Der Wassermann vom Alten Markt in Stralsund

© Katrin Streeck

Unter dem Alten Markt in Stralsund lebt ein Wassermann.
Er ist schon sehr alt und hat sich tief unter dem Pflaster ein gemütliches feuchtes Heim eingerichtet.
Am liebsten sitzt er in seiner Höhle und schaut zu, wie das Wasser an den Wänden herabrinnt und leise tröpfelnd tief und tiefer unter Sand und Gestein versickert.

Der alte Wassermann hat Kinder sehr gern. Er liebt es zuzusehen, wie sie in seinem Element spielen und toben. Manchmal zieht es ihn an den Strand, wo er beobachtet, wie sie Kleckerburgen aus nassem Sand bauen, im Sund baden, tauchen und schwimmen. Und manchmal, wenn es heiß ist und es kaum jemand auf dem Marktplatz aushält, die Erwachsenen ringsherum in den Cafés und Gaststätten sitzen, kühle Getränke genießen und die Kinder Eis schlecken, erlaubt sich der Wassermann einen Spaß, um den Kindern Abkühlung zu verschaffen und sie zum Spielen aufzufordern.

Zuerst hört man ein Grummeln und Gluckern unter dem Marktplatz, das nur jemand bemerkt, der noch nicht träge in seinem Stuhl eingenickt ist. Dann kommt ein Plätschern an die Oberfläche und man sieht kleine Strudel unter dem Pflaster hervorblubbern. Es faucht und zischt, und die Kinder werden neugierig und nähern sich vorsichtig. Wenn sie ganz dicht davorstehen, dann lässt der Wassermann eine Fontäne hoch in den Himmel steigen, die alle in ihrer Nähe nass spritzt.
Die Kinder bekommen einen Schreck, lachen, kreischen und laufen an die Tische, an denen ihre Eltern sitzen.
Der Spuk ist aber wieder vorbei und es wird still, bis der Wassermann das Spiel von vorne beginnt. Dann lockt er wieder die Kinder heran. Dieses Mal überflutet er den halben Markt und die Kinder ziehen schnell Schuhe und Strümpfe aus und krempeln ihre Hosenbeine hoch. Alle patschen durch die riesige Pfütze und ziehen die Väter von den Tischen, die ihre kleinsten Kinder auf den Arm nehmen und barfuß durch das Wasser laufen. Schon lässt der Wassermann wieder fauchend eine Fontäne hochschießen und die Väter werden nass, wenn sie nicht schnell genug wegspringen. Kichern und Lachen ist zu hören. Kinder setzen sich mitten ins Wasser. Manche haben Schippen und Spieleimer dabei, mit denen sie Wasser schöpfen. Die ganz Kleinen kosten sogar davon.
Die Mütter stehen mit Handtüchern bereit, aber niemand will sich abtrocknen. Immer wieder zieht es kleine und große Kinder ins Nass.

Dieser Spaß dauert den ganzen Tag, bis die Sonne untergehen will, es kühler wird und die Kinder müde und hungrig von ihren Eltern nach Hause oder in die Hotels gebracht werden. Sie wollen alle unbedingt wiederkommen und der Wassermann freut sich, am nächsten Tag wieder seine Späße machen zu können. Er legt sich in seiner Höhle auf sein Wasserbett und träumt seinen Lieblingstraum von einer riesigen Wassersäule, auf der die Kinder sitzen und sich herumwirbeln lassen. Vielleicht, ja vielleicht hebt er morgen ein paar Kinder mit seiner Wasserkraft empor. Es würde niemanden wundern, oder doch?


© Katrin Streeck


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Beschreibung des Autors zu "Der Wassermann vom Alten Markt in Stralsund"

Auf dem Alten Markt gibt es einen Brunnen, ein Wasserspiel, das Jung und Alt anzieht. Dazu ist mir diese Geschichte eingefallen.

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