Die Große Weltverschwörung

© Alf Glocker

Die Gerüchteküche der Weltverschwörungstheoretiker hat kürzlich wieder neue Nahrung erhalten. Wie die New York Shlimes berichtet, wurden aus dem Mageninhalt eines, unter mysteriösen Umständen verstorbenen Esels, Reste alter Schriftrollen isoliert, welche die Existenz eines Geheimbundes zur Weltzerstörung eindeutig beweisen sollen.

Erste Anzeichen glauben die, mit der Lösung des Rätsels beauftragten Wissenschaftler, in den, bereits zweifelsfrei identifizierten Buchstaben aus dem griechischen Alphabet, gefunden zu haben. Es handelt sich dabei um das Alpha und das Omega. Des Weiteren soll die Botschaft das Wort „Gegenwart“ in 666 Sprachen und Dialekten der heutigen Erde enthalten.

Absolut führende Mathematiker haben daraus – durch das Aufsagen einfacher Abzählreime – eine allgemeingültige Weltformel errechnet, aus der sich der genaue Zeitpunkt des kollektiven Untergangs zu ergeben scheint. Allerdings soll es auch kritische Stimmen aus den eigenen Reihen geben, die behaupten, die, zugegeben sehr lange Formel, sei nur eine Liste der gängigsten Namen einzelner Länder. Smith, Müller, Chang, Singh, Lumumba, usw. kämen darin unter anderem vor.

„Mutet das nicht ein wenig befremdlich an?“ schreibt unser renommiertes, einheimisches Nachrichtenblatt, die „Naz“ (Neueste allgemeinverständliche Zeitung), die den prägenden Einfluss der betreffenden Personen auf die Geschichte bezweifelt. So sei es doch eher wahrscheinlich, meint die Naz, daß offen zur Schau getragene Rolex-Uhren – wie die New York Shlimes behauptet – ein sicheres Erkennungszeichen der Mitglieder des Clubs zur Weltzerstörung seien.

Auch, daß die Mitgliedsnummern auf Ausweispapieren, Führerscheinen und in Parteibüchern abgedruckt würden, zweifelt die Naz lautstark an. Gänzlich unglaubwürdig werde die Theorie (so die Naz) durch die Behauptung der Mitgliedsbeitrag zum Weltverschwörungsclub werde durch den Steuersatz des jeweiligen Landes bestimmt.

Doch, seien wir einmal ehrlich: Haben wir nicht alle schon einmal geglaubt, die geheimnisvollen Lettern der Satzung des besagten Vereins zwischen den Zeilen von Sitzungsprotokollen, Weisbüchern, Einberufungsbescheiden, Gerichtsbeschlüssen, usw. herausgelesen zu haben?

Wie auch immer…all unsere Bedenken, unser Abwägen und unsere Besorgnisse wären wohl weiterhin nebulös geblieben, wäre nicht heute Mittag ein, durch Selbstanzeige verhaftetes, Mitglied der gefährlichsten aller Verbrecherorganisationen bekannt geworden. Seinen Angaben zufolge sei es ganz einfach in diesen Geheimbund aufgenommen zu werden – dies sei sogar wesentlich schwieriger als die Aufnahme abzulehnen.

Auf die Frage, wie das zu verstehen sei, sprudelte eine Fülle ungereimter Informationen aus ihm heraus, deren tieferer Sinn selbst dem gebildetsten Mitdenker verborgen bleiben könnte, hätten wir nicht die Gelegenheit, durch ausführliches Studium des Geständnisses unseres Verhörten, einen unschätzbaren Überblick zu gewinnen. Jeder könne dieses Studium in Heimarbeit nachvollziehen, schreibt die Zeitung. Auf Wunsch stellt die Naz sogar einen eigens für die Schockbetreuung ausgebildeten Nervenarzt zur Verfügung.


Hier das Geständnis:

„Mein Name ist Michel Biedermann. Ich bin ein Mitglied im Verein zur Weltzerstörung e.V.! Ich wurde weder angeworben noch erpresst, wenn man einmal davon absieht, daß ich Verpflichtungen habe. Ein Aufnahmeritual zum Verein war nicht notwendig. Der Verein strebt nicht die Weltherrschaft an – die hat er schon – sondern die völlige Aus- bzw. Gleichschaltung von Nichtmitgliedern. Vielleicht strebt er sogar die Verhinderung der Geburt von Nichtmitgliedern an. Wie ich das herausgefunden habe ist mir unerklärlich!
gez….


Aus dem weiteren, nicht protokollierten Gestammel des Verrückten soll hervorgehen, daß ca. 99% der Bevölkerung zu den geheim eingetragenen Mitgliedern des Vereins gehören sollen. Trotzdem sei der Verein zur Stunde immer noch so geheim, daß nicht einmal seine obersten Funktionäre von ihrer Mitgliedschaft wüssten.

Was wir nun davon halten sollen bleibt, so glaube ich (ein unmaßgeblicher Beobachter der Szene) dem Urteil des Einzelnen überlassen. Die Vorlage „einschlägiger“ Fachliteratur kann uns da wohl auch nicht weiterhelfen.

Können wir doch nicht ahnen ob das Aufnahmematerial zum Weltzerstörungsverein nicht vielleicht überall auf uns lauert, und - weil wir es noch nie bewusst wahrgenommen haben – eher unbewusst infiltriert wird. Wie eine versteckte Werbung also.

Es wird uns vermutlich nichts anderes übrigbleiben, als uns von jeglicher Indoktrination zu emanzipieren und – sollten wir dazu nicht fähig sein – öfter neidlos den Leuten zu glauben, die, ohne je eine besondere Bedeutung erlangt zu haben, plausible Sätze von sich geben können. Aber nur, falls wir überraschenderweise überleben wollen. Und wer will das schon?


© Alf Glocker


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