Es war einmal im Himmel / neu

© Alf Glocker

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Eines schönen Tages saß der Liebe Gott im Himmel herum und machte sich lächerliche Gedanken – weshalb er auch ein bisschen sichtbar vor sich hin schmunzelte...sein Lächeln fiel, als kleiner Sonnenstrahl, direkt auf die Erde und zwar aus allen Wolken.

Wer sich jetzt fragt, wo das gewesen sein soll, das "Im-Himmel", der braucht nur bei sich aus dem Fenster zu schauen und dann einfach schräg hoch zu rechnen, oder auch schräg runter, oder zur Seite – es ist eigentlich egal, denn der Himmel ist immer gerade dort wo wir hinträumen.

Der Liebe Gott wollte wieder einmal seinem Steckenpferd frönen, das bedeutet, er wollte an seinem interessantesten Spielzeug herumbasteln: dem Menschen. Dafür wandte er sich seinem Terrarium zu und holte eine spitze Nadel hervor (das ist metaphorisch zu verstehen).

Wir denken uns jetzt vergleichsweise einen Ameisenhaufen, der gerade von einem "Naturforscher" untersucht wird. Der Forscher stochert forsch in ihm herum, um zu sehen was passiert! Genauso machte es auch der Liebe Gott, aber im Unterschied zum Ameisenhaufen passierte, da wo er herumstocherte, nicht immer was!

Vor allem passierte da nicht immer das Richtige, weshalb der Liebe Gott auch die unterschiedlichsten Instrumente zur Hand nahm. Irgendeines würde dann schon erbringen was er sich gedacht hatte. Manchmal schüttete er ja auch nur Honig obendrauf!

"Lieber Gott", sagte der Liebe Gott zu sich selbst, "was sind die heute wieder phlegmatisch! - es ist wirklich ein Kreuz mit dem Pack! Da gibt man sich Mühe und piesackt es so gut man kann, so raffiniert es eben geht – und was ist der Dank?! Trägheit, nichts als Trägheit! Und sowas nennt sich mein Ebenbild...daß ich nicht lache!"

Dem Lieben Gott war es eigentlich wurscht wie sich die Menschen nannten, oder ob sie jetzt speziell an ihn persönlich, oder an hirnrissige Quacksalber-Legenden glaubten. Er wollte etwas aus diesem Spielzeug machen, mit dem er, in einer fernen Zukunft, zu reden gedachte – so von Kreateur zu Kreateur.

Aber bis dahin schien es noch ein langer Weg zu sein. Sie hatten es grade mal bis vor ihre Haustüre geschafft, bis zu seinem beschaulichen Silbermond, der sich nachts in beschaulichen Seen spiegelte und tagsüber wie eine kleine weiße Wolke am Himmel stand. Meist wurde er für die Spinnereien von Liebenden missbraucht und manchmal sogar als Kriegszeichen.

Das störte den Lieben Gott aber weit weniger, als die Tatsache, daß es sein Spielzeug damit schon wieder genug sein ließ. Es war völlig übermütig geworden und glaubte ganz andere Sorgen zu haben, als die, ihm näher zu kommen.

Gewiss, die Reise in den Weltraum, war nicht der gerade Weg zu ihm, aber doch sehr hilfreich, zu verstehen was ihn ausmachte. Nicht, daß er sich – der Liebe Gott – im Weltraum irgendwo versteckt hielt, das ganz sicher nicht; Raum und Zeit waren von ihm erschaffen worden. Doch nur wer sie verstand würde später auch mit ihm reden können.

"Lieber Gott", sagte der Liebe Gott ein 2. Mal zu sich und vertiefte sich wieder in seine Lieblingsbeschäftigung, dem Herumstochern. Wo würde er denn diesmal ansetzen müssen, damit ein wenig Licht in diese kleinen Ameisenköpfe geriet, genau dorthin, wo sie, seine Ameisen, es am nötigsten hatten: in die Seele.

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Eine menschliche Seele ist ein Fass ohne Boden! Das wusste der Liebe Gott, das wissen sogar die Menschen – wenn sie nicht allzu verlogen sind. Und deshalb ist es auch ganz, ganz schwierig, da was reinzukriegen, das auch drin bleiben soll. Wenn man da nicht dauernd was nachfüllt, dann wird es immer wieder leer!

Kaum haben sie sich was zurechtgezimmert was sie einigermaßen am Leben hält, haben sie's auch schon wieder vergessen. Bei Tieren ist das viel einfacher: Die Schwachen und die Doofen werden gefressen und basta! Die andern werden sich dann schon zu helfen wissen.

Aber das ist einfach das Problem mit so einer Schöpfung: Es muss quasi aus Ungeziefer was Vernünftiges werden. Wie soll das gemacht werden? Der Liebe Gott erinnerte sich an seine ersten Versuche, als die Vorläufer des Menschen praktisch noch 4 Beine hatten. Das war lustig!

Wieder fielen gleich ein paar Sonnenstrahlen auf die Erde, denn der Liebe Gott musste lauthals lachen! "Lieber Gott" strahlte er, das ist vielleicht komisch gewesen, wie die Äffchen durch die Baumkronen hüpften um sich gegenseitig die Bananen zu stehlen. Nein, so was aber auch!

Viele Versuchsreihen später ging es den Geschöpfen, die aufrecht gingen und bereits mit Werkzeugen hantierten, schon um einiges besser. Sie waren ihm ein wenig ähnlicher geworden, denn nun glaubten sie sogar zu wissen was Liebe ist. Jedenfalls fingen die Männchen an von den Weibchen zu träumen...

Wieder waren ein paar Jahrzehntausende über die Erde gegangen und jetzt konnte der Liebe Gott Städte erkennen. Darin sammelten sich findige Kreaturen, die frech genug waren Ansprüche zu äußern. Das gefiel ihm, denn auch er hatte Ansprüche: Er wünschte sich so bald wie möglich kompetente Gesprächspartner zu haben.

Leider klappte das nicht so plötzlich wie es wünschenswert gewesen wäre und deshalb konnte der Liebe Gott ein paar tausend Jahre nicht mehr richtig einschlafen, vor lauter Sorgen. Eine lange Zeit verstrich und nichts änderte sich. Die Menschen lernten nicht viel dazu!

So kam der Liebe Gott schließlich auf die Idee, noch einmal strengere Auswahlkriterien festzulegen: er schied die entstandenen Völker durch grausame Kriege voneinander (dadurch lernten sie sehr schnell) und er streute von oben ein paar furchtbare Viren in das Terrarium...

Durch Krankheiten wie die Pest und Plagen wie die Tartaren, gelang es ihm die Karten wieder neu zu mischen, weil alles so heilsam durcheinander geriet, daß sich nur noch diejenigen in Sicherheit bringen konnten, denen ganz einfach das Richtige dazu einfiel...

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In der "Griechischen Antike" fühlte sich der Liebe Gott dann offenbar ganz besonders wohl, denn ihm gefiel es ein Zeus zu sein, obwohl er sich nicht unbedingt Hera an den Hals wünschte. Aber dieses Handicap übersah er in seiner Phantasie großzügig – sich selbst gegenüber.

Vielmehr betrachtete er die Entstehung der Demokratie wohlwollend, er empfand die Olympischen Spiele als nett und die damit verbundenen Ränke im Hintergrund als erfrischend menschlich – auf dem Weg zu einem echten Bewusstsein.

Es gelüstete ihn als Mensch geboren zu werden um ein wenig an diesen Vorbereitungen für die ewige Endzeit, die Zeit der Götter unter sich, teilhaben zu können. Er wuchs in einer zufriedenstellenden Umgebung heran, wurde ein stattlicher Menschenmann und er sah sich um, was zu tun sei.

Von all den tollen Geschichten angestachelt versuchte er sogar einmal ein Held zu werden, aber er gab vorzeitig auf, da sich ihm der Sinn eines Heldendaseins nicht erschloss – es kamen immer nur komische Geschichten für die Nachwelt dabei heraus.

Deshalb wurde er Philosoph. Das entsprach ihm weit mehr. Freudig ging er zur Akademie um dort zu diskutieren. Da kam vieles auf den Tisch – die kompletten Grundlagen der modernen Wissenschaft. Das schien ihm erfüllend.

Man sprach über die "Atmosphäre", das "Atom", einer rechnete sogar ziemlich genau den Erdumfang aus... Als der Liebe Gott jedoch mit einem endlich-unendlichen Universum, in verschiedenen Zeitschichten daherkam, scheitere er kläglich. Damit war er zu früh dran…

Nach einer langen, langen Weile musste er entnervt feststellen, daß er einfach nicht gebildet genug war, um seinen Gesprächspartnern Paroli bieten zu können. Er verwendete die falschen Wörter am falschen Platz, und das obwohl er vorher gedacht hatte, daß es einen "falschen Platz" Im Universum gar nicht geben könne.

Der Liebe Gott war/ist unfehlbar! Das brachte ihn auf die Idee sich auch einmal mit den Menschenfrauen zu beschäftigen. Den Umweg sich als Stier zu verkleiden, um die hübsche Europa zu entführen, umging er allerdings galant und sprach stattdessen einfach so wie er war, ein normales Mädchen an.

Selbstverständlich hatte er umgehend den erwünschten Erfolg – und die Nächte mit dem süßen Geschöpf, welches durch ihn zur Frau geworden war, beschäftigten ihn eine, für ihn kurze Zeit lang auf ganz erfrischende Weise...

Jedoch folgte auch hier die Ernüchterung dem Spaß auf dem Fuß und der Liebe Gott musste einsehen, daß er den Anforderungen, die er höchstpersönlich an die Erdenmenschen gestellt hatte, leider nicht im vollen Umfang gewachsen war.

So kehrte er in seinen sicheren Himmel zurück, wo er beschloss sich des Weiteren nur mehr ein auf die Betrachtung des Schauspiels im Terrarium zu beschränken. Das tat ihm sichtlich gut und er erholte sich bald von den Strapazen, innerhalb der seinem Drang entsprungenen Schöpfung.

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Einige hundert Jahre später staunte der Liebe Gott nicht schlecht – man hatte ihm zugetragen (einer der Engel konnte mal wieder nicht dichthalten), daß er Vater geworden war. Erst kugelte er sich ja noch vor Lachen (was eine lang anhaltende Schönwetter-Periode auf der gesamten Erde zur Folge hatte), dann aber begann er sich Sorgen zu machen.

Wohin sollte sich dasss den nun wieder entwickeln?! Er recherchierte, was es denn mit "seinem Sohn" so auf sich habe und kam einem haarsträubenden Sado-Maso-Märchen auf die Spur, in welchem eines der vielen Opfer eines mörderischen Regimes die Sünden der gesamten Menschheit auf sich genommen haben wollte.

Fürderhin, so hieß es, seien die Erdbewohner erlöst von den Übeln und könnten frei sein von aller Furcht, denn sein Sohn sei bei ihnen, allezeit. (Die lange Schönwetter-Periode wurde jetzt von einer Folge fürchterlicher Gewitter abgelöst.) "So einfach habt ihr euch das also vorgestellt?!" grübelte er halblaut vor sich hin und er protestierte entschieden.

Erstens bin ich mir keiner Schuld bewusst, irgendwen persönlich gezeugt zu haben, weder geistig noch körperlich, und zweitens ist es, bei mir selbst, also bei Gott, nie und nimmer meine Absicht gewesen, euch aus dem sehr langwierigen Lern- und Prüfungsverfahren, das irgendwann einmal zur Herausbildung meines echten Ebenbildes führen könnte, zu entlassen.

Wütend verbreitete er daraufhin gleich noch ein paar Misslichkeiten unter den Menschen, auf daß sie baldmöglichst zur Besinnung kämen, da aber setzten irgendwelche Idioten noch eins drauf: es war ein Großsprecher aufgetreten, der sich schamlos als seinen Gesandten bezeichnete – was ihm, dem Großsprecher und seinem Machtmissbrauch Tür und Tor zu öffnen schien.

Einige Zeit später hatte sich die Welt in die herrlichsten, sortenbedingten, "Religionskriege" verstrickt, die, so hoffte wenigstens der Liebe Gott, allen einmal die Augen öffnen würden, dahingehend, daß er, der Liebe Gott – wenn man einmal vom Selektionsverfahren absieht – damit überhaupt nichts zu tun hatte. Nein, mit welchem Schwachsinn man sich doch herumschlagen muss, wenn man denkt eine Schöpfung vom Zaun brechen zu müssen, die – wann auch immer – einmal funktionieren soll!

Resigniert resümierte der Liebe Gott: "Jetzt habe ich es also geschafft, nur eine Menge Quacksalber, Bösewichte und anderes Gesindel hervorzubringen, wohingegen es mir lediglich gelang einige wenige Leute mit Durchblick auftreten zu lassen, die reichlich armselig und verlassen, einer übermächtigen Meute von Idioten gegenüberstehen. Ein armer Teufel bin ich!" Ihm blieb allerdings der Trost, daß, wenn sie sich gegenseitig kräftig umbrächten, eines Tages vielleicht doch ein Fünkchen Verstand die Oberhand gewinnen werde...

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Manchmal wunderte sich der Liebe Gott nicht schlecht...was ja eigentlich gar nicht sein dürfte, wo er doch allwissend war. Er hatte die Schöpfung schließlich als Selbstläufer geplant, als eine Sache, die sich ganz von selbst zu dem entwickelt was der Liebe Gott für sie vorgesehen hatte. Aber was geschah?

Seit er dieses unselige Experiment mit den Menschen angefangen hatte, die sich – wir erinnern uns – zu seinem Ebenbild entwickeln sollten, ging alles schief. Dieses sogenannte "Eigenständige Denken" tat ihnen offensichtlich nicht besonders gut. Denn wo führte es schon hin?! Nur in die Denkfaulheit!

Immer waren sie nur daran interessiert sich gegenseitig zu beruhigen, immer sagten sie: "Der Liebe Gott hat doch die Welt schön gemacht, demzufolge muss sie es auch sein!" Und da half alles nichts, er, der Liebe Gott, konnte ihnen eine Plage nach der anderen schicken, ein Unglück konnte das andere ablösen, sie blieben immer fest in ihrem Glauben. Und was glaubten sie? Sie glaubten an den „Lieben“ Gott!

"Daß ich nicht schon wieder mal lache!", sagte der Liebe Gott verdrossen, wobei er, nicht ohne einen Anflug von Verzweiflung, das Treiben auf der Erde beobachtete. Da unten gab es Leute, die redeten sich den Mund fusselig, um ihre armseligen Artgenossen auf die Missstände und deren Beseitigung aufmerksam zu machen – und was passierte? Sie glaubten an den Lieben Gott! Das war ja nicht auszuhalten!

Kaum hatte einer dieser Philosophen jemanden überzeugt, womöglich sogar eine Gruppe von Menschen, da kamen andere Gruppen, die erneut das Gegenteil behaupteten und alle zusammen wieder in eine graue Zeit VOR den nützlichen Überlegungen zurückwarfen.

"Seltsam" dachte der Liebe Gott, "das haben sie doch nicht von mir!" Und: "Sind sie nicht, samt und sonderbarst, meine Kinder?! Ach, könnte ich doch ihre Schwächen auf das Einwirken eines Ungeistes, sagen wir mal einfach >Teufel< dazu, schieben. Mir wäre, glaube ich, sehr geholfen. Aber wo kriege ich jetzt einen Teufel her, den ich für den Mist verantwortlich machen könnte?"

Doch der Liebe Gott musste einsehen, daß er bereits einen Teufel geschaffen hatte. "Ach was", sagte er, "es sind Milliarden, wenn ich ausnahmsweise mal ehrlich bin. Aber jetzt sind sie schon mal da – ich kann sie nicht wieder in den Hades verbannen, den ich übrigens auch erst einmal erfinden müsste. Dass sie allesamt dorthin gehörten, weiß ich inzwischen!

So schwankte der Liebe Gott zwischen Sich-selbst-bei-der-Nase-nehmen und Die-Schwachsinnigen-einfach-ignorieren. Doch das befriedigte ihn auch nicht grade. Verlegenheitshalber machte er es sich deshalb einfach bequem und verfolgte gespannt, wie 2 riesige Gewitter am Horizont der menschlichen Dummheit aufzogen. Vielleicht würden die genug Schaden anrichten, der zur Entstehung einer Erleuchtung taugte?

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Der 1. und der 2. Weltkrieg kamen fast wie ein einziger über die Erde. Göttlich heilsame Bosheit, die sich der Teufel, gäbe es ihn denn, nicht hätte phantasievoller ausdenken können, eröffnete zunächst vielversprechende Ebenen menschlichen Geistes. Ihre Entdeckungen wären geeignet gewesen den Fortschritt ganz entscheidend nach vorne zu bringen – wäre da nicht die Engstirnigkeit der verschiedensten Volksgruppen gewesen...

Die einen glaubten in der Übertreibung logischer Grundsätze läge das Heil, während die anderen das Geschäft als allein seligmachende Einrichtung für kluge Köpfe ansahen. Ihr Hauptargument: "Geschäfte machen ist weder rassistisch, noch diktatorisch gefärbt – Die Wirtschaft boomt oder sie boomt nicht". Diese einfache Weisheit sollte sich erst viel später ebenfalls als gravierender Irrtum herausstellen. Doch der Liebe Gott labte sich an den rasanten Entwicklungen!

Nach der großen Katastrophe aber verblüfften die Geschöpfe ihren Schöpfer erneut. Die einen sahen sich darin bestätigt, daß große Geschäfte durch Kriege noch größer werden und die anderen waren plötzlich der Überzeugung, daß ihr Weg in ALLEN Punkten falsch gewesen war – auch in solchen, die mit Krieg und Verfolgung gar nichts zu tun hatten. Der Liebe Gott staunte sogleich darüber, daß man zwar lernen kann, dann jedoch nicht fähig ist, auf veränderte Situationen angepasst reagieren zu können.

Gerade das hatte er doch beabsichtigt! Was war denn bloß los mit diesen Köpfen?! Konnte es sein, daß ein Denkvorgang ein Ergebnis zeitigte, aber keine geistige Flexibilitätserhöhung zur Folge hatte? Es waren mittlerweile neue Generationen am Werk – warum reagierten sie genauso stupide wir ihre Väter und Großväter? Hatte sich denn der Lernprozess gar nicht auf das Gengut niedergeschlagen? So schwierig konnte es doch auch wieder nicht sein, das Denken. Ein Abbild Gottes musste so etwas doch können. Oder hatte der Liebe Gott Roboter erschaffen, die immer dem gleichen Programm folgten?

Dummerweise war das Programm auch noch seines gewesen! Wie peinlich! Die Logik der Menschen sah ihm in keinster Weise ähnlich! Da musste ihm doch wer dreingepfuscht haben... Waren denn die Prüfungen immer noch nicht vernichtend genug gewesen? Sehnten sich die Menschen denn überhaupt nicht nach der Erleuchtung, durch die Kritik der reinen Vernunft? Nein, es musste sich einfach um eine Fehlkonstruktion handeln! Er, der Liebe Gott war einfach nicht in der Lage ein Ebenbild für sich zu erschaffen!

Da wurde der Liebe Gott richtig traurig! Überall auf der Erde regnete es wochenlang. Die Flüsse schwollen an, es gab Überschwemmungen und als die ersten Toten die Flüsse hinuntertrieben, besann sich der Liebe Gott neu und er sah sie sich noch einmal an, seine "Kinder". So übel sind sie nun auch wieder nicht, sagte er sich – nicht zuletzt deshalb, weil er bemerkt hatte, daß die Frauen wohl immer schöner wurden. Sie wurden zu einem beinahe unerschwinglichen "Gut", das sich kaum noch einer wirklich leisten konnte. Aber es war immerhin ein Trost!

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Es gab auch einmal eine Zeit, in welcher der Liebe Gott sogar ein bisschen stolz auf sich selber war. Die Menschen trugen Blumen im Haar, sie liebten frei und sie gingen nach San Francisco, der guten Stimmung wegen. Und seine Freude fand Ausdruck in einer romantischen Musikwelle.

Überall wurde der Anspruch laut, daß man nun endlich das richtige Leben erleben wolle, nicht nur ein Dasein unter erpresserischem Druck! Ganz nebenbei machten sich, bei den Bürgern der zivilisierten Nationen, Strömungen bemerkbar, die offen das Establishment kritisierten. Sowas hatte der Globus noch nicht gesehen!

Die Menschen "drohten" erstmals Menschen zu werden. Ein bisschen eingebildet waren sie vielleicht noch, aber das durfte man jederzeit diskutieren. In den bereits zitierten "zivilisierten" Nationen hatten die Frauen die gleichen Rechte wie die Männer.

Auf einmal war alles offen! Phantasie machte sich „rücksichtslos“ breit – die Menschen träumten einem fiktiven Zeitalter der Erlösung entgegen und es sah beinahe so aus, als könnte einfach alles erreicht werden. Sogar die Sektierer ließen sich gegenseitig in Ruhe.

Egal welcher heidnischen Strömung sie auch angehörten, ob sie sich Christen, Hindus, Moslems, oder Teufelsanbeter nannten, jeder wurde von jedem geduldet. Missionarische Bemühungen belächelte man milde und der wahre Glaube, der nicht zu glauben hatte eine zunehmend wachsende Anhängerschaft.

Der "wahre Glaube", das wusste damals nicht nur der Liebe Gott, ist ja nichts weiter als die unbefleckte Suche nach ihm. Eine Bemühung darin also, seine Spuren zu finden. Und nachdem er niemals ein Buch geschrieben hatte, respektive Schriftrollen verfasst hatte, konnte diese Suche nur in der Erweiterung des Bewusstseins liegen.

Zugegeben, das verstand eine große Anzahl "vernunftbegabter Wesen" nicht völlig richtig. Das waren jene, die sich durch den Konsum von Drogen, die Klärung eines trüben Geistes versprachen. Doch ihnen stand eine durchaus verständige Mehrheit gegenüber.

Außer dem Heidentum der sogenannten "großen Weltreligionen" gab es aber auch Strömungen, deren Gefährlichkeit ebenfalls weit unterschätzt wurde. Dabei handelte es sich um die verordnete Beschränktheit durch den notwendigen Broterwerb. Sie spülte die Massen direkt in die Arme skrupelloser Machthaber.

Überall begann es in den oberen Etagen zu gären! Der Freiheitsdrang jugendlicher Querdenker konnte nicht länger geduldet werden! Die regierenden Speichellecker der Hochfinanz mobilisierten die Staatsmacht, zuungunsten der neuen Intelligenz: Es fielen Schüsse!

Gerade, als der Liebe Gott drauf und dran war, sich noch einmal, als Lebenspilger auf der Erde sehen zu lassen, startete die Gegenreformation rücksichtsloser Verfechter einer Ordnung, die in Wirklichkeit gar keine war. Die Demonstrationen der denkenden Träumer, oder auch der träumenden Denker wurden auseinander gespritzt und / oder niedergeknüppelt.

Resigniert kehrte der Liebe Gott deshalb wieder um und machte es sich lieber in seinem Himmel bequem, denn das viel zu frühe Einsetzen geistig unbegrenzter Möglichkeiten schien nicht nur ein fulminantes Ende zu finden – es endete definitiv!

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"Was habe ich nicht alles getan?!" tobte der Liebe Gott so laut, daß rund um die Erde die Vulkane unruhig wurden, "ich habe die Nebel gedreht, die Sonnen entfacht, ich habe Planeten kollidieren lassen und Monde erschaffen, und alles nur, damit die richtigen Bedingungen entstehen, die ‚intelligentes‘ Leben erst möglich machen. Alle diese Vorgänge sind unumkehrbar gewesen, wie überhaupt alles, was ich tue unumkehrbar ist!"

In diesem Augenblick wurden die sibirischen Gasfelder unruhig und unter dem Yellostone rumorte es ebenfalls. Auf dem Atlantik braute sich zwar schon ein riesiger Zyklon zusammen, aber der Liebe Gott hörte einfach nicht auf zu grübeln... Wofür hatte er die Stromatolithen gebaut und die Kontinente ineinander geschoben? Wofür hatte es Eiszeiten gegeben und wofür waren die großen Städte entstanden?

"Immer wieder", grummelte er, "musste ich hilfreich eingreifen, wie zum Beispiel, als die Dinosaurier einfach nicht aufhören wollten die Welt zu beherrschen. Aber das war längst nicht das Einzige was ich tun musste, damit die Voraussetzungen für etwas geschaffen werden konnten, das mir entsprach. Wohin hat das bloß alles geführt?! Was jetzt vor mir liegt kann man doch nicht als >Ergebnis< bezeichnen!"

War es diesen Hohlköpfen denn nicht klar, daß die mathematische Wahrscheinlichkeit für die Entstehung eines halbwegs fehlerfrei funktionierenden Gehirns bei Plus Minus Null liegt? War der Liebe Gott ein Spaßvogel gewesen, der sich, für nichts zu schade, an Auslöschungsspielchen verlustierte, die vor allem keinen Eindruck hinterlassen sollten, aus denen etwas zu lernen war?

Wie dem auch sei: Lernfähig waren diese Kreaturen jedenfalls nicht – keine Sorte von ihnen. Sie waren nur fähig den Wahnsinn zu kultivieren! Damit hatte sich's dann. Die dünn gestreuten Ausnahmen konnten ebenso wenig die Intelligenz am Leben erhalten wie eine Schwalbe einen Sommer macht. Sie wurden vom Pöbel überflutet und ihre philosophischen Leitlinien soweit verfälscht, daß sie kein Mensch mehr richtig verstehen konnte, ja, nicht einmal der Liebe Gott selbst!

Es ging einfach nicht! Immer wenn ein paar armselige Denker einer Wahrheit auf die Spur gekommen waren, glaubte die Masse, daß es von hier aus nicht mehr weitergehen könne und man den Stein der Weisen bereits gefunden habe. Dann hatten alle bloß noch Angst davor, man könnte sie, als diejenigen, welche die Weisheit mit Löffeln gefressen hatten (in der Schule gelernt), um die Früchte ihrer Arbeit bringen, wenn da irgendeiner daherkäme und blauäugig fragte: "Habt ihr denn diesen neuen Umstand auch schon bedacht?"

Und stets waren es die Nichtdenker gewesen, die aus allem Profit schlugen und sogar Verfolgungen arrangieren, wenn einer was am System zu kritisieren hatte. Erstaunlicherweise wurde dieser Prozess intensiver, je größer die Städte wurden, nicht etwa humaner, wie man vermuten sollte. Die beunruhigendsten Schwierigkeiten für die Kultur entstehen durch die Kultur selbst! Da scheint sich ein, vom Lieben Gott nicht bedachter, Selbstzerstörungsprozess in Gang zu setzen, der alles was geschaffen wurde, quasi von allein wieder auflöst.

"Und das kommt nur zustande, weil die Nieten in der Überzahl sind und je mehr sie in der Überzahl sind, desto weniger kommen solche zu Wort, in deren Bewusstsein sich die Phantasie abspielt, die ein Universum braucht, um sinnvolle Ergebnisse hervorbringen zu können". Der Liebe Gott war außer sich vor Wut. Ein Tsunami setzte sich in Gang, der ganze Regionen verwüstete und der Liebe Gott wollte nicht einmal hinsehen, so sehr ärgerte er sich über seine Experimente, an deren Ende nun doch nichts weiter als ein ausgetüftelter Fehlschlag glänzte.

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Nun kam es knüppeldick! Die Menschen pflegten nicht nur ihre Irrtümer, sie institutionalisierten sie! Anstatt sich Sorgen um die Welt zu machen, betete man ihn, den Lieben Gott an! Milliarden verbeugten sich vor einem Clown, der er nicht war, nie sein wollte und niemals werden würde: Ein Popanz für die Eitelkeit von Spinnern!

Das war der angewandte Hirntod! Dafür hätte man kein kompliziertes Nervensystem gebraucht, dafür hätte die Erfindung der Schnecke genügt, die jedoch niemals geeignet gewesen wäre ein Ebenbild Gottes zu sein. Aber gerade darauf schien es doch anzukommen: auf das Schneckenhirn. Es sollte sich so wenig wie möglich bewegen...

Selbst der Liebe Gott rätselte darüber nach und darum herum, woher dieser angewandte Schwachsinn wohl stammen mochte. Er, der Mapa* (Mama und Papa zugleich) des Universums, der Urgrund der Schöpfung, das große ES, viel- oder ungeschlechtlich, und der Inbegriff der Kreativität, hielt sich für nicht damit vereinbar: Dieses "Kind" war seines nicht!

Es zeigte deutliche Anzeichen für Schizophrenie, Jugend- und Altersdemenz und großangelegtem Zerstörungswahn! Die Freude am Erleben kam nur ganz selten zutage. Die Angst vor der Wahrheit dominierte hingegen fast alle Köpfe! Und wie drückte sich das aus? Die Anamnese des Patienten "Mensch" wies beinahe sagenhafte Symptome auf.

Auf dem Gipfel ihres Werdegangs hatte sich die Menschheit in pseudowissenschaftliche Vorhaben verstrickt, die selbst dem Lieben Gott als nicht mehr lösbar erschienen. Die Vorgaben der "Neuzeit" hießen: Höher als hoch, weiter als weit, reicher als
reich – und leider auch dümmer als dumm! Man überbot sich gegenseitig, wo man nur konnte, ohne Rücksicht auf Verluste.

Dabei übersehen wurden die echten Probleme, denen die Welt ausgesetzt war. Überall beherrschte der Unverstand jeden nur denkbaren Lebensraum! Niemand konnte mehr atmen, essen oder trinken, ohne sich dabei zu vergiften und diejenigen, denen alles egal war, wurden immer mehr! Die Umsicht und das reine Gefühl für Sachverhalte und Zusammenhänge geriet nicht nur ins Hintertreffen, es wurde vielerorts sogar verboten!

Der blinde Glaube an eine vermutete Himmelsmacht verbreitete sich wie eine schreckliche Seuche! "Und ich soll >lieb< sein?" fragte sich der Liebe Gott. "Ich kann mir nicht vorstellen wie ich das wieder gutmachen kann, was ich da angerichtet habe... Sie sprechen ein Urteil über sich selbst, das erschütternd ist. Nicht nur ich werde dadurch enttäuscht, sondern viele intelligente und weniger intelligente Lebewesen werden ganz einfach um ihr Dasein betrogen! Was für ein Jammer!"

*Astrit Anna Emilia Lindgren-Ericsson

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"Himmel-Herrgott-Sakrament!!" schimpfte der Liebe Gott so laut, daß der Himmel bebte und im Universum ein erdnaher Meteorit aus der Bahn geriet, um Kurs auf den Planeten zu nehmen. "Was glaubt dieses Gesindel eigentlich? – daß ich ein Wunder vollbringe und ein Jüngstes Gericht einberufe, in dem die Guten von den Bösen, die Mitfühlenden von den Ignoranten und die Einfühlsam-Klugen-Sündenböcke von den Demonstrativ-Guten-Schlechtmenschen geschieden werden? Die sollen ihre Arbeit doch gefälligst selber machen! Ich habe mein Möglichstes getan, daß am Ende der Evolution kein verblödetes Affenpack dasteht, um mich nicht anzubeten!

Daß ich nicht lache! Wofür halten die mich? Glauben sie, daß ich aussehe wie einer ihrer verkalkten Priester, die jeden lieben langen Tag den ich werden ließ, Blödsinn verzapfen? Was soll man denn davon halten?!" Es war aber schon auch ein Kreuz mit diesen "ganz besonderen" Lebewesen. Zuerst bemühten sie sich, im Schweiße ihres Angesichts, unter Aufbietung aller geistigen Kräfte, aus dem Sumpf primitiver Existenz zu entweichen...und dann kehrten sie plötzlich zurück, in die Arme der krassen Bigotterie, aus denen sie sich einst, unter großen Opfern befreit hatten. Wie blöd ist dassss denn?!

Der Liebe Gott schüttelte entrüstet den Kopf. Immer wieder huschten ein paar verschreckte Engel vorbei, die nichts weiter mehr auf dem Fleische trugen als die Haut, denn der Wutausbruch des Lieben Gottes hatte auch sie in das Licht der nackten, ungeschminkten Wahrheit getaucht – wie jetzt alles, wohin man nur blickte. Das Universum erstrahlte im Schwarzlicht geradezu röntgenartiger Erkenntnis, vor allem aber der Selbsterkenntnis. Und vor allem die Erde war schwer davon betroffen. Ihre Bewohner rannten schreiend im Lande herum! Sie erschraken schier zu Tode, wenn sie sich selbst im Spiegel, oder einen gnadenlos unverhüllten Artgenossen sahen.

Niemand wagte es mehr Kleider zu tragen – jeder ängstige sich davor als ein Tatsachenverhüller erkannt und geschmäht zu werden. Aber der Zustand ehrlicher Nacktheit war auch nicht viel besser. Man konnte nämlich nicht nur "alles" sehen, man konnte auch – was noch sehr viel schlimmer war – bis in die schwarzen Seelen blicken! Eine Welle der Abscheu schwappte über sämtliche Kontinente! Und auch ungestümer Hass machte sich breit – immer dann, wenn eine der Seelen noch weiße Flecken aufwies. Je mehr weiße Flecken einer nicht mehr verbergen konnte, desto größer war die Gefahr für sein Leben!

Die Leute versuchten – einmal umgekehrt – in die Urwälder zu flüchten, um sich den Anschein der Natürlichkeit zurück zu verleihen. Aber es gab keine Urwälder mehr. Viele versuchten auch schwimmend, ihrer Bestimmung, der völligen Entlarvung, zu entkommen...sie stürzten sich ins Meer, kamen aber nicht weit, weil ihnen eine dicke Brühe aus Plastikteilen, Öl und Fäkalien entgegenkam. Es gab nur eine weltweite Clique, die noch zum Feiern gestimmt war: die Verbrecher! In Reichs- und Bundestagen, Parlamenten und Rathäusern, in Banken und in ganzen Industriezweigen versammelte sich der Müll der menschlichen Gesellschaft, um ein Manifest zu verfassen: Das Eingeständnis der Bosheit!

Dabei wurde natürlich aufgetischt was die Erde noch hergab: die letzten geschlachteten Tiere, die letzten guten Früchte, die letzten unschuldigen Weiber (als Objekte), die letzten dümmlichen Männer (als Diener), der älteste Wein, die jüngsten Kinder – alles für den Missbrauch durch die Obrigkeit. Wer schwach war der bückte sich und der Teufel in vieltausendfacher Menschengestalt regierte die Welt der Sinne im Unsinn! "Wir", so sagten die Böswilligen, "waren uns insgeheim immer schon einig darin, daß wir nichts Vernünftiges im Schilde führen, und gerade deshalb dürfen wir uns jetzt ehrlich an allem erfreuen!"

"Das werde ich mir nicht länger mit ansehen, grollte der Liebe Gott. Dann ging er eiligst zu Bett und machte das Licht über dem Terrarium aus. In diesem Augenblick schlug der Meteor ein. Der Liebe Gott aber erträumte sich geschickt und allwissend (?) ein neues Universum.


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Es war einmal im Himmel / neu"

Re: Es war einmal im Himmel / neu

Autor: possum   Datum: 29.07.2019 0:57 Uhr

Kommentar: Wow lieber Alf also da hast du wieder ein Werk geliefert ... einmalig!
Dank und liebe Grüße!

Re: Es war einmal im Himmel / neu

Autor: Alf Glocker   Datum: 29.07.2019 7:16 Uhr

Kommentar: Vielen Dank liebe Possum!!

Liebe Grüße
Alf

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