Kapitel 2

Elyar neigte den Kopf und nickte dann. „Ihr habt mein Wort, Herr. Sollte es zu Turbolenzen kommen, so bin ich augenblicklich an Eurer Seite. Verlasst Euch drauf.“ Er warf einen auffordernden Blick in Alexanders Richtung, der sich beeilte der Zusage beizupflichten.
„Gut“, meinte Ewalt abschließend und schaute nacheinander jeden der versammelten Ritter an. „Ich setze auf jeden von euch. Sollte es wieder zu einer Streitigkeit um mein Herrschaftsgebiet kommen, brauche ich jeden an meiner Seite.“
„Jawohl“, ertönte es fast einstimmig aus zwanzig Mündern der engsten Verbündeten des Herzogs. Innerhalb der Mauern hatte er noch viele andere Männer, die einen Eid darauf geschworen hatten, für ihn in den Krieg zu ziehen und wenn nötig ihr Leben zu lassen. Auch Elyar.
„Nun dann“, der Herzog stand auf und sofort taten es ihm seine Männer gleich. „So hoffen wir, dass es nicht zu einem Krieg kommen wird. Es haben doch viele von euch eine Familie auf meinem Grund und Boden, die eures Schutzes bedürfen.“
Dies waren die abschließenden Worte gewesen, geräuschvoll wurden die hölzernen Stühle über den Steinboden von der langen mit Essen und Wein beladenen Tafel zurückgeschoben und alle verließen den großen Saal.
Als Elyar sich mit seinen Kameraden Alexander und dem eher schlaksigen und tollpatschig wirkenden Mathis den Gehenden anschloss, hörte er am zum Hof führenden Treppenabsatz, die Stimmen von Lorentz und Paulus. Letzterer, ein Hüne mit beachtlicher Nase und kleinen blauen Augen, war ein Großkotz sondergleichen. Wiedereinmal schien er in diesem Moment seinem hier am Hof weit verbreiteten Ruf, alle Ehre zu machen. Nur störte es Elyar, womit er das tat.
„Natürlich haben wir Verpflichtungen, keine Frage. Aber was hat mein Weibsbild schon von mir zu erwarten geschweige denn zu verlangen? Sie hat mir immerhin keine Missgeburten beschert, ansonsten hätte man sie wirklich zu überhaupt nichts gebrauchen können.“
Unwillkürlich ballte Elyar eine Hand zur Faust, öffnete und schloss sie dann wieder. Das tat er so lange, bis er mit beschleunigten Schritten und ungeachtet der leisen Versuche seines Freundes Alexander, ihn zurückzuhalten, bei Paulus auf dem Hof angekommen war.
„Hey!“ Er trat ihm in den Weg und schaute ihn geradewegs an. „Sie ist deine Frau, Paulus.“
„Ach“, tat der Angesprochene hämisch so, als wäre er sich dessen überhaupt nicht bewusst. Wobei sein Gerede über Irmel eben genau das vermuten ließ. „Was interessiert dich mein Weib? Such dir deine eigene Gebärende“, meinte er breit grinsend und entblößte seine schlechten Zähne, durch deren vordere Lücke Speicheltropfen stoben, als er sich beim Sprechen weiter zu Elyar beugte.
Dieser wischte sich demonstrativ übers Gesicht. „Darum geht es mir nicht. Es ist deine abfällige Art, mit der du ihr gegenüberstehst. Was wärst du für ein armer und bemitleidenswerter Hund, würde sie so über dich reden.“
„Ich würde sie verprügeln, wenn dies der Fall wäre. Das weiß sie auch.“
Elyar zuckte mit den Schultern. „Ich dachte bloß, dass du im Anbetracht dieser theoretischen Tatsache, vielleicht mal über deine Einstellung gegenüber diesem anderen Menschen nachdenkst.“
Mit diesen Worten und einem damit provozierten verwirrten Gesichtsausdruck, ließ der junge Mann seinen Widersacher stehen und lief über den Hof davon.


Emily hatte eine Stunde damit zugebracht, ihrer vierjährige Nichte sämtliche Pixibücher vorzulesen, dann waren sie dazu übergegangen verstecken zu spielen. Inzwischen saß die Kleine mit Buntstiften und Papier aus dem Drucker von Emilys Mutter Kim, am großen Esstisch und malte, während ihre junge Tante auf dem grauen Sofa im Zimmer nebenan lag und las. Es waren noch drei Stunden, bis Lena abgeholt werden würde, bis dahin sollte sie möglichst gegessen haben.
Emilys Eltern waren beide noch arbeiten, aber ihre Mutter würde sich nach dem Heimkommen darum kümmern, dass hatte sie mit ihrer Tochter so abgemacht. Seit mehreren Minuten versuchte diese den Satz vor sich auf der Seite sinnhaft in ihrem Gehirn zu verarbeiten. Wieder und wieder las sie die Zeile, aber sie nahm nichts wirklich auf. Mit der Zeit war ihre Konzentration immer mehr verschwunden und hatte sich in eine völlig andere Sache geflüchtet.
Elyar.
Sie war eine einundzwanzigjährige Frau, lebte hier mit ihren Eltern in einem Einfamilienhaus von hundertdreißig Quadratmetern, hatte gerade ihr Studium zur Sozialpädagogin begonnen und arbeitete dienstags und freitags von zwanzig bis zweiundzwanzig Uhr in einem Kino an der Kasse. Sie war eigentlich zufrieden mit ihrem Leben, was hin und wieder natürlich auch aus Clubbesuchen mit ihren Freundinnen bestand. Aber dann war da der ungewöhnliche Umstand ihrer Beziehung. Ihre starke Liebe zu einem Einundzwanzigjährigen, der in einer ganz anderen Welt lebte. Die Falltür auf dem Boden war der Weg zu ihm – den sie nie wirklich würde nachvollziehen können. Alleine das er existierte, war für sie beide das was zählte.
Wie es alles passiert war, daran hatte sie nur noch vage Erinnerungen und das,was Elyar ihr erzählt hatte. Sie war vor einem zwei Jahren nach langer Zeit mal wieder in den Wald zur Hütte gegangen, hatte sehen wollen, ob sich dort irgendwas verändert hatte. Als sie in die Hütte getreten war, hatte sie erst die Gestalt gesehen, die verwirrt mitten im Raum stand, dann die offene Falltür. Sie war bei seiner Erscheinung voller Panik zurückgewichen, woraufhin er sie lange Zeit beruhigt und ihr erklärt hatte, er wäre nicht zum ersten mal hier. Er sei öfters schon durch die Bodenklappe hergekommen, habe eines Tages sie im Wald gesehen und sie war ihm seitdem nicht mehr aus dem Sinn gegangen.
Von dem Moment an hatten sie sich öfter getroffen, bis es schlussendlich zum Eingeständnis gegenseitiger Liebe gekommen war. Es war so unwirklich... Sie hatte keine hundertprozentige Erklärung für sein Erscheinen, hatte ihn schon zweimal auf die Seite seines Lebens begleitet und dort ein paar Leute kennen gelernt. Alles getarnt in einem der alten Kleider seiner Mutter, welches Elyar ihr heimlich mitgebracht hatte. Sie lebte einerseits mit der leichten Ungewissheit, andererseits mit der bedingungslosen Gewähr ihrer Gefühle für ihn.
Und mit plötzlich durchzuckte sie ein schwacher Gedanke...

Elyar warf sich leicht gegen die verklemmte Tür seines Zimmers, welches er in der kleinen Hütte hatte, die er mit seiner Mutter bewohnte. Ihr Lager befand sich im Hauptraum neben der Feuerstelle. Außer seiner Strohmatratze, einer Decke und einem Schaffell, lagerten in seinem kleinen Raum noch Lederwams, Kettenhemd, Stiefel, Wetzstein, Helm und zwei Schwerter. Davon gehörte eines seinem Vater, Michal, sein treuer Freund, hatte ihm nach seinem Tod das Schwert abgenommen und es Elyar überreicht. In ein Tuch gewickelt lag es direkt neben seiner Schlafstätte, genau wie nachts seine Waffe, die er sonst stets bei sich trug.
Mit geübtem Griff zog er die Klinge aus dem Gürtel, der quer über seiner Brust hing und betrachtete sie eingehend. Lange schon hatte er sie nicht mehr gegen einen Gegner erheben müssen, viele Monate waren ins Land gegangen, ohne das er Schuld an einer tödlichen Wunde eines Feindes trug.
Würde sich die derzeitige Lage weiter zuspitzen, wäre es mit der friedvollen Zeit vorbei. Und dann würde er Emily einiges erklären müssen. Tief in sich würde sie wissen, dass er das Schwert nicht nur zur Demonstration seines Standes in der Gesellschaft und als Abschreckung trug, aber es ihr klar zu sagen, war um einiges härter, als sie einfach mit dem stillen Gedanken an gewisse Eventualitäten leben zu lassen. Sie liebte nun einmal einen Vasall. Und diesem war es zuwider, sie womöglich zu verschrecken. Elyar seufzte bei dem Gedanken daran, dass es jedoch in gewisser Zeit vielleicht keine andere Möglichkeit geben würde, als mit Emily über gewisse Dinge und Fakten zu reden – so unschön sie auch sein mochten.


Sie schreckte hoch, als die Wohnungstür geräuschvoll ins Schloss fiel und ihre Mutter den Kopf ins Wohnzimmer steckte.
„Guten Mittag, du Schlafmütze“, trotz ihres vom langen Arbeiten müden Gesichtsausdrucks, lächelte sie ihre Tochter an. „Wo hast du denn Lena gelassen?“
„Sie malt in der Küche. Wir haben erst ein paar Bücher angeschaut und dann verstecken gespielt. Wann kommt Ole sie denn abholen?“
„In einer guten Stunde.“
Kim hängte ihre Bikerjacke aus braunem Wildleder an die Garderobe und stieg von ihren beigen Halbschuhen auf ihre gemütlichen türkisen Hauspantoffeln um. Lautlos gähnend machte sie sich dann auf den Weg nach nebenan ins Esszimmer, gefolgt von ihrer Tochter, die im Türrahmen stehend lächelnd beobachtete, wie Lena Kim um den Hals fiel und ihr ein Bild mit Blumen und irgendwelchen kaum zu identifizierenden Tieren in die Hand gab. Nachdem die Empfängerin des Geschenks dieses ausgiebig bewundert hatte, legte sie das Blatt vorsichtig auf den Tisch und forderte Lena dann auf, ihr in die Küche zu folgen. Immerhin brauche sie ihre Unterstützung bei der Wahl der richtigen Nudeln zur Bolognese.
Nachdem die beiden verschwunden waren, verschwand Emily die Treppe hoch in ihr Zimmer, wo sie die Tür schloss und sich ans Fenster stellte. Ihr Blick ging zum Wald. Wie oft hatte sie in den letzten Tagen hier gestanden und auf die Bäume geschaut?
Ein grünes Meer, welches ihr immer wieder half zu realisieren, dass sie nicht träumte. Sie würde ihn dort möglicherweise in zwei Tagen zu derselben Zeit wiedersehen, wie heute. Aber dieses ihr im Kopf herumgeisternde vielleicht, machte Emily wahnsinnig. Sie sagte sich jedes mal, dass es keinen Anlass zur Sorge gab, wenn etwas passieren würde, dann würde Elyar ihr zumindest eine Nachricht zukommen lassen. Er würde sie nicht im Dunkeln tappen lassen, im Ungewissen darüber, was in seinem Leben vor sich ging. Dafür war sie ihm zu wichtig, er hatte es selbst vor wenigen Wochen gesagt. Warum also diese Aufruhr?
Die junge Frau versuchte eine ganz exakte Erklärung zu finden, besann sich darauf, als sie diese nicht fand, ruhig ein und auszuatmen. Es half nichts, ihr plötzlich in die Höhe geschossener Puls randalierte weiter. Sie war rastlos wie ein Hamster im Laufrad, sie konnte jetzt nicht still dasitzen und abwarten, ob Elyar sich in zwei Tagen in der Hütte zeigen würde, oder nicht. Dieser Gedanke hatte sie auch vorhin im Wohnzimmer schon umgetrieben und sie abgelenkt. Sie musste aus irgendeinem ihr unerklärlichen Drang heraus, den einen Schritt riskieren, welchen ihr Freund ihr heute noch vor wenigen Stunden, als zu gefährlich geglaubt hatte, ausgetrieben zu haben. Sie selbst hatte auch nicht daran gezweifelt, dass seine Worte sie auf einen anderen Gedanken bringen konnten – bis eben jetzt.
Seufzend, als ärgere sie sich tief im Inneren über ihren so hartnäckigen Gedanken, ging sie zu ihrem Bett an der beigen Wand gegenüber des Kleiderschranks und kniete sich vor ihren Nachttisch. In der einzigen Schublade über einem mit Tür versehenen Fach, lag ihr Portemonnaie. Sie wusste, dass sie damit Währung aus einer ganz anderen Zeit bei sich trug, aber wenn sie nur mit dem Kleid am Leib dort auftauchen würde, käme sie sich mit dem Geld nicht so vollkommen schutzlos vor. Vielleicht sahen die Händler ja mancherorts ja auch nicht so genau hin, oder sie begeisterten sich für die fremden Taler. Emily steckte den Geldbeutel in ihre kleine braune Umhängetasche, steckte ihren Hausschlüssel dazu und verließ das Zimmer.
Unten im Flur hörte sie ihre Mutter in der Küche mit Lena reden, die Kleine schien gerade von Erlebnissen aus dem Kindergarten zu erzählen. Emily sah auf die Uhr an der Wand zwischen Wohn- und Esszimmertür. Fast halb sieben, ihr Vater müsste in einer Viertelstunde hier sein. Bis dahin war seine Tochter längst weg. Sie betrat die Küche, Lena grinste sie an.
„Wir kochen Spaghetti.“
„Ja schön“, sie wuselte ihr durch die blonden Haare. „Mama, ich bin nochmal etwas unterwegs, okay? Ihr könnt ruhig ohne mich essen, es wird später.“
Lena wirkte enttäuscht.
„Das nächste mal kochen wir beide und essen auch zusammen, okay? Nur heute geht das leider wirklich nicht, Süße.“
Ihre Nichte begann eifrig zu nicken. „Kochen wir dann auch wieder Spaghetti?“
„Alles was du willst. Du isst ja eigentlich eh nix anderes, als sämtliche Nudelarten dieser Welt.“
„Dann weiß ich Bescheid, wir lassen dir dann etwas übrig. Viel Spaß...? Darf ich meine erwachsene Tochter denn fragen, wo sie hinfährt?“
Emily gab erst Lena einen Kuss, dann ihrer Mutter eine kleine Umarmung. „Ich fahre zu einer Freundin.“
Sie verabschiedeten sich, dann schlüpfte sie im Flur in ihre schwarzen Lederstiefel, knöpfte ihren blauen Mantel zu und verließ zügig das Haus. Am Straßenrand blieb sie stehen. Sie hatte gesagt, sie führe noch zu einer Freundin, aber ob mit ihrem Fiat oder mit dem Bus drei Straßen weiter, hatte sie absichtlich offen gelassen. Damit ihre Mutter keinen Verdacht schöpfte, wenn der Wagen vor der Tür stehen geblieben war. Zügig überquerte sie Straße und fing kurz darauf an zu joggen. Jetzt merkte sie wieder einmal, wie sich ihr regelmäßiges Joggen am Nachmittag auszahlte, sie kam so gut wie überhaupt nicht aus der Puste und war entspannter, als sie die Tür der Hütte öffnete und hinter sich wieder schloss. Ohne lange zu zögern durchquerte sie den Raum und hockte sich vor die Hüttenwand in der linken Ecke. Mühsam hob sie eines der Bodenbretter aus dem Boden und griff hinein. Ihre Hände fanden das einfache grüne Leinenkleid und zogen es aus dem Versteck. Wenige Minuten später hatte sie sich umgezogen und ihre andere Kleidung versteckt. Dann ging sie langsam zu der Klappe.
Emily hielt inne. Wenn sie jetzt diesen Schritt wagen würde, dann würde sie sich eventuell der Gefahr aussetzen, von Männern angegangen zu werden. Wie Elyar ihr schon gesagt hatte. Aber es musste ja nicht so kommen, redete sie sich ein. Sie wusste sich zu wehren, was für eine Frau aus einfachem Bauernstand, wofür sie zweifelsohne in diesem Kleid gelten würde, nicht angemessen, aber sie wollte es riskieren.
Entschlossen umfasste die Zwanzigjährige den rostigen Ring und öffnete mit einem kräftigen Ruck die Klappe. Dann schaute sie hinein, um sich zu vergewissern, dass auch wirklich niemand sich in dem darunterliegenden Gang befand, der von hier zum Hof des Herzogs führte. Als sie einige Sekunden gelauscht und nichts als Stille wahrgenommen hatte, streckte Emily ihre Beine in die Öffnung, legte die Luke um und entließ sie Stück für Stück wieder in ihre Fassung, während ihre nackten Füße das kalte Gestein im Gang berührten. Sicher auf dem Boden angekommen, wandte sie sich nach rechts und fing nach wenigen Metern an nur noch seitlich zu gehen, da sich der Weg deutlich verengte.
Wie gut, dachte sie zum wiederholten mal, dass sie keine Klaustrophobie hatte. Der Boden war an manchen Stelle rutschig, irgendwo über ihr tropfte vereinzelt Regenwasser durch die rissige Decke des Gewölbes. Das leise Plätschern machte sie nervös, auch wenn sie schon zweimal mit Elyar hier durchgelaufen war und das Geräusch für sie kein fremdes war. Es schien einfach einen sehr großen Unterschied zu machen, dass sie jetzt gerade völlig alleine war...
Sie gelangte nach gut zehn Minuten ans Ende des Tunnels und damit an eine große Holztür, die, wie sie wusste, in die Gassen vor dem Hof des Herzogs hinausführte. Vorsichtig öffnete sie diese und spähte hinaus.
„Seid gegrüßt, schöne Frau.“
Entsetzt machte sie einen Satz rückwärts und hätte beinahe noch sehr vernehmlich die Tür hinter sich ins Schloss geworfen, doch dann sah sie zum Glück, dass der Händler auf dem Weg vor ihr eine junge Magd angesprochen und Emily überhaupt nicht gesehen hatte. Das Herz in ihrer Brust tobte und sie brauchte kurz Zeit sich zu sammeln. Dann schob sie sich durch den Türspalt und machte, dass sie schnellstmöglich weiterkam.
Die Straßen waren schattig und überall hörte man die Rufe der Händler auf dem Markt, welcher sich überall zu verteilen schien. Es tummelten sich hunderte Leute vor den erdenklichsten Ständen die beladen waren mit Fellen, Kleidung, Kräutern, Werkzeugen, Früchten und allerhand anderer Lebensmittel. Emily drängte sich vorsichtig zwischen den Marktbesuchern hindurch, immer darauf bedacht, so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen. Als sie endlich aus der Masse heraustrat, hörte sie plötzlich eine Männerstimme, die ihr Herz einen Satz machen ließ. Sie kannte diesen Mann, es war Elyars Freund und Gefährte. Alexander. Suchend ließ sie den Blick durch die Menge schweifen, als sie den schwarzen Lockenkopf über alle anderen erhoben auf einem Pferd entdeckte. Der Haflinger tänzelte nervös unter den kräftigen Waden seines Herrn, blieb jedoch stehen. Seine Ohren zuckten und seine Nüstern blähten sich unruhig. Nicht von alledem schien Alexander jedoch zu stören, er saß gelassen und aufrecht auf seinem Tier, schien das Treiben im Blick behalten zu wollen.
„Hey, dich kenne ich doch!“
Jetzt hatte er Emily gesehen und winkte sie breit grinsend zu sich heran. Sie tat wie ihr befohlen und knickste.
„Seid gegrüßt.“
„Was treibst du denn hier? Emily ist dein Name, richtig? Elyar hatte uns einander vorgestellt.“
„Ganz recht. Ich vertrete mir bei dem schönen Wetter etwas die Beine und befinde mich gerade auf dem Weg zur Burg. Meint Ihr, Elyar wird dort sein?“
„Ich habe ihn bei meinem Aufbruch auf dem Hof nicht gesehen, es ist also gut möglich, dass du ihn noch in seiner Hütte vorfinden wirst.“
Emily bedankte sich und ging eine Hand zur Verabschiedung erhoben, weiter. Der Weg zum Burgtor war nicht mehr weit. Sie bog nochmal in eine kleine schmale Gasse, dann stand sie auf einem kleinen Platz, auf dem zur Marktzeit nur vereinzelt Kinder zu finden waren, die am kleinen Brunnen in der Mitte spielten. Lachend rannten zwei Mädchen, vielleicht im Alter von neun oder zehn Jahren, wie Emily schätzte, an ihr vorbei. Eine von ihnen aufgescheuchte Katze verzog sich fauchend in einen Hauseingang, wo sie in aller Ruhe anfing, sich das Fell zu säubern. Lächelnd lief sie an dem Tier vorbei und überquerte den Platz. Am Ende befand sich ein von Wagenrädern über die Jahre entstandener Weg, der zur Burg führte. Nach wenigen Metern, die sie über die Wiese am Rand gelaufen war, kam sie am Ziel an. Über die rechts und links mit einer Zugkette befestigte Brücke gelangte sie in den Burghof. Eine Schwalbe flog in ein paar Metern durch den Spalt der angelehnten Stalltür, aus der vereinzeltes Schnauben zu hören war. Ansonsten war alles ruhig, nicht mal der sonst so vielbeschäftigte Schmied des Herzogs war in der hofeigenen Schmiede anzutreffen.
Langsam ging Emily hinüber zu der angelehnten Tür und wurde von mehreren hochschauenden Pferden begrüßt. In der hintersten Box auf der rechten Seite, zog ein stattlicher Friese ihre Aufmerksamkeit auf sich. Das Tier war tiefschwarz und hatte eine wunderschöne Mähne. Sein Blick lag ruhig auf der Besucherin, als diese an die hölzerne Boxentür trat und eine Hand vor seine Nüstern hob.
„Hallo Calito.“
Beim Klang seines Namens spitzte er die Ohren und schnaubte leise. Dabei blies er seinen Atem über Emilys Hand, die diese daraufhin lächelnd zurückzog. Der Grund für den Abstecher in den Stall war jedoch nicht hauptsächlich das Pferd, der Hauptgrund stand, wie erwartet, gebeugt neben dem Tier und kratzte seine Hufen aus. Beim Klang ihrer Stimme, stellte Elyar das Bein vorsichtig ab und richtete sich auf. Seine grünen Augen blickten sie teils überrascht, teils besorgt an.
„Emily...“ Mehr sagte er nicht, ehe er seinem Pferd einen liebevollen Klaps auf den Hals gab und für kurze Zeit die Box verließ. Im Sonnenlicht, welches durch das einzige kleine Fenster neben der Tür schien, glänzte sein braunes Haar leicht.
„Warum bist du hier, warum missachtest du meine Warnung?“
Sie schluckte. „Ich...“
Er trat vor sie, machte jedoch keine Anstalten ihre Hand zu nehmen.
Ich bin zu weit gegangen, dachte die Zwanzigjährige im selben Moment. Traurig schlug sie den Blick nieder. Da hörte sie plötzlich ein Geräusch vor sich und hob wieder den Kopf.
Elyar hatte den Schwertgürtel abgenommen, legte diesen nun neben sich auf einen Heuballen. Emily musste lächeln, als er nun wieder vor sie trat und diesmal ihre Taille umschlang.
Er hatte diese Angewohnheit, niemals zu sehr in ihre Nähe zu kommen, wenn er seine Waffe trug. Der junge Mann hatte ihr erklärt, dass es für ihn einfach nicht zu vereinbaren war, sie mit dem todbringenden Metall am Körper zu berühren. Sein Vater hatte es ihm vorgelebt und er hatte es auch aus eigenen moralischen Gründen, von ihm übernommen.
Sie legte ihm die Arme angewinkelt auf die Brust, schaute ihn an und suchte in seinem Gesicht nach Anzeichen von Wut über ihr Auftauchen, womit schließlich die gerade von ihm erwähnte Missachtung seiner Worte einherging. Doch sie fand nichts. Stattdessen wich die Ernsthaftigkeit aus seinen Zügen einer sanften Zärtlichkeit, die ihr wie eine warme Brise entgegenschlug. Ihr Herz machte einen Satz und begann leicht höher zu schlagen. Ihre Blicke kreuzten sich in der Stille des Gebäudes, welches nur vom Zwitschern einzelner Schwalben gebrochen wurde, die ein und ausflogen. Sie spürte sein Herz unter ihrer Hand schlagen, es wurde schneller, als Emily sich leicht auf die Zehen stellte und ihn küsste. Leicht erhöhte er daraufhin den Druck seiner Arme um sie und zog sie an sich.
Lächelnd fuhr er ihr mit den Händen über die Arme hinauf bis zu den Schultern, ließ sie dabei keine Sekunde lang aus den Augen. Er war ruhig dabei und diese Gelassenheit übertrug sich auf Emily, die dabei auch wieder ihren Puls regulieren konnte.
„Es tut mir leid, aber ich habe dich so sehr vermisst. Ich weiß, du hast gesagt, dass du mich keiner Gefahr aussetzen willst, nur weil diese Sehnsucht existiert, aber ich konnte nicht anders. Es lag an der Ungewissheit darüber, wann wir uns wirklich wieder sehen.“
Mit unverändert ruhigem Gesichtsausdruck hatte er sich bis zum letzten Wort angehört, was sie sagte. Jetzt zog er die Brauen leicht zusammen und schüttelte den Kopf.
„Es ist alles gut. Ich hätte dir diese Worte, die womöglich einem Befehl gleichkamen, nicht sagen dürfen. Es war nicht dein Fehler und ich hätte, mit Verlaub gesagt, wahrscheinlich ebenso gehandelt.“ Er musste grinsen. „Lass das nicht bis zu meinem Herrn vordringen. Als Vasall habe ich sämtliche Regeln zu beachten und allem Folge zu leisten.“
Sie musste lachen. „Ich werde schweigen.“
„Gut.“ Langsam ließ er sie wieder los und kehrte in die Box zu seiner gerade unterbrochenen Tätigkeit zurück, bei der seine Freundin ihm nun zusah. „Was hast du eigentlich deinen Eltern als Grund genannt, dass du nochmal weggehst?“
„Ich bin angeblich bei einer Freundin, sie werden denken, dass ich zu Mia gefahren bin. Ich bin alt genug, weder meine Mutter noch mein Vater werden mir hinterhertelefonieren, Elyar.“
Der Mann zog die Brauen erneut zusammen, diesmal war seine Stirn von Falten des klaren Unverständnisses durchzogen. „Was bedeutet das?“
Emily musste ein Schmunzeln unterdrücken, welches ihm gegenüber nur unfair gewesen wäre. Woher sollte er auch wissen, was das Wort telefonieren bedeutete? In seinem Leben profitierten die Menschen von Boten, die zwischen Briefschreiber und Empfänger hin und her ritten.
„Es gibt bei uns ein Gerät, was Telefon heißt. Wenn du jemandem etwas mitteilen möchtest, gibst du mithilfe von Tasten mehrere Ziffern ein und dann spricht nach einer kurzen Wartezeit diese Person mit dir. Die hat ebenfalls so ein Telefon bei sich zu Hause und spricht durch dieses Gerät mit dem Anrufer.“
Fasziniert schaute Elyar sie an. „Unglaublich! So etwas haben sich die Menschen ausgedacht? Könntest...“, er wich beinahe verlegen ihrem Blick aus, „könntest du mir so ein Telefon mal zeigen?“
Sie nickte. „Klar, ich bringe das nächste mal eins mit, wenn wir uns in der Hütte treffen.“
„Das wird interessant, denke ich.“ Elyar musterte ihr Gesicht und musste grinsen. „Für dich ist es wahrscheinlich total komisch, oder?“
„Ja, etwas. Aber es macht ja nichts, du kannst das schließlich nicht kennen.“
Ihr war während des Dialogs nicht entgangen, das der Blick des Mannes sich verändert hatte. Mit einem mal starrte er offensichtlich zur Stalltür.
„Versteck dich in Abey`s Box. Das ist die Freibergerstute neben Calito“, seine Stimme war angespannt.
„Warum, was...“
„Mach jetzt einfach, was ich dir sage, okay? Versteck dich.“
Verwirrt trat sie zurück und öffnete schnell die Boxentür. Die Braune schnaubte leise und spitzte die Ohren, als die fremde Frau zu ihr kam und sich hinter der Tür duckte. Emily spürte den warmen Atem des Tiers über ihre Haare kitzeln, als Abey den Kopf senkte und sie mit einem leicht grunzenden Geräusch beschnupperte. Emily spähte über die Kante und erstarrte.
Im Türrahmen des Stalls stand ein kräftiger Mann mit rotem Umhang und hohen schwarzen Stiefeln. Sein grauer Bart reichte fast bis auf Höhe seiner Ellenbogen und seine Miene blickte streng auf Elyar, der aus der Box trat und sich im nächsten Moment auf die Knie fallen ließ, mit einer Hand blitzschnell wieder sein Schwert an sich nahm. „Herr, ich bitte um Vergebung. Die Waffe ist mir im Weg, wenn ich mich um mein Pferd kümmere.“
Er brummte etwas missverständliches, es klang jedoch um einiges wohlwollender als der grimmige Gesichtsausdruck.
„Erhebe dich und fahre mit deiner Arbeit fort. Ich habe eigentlich nach Alexander schicken lassen, aber man hat ihn nicht auf dem Hof gefunden. Aus dem Grund nehme ich an, dass er bereits zum Markt aufgebrochen ist und wollte mich nur noch einmal selbst überzeugen, dass er sich nicht mehr innerhalb der Mauern befindet.“
Elyar stellte sich hin und verbeugte sich noch einmal tief. „Ich werde gleich zu ihm stoßen. Soll ich ihn zu Euch schicken?“
„Nein.“
Mit diesen Worten drehte Ewalt sich um und verließ mit festen großen Schritten den Stall. Elyar atmete auf und trat an Abey`s Box, die ihm ihren Kopf entgegenstreckte. Lächelnd kraulte er ihr die Stirn, während sein Blick auf Emily fiel.
„Weißt du jetzt, was ich meine? Zwar hat mein Gebieter dich bereits kennen gelernt und du hättest eigentlich ohne Sorge hervorkommen können, aber es hätte auch einer meiner etwas gröberen Kameraden sein können. Pass auf dich auf. Ich werde stets ein wachsames Auge auf dich haben, aber das kann ich nicht, wenn ich auf Befehl weg muss.“ Er öffnete die Stalltür, nahm ihre Hand und führte sie aus der Box. Abey kaute auf ein paar Heuhalmen herum, während die junge Frau wachsam Elyars Bewegungen folgte. Er strich ihr die Haare aus dem Gesicht und ließ eine Hand an ihrer Wange liegen.
„Wissen deine Eltern, wie lange du fort bleibst, Liebste?“
Ein wohliger Schauer lief ihren Rücken hinab. Diese Art der Ansprache würde man in ihrer Welt niemals gebrauchen. Dabei war sie so schön...
„Nein, ich habe ihnen nichts gesagt.“
„Darf ich die Bitte äußern, dass du heute Nacht bei mir bleibst? Ich soll heute auf Befehl meines Herrn hin im Wald hinter der Festung Wache halten. Und wenn ich mich recht erinnere bist du abenteuerlustig.“ Er schaute sie ruhig und abwartend an.
Sie zögerte nur eine Sekunde. Dann nickte sie langsam und wurde sich währenddessen bewusst, was das bedeutete. „Ich bleibe bei dir.“


© MajaBerg


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