Im Morgengrauen nach ihrer Genesung sah man die hochgewachsene Gestalt der jungen Frau. Ihr langes schwarzes Haar fiel locker auf ihre mit Leder gerüsteten Schultern. Um ihren Hals trug sie den Anhänger, den ihre Mutter ihr geschenkt hatte. Bernsteinfarbene Augen waren entschlossen gen Horizont gerichtet. Von dem Angriff auf ihr Dorf, hatte sie lediglich eine Narbe quer über ihr linkes Auge zurückbehalten, die selbst ihre Mutter mit ihren besonderen Zauberkünsten nicht verhindern konnte. Doch sie wollte es auch nicht. Die Narbe würde sie mit jedem Blick in den Spiegel an den Grund ihrer Reise erinnern. So zog sie aus ins Unbekannte.

Sie entstammte der bekannten Familie Drakensmit. Generationen zuvor hießen sie nur "Smit" und waren tatsächlich – und auch nach wie vor – für ihre Schmiedekunst hoch angesehen, jedoch auch für ihre kriegerischen Qualitäten. Den Zusatz "Drake" bekamen sie, als vor langer Zeit Ulf Smit als Erster seiner Familie den gefürchteten Drachen aus der Umgebung mit seinen geschmiedeten Waffen niederstreckte. Aus den goldenen Schuppen schmiedete er Rüstung und Schild und aus einer Klaue fertigte er ein Schwert, das seines Gleichen sucht. Fortan nannte er sich "Oro Drakensmit" und es wurde Tradition, dass die Nachkommen der Drakensmits, sobald sie ihrem ersten Drachen begegneten, ihren wahren Vornamen erhielten.

So kam es, dass eines Tages ein Drache die Bauernhöfe nahe Feuernest, einem Dorf zwei Tagesmärsche von Hohenfels entfernt angriff und erneut das Schicksal eines Drakensmits zu ändern suchte. Verdo Drakensmit wurde zur Hilfe gerufen, denn niemand sonst schien dieser Aufgabe gewachsen, hatte er doch selbst als junger Mann einen Drachen mit nichts außer seinem Schmiedehammer auf einer seiner Reisen erlegt. Auch er legte gemäß der Tradition der Drakensmits seinen Namen ab und so wurde aus Jorik Drakensmit, dem einfachen Schmied, Verdo Drakensmit, der Drachenbezwinger.

Unterstützt von seinen Kindern zog er am Tage, seines zweiten Drachenangriffs, ins Feld gegen den marodierenden schwarzen Drachen. Während sein Ältester Rodrik und seine Jüngste Serena mutige Männer mit Waffen versorgten und bei der Evakuierung halfen, führte Verdo die Front. Es war ein harter Kampf und etliche Männer fielen. Verdo spürte, dass es nur ein Sieg auf Zeit werden würde.
Hinter den Mutigen horchte Serena auf. Über den Tumult des Kampfes drang das Kreischen eines Kindes an ihr Ohr.

„Hast du das gehört?“, fragte sie ihren Bruder.

„War das eine rhetorische Frage? Sieh dich um, Serena!“

Sein Sarkasmus klang verzweifelt. Während Rodrik den Kopf über die Frage seiner Schwester schüttelte, eilte er zu einer alten Frau, um sie zur Sicherheitszone zu tragen. Erneut erklang das Kreischen. Es kam von einer Mühle, unweit des Schlachtfeldes.

„Serena!“, rief Rodrik, als sie an ihm vorbei zum Waffenkarren flitzte, ein Schwert schnappte und zur Mühle rannte. „SERENA!“

Die Rufe ihres Bruders drangen dumpf an ihr Ohr, doch sie rannte stur weiter. Sie wusste was ihr Bruder sagen würde. Er würde es für hoffnungslos erachten und das Kind zurücklassen, um den Rest des Dorfes zu retten, der es noch rechtzeitig schaffen könnte. Doch sie war anders. Sie würde niemanden zurücklassen, nur weil es vielleicht irrational oder gar gefährlich war. Was wenn die Mutter unter den Überlebenden war? Was wenn sie es doch noch hätten schaffen können? Serena wollte Antworten auf diese Fragen, so war sie schon immer.

Sie erreichte die Mühle und stürmte die Stufen hinauf zu den oberen Geschossen. Eine bedrohliche Hitze kam ihr entgegen je höher sie kam. Die Luke zum Dach stand offen und Rauch quoll hindurch, der ihr den Atem nahm. Hustend kämpfte sie sich einen Weg hindurch und lauschte. Abermals hörte sie das Schreien. Das Kind kauerte am Rand nahe den Windmühlenblättern und war vom Feuer umzingelt.

„Hab keine Angst! Ich hol‘ dich da raus!“, rief Serena ihm zu und suchte mit zusammengekniffenen Augen nach einer Lücke im Feuer. Dann fiel ihr Blick auf eine stabile Holzkiste. Vom Adrenalin durchströmt schaffte sie es die schwere Kiste ins Feuer zu wuchten. Das kleine Zeitfenster, welches das Feuer benötigte, um die Kiste zu verschlingen nutzte sie, um zum Kind zu gelangen. Kaum hatte sie es auf den Arm genommen, bedeutete ihr ein lautes Knistern, dass derselbe Rückweg nicht mehr möglich war. Innerlich fluchend, schätzte sie die Entfernung vom Dach zum nächstgelegenen Windmühlenblatt.

„Halt dich gut fest!“, raunte Serena dem Kind zu und wies es an sich an ihre Rückseite zu klammern. Hastig steckte sie ihr Schwert in den Gürtel und sprang.
Ihre Hände fanden hart den Kontakt mit dem splitternden Holz des Rahmens. Das Kind klammerte sich fester an sie und wimmerte leise. Ein Blick nach unten sagte Serena, dass es für einen Sprung noch zu hoch war, wenn sie anschließend noch rennen wollte. Sie biss die Zähne zusammen und hangelte sich vorsichtig zum Drehzentrum der Mühle. Dort angelangt, schwang sie sich zum nächsten Mühlenblatt und konnte nun, da ihre Beine nicht mehr frei in der Luft baumelten, auf der Rückseite wie auf einer Leiter bis zu einer sicheren Absprunghöhe hinabklettern.

Es dauerte einen Moment bis das Kind verstand, dass es wieder auf sicherem Boden war. Serena nahm es bei der Hand und ein Schmerz durchfuhr sie, als sich ihre Hand schloss. Sie besah sich ihre andere Hand. Sie blutete. Ein donnernder Schrei des Drachen erklang hinter ihnen und sie nahmen die Beine in die Hand.

„Verflucht, Serena! Bist du von allen guten Geistern verlassen!?“, empfing sie Rodrik am Wall zur Sicherheitszone. Sorge, Zorn und Erleichterung rangen sichtlich im Gesicht ihres Bruders um Vorherrschaft.

„Ein Heiler soll ihn sich ansehen.“, sagte sie nur knapp und deutete auf den geretteten Jungen.

„Ihr kommt beide mit!“, entschied Rodrik und wollte Serena gerade mitziehen, als erneut ein Donnergrollen des Drachen zu vernehmen war. Seine Schwester wandte sich ruckartig um.

„Serena…“, sagte er eindringlich. Er folgte ihrem Blick zum Schlachtfeld und wusste was sie dachte. Entschlossen schritt er zum Karren mit den Waffen und zog eine Axt. „Ich komme mit dir.“

„Nein!“, widersprach sie. „Du bleibst hier. Du bist besser darin sie zu beruhigen und außerdem müssen auch hier starke Kämpfer sein, die im Notfall Zeit für die Flucht verschaffen können.“ Serena lächelte ihren Bruder verschmitzt an, doch ihre Augen waren ernst. „Du weißt, wie ungeduldig ich sein kann.“

Rodrik seufzte. Sie hatte Recht, aber glücklich war er damit nicht. Er wusste, dass weitere Diskussionen an diesem Punkt nichts halfen. Serena war eben Serena und hatte den Sturkopf wohl nicht nur von ihrer Mutter geerbt, sondern von beiden Eltern.

„Pass auf dich auf.“, sagte er nur. Serena nickte und wetzte zum Schlachtfeld zurück.

„Es geschieht.“, erklang plötzlich eine Stimme hinter Rodrik und erschrocken fuhr er herum.

„Was geschieht?“, fragte er, als er seine Mutter erblickte. Salia Drakensmit schaute besorgt ihrer Tochter nach und umklammerte fest den Anhänger ihrer Halskette.
„Heute ist ihre Feuertaufe.“, sagte sie.

Rodrik sah sie gefasst an, denn innerlich kannte er die Antwort schon bevor Salia sie ausgesprochen hatte. Er legte einen Arm um die Schultern seiner Mutter und drückte sie schweigend an sich.

Serena rannte zurück zum Schlachtfeld. Zu allen Seiten sah sie Gefallene oder im Sterben liegende Männer. Es stand schlecht um ihr Dorf. Sie eilte zu einem der Katapulte, an dem die Männer gerade schwere Trümmer in die Wurfvorrichtung hievten.

„Warte!“, sagte Serena zu einem, der unter der Last zusammenzubrechen drohte. Mit vereinten Kräften wuchteten sie ein besonders großes Trümmerstück auf die Waffe. Der Mann lächelte sie schmerzverzerrt an und wollte gerade seinen Dank aussprechen, als eine ihr bekannte Stimme aus der Menge ertönte.

„SERENA!“

Verdo trat an sie heran.

„Was tust du hier? Du sollst dich doch um die Bewohner kümmern!“, stellte er seine Tochter barsch zur Rede.

„Nein, Vater. Mein Platz ist hier! Hier bin ich wenigstens etwas von Nutzen.“, gab sie ebenso barsch zurück.

„JETZT!“, rief einer der Männer dazwischen. Der Drache befand sich in Schussweite und ohne ein weiteres Zögern, betätigte Serena den Hebel des Katapults.

„Siehst du?“, fragte sie trotzig ihren Vater, als wenn dieses Handeln sämtliche Gegenargumente zu Nichte machte. Verdo beachtete sie jedoch nicht weiter und legte nachdenklich seine Stirn in Falten, als er dem Geschoss nachsah.

„Warum fliegt er nicht?“, knurrte er.

Die Trümmer trafen die schwarze Bestie an der Seite, doch schien sie viel interessierter an den Soldaten in dessen Nähe. Hurtig luden die Männer nach und spannten das Katapult erneut. Serena blickte mit zu Schlitzen verengten Augen zum Drachen.

„Vielleicht ist er verletzt.“

Verdo schüttelte den Kopf und gab das Zeichen für den erneuten Beschuss.

„Es scheint so als suchte er etwas.“, grummelte er und wuchtete seinen Kriegshammer über die Schulter. „Schon seltsam genug, dass zwei Drachen in so kurzer Zeit auftauchen.“

Serena blickte stumm dem Geschoss nach. Diesmal traf es den Drachen an der Schläfe und er wandte sich brüllend zu ihnen um. Verdo erwiderte das Brüllen und ein Trupp Fußsoldaten stürmte voran.

„Ich will, dass du jetzt zu deiner Mutter zurückgehst!“, wies er seine Tochter bestimmt an.

„Nein!“, widersprach Serena und schritt mit gezogenem Schwert an ihrem Vater vorbei.

„Serena, ich meine das ernst!“, rief Verdo ihr nach, ehe er zu ihr aufschloss.

„Ich auch!“, gab sie zurück.

„Du Zwergenkopf!“, fluchte er.

„Gleichfalls!“

Seite an Seite stürmten sie den Truppen hinterher. Ihre Blicke waren nur noch auf den Drachen fokussiert und Entschlossenheit brannte in ihren Augen.

Wutentbrannt spie die Bestie einen Feuerball aus. Serena rettete sich vor der heißen Gefahr mit einem Hechtsprung zur Seite. Steinchen und scharfe Halme des abgebrochenen Getreides stachen durch das Leinen ihres Hemds und kratzten an ihrer Haut, als sie sich abrollte. Sie nutzte den Schwung, um gleich wieder auf die Beine zu kommen und stürmte weiter voran. Wenn sie es schaffte an die Flügel des Drachen zu gelangen, könnte sie vielleicht auf seinen Rücken und…

„AAAARGH!“

Kaum hatte sie den gellenden Schrei vernommen, spürte sie auch schon wie sie von einem heranfliegenden Soldaten mit zu Boden gerissen wurde. Serena blieb die Luft weg und schüttelte nur mit Mühe den Mann von sich. Eine große, tiefe Wunde klaffte quer über den Rumpf des Toten. Die Krallen des Drachen hatten sich sogar durch das Metall der Rüstung gebohrt. Zorn stieg in Serena auf und sie nahm wieder ihren Weg auf. Aus den Augenwinkeln heraus sah sie wie die verbliebenen Kämpfer die Bestie mit Ketten und Seilen zu fixieren versuchten.

Endlich hatte sie es zum Rumpf geschafft. Mit einem Kampfschrei wirbelte sie ihr Schwert über ihren Kopf und bearbeitete den Schuppenpanzer der Bestie. Sie tastete sich mit Bedacht vor und suchte nach einer Schwachstelle. Immer wieder musste sie Aufpassen nicht von den Flügeln oder den Krallen erwischt zu werden.
„Hab‘ ich dich!“

Bedrohlich blitzte die Klinge ihres Schwerts auf und stach in eine Lücke zwischen zwei Schuppen. Ein ohrenbetäubendes Brüllen entwich dem Drachen. Die Männer konnten die Ketten und Seile nur noch mit großer Mühe halten, da er sich nach der Quelle des Schmerzes wendete. Als Serena das Schwert gerade zu einem weiteren Hieb empor riss, sah sie, wie der Drachenschwanz auf sie zuraste. Im nächsten Moment spürte sie den heftigen Aufprall mit dem Boden und einen stechenden Schmerz quer über ihr linkes Auge. Der Boden bebte von den wilden Schlägen des Drachen und Serena versuchte sich aufzurappeln, doch es ging nicht. Erst jetzt bemerkte sie den Mann, der sich schützend zwischen sie und den Drachenschwanz geworfen hatte. Ein eisiger Schauer überkam sie, als sie den braunen Haarschopf erkannte.

„Vater!“, entwich es ihr heiser. Sie rollte sich zur Seite, sodass Verdo und sie die Plätze tauschten. „Vater!“, rief Serena und rüttelte ihn. Blut quoll zwischen seinen Lippen hervor und er verzog schmerzerfüllt sein Gesicht.

„Lauf.“, keuchte er.

Jegliche Farbe war aus Serenas Gesicht gewichen und sie starrte Verdo aus ihrem vor Schock geweiteten, unverletzten Auge an. Es war als würde alles um sie herum stillstehen.

„Ich lass dich nicht zurück!“, krächzte sie.

Ihr Vater zwang sich zu einem Lächeln und legte zitternd seine Hand an die Wange seiner Tochter.

„Ich bin alt, Serena und brauche Schlaf. Gönn das deinem alten Vater. Lauf, Serena. Ich liebe euch und könnte mir nie…“, er stöhnte auf, „…verzeihen, wenn euch etwas zustößt.“

Sein Griff löste sich und er sackte langsam zusammen. Panisch umklammerte Serena seine Hand, flehte unter Tränen, dass er wieder die Augen öffne. Sie kauerte einige Momente über dem leblosen Körper, ehe die Schreie der Bestie und der Kämpfenden wieder in ihr Bewusstsein drangen und ihre Trauer wurde von aufsteigender Wut ersetzt. Sie wischte sich die Tränen fort und tastete nach ihrem Schwert. Ein letztes Mal blickte Serena zurück.

„Tut mir leid, Vater, aber ich habe hier noch was zu erledigen.“

Mit vor Zorn verzerrter Miene richtete sie sich wieder auf. Noch immer war der Drache am Boden eher schlecht als recht gefesselt und wand sich heftig. Serenas Griff um den Schwertgriff verfestigte sich und brüllend stürmte sie los. Sie war wild entschlossen der Bestie den Todesstoß zu versetzen. Wie in Zeitlupe sah sie sich den Drachen erklimmen, der sich immer wilder gegen seine Fesseln wehrte. Männer wurden von ihren Füßen gerissen und die Ketten hingen nutzlos in der Luft.

Als Serena den Kopf der Bestie erreichte, erhob sie ihr Schwert für einen hoffentlich tödlichen Schlag. Doch es kam anders als erwartet. Der Drache ruckte so heftig mit seinem Kopf, dass sie den Halt verlor und von ihm rutschte. Sie fiel vornüber und blickte direkt ins feurig-goldene Auge des Drachen. Im Fall holte Serena aus und lies ihrer Wut freien Lauf. Ihre Klinge bohrte sich in die Haut kurz oberhalb des Auges und zog eine blutige Linie mit ihrem Fall. Das Auge schloss sich vor Schmerz und der Drache schrie gellend auf. Seine Schwingen holten kraftvoll aus und er stieß sich vom Boden ab, während Serena weiter gen Boden fiel. Selbst dann als der Aufprall ihr die Luft zum Atmen nahm, wandte sie ihren Blick nicht von der aufsteigenden Bestie ab. Dann wurde es schwarz vor ihren Augen.

Ein leises Plätschern unweit von ihr weckte sie. Mit einem Auge sah sie die Zimmerdecke, das andere wurde durch einen Verband geschlossen gehalten. Schmerz war das erste, was sie verspürte. Keine Stelle ihres Körpers schien nicht sprichwörtlich zu schreien.

„Gott sei Dank!“, erklang Salias Stimme heiser gepresst an ihr Ohr.

Vorsichtig drehte Serena den Kopf und erblickte die erleichterten und erschöpften Gesichter ihrer Familie. Rodrick legte ihr behutsam einen feuchten Lappen auf die fiebrige Stirn.

„Du musst ein Zwerg sein, Serena.“, witzelte Rodrick schwach. „Nur ein solcher Sturkopf wie du kann dem Tod ein Schnippchen schlagen.“

Einen Moment lang sah seine Schwester ihn schweigend mit ausdruckslosem Blick an. Bilder vom Tod ihres Vaters und dem Drachen blitzten erbarmungslos vor ihrem inneren Auge auf.

„Er ist tot.“, flüsterte sie. „Er ist tot und mit ihm auch Serena.“

Verständnislos runzelte ihr Bruder die Stirn und grunzte.

„Was redest du denn da?“, protestierte er, doch als er die Hand seiner Mutter auf seinem Arm spürte verstummte er sofort.

„Der Drache hat dich auserwählt.“, sagte Salia ernst. Eine schwere Stille legte sich über die Familie. Nur das sanfte Rütteln des Windes an den Fensterläden störte diese.

„Mit dem heutigen Tag“, begann Salia, „bist du in die Fußstapfen deiner Vorväter getreten. Gemäß unserer Tradition soll dein Name fortan Nera Drakensmit lauten.“

„Nein!“, donnerte Rodrick dazwischen. „Sie ist und bleibt Serena! Ich lass nicht zu, dass meine kleine Schwester von diesem Vieh in Stücke gerissen wird!“

Beschwichtigend hob Salia ihre Hände. „Rodrick.“

„Sie muss das nicht tun! Ich übernehme ihren Platz! Ihr könnt von hier verschwinden und-“

„RODRICK!“, ermahnte Salia ihren Sohn scharf. Perplex starrte er sie an und schwieg. Es war Jahre her, dass ihn seine Mutter so sehr ermahnt hatte. Sie holte tief Luft, um sich zu beruhigen und fuhr fort.

„Du kannst ihren Platz nicht einnehmen, Rodrick, das weißt du. Sie und der Drache haben sich erwählt. Daran können wir nichts mehr ändern. Ihr Schicksal ist von nun an eng mit dem ihres Drachens verwoben. Ob es ihr Glück bringt oder nicht, wissen nur die Götter.“

Ein Schluchzen entwich ihrer Kehle.

„So sehr wir es uns gewünscht hatten, dass ihr beide davor bewahrt bleibt…“, fuhr sie mit zittriger Stimme fort, „So wollte das Schicksal es anders, Nera.“

Es war ihr nun nicht mehr möglich ihre Tränen zurückzuhalten und so vergrub sie ihr Gesicht in ihren Händen. Durch ihr Schluchzen erbebte ihr Körper so sehr, dass ihre sonst vom schwarzen Haar verdeckten Spitzohren der Halbelfin zum Vorschein kamen.

Ihre Tochter hatte schweigend dagelegen und alles beobachtet. Schwerfällig hievte sie sich auf ihre Seite und legte ihre Hand auf das Knie ihrer Mutter.

„Ich bin es Vater schuldig.“, sagte sie. „Er hat mir sein Leben für meines gegeben und ich weiß, dass ihr mir ein langes Leben geschenkt habt, Mutter. Ich will dieses Leben nutzen und den Drachen finden, der Vater wegen meiner Dummheit von uns genommen hat. Serena wird immer ein Teil von mir bleiben, auch wenn ich von nun an Nera bin.“

Sie sah Ihrer Familie fest in die Augen und Entschlossenheit loderte in ihrem bernsteinfarbenen Auge. Salias Schluchzen ebbte langsam ab, als sie die Hand ihrer Tochter ergriff und sie verschwommen anlächelte.

„Für mich bleibst du Serena. Da kannst du noch so häufig behaupten dein Name sei Nera.“, protestierte Rodrick kopfschüttelnd, jedoch lag Resignation hörbar in seiner Äußerung.

„Dann bleibe ich halt für euch Serena, wenn du Zwergenkopf es nicht einsehen willst.“, entgegnete Nera. „Aber die Welt wird mich nur noch als Nera kennen.“

Im Morgengrauen nach ihrer Genesung sah man die hochgewachsene Gestalt der jungen Frau. Ihr langes schwarzes Haar fiel locker auf ihre mit Leder gerüsteten Schultern. Um ihren Hals trug sie den Anhänger, den Salia ihr geschenkt hatte. Ihre bernsteinfarbenen Augen waren entschlossen gen Horizont gerichtet. Von dem Drachenangriff auf Feuernest hatte Nera lediglich eine Narbe quer über ihr linkes Auge zurückbehalten, die selbst ihre Mutter mit ihren elfischen Zauberkünsten nicht verhindern konnte. Doch Nera wollte es auch nicht. Die Narbe würde sie mit jedem Blick in den Spiegel an ihre Aufgabe und ihren Vater erinnern. So zog Nera von Feuernest aus gen Süden ins Unbekannte, wohin der Drache floh…


© Maxine Elaine


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