»Bestanden, bestanden, bestanden!« Sarah tänzelte durchs Haus. »Mama, ich hab die Führerscheinprüfung bestanden!«
»Oh, das ist wundervoll, mein Schatz! Herzlichen Glückwunsch!«
»Jetzt geht es richtig los!« Wagemutig lächelte Sarah. Sie hatte sich ein eigenes Auto gekauft, und heute würde sie es zum ersten Mal benutzen. Kein nerviger Fahrlehrer würde daneben sitzen und ihren Fahrstil kritisieren. Niemand würde ihr sagen, sie solle vorsichtig sein.
06. April 2018, Himmel ...
»Du solltest doch vorsichtig sein!«
»Aber es hat Spaß gemacht«, argumentierte Sarahs Geist schmollend.
Schutzengel Aila schüttelte den Kopf. »Dein Tod war eigentlich erst für 2070 geplant. Was sage ich denn jetzt Gott?«
Sarah zuckte die Achseln. »Darf ich jetzt auf die Erde und bei meiner Mutter spuken?«
»Sarah, ich meine es ernst. Deine Mutter ist traurig. Und ich bin ich es auch, weil ich dich nicht beschützen konnte.« Eine Träne kullerte über Ailas Wange.
»Aber ...«
»Entschuldige mich bitte kurz.« Der Engel ließ Sarah stehen und flog zu Gott, um ihm von dem Vorfall zu berichten.
Als Aila nach zehn Minuten nicht zurückkam, begann Sarah, sich zu langweilen. Sie ließ ihren Blick über die Wolken schweifen. Glitzernde Häuser aus Licht, besetzt mit Diamanten und anderen Edelsteinen, ragten in die Höhe. Die Pflanzen hier schimmerten in den verschiedenen Farben des Regenbogens. Weit entfernt fiel ihr ein einzelner heller Lichtstrahl auf, der Sarahs Neugier weckte. Sie schwebte dorthin.
Das Licht kam von einem großen, phänomenalen Porsche, der hochmodern und mit glänzendem Platin beschichtet war. »Wow! Ich bin wirklich im Himmel!«, rief Sarah begeistert.
»Genau genommen ist das hier die Hölle. Du bist gerade über die Grenze gekommen.«
Das Mädchen zuckte zusammen. »Hilfe, eine sprechende Kuh!«
»Oh nein! Wo denn?« Das Wesen mit den Hörnern schaute sich hektisch um, bis es merkte, wen Sarah gemeint hatte. »Warte mal! Du bist nicht besonders helle, oder? Ich bin keine Kuh, sondern der Teufel.«
»Nicht besonders helle? Wer hat sich denn gerade vor sich selbst erschrocken?« Sarah lächelte triumphierend.
»Wie ich sehe, bist du mutig. Hast du zufällig Lust auf eine Challenge?«
»Jetzt sprichst du meine Sprache! Ich bin ganz Ohr.«
Der Teufel deutete auf den Porsche. »Das Auto gehört dir, wenn du es schaffst, mich in einem fairen Rennen zu besiegen. Und wenn ich gewinne, kriege ich deine Seele. Bist du dabei?«
»Was passiert, wenn einer von uns schummelt?«
»Dann wird derjenige zum Verlierer erklärt.«
Ihre Mutter würde bestimmt nicht wollen, dass sie sich auf diesen Wettkampf einließ. Und ihr Schutzengel, die sympathische Aila, war so bestürzt über ihren Tod gewesen ...
»Genug überlegt, Mädchen! Ja oder nein?«
Währenddessen im Himmel ...
»Sarah! Sarah, wo bist du?« Aila drehte jedes Wölkchen um, doch ihr Schützling blieb verschwunden.
Auf einmal ertönte ein lauter Gong, und eine körperlose Stimme kündigte an: »An alle Bewohner des Himmels, der Hölle und der Zwischenwelten: Ihr seid herzlich eingeladen, beim heutigen Autorennen ...«
»Oh nein! Sarah!« Blitzschnell begab sich Aila in die Hölle zum Schauplatz des Rennens. Als sie ankam, saßen Sarah und der Teufel bereits in ihren Fahrzeugen. Engel und Geister hatten sich versammelt und schlossen Wetten ab.
»Achtung!«, donnerte die körperlose Stimme, »Drei, zwei, eins ...«
Das »Los« ging in dem Quietschen der Reifen unter, und die Wagen schossen mit 300 km/h über die Rennstrecke.
Nach wenigen Sekunden hatte der Teufel einen Vorsprung, der zunehmend größer wurde. Er hatte bereits zwei Drittel der Strecke hinter sich.
Sarah war mit dem Auto nicht vertraut und gab sich größte Mühe, nicht von der Fahrbahn geschleudert zu werden. Eine gigantische, geschlängelte Kurve kam in Sicht, Sarah trat die Kupplung und bremste ab.
»Was machst du da?«, schimpfte jemand neben ihr. Ihr Schutzengel hatte auf dem Beifahrersitz Platz genommen.
»Aila? Ich versuche, vorsichtig zu sein ...«
»Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um vorsichtig zu sein! Lass mich mal!« Sie tauschten die Plätze, und Aila trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Sie nutzte ihre Engelkräfte, um den Wagen auf Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen, und sie rauschten über die Ziellinie.
Sarah wurde zur Siegerin erklärt. Sie fiel Aila glücklich um den Hals. »Dass du so schnell fahren kannst, ist ja der Hammer! Wahnsinn!«
Der Teufel tobte vor Wut. »Du hast geschummelt, Sarah! Deine Seele gehört mir!«
»Falsch«, korrigierte ihn Aila, »Nicht Sarah hat geschummelt, sondern ich. Daher ist Sarahs Sieg gültig. Du musst sie gehen lassen.«
»Und den Porsche nehmen wir mit«, ergänzte Sarah.
Etwas später im Himmel ...
Gott hatte Sarah und Aila in sein Büro gebeten.
»Bist du sehr böse, weil ich zu früh gestorben bin?«, fragte Sarah kleinlaut.
»Oder weil ich Sarah kurz aus den Augen gelassen habe, sodass der Teufel sie zu der Wette überreden konnte?«, fügte Aila hinzu.
Gott aber lachte nur. »Ganz im Gegenteil. Das mit der Wette war großartig! Ich wusste natürlich, wer gewinnen würde, und habe mein ganzes Geld auf Sarah gesetzt. Jetzt bin ich steinreich!«
»Und es hat Spaß gemacht«, bekräftige eine übers ganze Gesicht strahlende Sarah.
Kommentar:Liebe Varia,
beim Lesen deiner Geschichte habe ich köstlich geschmunzelt. Was mich begeistert: Nicht nur auf der Erde, sondern auch im Himmel und in der Hölle weiß man, welche Automarke man im Leben (und auch danach?) mal gefahren haben muss ...
Liebe Grüße Wolfgang
Tage eilen in grauen Kleidern
an mir vorbei, doch ich
glaube zu schweben, eingehüllt
in einem Mantel aus Licht.
Ich habe noch viel vor
und halte die Uhren an,
doch das Leben läuft [ ... ]
Strahlend wärmt der Sonnenschein nach dürstend, finsterer Zeit.
Licht und Wärme streichelt alle Sinne, die wir haben.
Ein Märchen scheint erwacht zu sein, in einem bunten Kleid.
Des Lebens [ ... ]
Gevatter Tod, -unsichtbarer Geselle,
verbreitest bisweilen Angst und Schrecken,
stehst von Anbeginn schon vor der Tür,
gehst neben mir, trittst an des Lebens Stelle.