Der Junge hatte nicht den Eindruck, dass ihm sein Großvater zuhörte.
«Die Menschen nehmen sich das Recht alles ihr Eigen zu nennen. Diese Welt, ihre Güter, alles was man sehen und fühlen kann wird von ihnen unterjocht. Sogar den Klang selbst stellen sie als ihre Erfindung da. Doch es waren nicht die Menschen, die das erste Lied spielten. Es war die Natur. Alles spielt sein eigenes Instrument in der Sinfonie dieser Welt. Der Gesang des Windes, welcher durch das Rascheln der Blätter begleitet und von Vogelgezwitscher vollendet wird. Die Melodie des Wassers, welche spielerisch ihren Höhepunkt erreicht, wenn die Fische in den Bächen und die Tiere an den Ufern zu ihnen anstimmen und sich ihm mit ihren eigenen Melodien des Lebens anschließen. Ob Paarungsrufe eines Tantaren oder das abrupte stampfen eines Keilers im Schlamm. Wer sich einmal wirklich mit der Natur beschäftigt hat weiß, dass jedes Lied der Menschen nur eine verwaschene Kopie des Original ist und nicht an seine Schönheit herankommt.» Die Anspannung war groß in ihm, als er von den Menschen redete.
Die Antwort seines Großvaters schien Hernon zu verzweifeln.
«Ach Großvater. Ich habe dir doch nur von meiner Freundin erzählt und dass sie Laute spielt. Sie hat heute Abend einen Auftritt, du wolltest mich begleiten. Erinnerst du dich noch?»
Der Mann merkte zwar, dass seinem Enkel etwas nicht passte, aber er konnte nicht genau sagen was es war.
«Oh, doch. Natürlich erinnere ich mich noch daran, Junge. Dein Auftritt. Hilf einem alten Mann auf die Sprünge. Was machst du doch gleich? Tanzen? Ich freue mich schon darauf. Aber Junge, du musst dich doch langsam umziehen. Wo ist denn dein Kostüm?»
«Großvater» sagte der Junge und konnte seinen Unmut nun nicht mehr verbergen. Seine Stimme war schwach geworden. Er war kurz davor aufzugeben.
«Opa ich habe keinen Auftritt. Elise spielt heute Abend Laute auf dem Marktplatz. Ich habe dir von ihr erzählt. Sie ist die kleine Menschin aus dem Dorf. Der Klang ihrer Stimme ist wirklich bezaubernd.»
Was sein Enkel sagte, schien dem Mann zu missfallen. Er beugte sich zu ihm vor und hob den Finger.
«Pah! Die Menschen und ihre Klänge. Sie stolzieren auf dieser Welt herum, als würde ihnen alles gehören. Es gab eine Zeit, in der die Menschen nicht da waren und dennoch lief alles. Die Erde brachte schon da ihre Güter hervor und schon damals konnten die Lebewesen fühlen und sehen. Die Menschen und ihre Klänge. Als ob sie sie erfunden hätten. Nein, mein Junge, die Welt war schon vor den Menschen da und wird auch noch lange nach ihnen da sein. Mit Menschen freundet man sich nicht an. Aber Junge, warum fragst du mich das? Dich hat der Krieg mit den Menschen doch sonst nicht interessiert.»
Eine Träne lief dem Jungen über die Wange.
«Danach habe ich auch nicht gefragt Opa.» Er stand auf und machte sich auf den Weg zum Marktplatz. Sein Großvater schaute ihm nach, wollte noch etwas sagen. Er entschied sich dagegen und blickte stattdessen verwundert aus dem Fenster.
Einen kurzen Gang durch den Wald später kam Hernon am Marktplatz an. Nach und nach kamen die Bürger des Dorfes und warteten voller Freude auf Elise und ihre Laute. Nur Zwei Personen waren nicht froh. Elises Stimmung verschlechterte sich, als sie ihre heimliche Liebe sah und diese offenbar sehr traurig war. Sie wollte ihm eine Freude machen und verkündete «Das nächste Lied ist für meinen besten Freund Hernon. Auf das sein Klang ihn wieder fröhlich stimmt.», wobei sie ihm zulächelte.
Sein Klang. Dieses Wort hallte noch einige Sekunden in Hernons Kopf, bevor er weinend den Marktplatz verließ. Er ging am Bach vorbei zurück nach Hause. Aus dem Wald hörte man einen Tantaren rufen. Die Fische im Bach sprangen eilig die Fälle hinauf.
Er kam zu Hause an und sein Opa schaute ihn an.
,,Was ist denn los Junge, warum weinst du denn?‘‘
Hernon wollte bereits zum antworten ansetzen, aber er hatte aufgegeben.


© Patrick Pausch


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Beschreibung des Autors zu "Klang der Natur"

Kurzgeschichte mit dem Ziel, einen Eindruck beim Leser zu hinterlassen.

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