Es war bereits dunkel draußen, ein später Abend, die einzelnen Lichter der Stadt glommen zwischen schwarzen Kanten der Häuser und noch schwärzeren Ecken, die sich kaum vor der Nacht abhoben. Gelbliche und rot leuchtende Punkte von Autos, Fenstern und Ampeln, sie pulsierten leicht, verschwammen. Die Straßengeräusche hörte man nur als leises Rauschen in der Ferne.
Ganz in schwarz gekleidet ging ich hinter meiner Herrin her, die steile Gasse hoch, welche an der Burg vorbei zum Friedhof führte. Es war derart dunkel, das beinahe alles schwarz war. Nur die silberne lange Kette an der sie mich hielt, schimmerte im Schein einer Laterne. Meine Herrin trug ebenfalls schwarz. Ein langen Mantel mit Stehkragen, dessen Saum sich im Wind wölbte, darunter ein kurzes korsettähnliches Oberteil, sowie einen schwarzen Faltenrock und Stiefel mit hohem Schaft und noch höheren Absätzen, die in der Stille auf das Kopfsteinpflaster pochten.

Wir befanden uns auf Höhe eines steinernen Torbogens, der in einen unbeleuchteten Innenhof führte. Man konnte schwach die Reflektoren eines hochbockigen Wagens erkennen. Rechter Hand stand ein altes Fachwerkhaus dessen Fenster wie düstere Löcher gähnten. Wir passierten das Pfarrbüro in einem alten drückenden Steingebäude, dann die im dunkeln, bedrohlich in Himmel aufragenden Umrisse der Kirche. Ich musste grinsen. Wer wusste, dass sie in Wirklichkeit gelb gestrichen war, machte sich eher darüber lustig.
Ein kühler Nachtwind zog die Straße hinunter, eine frische Brise, die meine Aufregung nur noch steigerte. Ich sah mit wachen Augen in die Nacht und atmete tief ein. Ich war in meinem Element, in der Schwärze der Nacht an der Seite meiner Herrin und war einfach glücklich. Langsam wärmte das Glück mein Inneres, tropfte in mein Bewusstsein… genau hier her gehörte ich, der welcher nirgends hin passte.
Der Geruch von Laub, Tannennadeln und feuchtem Moos, ein Anflug von nach Kaminrauch lag in der Luft. Je höher wir kamen, schlug uns der Geruch des Waldes entgegen. Meine Herrin bemerkte meine Stimmung. Ich sah auf ihre Beine und bewunderte einmal mehr, wie sie in solchen Schuhen über derartigen Untergrund sicher laufen konnte.
„Freust du dich etwa, mein Hund?!“
In ihrer Stimme lag etwas lauerndes, als wartete sie darauf, das ich das bejahte und mich damit womöglich bereits in die Nesseln setzte. Ich zögerte mit meiner Antwort, was sie dazu veranlasste an der Leine zu ziehen. Der Druck an meinem dezent geschundenen Hals, fühlte sich richtig an.
„Ich genieße es, mit den Schatten der Nacht zu verschmelzen meine Herrin.“, erwiderte ich. Schwarz in schwarz. Das war keine direkte Antwort. Ich war mir sicher, das sie das registrierte.
„Dann ist es gar nichts besonderes für dich, mit deiner Herrin unterwegs zu sein?!“, meinte sie scharf.
„Doch meine Herrin… es ist etwas besonderes.“
„Du beeindruckst mich nicht, indem du meine Worte wiederholst, du Hund!“, stellte sie fest. „Und wenn du es nochmal wagst zu widersprechen, hast du eine sitzen.“
„Ja meine Herrin. Das... sollte kein Widerspruch sein. Wie könnte ich denn immer neue Worte finden, meine Herrin?“
Ich hatte Angst vor dem Tag, an dem sie mir ausgingen.
Statt einer Antwort zog sie erneut an meiner Leine, diesmal so ruckartig, das ich fast stolperte und ein sengender Schmerz sich unter meiner Halskette ausbreitete. Ich zog die Luft zwischen den Zähnen ein und verkniff mir ein Wimmern. Meine Haut war durch die letzten Tage schon überreizt. Ich litt dezent. Aber kein Grund, das auch zu zeigen.
„Ich hab doch nicht - “, setzte ich an.
„Sei still!“, unterbrach sie mich barsch.
Wir verließen die Stadt und liefen unter vereinzelten Straßenlaternen den geteerten Weg hoch zum Friedhof. Auf der Hälfte hörten die Laternen auf.

Wir gingen weiter. Meine Kette klimperte im Dunkeln. Ich wagte nichts mehr zu sagen. Ein kurzer, unbeleuchteter Weg führte zu einem niedrigen schmiedeeisernen Tor. Es stand halb auf.
Mein Blick schweifte kurz über den Waldfriedhof. Der Mond hatte sich langsam zwischen den Wolken hervor geschoben und schien sachte über die Reihen von Grabsteinen, welche sich über mehrere Trassen erstreckten, getrennt durch unzählige Hecken und hohe unfreundliche Büsche.
„Komm“, sagte sie nur, packte meine Kette kürzer und betrat den breiten Weg aus kleinen Steinen, der in diesem Licht von einem mittleren grau war. Sie zog mich am Eingang vorbei, wo ein tiefes Steinquadrat platziert war, in dem mehrere Gießkannen standen.

Wie bewegten uns an mehreren Abschnitten des Friedhofs mit Gräbern vorbei. Mein Blick lag auf ihrer, so vertrauten Gestalt.
Die kleinen Steine knirschten unter ihren Absätzen. Ich folgte ihr wie ein braver Hund.
Die Ruhe dieses außergewöhnlichen Ortes erfüllten mich. Hin und wieder schwappte ein warmer Luftstrom in der kühlen Nacht uns entgegen.
Die kleinen Grablichter flackerten aus der Nähe und funkelten in der Ferne. Flammen für die Toten.
An jeder Biegung sah sie mich kurz an, während wir immer tiefer in das Labyrinth aus moosbewachsenen alten, polierten neuen und mit Inschriften versehenen Vielfalt aus Steinformen drangen.
Obwohl ich mir sicher war, das sie zum ersten mal hier war, lief meine Herrin zielstrebig durch die Reihen der Gräber. In einem Durchgang zwischen zwei hohen Hecken war es komplett schwarz.
„Na komm, mein Hund.“, forderte sie mich auf. Sie klang gut gelaunt, als fände sie die Umgebung ebenso spannend wie ich. Es klang so sehr danach, als würde sie ein Hund locken, das ich lächeln musste. Zum Glück konnte sie das nich sehen.
Zwischen ein paar großen Grabsteinen blieb sie stehen. Dieser Teil des Friedhofs war besonders schön, eine Vielzahl von Grablichtern spiegelte sich neben Bepflanzungen und verwelkten Sträußen in den glatten Steinen neuer Gräber, edle Steine, schlichte, düstere Kreuze, fast verrottete Grabsteine am Ende des Weges, den ein Mausoleum bildete. Wände aus Sandstein in der Dunkelheit schienen bleich wie die Knochen eines Toten.
Sie drehte sich um. Ihr Blick war mit einmal sehr intensiv, bannte mich derart, das ich zögernd stehen blieb.
Sie lähmte mich. Ich konnte sie nur anstarren. Über ihrem Mantel von mitternachtschwarz leuchteten ihre Haare weiß im Mondlicht. Das weckte Erinnerungen. Sie bemerkte aber, das meine Sprachlosigkeit nicht länger daher rührte, das ich es nicht wagte zu reden, sondern das ich bei ihrem Anblick gerade dezent weggetreten war. Worauf sie wieder kräftig an der Leine zog. Ich zuckte zusammen, als die Kette an meinem Hals Blitze von Schmerz auslöste, die stechend durch die wunde Haut fuhren.
Die Atmosphäre war angespannt. Noch ein Fehler meinerseits und der Ausflug war womöglich verdorben. Andererseits knisterte die Luft irgendwie. Dieser Ort war anders.

In der Stille raschelte das Laub der Bäume im Nachtwind. Dann schrie in der Ferne ein Käuzchen.
Sie war so schön im Mond und mir fielen unendlich viele Worte ein, mit denen ich sie beschreiben konnte, so viele Dinge auf einmal ein, die wir gemeinsam erlebt hatten, als würde jedes dieser Bilder eine ihrer Eigenschaften zeigen und jede das Bild vervollständigen und ich erst jetzt die Wahrheit sehen können. Sie war die Eine.
Und sie glich einem Engel in der Dunkelheit, der gerade dann so hell strahlte, das ich geblendet die Augen schließen musste.
Meine Herrin hielt die Leine stramm. Sie stand nun direkt vor einem massigen Grabstein. Ich ging ein Schritt auf sie zu…
„Halt! Knie dich hin und krieche zu deiner Herrin.“
Ich beugte mich vor ihr und kniete auf dem Weg. Kleine spitze Steine bohrten sich durch meine Hose in meine Knie. Dann setze ich auch meine Handflächen auf den Boden. Ich sah sie nicht an, aber spürte ihren Blick, der mich noch näher an den Boden drückte.
Sie sah auf mich herab. „Wirds bald?!“
„Ja meine Herrin.“ Ich bewegte mich zu ihr rüber. Jetzt würde mich jeder als Hund bezeichnen.
Als ich mich zu ihren Füßen befand, hob ich den Kopf um sie anzusehen, da stach sie ohne jegliche Vorwarnung ihren Absatz tief in meine Hand. Ich gab kein Ton von mir.
„Wenn du brav bist, habe ich etwas für dich mein Hund… aber du musst schon darum betteln.“
„Ich bin brav meine Herrin. Was ist es denn?“
„Na das seh ich, das du brav bist.“
„Bitte meine Herrin, worum geht es?“ Das ich zu sehr drängte merkte ich erst, als die Worte schon ausgesprochen waren.
„Wenn ich auf deine Frage antworten wollte, hätte ich es getan, du dummer Hund“, sagte sie amüsiert von oben herab.
Ein heißes Kribbeln durchfuhr mich. Ich sah auf ihre Schuhe.
Der Rechte stand knapp neben meiner flachen Hand, die schon dezent malträtiert war. Ich schielte zu ihr hoch und überlegte verzweifelt was sie meinte, was sie wollte, das ich mache.
„Warum hast du mich hierher gebracht meine Herrin?“
„Deine Fragen sind ja heute besonders schlau. Kannst du dir nicht vorstellen warum, mein Hund?“ Mit hochgezogenen Brauen sah sie mich an.
Ja warum? Ich hatte keine Ahnung, was sie plante. Es klang fast geheimnisvoll.
Ich war oft auf Friedhöfen, aber vielmehr außer rumsitzen, hatte ich dort nie gemacht.
„Nein meine Herrin.“
„Ich bin wirklich erstaunt, das dir so gar nichts einfällt, mein Hund.“ Ich hatte sie enttäuscht. Schon jetzt.
„Woher soll ich denn das wissen meine Herrin?“
„So ein Pech. Dann gehe ich wohl besser wieder.“ Sie klang fast gleichgültig. „Sicher finde ich auch woanders gute Unterhaltung.“
„Bitte meine Herrin…“ Das war schmerzhaft. Und es war mir noch nie passiert. Die Stimmung des Ortes verzauberte uns und dennoch…
„Bettelst du jetzt?“, fragte sie mit mildem Interesse.
Sie ließ mich an der Leine zappeln.

Ich schwieg. Mir fiel nichts ein, was gut genug gewesen wäre für sie. Es war so ruhig hier. Und schön. Aber ich war leer. Mein Kopf sank auf den Boden. Es war auch nicht mehr weit bis da.
Ich schloss kurz die Augen, presste sie zusammen, meine Hände zitterten. Ich hatte geradezu Angst vor ihrer Reaktion. Wie hatte das passieren können. Ich tat einfach gar nichts.
„Antworte mir, du nutzloser Hund!“, blaffte sie mich an.
Sie wurde ungeduldig und bohrte mir ihren Absatz in den Rücken. Ich biss mir auf die Lippen. Man sollte meinen, es sei nicht schwer, und das hier keine große Sache und doch kämpfte ich bereits. Sie verstärkte den Druck auf meinem Rücken. Es fühlte sich an, wie aufgespießt zu werden.
„Ja, meine Herrin.“ Aber das machte es nicht besser. Sie hob den Fuß an und trat dann feste zu.
Ich schrie auf. Ein glühend heißer Schmerz grub sich in meine Wirbelsäule.
„Hör auf zu Jaulen, wie ein erbärmlicher Köter! Sofort! Oder du wirst es bereuen.“
Ich gab ein gequältes Wimmern von mir. Mein Hände griffen fahrig nach ihrem Stiefel. Irgendwas musste ich tun.
Aber was auch immer ich vorgehabt hatte, sie hielt mich auf halbem Weg auf, indem sie ihren Stiefel auf meinen Nacken stellte und meinen Kopf damit fest zu Boden drückte. Mein Hände fielen schlaff runter. Ein winziger Teil meines Hirns sah noch die Symbolik darin. Dann verschwand jeder Gedanke in meinem Kopf. Es war nicht mehr möglich, irgendwas zustande zu bekommen. Was ein Versager.
Ich hatte große Mühe nicht zu schreien, war absolut gefangen in der Situation. Wie ein getretener Hund lag ich vor ihr auf dem Boden.
„Und?! Wie fühlt sich das an, du Köter?“
„Erniedrigend.“, winselte ich.
„Wie bitte?!“ Ihr Ton war äußerst streng.
Sie verstärkte das Gewicht auf dem Stiefel, welcher auf meinem Nacken stand. Pein und Erregung schossen durch meinen Körper.
„Erniedrigend und quälend, meine Herrin.“
„Oh, es ist also nicht schön?“
„Doch meine Herrin, das ist es.“ Damit würde ich nicht davon kommen.
„Klar. Lügst du mich etwa an, du Hund?!“, herrschte sie mich an.
„Ich würde niemals lügen.“
Ich zitterte elendig vor Schmerzen. Es hörte nicht mehr auf.

„Achja?! Warum klingt es dann so wenig glaubwürdig?“
„Weil… ich nicht normal bin. Weil es so schnell missverständlich ist, was ich sage, meine Herrin. Und weil ich oft untertreibe, wenn es um Schmerz geht.“
„Und das soll ich jetzt glauben?!“ Sie klang verächtlich, aber auch todernst.
„Ich denke dann, das ich es nur verdient habe, so zu leiden. Und immer mehr.“ Der Selbsthass schob sich in den Vordergrund und loderte hoch auf.
„Du tust dir also gerne selbst leid?“ Sie klang abgestoßen. Ich wusste, wie sie zu Selbstmitleid stand.
Dann verließ mich die Kraft. Aber ein schwachen Hund wollte sie doch nicht und ich hatte Angst, das ich nicht stark genug war.
„Nein meine Herrin. Ich mag es zu leiden. Für dich.“ Das war wohl alles, was noch von mir übrig blieb, wenn man Kraft, Ego und Stolz vernichtete.
„Dann kannst du ja weiter für mich leiden, würde ich sagen.“
„Ja meine Herrin.“ Und wieder hatte sie Recht.
„Mal sehen, wie lange du durchhältst, ohne ein Wort zu sagen oder nur ein Ton von dir zu geben.“

Während sie ihren Absatz in meinen Hals stach und das Gewicht, das sie auf ihren Fuß verlagerte, schwer auf meinen Nacken drückte, wurde mir seltsam. Es rauschte in meinen Ohren und ich spürte wie meine Wahrnehmung verschwamm. Mein Geist wollte abdriften, aber der Schmerz hielt mich gnadenlos in der Gegenwart.
Sie quälte mich. Mein Kopf schmerzte, als wolle er explodieren. Eine Ader pochte dezent überlastet an meiner Stirn und ich schwitzte dezent. Langsam ging mir der Sauerstoff aus. Ich würgte, aber konnte nicht husten. Der Schmerz stach wie tausend Nadeln in meinen Kopf. Ich war nahe zu flennen.

Dann gab ich auf. Mir entwischte ein sehr leises „Hilfe.“
„Na?! Hattest du genug?“
Ich war zu keiner Antwort fähig. Aber es konnte auch rhetorisch gemeint sein. Ob ich genug hatte entschied ich ohnehin nicht.

Meine Herrin hob ihren Fuß langsam von meinem Nacken. Der Absatz hatte sich tief in meine Haut gebohrt, sodass ihn zu lösen mich peinigte. Anschließend zog sie meine Kette so stramm, das ich gezwungen war mich aufzurichten.
„Knie dich hin!“
Woher sollte ich denn jetzt noch Kraft nehmen, dachte ich erschöpft. Ich hatte keine mehr. War so widerstandsfähig wie ein Waschlappen. Aber ich war derjenige, der so verrückt war, solche Grenzen zu überschreiten… Reiß dich zusammen du Arsch!
Ich kniete mich hin, vornübergebeugt, die Hände auf den Boden gestützt und wagte nicht mehr, sie anzusehen.
„So eine Kleinigkeit richtet dich also schon zu Grunde?!“
„Nein meine Herrin. Ich halte mehr aus.“ Ach ja, du Idiot? Und das sollte sie jetzt beeindrucken? Wohl kaum. Aber ich meinte es dennoch so.
Sie schnaubte. „Du klingst nicht gerade überzeugender als vorhin.“
„Wie kann ich dich denn noch von meiner Aufrichtigkeit überzeugen, meine Herrin?“ Die Möglichkeiten gingen mir aus. Hatte ich es mir nich längst verbaut? Und ich merkte ja selber, wie daneben mein Ton gerade wieder wurde.
„Indem du mit dem "Drama" aufhörst und wie ein braver Hund deiner Herrin folgst!“, sagte sie mit Nachdruck. Ihre Worte knallten mir geradezu um die Ohren. Das saß.
Daraufhin drehte sie sich auf dem Absatz um und ging durch die Grabreihen. Ich folgte ihr, kriechend an der Leine.

Eine Weile spazierte sie so mit mir über den Friedhof. Die kleinen Steine bohrten sich in meine Knie und Handflächen. Ich atmete tief und schwer. Die Kette um meinen Hals brannte und schmerzte, als steckten Disteln darin. Gleichzeitig täuschte der Druck über den Schmerz hinweg, obwohl dieser nur immer intensiver wurde. Ich sah auf ihre Stiefel und nahm es an. Ich war ein Hund.
Während wir den hinteren Teil des Waldfriedhofs durchquerten schrie der Waldkauz wieder.
„Bei Fuß.“, sagte sie knapp.
Ich kniete direkt neben ihrem Bein und betrachtete den Boden. Es würde wohl nichts mehr werden heute. Ich hatte wohl versagt. Mit Pessimismus ist man aber sicher motivierter, dachte ich bitter.
„Was ist los?“, fragte sie.
Ich sah zu ihr hoch. Sie blickte auf mich herunter. Ich musste den Kopf fast in Nacken legen, so groß war sie vor mir. Mein Blick war wohl aussagekräftiger als alles, was ich drauf hätte antworten können. Unsere Blicke versanken einen Moment ineinander.

Eigentlich sind jetzt keine Worte nötig, dachte ich. Aber, wenn ich mich jetzt nicht beeilte was zu sagen, würde sie sich abwenden. Deshalb fragte ich sie dennoch: „Habe ich dich verdient meine Herrin?“
„Findest du denn, das du es verdient hast, mein Hund zu sein?“, gab sie die Frage an mich zurück.
Beides. Ich konnte nichts sagen. Das war eine Fangfrage. Jetzt hatte sie mich.
Ich war sprachlos. Mein Kiefer verhärtete sich.
„Oh, du willst darauf nicht antworten?!“, bohrte sie nach.
„Nein meine Herrin.“
„Du musst aber.“

Ich rang mit mir. Ein kurzer, aber dezent brutaler Kampf tobte in meinem Inneren. Dann überwand ich mich. „Ja meine Herrin.“
Ihr Lippen verzogen sich amüsiert.
„Spannend.“ Abrupt wandte sie sich zu mir um und scheuerte mir eine. Mit voller Kraft.
Erneut sah ich blutig gedemütigt zu Boden. Wenn das eine Zustimmung gewesen war, verstand ich sie nicht. Kein Selbstbewusstsein. Meine Wange brannte. Aber Stolz war wohl doch noch da.
Ich spürte ihren durchdringenden Blick in meinem Nacken. Es fühlte sich an, als drücke er mich nieder.
„Komm.“ Sie wandte sich zum Gehen. Ich wollte ihr auf Knien folgen. „Nein, das ist zu langsam. Steh auf.“
Wir liefen zurück. Meine Brust fühlte sich seltsam hohl an. Ich hatte es verkackt. Aber dann schmerzte es wieder. Ich war so ein Idiot.
Ich folgte ihr zwischen Hecken hindurch, Treppen hoch, durch schmale Durchgänge und breite Grabreihen, vorbei an der freien Fläche des Ehrenfriedhofs. Bei dem Gedanken wie bedeutungsschwer diese Kreuze waren erschauderte ich.

Wir befanden uns nicht weit vom Eingang entfernt, als sie zu einer Sitzbank ging und mir aufzeigte mich daneben zu knien.
Sie setze sich, die langen Beine leicht übereinandergeschlagen. Ich kniete daneben. Meine Kette hing gerade an mir herunter und beschrieb dann in einem Bogen. Das Ende lag in ihrer Hand.
Sie sagte zunächst nichts. Ich schwieg.

„So… und warum denkst du, das du mich verdienst, mein Hund?“
„Weil ich alles für dich tun würde, meine Herrin.“ Ausschweifende Erklärungen blieben mir im Hals stecken. Das Wesentliche sagte sich in wenigen schlichten Worten.
„Soso. Alles… “

Eine Zeit verstrich. Es war seltsam friedlich hier. Ich sah zu ihr, nahm mir Zeit sie zu betrachten und zu bewundern. Langsam erfüllte die Stille die Szenerie.
Der Blick meiner Herrin schweifte weit über die Gräber, als könne sie alles sehen. Wieder fügte sich ein weiteres Puzzleteil zusammen und doch würde ich sie wohl nie ganz kennen. Ihr Innerstes würde wahrscheinlich immer ein Mysterium für mich bleiben.
Ich fragte mich, was sie dachte und sah zu wie der Mondschein sich über ihr Haar ergoss. Weiß vor dem schwarz. Ein Anflug von warmem Wind schüttelte sanft das Laub der langen Hecken und hohen Büsche.
Ruhig atmete ich. Mir war nicht kalt. Ich war da und genoss es, bei ihr zu sein. Ich hoffte so sehr, sie konnte es auch fühlen.

Dann neigte sich der Moment dem Ende zu und sie stand auf.
„Los. Wir gehen.“
Ich trabte hinter ihr her zum Eingangstor. In meinem Inneren herrschte Verwirrung. Sie wirkte recht kühl und ich war niedergeschlagen, das wir nun gingen, aber immer noch erfüllt von diesem Moment gerade, der sich so nahe und intensiv angefühlt hatte, das mein Hundeherz gestolpert war.
Und sie hatte nichmal was dazu gemacht. Oder es bemerkt.
Vor dem hüfthohen Eisentor drehte sie sich um. Ich sah auf. Sie schaute in mein Gesicht. Wieder durchfuhr mich ein elektrisierendes Kribbeln. Letztendlich konnte ich nichts vor ihr verbergen.
Ich sah ihr kurz in die Augen, und dann auf meine Leine, welche uns verband und spürte, wie ich rot wurde.
Mir wurde erneut klar, das ich mich freiwillig in diese Position begeben hatte. Ich wollte ihr Hund sein, hatte ihr mein Inneres, meine Gedanken und auch mein Verlangen nach Härte und mein Bedürfnis nach Wärme gezeigt, mich so weit geöffnet, das ich ihr hilflos ausgeliefert war. Ich hatte mich zuerst selbst kompromittiert, auf eine Art. Oder vielmehr erniedrigt. Auch das war schon demütigend. Und mich erfüllte es, das sie mich dominierte. Ohne sie, fühlte ich mich leer.
Sie sah auch auf meine Kette, aber mehr als überlegte sie gerade, was sie damit anstellen könnte.

Wieder blickten wir uns in die Augen. Ich versuchte meine Sehnsucht zu verbergen. Hoffnungslos. Sie fasste die Leine kurz, packte mich an der Kette nahe am Hals und zog mich zu sich. Ihr Blick war streng, er warnte mich kein Mist zu bauen und mich zu beherrschen. Dann zog sie mich dicht vor sich, eine Hand an der Kette, die andere krallte sich in meinen Nacken.
Ich konnte nicht anders, als ihr auf den Mund zu starren. Mein Blick zeichnete die Konturen ihrer Lippen nach. Um ein Haar wäre er auch noch etwas tiefer gerutscht.
„Sieh mich an!“ Ich hob den Blick. Der Ausdruck in ihren Augen traf mich mit voller Wucht. Ihr Griff in meinem Nacken verstärkte sich. Ihre Nägel kratzten in meine Haut. Wir versanken ineinander. Ihre Augen bahnten mich.
Dann streiften ihre Lippen meine. Nur ganz leicht. Mehr nicht.
Sie entzog sich mir wieder. Ich blieb wie erstarrt stehen. Es wäre wohl empfehlenswerter gewesen, sich hinzuknien.

„Heb mich hoch.“ Sie deutete mit einer Kopfbewegung zur Mauer.
„Wie?“, fragte ich überrascht. Und vergaß glatt die Anrede.
„Nun mach schon.“
Ich war nervös. Wir gingen drei Schritte hinüber. Dann zog sie kräftig an meiner Leine. Mein Hals blutete sicher längst. Egal. Ich stand direkt vor ihr und fühlte mich unwohl, mit meiner Herrin auf Augenhöhe zu sein, wenn auch nur kurz. Vorsichtig legte ich meine Arme um sie und hob sie auf die Mauer.
Sie behielt meine Kette dabei fest in ihrer Hand, zog mich mit einer raschen Bewegung nah vor die Mauer. Sie sah, nun anderthalb Köpfe größer, auf mich herunter. Ihr Blick war so tief, das ich meinte zu fallen.

„Du solltest niemals den Respekt vor mir verlieren. Und wenn ich merke, das du mich anlügst oder schlapp machst, mein Hund, wirst du dir wünschen nicht geboren worden zu sein. Verstanden?!“ Sie sah mich ernst an. Eine Hand legte sie mir dabei an die Kehle. Die andere hielt noch immer die Leine.
Sie zog leicht daran, hielt sie unter Spannung.
„Ja meine Herrin…“ Erschreckt merkte ich, wie kleinlaut ich nach alledem war. Der Schmerz und die Erschöpfung zähmten mich, noch mehr.

Sie schenkte mir diesen einen tiefen Blick, legte die Kette über ihre Beine und griff mit beiden Händen in meine Haare, um daran zu ziehen. Ihre Krallen kratzten an meiner Kopfhaut und ihr Beine schlangen sich um meinen Oberkörper.
Dann beugte sie sich zu mir runter und erstickte meine Worte mit ihren Lippen. Aber reden war auch nich mehr. Ich war ohnehin sprachlos. Völlig überrumpelt versuchte ihr etwas entgegenzusetzen. Wir küssten uns leidenschaftlich. Meine Arme schlangen fest sich um ihre schlanke Mitte, während meine Hände an ihren Hüften lagen und darunter. Mein Traum endete mit einer, nicht enden wollenden Berührung unserer Lippen und Zungen. Und in mir brannte es.


© D.M.


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