Arrogant, wie er ist, sitzt er in seinen Privaträumen im Erdgeschoss. Es ist, als wäre keine Zeit vergangen. Ich bin geradewegs durchs Hauptportal der Klinik eingetreten, die wenigen Steinstufen hoch. Oder sollte ich besser Psychiatrie sagen? Die Hintertür zu benutzen, habe ich nicht nötig. Ich möchte, das sie mich kommen sehen, alle, die dort sind.
Die Pforte ist nicht besetzt, nachlässig wie immer. Aber selbst wenn, wäre derjenige, der da säße bei meinem Anblick ohnehin bewusstlos vom Stuhl gekippt. Ich bin von Kopf bis Fuß in schwarz gekleidet. Meine helle Haut unterstreicht den Effekt noch. Zwischen meinen blassen Lippen ragen lange, rot schimmernde Reißzähne hervor. Mein Mund und mein Kinn ist voller Blut, nicht meins. Ich sehe krank aus.
Das Anklopfen erspare ich mir. Höflichkeit verdient er nicht.
Er sitzt an seinem modern designten Schreibtisch, der fette Sack. Oder der Holztyp, wie ich ihn früher nannte, keine Ahnung wieso, hatte was mit seinem Nachnamen zu tun.

Er schaut nicht mal auf, er sagt nur: „Seit wann klopfen Sie denn nicht mehr an, Vera?“ Er denkt wohl, ich sei seine Sekretärin. Kalter Zorn packt mich. Selbst das.
Als keine Reaktion kommt, schaut er langsam auf auf, seine Augen wandern an meiner schwarzen Kleidung hoch, bis zu meinem Gesicht.
Er begegnet meinem hungrigen, fast wahnsinnigen Blick. Er erbleicht.
„Ich fürchte ihre Therapie hat nicht geholfen, Doktor.“ Ich lege den Kopf schräg und starre ihn mit weit geöffneten Augen an. Er sieht dezent beunruhigt aus. Fahrig sucht er mit einer Hand unter dem Schreibtisch nach einem Notfallknopf oder so.
„Wolltest du dich selbst einweisen, Junge?“, fragt er wie automatisiert.
Die Angst lässt ihn schlottern.
„Oh, das ist nicht mehr nötig.“, meine ich gedankenverloren.
„Nicht nötig… du brauchst Hilfe, Junge.“, wiederholt er. „...und ein sehr interessanter Fall.“, fügt er noch leise und mehr zu sich selbst hinzu.
Ich äffe ihn nach. Er verstummt.
Langsam schlurfend komme ich auf ihn zu. Einen guten Meter vor dem Schreibtisch bleibe ich stehen. Er weicht zurück, sein Stuhl kippt mit einem Knall auf die Seite.
Er denkt wohl, der Schreibtisch wäre ein Hindernis für mich?!
Ich lache kurz trocken auf, als ich sehe wie er zunehmend panischer wird. Ein wahnsinniges Gefühl durchströmt mich. Kälte... und Macht.
„Ich werde dich vernichten“, sage ich sanft.

Mit einem Satz hocke ich auf dem Schreibtisch, die Hände zu Klauen geformt. Er sieht mich an, als wäre ich ein tollwütiges Tier. Eine Sekunde lang sehe ich alles in Zeitlupe, wie das Licht in flirrenden Streifen durch Lammellen vor den großen Fenstern dringt, die pulsierende Ader an seinem Hals, der Angstschweiß welcher langsam seine Haut runterläuft. Das laute heftige Pochen seines Herzens dröhnt mir in den Ohren.
Meine Sinne sind so scharf, das ich blinzeln muss, mir jaulend die Hände über den Kopf halte. Das Piepsen der Elektronik im Zimmer zieht sich schmerzhaft durch mein Gehörgang.
Erstaunt sieht er mich an, wie ich da auf seinem Schreibtisch kauere. Er nimmt langsam den Arm vom Gesicht, mit dem er sich schützen wollte.
Schnuppernd hebe ich den Kopf. Er stinkt widerlich. Sehe ihn mit den manischen Augen einer Kreatur an. Gift sammelt sich in meinem Mund. Dann stürze ich mich auf mein Ziel, versenke die Zähne in seinem Hals. Mit einem einzigen Biss fahren meine Zähne durch Sehnen und Fleisch. Ich ziehe ruckartig den Kopf zurück und reiße ihm ein großes Stück seiner Kehle raus. Sein Blut spritzt, als hätte man eine Leitungsrohr beschädigt.
Seine Augen springen ihm aus dem Kopf. Zum Schreien ist er nicht mehr fähig, aber er krümmt und windet sich in unendlichem Leiden. Ein gurgelnder Laut entwischt seinem Mund. Ich beiße erneut zu, sauge sein unwürdiges Blut aus ihm raus. Ich nehme einen Schluck und spucke es ihm ins Gesicht. Inzwischen ist seine Kleidung komplett mit Blut getränkt. Auch mich hat er über und über mit Blut besudelt. Er gibt noch ein schwaches Röcheln von sich, dann kratzt er ab. Ich lasse ihn los und er fällt mit einem klatschenden Geräusch, wie ein Haufen Scheiße zu Boden.
Ich werfe ihm keinen weiteren Blick zu, verlasse das Büro und laufe leicht torkelnd den Gang entlang, an der Pforte vorbei, die Steinstufen hinunter.
Durch die Glastür nehme ich war, wie gerade die Polizei eintrifft. Offenbar hatte der abartige Sack es doch noch geschafft sie zu rufen, bevor ich sein Leben auslöschte.
Mit quietschenden Reifen halten zwei Einsatzfahrzeuge vor dem Portal. Ohne zu zögern, gehe ich hinaus. Uniformierte steigen aus, ziehen ihre Waffen, als ich mit schlurfenden Schritten auf sie zukomme. Sie bilden einen weiten Halbreis um mich. „Bleiben Sie stehen und heben sie Ihre Hände!“, brüllen sie.

Mit gesenktem Kopf bleibe ich stehen, die Arme schlaff neben dem Körper herabhängend. Wenn ich meine Zähne in sie hineinschlage, werden sie mich mit Kugeln durchsieben, überlege ich. Obwohl es wahrscheinlich ausreichen würde den Kopf zu heben und ihnen das gestörte Monster in mir preiszugeben, damit sie mich töten würden.

Da verdunkelt sich der Himmel. Schlagartig verschwindet die Sonne hinter drohenden Wolken. Wind kommt auf. Ich spüre eine seltsame hohle Kraft in mir wachsen. Ich hebe den Blick. Die Beamten weichen zurück.
Plötzlich schneidet mir ein scharfer Schmerz durch die Schulterblätter.
Ich heiße ihn willkommen, manifestiere mich als eine Kreatur, die den Schmerz liebt, diesen zum Leben braucht. Mein Rücken fühlt sich an, als ob er bersten würde. Ein eiserner Hacken sticht durch mein Herz.
Mit einem tiefen Stöhnen lasse ich los. Ein Ruck geht durch meinen Körper und zwei riesige Schwingen brechen aus meinem Rücken hervor. Sie verjüngen sich in gehörnten Klauen. Pechschwarze Federn entfalten sich. Ich spüre sie bis zu den Spitzen, strecke sie zu ihrer vollen Größe. Die Menschen vor mir gleichen einem Standbild, gelähmtes Entsetzen in ihren Gesichtern. Sie können nicht glauben, was sie sehen.
Mit einem mächtigen Flügelschlag fege ich sie weg. Körper fliegen durch die Gegend. Dann breite ich die Schwingen wieder aus. Meine Füße lösen sich vom Boden. Mit wenigen kraftvollen Schlägen, tragen sie mich hoch in die Lüfte. Ich lege mich den hier oben geradezu brausenden Wind, strecke den Körper wie einen einzigen Muskel und fliege davon, weg vor der Realität, weg in die weiten des Himmels.


© D.M.


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