, ich kann für uns beide ein Vermögen erschwindeln. Dann können wir entspannt und in Luxus gemeinsam leben“.

„Pfui!“, erwiderte die Prinzessin, „Вetrügereien mag ich nicht, und Geld habe ich selber genug, da mein Vater die Staatsgeschäfte wohl überlegt und gut führt. Macht Euch davon, Euch will ich nicht zum Ehemann!“

Der Fuchs zog sich zurück und das Faultier erschien vor der Prinzessin. Der junge Prinz, der in der Verkleidung gesteckt hatte, entledigte sich seines Kostüms und fläzte sich erst einmal in den nächsten Sessel, den er fand.

„Was habt ihr zu bieten?“, fragte ihn Rosenblut etwas indigniert.

„Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“,erwiderte der, welcher sich das Faultiergewand gewählt hatte, „ich stelle mir vor, wie entspannend und erholsam es wäre, liebe Prinzessin, wenn wir beide verheiratet sind und den ganzen Tag auf der faulen Haut liegen könnten. Die Diener würden uns das Essen in den Mund stopfen, wir könnten immer wieder ein Schläfchen einlegen und bräuchten uns nicht zu bewegen, bis die nächste Mahlzeit gebracht würde“.

„Wie langweilig!“, rief Rosenblut, „Wie entsetzlich langweilig! Wir würden nichts erleben, wir würden unser Leben verdösen und hätten nichts Neues gesehen und gehört, bis wir endlich für immer auf dem Friedhof landen. Am besten kriecht Ihr langsam davon! So ein Faulenzerleben und so ein Ehemann können mir gestohlen bleiben!“

Inzwischen hatte die Prinzessin begriffen, dass alle Bewerber sich eine Tierverkleidung ausgesucht hatten, die genau die Charaktereigenschaften widerspiegelte, die sie an sich selbst am attraktivsten fanden.

Und so war Rosenblut schon einmal von vornherein vorsichtig, als der nächste Prinz als Wolf verkleidet vor sie trat. Ihre Vorsicht war berechtigt, denn der Prinz im Wolfskostüm entpuppte sich als ein gewalttätiger Bursche, der ihr als erstes verkündete, dass er der Ansicht sein, eine Frau müsste sich dem Manne unterordnen und wenn sie das nicht tue, habe er natürlich das Recht sie zu züchtigen. Er sei im Übrigen der Meinung, dass Frauen nicht nur zu dieser Rolle bestimmt seien, sondern sie auch selber als angenehm empfänden.

Entsetzt scheuchte die Prinzessin diesen Burschen weg. Denn Gewalt war ihr zuwider, und um sich einem brutalen Burschen unterzuordnen, war sie viel zu klug und selbstbewusst.

So ging es weiter. Der Prinz im Känguruhkostüm entpuppte sich als Springinsfeld, als ein übermütiger Bursche, der gern hohe Sprünge machte. Wenn ihm das Geld dazu fehlte, machte er eben Schulden, ohne zu wissen, ob er sie je würde zurückzahlen können. Und natürlich machte er sich Hoffnung, seinen inzwischen angehäuften Schuldenberg durch die Ehe mit einer wohlhabenden Prinzessin fortschaffen zu können.

Der als Stinktier verkleidete Prinz hätte sich lieber nicht demaskiert, denn er hatte sich offensichtlich seit Wochen nicht gewaschen und müffelte so, dass man nach seinem Fortgehn alle Fenster des Thronsaales aufreißen musste, um ihn eine Stunde lang zu lüften.

Nicht viel besser, war es mit dem als Schwein verkleideten Bewerber. Er war so schmutzig, dass man seine Gesichtszüge kaum mehr erkennen konnte. Er sah aus, als hätte er sich im Schlamm gewälzt. Außerdem zog er dauern seinen Rotz in der Nase hoch und macht dabei eklige Geräusche.

Jetzt hatten sich alle sechs Bewerber vorgestellt und keiner war darunter gewesen, der auch nur ansatzweise als Ehemann für Rosenblut in Frage gekommen wäre. Sie wollte sich schon enttäuscht in ihre Gemächer zurückziehen, da kam schwer atmend ein als dickbäuchiger Frosch verkleideter siebter Bewerber in den Saal gestürzt.

„Verzeiht, Prinzessin, dass ich mich verspäte“, rief er, „aber ich bin unterwegs von Straßenräubern überfallen worden, und konnte mich nur befreien, weil ich schneller fortspringen konnte, als diese Buben mich einzuholen vermochten!“

Die Prinzessin lächelte. Aber sie erwartete dennoch nichts Gutes. Sicher war dieser Prinz, wenn er sein Laubfroschkostüm abgelegt hatte, ein faules Bürschchen, das noch grün hinter den Ohren war. Sicher hatte er auch noch nicht viel von der Welt gesehen und war viel zu unerfahren, um einen geeigneten Ehemann abzugeben.

Doch was geschah dann. Der Prinz demaskierte sich und zum Vorschein kam ein schlanker, gut aussehender, liebenswürdiger Mann mit tadellosen Manieren, in den sich die Prinzessin sofort Hals- über Kopf verliebte. Es war Liebe auf den ersten Blick.

Dass der sportliche Prinz exzellent schwimmen konnte und aus dem Stand sechs Meter weit springen, verwunderte die Prinzessin auch nicht, schließlich war er gerade Landesmeister im Weitsprung geworden. Diese athletischen Fähigkeiten machten ihn in ihren Augen sogar noch attraktiver.

Eine etwas merkwürdige Eigenschaft hatte der Prinz allerdings, diese konnte die Liebe der Prinzessin zu ihm jedoch keineswegs beeinträchtigen. Er vermochte mit einer Handbewegung Fliegen und Mücken im Flug aus der Luft zu erhaschen. Zum Glück pflegte er sie aber nicht zu verspeisen.

So lebten sie glücklich und zufrieden in ihrem Palast bis an ihr seliges Lebensende.


© Peter Heinrichs


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Beschreibung des Autors zu "Eine Brautwerbung im Tierkostüm"

Ein Märchen

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