Der Motor brummt. Der Regen klatscht gegen die Windschutzscheibe. Es ist ein später grauer Nachmittag. Die Scheinwerfer der Autos, welche mir im Halbdunkel entgegenkommen, verschwimmen in den Schlieren der Scheibenwischer zu langen Streifen. Ich habe die Musik leise gedreht. Ich wünschte, sie säße neben mir. Bei der Vorstellung klopft mir das Herz zum Hals.

Die Heizung bläst lauwarme Luft aus den Lüftungsschlitzen, doch meine Hände sind kalt. Sie klammern sich fest um das Lenkrad. Ich sehe geradeaus. Mein Blick ist starr und müde. Ich bin ziemlich erschöpft.
Nachdem ich ewig auf dem zugigen Parkplatz rumgestanden habe, mit gesenktem Kopf an den Kühler des Autos gelehnt, mache ich mich doch auf den Rückweg. Es hat letztendlich nichts gebracht. Sicher, ich hatte mich beruhigt, war vielleicht einem Unfall entgangen, aber wer wusste das schon. Womöglich hätte ich einfach weiterfahren sollen. Meine Gedanken waren nur immer weiter um dieselben Dinge gekreist. Ein verdammter Teufelskreis, nur um mir nachher darüber klarzuwerden, das ich dort meine Zeit verschwende. Ich drücke das Gaspedal tief runter.

Der Trafic meldet sich als leises Rauschen im Hintergrund. Kein Empfang. Ich bin so in Gedanken versunken, das ich es kaum wahrnehme.
Die Probleme, die ich habe, sind nicht neu. Kein Job und keine Wohnung zu finden, nagt schon länger an meinem Selbstbewusstsein. Ich komme mir so dumm vor und manchmal inkompetent und wertlos, weil ich nichts auf die Reihe bekomme. Und dennoch halte ich mich für etwas Besseres.
Vor mir wechselt ein Lkw die Spur und überholt einen anderen. Mein Fuß verlässt das Gas. Immerhin bin ich noch klar genug, ihm nicht draufzufahren.
Dennoch denke ich, das ich klüger bin, besser. Ich glaube mehr Fähigkeiten zu haben als andere und präzisere. Ich habe eine Weitsicht, eine Art die Welt zu sehen, sie zu erfassen, wie es nur sehr Wenige vermögen. Weil ich anders bin.
Aber gründet sich wirklich alles darin? Oder bin ich letztendlich nur ein Träumer, der das Leben nie begriff? Das ergäbe immerhin Sinn in Anbetracht der langen Zeit, die ich außerhalb der Realität in meinen Gedanken verbringe.

Ich fahre langsamer. Ein Auto nach dem anderen überholt mich. Das Wasser spritzt in Gischtwolken von der nassen Fahrbahn an den Reifen der vorbeifahrenden Autos hoch.
Sehe ich es jetzt als unausweichlich, als Krise? Ist es plötzlich so schlimm, das ich nicht damit leben kann, das ich unbedingt etwas tun muss? Wie kann man sein Schicksal ändern ohne es in der Hand zu haben?
Ich erinnere mich selber daran, das ich es womöglich nur jetzt so emotional sehe, weil meine Gedanken, meine Gefühle in dem Gespräch heute Nachmittag aufgewühlt wurden, als wäre jemand mit einem Mixer brutal und systematisch durch ein weichen Teig gepflügt.
Ich setze den Blinker und gebe Gas. Es wird Zeit nach Hause zu kommen. Ich überhole drei Autos und ein dutzend Lkws. In Köln hatte ich mich dezent länger aufgehalten als geplant.
Meine Gedanken wandern zu meiner Herrin. Wenn ich an sie denke, kommen die unterschiedlichsten Gefühle in mir hoch. Wenn sie nicht da ist, vermisse ich sie, oft voll schmerzlicher Sehnsucht. Wenn ich dasitze und den anderen beim Scheisse labern zusehe, denke ich an so manche Stunde, die wir gemeinsam verbracht haben. Ich erinnere mich an ihre Worte. Sie fliegen in meinem Kopf rum und vereinen sich.
Wenn ich an sie denke, steigt Wärme in meiner Brust auf. Sie gibt mir das Gefühl das ich dorther gehöre, zu ihren Füßen. Wenn sie einfach nur da ist, mich vielleicht nicht mal beachtet, gerade in ein Buch vertieft ist oder schläft, möchte ich mich zu ihren Füßen zusammenrollen. Ich würde ihren Atemzügen lauschen, das Rascheln der Buchseiten, wenn sie weiterblättert, den Frieden und die Stille in einem trockenen warmen Raum wahrnehmen. Ein Gefühl von zuhause. Wieder frage ich mich, ob es sich je echter anfühlen wird.

Ich habe es eilig. Die aufgerüttelten Gefühle über meine verfluchte Lebensperspektive begünstigen die Spannung in mir, die ich wegen ihr habe. Obwohl ich weiß, das sie auch mal beschäftigt ist oder meine Nachricht schlicht noch nicht gesehen hat, bin ich nervös. Wenn sie über einen längeren Zeitraum nicht antwortet, mache ich mir Sorgen. Ich grüble, ob ich etwas Falsches gesagt habe, sie beleidigt, mich vielleicht missverständlich ausgedrückt. In dem Moment, wo ich annehmen muss, das irgendetwas nicht stimmt, das ihr etwas zugestoßen ist, wird es noch schlimmer. Es brennt in mir. Ein unglaublicher Druck hält mich auf den Beinen, aber zwingt mich gleichzeitig mich zu beugen. So ist es sie zu vermissen. Sie, meine Herrin.
Sie ist ebenso ihre sanfte Seite, mit der sie mich oft völlig überrascht, die genauso vor Sternen funkelt wie auch ihre harte und unbarmherzige Seite, die, nahezu funkensprühend und ein Flammenschweif hinter sich herziehend, so manchen Mann um seinen Verstand bringen kann, voller Schmerz und Leidenschaft.

Möglicherweise sind meine Gedanken was wirr. Ich fahre von der Autobahn ab. Es ist dunkel geworden. Im Kegel der Scheinwerfer, die sich suchend durch die Nacht tasten, sehe ich die durchnässte breite Straße. Die Scheibenwischer legen ein Zahn zu. Autos schießen unscharf wie im Nebel an mir vorbei. Der Verkehr lässt nicht nach. Ich fahre zurück.

Der Motor brummt. Der Regen prasselt auf die auf das Autodach. Die Lichter der Autos scheinen im Dunkeln. Sie spiegeln sich in der nassen Straße. Ein Meer aus gelb und rot. Sie verzerren sich, wie wenn man die Welt durch Tränen sieht, verschwimmen in den Schlieren der Scheibenwischer. Ich habe die Musik leise gedreht. Ich wünschte, meine Herrin säße neben mir.


© D.M.


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(vers2)


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