Der Bahnsteig des alten Bahnhofs wird von ein paar Laternen erhellt, deren gelbliches Licht durch die Dunkelheit dringt. Es ist spät. Drei Uhr oder so. Der letzte Nachtzug fährt gleich.
Stumm stehe ich mit gesenktem Kopf vor ihr, etwa zwei Meter entfernt. Meine Herrin lehnt lässig im warmen Schein an einer altmodischen Laterne. Sie allein steht im Licht. Wie in einem Traum steht sie da. Und doch sehe ich sie so klar. Der Rest ist verschwommen.
Wie immer ist sie geschmackvoll und wunderschön gekleidet. Ich kann meinen Blick nicht von ihr wenden.
Feuer funkelt in ihren Augen. Ihre Haare scheinen weiß wie Mondstein. Ihr Gesicht unter hohen Brauen ist ausdrucksvoll, die Rundungen ihrer Brüste über dem schwarzen Stoff sanft, wie das subtile Schimmern einer Perle. Ihr schmaler tätowierter Arm ruht an ihrem Oberschenkel. Sie hat ihre Finger um einen kleinen Gegenstand geschlossen.
Ihre Beine stecken in langen, Ehrfurcht gebietenden schwarzen Stiefeln. Ich hab das Gefühl sie kann mich sehen, wie ich bin, als wäre das schon immer offensichtlich gewesen. Ihr Blick geht mir unter die Haut.
Wieder muss ich schlucken. Es ist, als würde durch dieses Bild ihr Inneres, ihr Seele nur noch heller scheinen, oder noch schwärzer.

Ihre Hände halten meine Herz. Die Umgebung liegt im Nebel. Die Zukunft ist ungewiss. Am Ende des Bahnsteigs beginnt das Nichts.
Ich bin ein Schatten, eine schwarze Silhouette vor der Schwärze der Nacht.
„Du willst gehen mein Hund?“
„Ich muss gehen meine Herrin.“ Ich will nicht.
Ich sage es, obwohl ich mich lieber vor den Zug schmeißen würde, anstatt mich hineinzusetzen. Das Schicksal hat mir schon immer Steine in den Weg gelegt und es hat einen sehr schrägen Humor, oder gar keinen, so wie ich.

Wir hatten uns in der Realität getroffen. Mitten ins Herz. Es war ein unbeschreiblicher Moment, zumal wir nie dachten, das es ihn geben würde… nach so langer Zeit. Ein Moment voller Überraschung und Magie. Meine Hände hatten gezittert. Mein Mund war so trocken geworden. Ich war zunächst einfach erstarrt. Eine größere Spannung hatte ich nie erlebt.
Dann als sie direkt vor mir stand und wir uns in die Augen sahen, war ich ohne zu zögern auf die Knie gefallen. Ich gehörte vor ihr auf den Boden und es fühlte sich an, als könnte es gar nicht anders sein. Wir hatten den Augenblick bis jetzt in die Länge gezogen, fast unendlich.
Dennoch war es Zeit, unumstößlich die Tatsache, das es wieder ein Abschied gab. Denn so leicht war es eben nicht. Ich war nur das was ich bin. Ein schwarzer Hund. Und ein einsamer Wolf.

„Werde ich dich wiedersehen, meine Herrin?“
„Wer weiß was die Zukunft bringt, mein Hund. Ich werde deine Leine fest in meiner Hand halten.“
„Ist das dein letztes Wort meine Herrin?“, frage ich und unterdrücke es, meine Hundekette zu berühren. Ich spüre wie eng sie sitzt. Es wird immer so sein.
„Gute Nacht mein Hund.“, sagt sie nur.
„Gute Nacht meine Herrin.“
Das ist der Abschied. Es sind nur diese Worte. Der Schmerz betäubt mein Denken. Er wiegt so schwer, das ich kaum atmen kann.
Der Zug kündigt sich mit einem hohen Quietschen auf den Gleisen an. Dann lärmt der Dieselmotor durch die Nacht, als er in den kleinen Bahnhof einfährt. Die vorderen Positionslichter tanzen über die Schienen.

Ich sehe sie an. Meine Augen brennen. Niemals werde ich sie vergessen.
Ich habe mir dieses Bild für immer eingeprägt.

Langsam schlurfe ich zum Zug. Allein. Die Türen öffnen sich zischend, während das eintönige Piepen ertönt, das Signal wenn die Türen sich öffnen und wenn sie sich wieder schließen. Um den roten Knopf des Türöffners leuchten kleine grüne LEDs. Warum muss ich gehen? Es widerstrebt mir. Mein Herz sagt nein, du kannst bleiben. Es zerreißt mich.
Ich steige ein, gehe mit schweren Schritten an den Sitzen vorbei den Gang hinunter. Ich komme nicht weit. Meine Knie geben nach. Ich hocke am Boden. Meine Beine sind wie gelähmt. Das Warten ist am schlimmsten, zu wissen das ich nichts tun kann, eine Qual. Ich will wieder hinauslaufen und vor ihr auf den Boden fallen.

Der Zug fährt mit einem schrillen Signal los, die Räder rattern, aus dem Bahnhof, in die tiefschwarze Nacht.


© D.M.


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