Heute ist eine Party im Jenseits – und ich bin eingeladen! Ein Brief von Vincent van Gogh (der sich nach dem Lesen sofort wieder aufgelöst hatte) lag plötzlich auf meinem Schreibtisch! In dem stand, daß er anlässlich des Verkaufs eines seiner Bilder, das bei Sotheby’s den Rekordwert von 153 Millionen Dollar erzielte, eine Party zu schmeißen gedenkt. Alles von Rang und Namen ist eingeladen und ich könne mir jetzt schon mal anschauen wie toll man im Jenseits feiern könne.

Wie der auf mich kam ist mir zwar schleierhaft, aber ich werde mich in der kommenden Nacht hinüberträumen, um all die phantastischen Menschen kennenzulernen, die es auf Erden echt zu etwas gebracht haben. Den ganzen Tag fiebere ich dem Einbruch der Dunkelheit entgegen. Ich mache alles um müde zu werden: 2 Stunden verbringe ich mit Training im „Folterkeller“, dann lese ich ein todlangweiliges Buch von einem der gerade modernen Philosophen, wo ich vorher schon weiß was drin steht, weil die Spatzen längst seinen Inhalt sinngemäß von den Dächern pfeifen, dann ziehe ich mir noch 3 Nachrichtensendungen und 2 politische Diskussionen rein…

Endlich, um ca. 22 Uhr bin ich todmüde und habe meine Einladung fast schon vergessen. Ich schleppe mich zu Bett und bin sofort eingeschlafen. Dann, ich weiß natürlich nicht mehr genau wann das war – vielleicht um Mitternacht? – höre ich Musik. Ich öffne eine verschwommene Nebeltüre und befinde mich gleich darauf in einer wundersamen Umgebung. An einem nachtblauen Himmel kreisen die Sterne. Überall sind Lampions aufgehängt, ausnehmend schöne Frauen und Mädchen füllen die „Luft“ (?)…nein – mein Gott, ich atme ja gar nicht, mit süßem Gelächter. Dazwischen unterhalten sich Hannah Arendt, Simone de Beauvoir und Marie Currie, einigermaßen ernst, über ein mir bekanntes Thema: sie sprechen über unsere Zeit – jene Gegenwart, aus der ich komme.

Ich grüße sie freundlich, sie winken mir zu, ich gehe weiter und gelange an einen riesigen Tisch, der sich biegt, vor lauter Köstlichkeiten. Vincent muss einen stattlichen Anteil der 153 Millionen Dollar dafür ausgegeben haben, denn die Bestecke sind vergoldet, die Teller aus feinstem Porzellan und der Wein scheint aus dem antiken Griechenland zu stammen. Schiller ist bereits betrunken, fabuliert aber an einem ganz neuen Gedicht herum, das irgendwie etwas mit der Hölle zu tun zu haben scheint… „Eine Teufelin sitzt auf dem Thron, sie hat die Wahrheit ganz gepachtet – den Opfern ihrer Welt zum Hohn, doch Menschen sind von ihr verachtet…“

Ich applaudiere und werde von ihm, Dante Alighieri und William Shakespeare zum Tisch gebeten. Dort sitzt, unter anderem auch Kaspar David Friedrich, der mich auslacht. Tritt herbei, Kollege und trinke mit uns einen Schluck – ich denke die Keilrahmen Deiner Bilder sind auch mehr wert als die aufgespannten Werke…habe ich recht?“ Ich nicke, wobei mir ins Auge fällt, daß, zwischen all den anderen dargebotenen Köstlichkeiten eine phantastische Frau drapiert ist. Ich kann nicht sofort erkennen um wen es sich handelt, denn sie wird ausgiebig geküsst.

Aber dann gibt Albert Einstein ihr Gesicht frei und mir klar, daß es sich nur um eine handeln kann: Mariliyn Monroe! Sie ist nackt, ihr Anblick tut mir wohl und ich kann meine Augen nicht von ihr wenden. Sie lächelt mir vertrauensselig zu! Rembrandt van Rijn und Peter Paul Rubens schwingen, ein paar Meter von der göttlichen Szene entfernt, ihre Pinsel. Sie sind mit Gemälden beschäftigt, die beide den gleichen Namen tragen: „Stillleben mit Dame!“ Vermeer und Dürer fachsimpeln daneben mit dem Bildhauer Michelangelo Buonarroti und dem Erfinder Leonardo da Vinci. Ich schwebe wie auf Wolken und kann mein Glück nicht fassen, dies, im Reich des Todes, „miterleben“ zu dürfen.

Ich gehe an immer neuen Menschengruppen vorbei, die alle sehr angeregt in hochintelligente Gespräche vertieft sind und mir fällt auf, daß keiner Lust verspürt andere hinter das ewige Licht zu führen. Ich bin in einer märchenhaften Welt gelandet, in der es offenbar keine Probleme gibt – außer man spricht über die Zeitepochen der Geschichte, wobei besonders das 21. Jahrhundert immer wieder als „die Endzeit“ genannt wird. Aber sonst geht es allen gut…

Allen? Nein, da scheint es noch jemand irgendwo in Schwierigkeiten zu sein…und jetzt sehe ich ihn: den beinahe unsichtbaren Zaun! Er wird wie von selbst gebildet. Davor sammeln sich seltsam zerlumpte Gestalten, die lauthals Einlass verlangen – man hört sie nur nicht, weil der Frequenzbereich ihrer Gedanken außerhalb der Toleranzgrenzen der Partyteilnehmer liegt. Ich sehe genauer hin und erkenne sofort ein paar dieser aufgeblasenen Kreaturen.

„Ist das nicht Julius Caesar dort, hinter dem Graben, in einer Menge gieriger Leute, die sich auf Erden für Pragmatiker gehalten haben?“, frage ich Miguel de Cervantes, aber Baruch Spinoza und Francoise-Marie Arouet (Voltaire) antworten nahezu gleichzeitig: Schenke dem bloß keine Aufmerksamkeit! Er und er Lange da vorne – er hatte sich einst ‚Karl der Große‘ genannt, sollen sich erst mal um ihre vertrackten Gedanken kümmern, die zum Tod unzähliger Menschen geführt haben, bevor wir sie überhaupt registrieren!!“

Hinter ihnen entdecke ich Millionen, oder sind es gar Milliarden graue Schatten. Das müssen hauptsächlich überzeugte Krieger und Soldaten gewesen sein – niveaulose Kreaturen, die „man“ brauchte um der Welt jene Pein zu bereiten, aus der phantasievolle Geister Anlässe formten sich gegen Willkür und Dummheit zur Wehr zu setzen, indem sie dachten und die Welt liebten – nicht aber eben diese Teile der Welt, die kulturlos und einfältig sind. Ihr Glanz und ihre Gloria sind, zusammen mit ihren Reichen verebbt und haben hier – wo immer das auch sein – nur noch eine widerlich unberührbare Bedeutung.

Inzwischen befinde ich mich in einem derartigen Taumel von Glück, daß ich schreien möchte – und wirklich, ich höre meinen Freudenschrei und erwache! Alles um mich ist nass. Die Laken sind völlig durchgeschwitzt, das Kopf-Kissen ist voller Tränen, meine Glieder sind so starr, als hätte ich ein paar Wochen im Koma verbracht und an der Zimmerdecke flacket ein komisches Licht…es sind die letzten Zeichen einer ganz anderen Welt, die ich – vielleicht – gerade verlassen habe, die ich betrat, ohne festen Boden unter den Füßen gespürt zu haben, und in die ich irgendwann zurückkehren werde. Meine Freunde, die ich dort getroffen habe werden mir den Weg zeigen…


© Alf Glocker


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