Es war einmal ein kleinstes Land der Welt, dessen Bewohner die größten Ansprüche der Welt pflegen wollten, die dann für die ganze Welt zu gelten hätten – und zwar pronto! Auf dem Globus kaum auszumachen, unter den riesigen Flächen der anderen Länder, behauptete es die Heimat für alle Menschen der Erde sein zu können, denn die Erde sei klein und das Land sei groß und egal wie viele Menschen es auch gäbe, alle, aber auch wirklich ALLE, seien im kleinsten Land der Welt ganz groß willkommen, denn der Platz dieses Kleinlandes sei größer als man denkt, weiter als man kommt und schöner als man ist und überhaupt gäbe es gar nichts Wichtigeres als – was?

Wer sich nun fragt wo dieses Land wohl liege, der muss sich halt ein bisschen Mühe geben und wenn er es, mit dem Finger auf der Karte, partout nicht finden kann, dann muss er einen Mordskerl fragen, denn Mordskerle wissen immer einen Ausweg – egal wie lang der auch sein möge. Langer Rede kurzer Unsinn: Es handelt sich um das „Gesellenland“! Im Gesellenland wohnt die Gesellschaft. Es ist weder eine Gesellschaft der Heiligen, noch eine Gesellschaft der Unheiligen und schon gar nicht die Gesellschaft eines Gottes, sondern einfach nur eine Gesellschaft. Diese Gesellschaft war bis vor kurzem noch sehr gesellig, bis sie zusehends verrohte – schade!

Wie aber kam es zur Verrohung der „Gesellschaft“? Das ist schnell erklärt – man muss nur eben wieder einmal einen Mordskerl fragen, denn Mordskerle wissen einfach alles! Es kam so…die Gesellschaft vergesellschaftete sich selbst und lud eine Menge neue Gesellschafter ein, an ihr teilzuhaben, ob es nun Mordskerle waren oder nicht. Das sprach sich schnell herum und so kam eine Unmenge an Mordskerlen nach Gesellenland, denn es galt, so wurde sogar nicht nur gemunkelt, sondern überlaut propagiert, die Gesellschaft rückstandslos aufzuarbeiten. Die dafür erforderlichen Prinzipien brachten die Mordskerle, ganz natürlich, aus aller Mordskerlländer – mit!

Die Gesellschaft jubelte zuerst, angesichts der unzähligen Mordskerle lauthals vor sich hin, sagte sich aber gleichzeitig nach, daß man keine Angst haben dürfe. Wovor, das verbot man zu sagen, denn wenn man sagte wovor man Angst habe, kämen die Mordskerle in Verruf. Da er, der Ruf, aber gut bleiben müsse, egal was so ein Mordskerl wisse, täte, oder auch nicht wisse, bzw. unterlasse, drohte sich die Gesellschaft aufzulösen – was wiederum von der Gesellschaft selbst als „Verrohung“ bezeichnet wurde. So kam es, daß keiner in der ursprünglichen Gesellschaft mehr sein wahres Gesicht zeigte, sondern mit den Tieren murmelte, oder nicht nichtssagend blieb.

Die Mordskerle ihrerseits aber hielten vor allem Gesellinnen, die ihr wahres Gesicht zeigen wollten, für nackt, weshalb sie gut zu gebrauchen seien und aber auch wieder nicht widersprechen sollten. Und wer daraufhin behauptete ein Mordskerl sei ein Mordskerl, der galt als völlig verroht. Um nun die Sache, wie auch den Verhalt, noch etwas deutlicher zu machen, bewaffneten sich die Mordskerle auch noch mit scharfen Gegenständen, womit sie fleißig „Arbeit“, im Sinne ihrer Gesinnung leisteten, damit klar zu sein habe, wer nun ein Mordskerl sei und wer nicht. Die Gesellschaft übertrug das jedoch auf alle und bezeichnete fortan sich selbst als verroht – na also!

Also: Immer wenn einer etwas an, um, oder aufgestellt hatte, behaupteten angstlose Mitglieder der ehemaligen Gesellschaft (die sich eigentlich schon längst aufgelöst hatte), das sei die Gesellschaft insgesamt gewesen und nicht etwa ein Mordskerl, der von der riesig kleinen Erde in des winzig große Gesellenland gekommen war, um dort (k)ein Teil der Gesellschaft zu werden (höchstens einer neuen). Dem schräg gegenüber behaupteten die maßgeblichen Stellen der sich auflösenden, oder sich bereits aufgelösten Gesellschaft, daß die Gesellschaft völlig verroht sei und, daß sogar Leute, die es wagten, in witzigen Zeilen darüber zu schreiben, absolut roh seien.

Alles kochte! Die Gesellschaft köchelte, vor lauter Verrohung, im Topf des Eintopfs, auf dem Unruheherd der Geschichte aller Gesellschaften, besonders der verrohten, einer ganz gewiss ungewissen Zukunft entgegen, die aller Wahrscheinlichkeit nach von Mordskerlen bestimmt werden würde, in der Frauen ihr wahres Gesicht nicht zeigen dürften weil sie sonst gebrauchbar wären, und aus dem Land war ein Eiferturm geworden – jeder eiferte seiner Sucht hinterher, wobei er, im Hinterhereifern, als Vorbild gelten wollte, was aber nur ging, wenn er ein sich auflösendes Mitglied der ehemaligen Gesellschaft sein wollte, die nichts weiter zu sagen haben sollte – gut?

Die Sache glich ein wenig dem Turmbau zu Babel. Alle wollten immer noch höher hinaus, bis keiner mehr wusste, wann er, der Turm, eingestürzt war. Nicht die bröckelnden Fundamente des gesellschaftlichen Grundsystems der feinen Ansicht, was feine Gesellschaften betrifft, hielten mehr dem Ansturm an Mordskerlen, der wiederum kein Ansturm, sondern nur eine Erweiterung der Gesellschaft war, die jedoch nur zum einen Teil verrohte, der aber nichts mit Mordskerlen zu tun hatte, stand, sondern die überall herumliegenden Trümmer aus ehemaligen Gebäudeteilen und nackten Frauen irritierten schon längst keinen mehr. Und so kam es wie es musste – aber wer?


© Alf Glocker


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