Das dubiose Himmelszelt

© Alf Glocker

Auf einem meiner nicht wirklich stattfindenden Spaziergänge durch das Wenigeralsnichts, hatte ich eine Art „Begegnung“ – ich stieß auf das Leben…verborgen in einem Gewaber aus Lichtfetzen, die sich zu einem Weißnichtwas formierten. Dieses sah turbulent und seltsam aus, es war voller nicht vorhandener Auswege und seine Aussichtslosigkeit faszinierte mich total. Da drinnen, in diesem, sagen wir mal „Zelt“, schien noch eine winzige Nische frei zu sein – sie übte eine fatale Anziehungskraft auf mich aus.

Es „roch“ irgendwie nach „Selbstverwirklichung“, innerhalb einer fatalen Struktur, deren oszillierendes Gewebe in allen Bereichen, in äußerster Flexibilität, fest gefügt war. So kam es mir jedenfalls vor. Und plötzlich überkam mich die unstillbare Sehnsucht, an diesem Schauspiel teilhaben zu dürfen, obwohl doch offensichtlich überall Unheil drohte. Denn Blitz und Donner erfüllten es.

„Schauen sie doch mal rein“, sagte plötzlich irgendwer aus dem Nirgendwo. Wie entstand diese Stimme? Kam sie aus dem Zelt in meinem augenblicklichen Gesichtsfeld heraus? Ich hatte keine Ahnung, aber ich antwortete: „was muss ich tun?“

Die Stimme antwortete dünn: „Nur eintreten. Der Eintritt ist eine Belohnung sondergleichen“.

„Aha – wieso?“

„Wir schenken ihnen die eingeschränkte Wahrnehmungsfähigkeit“.

Ich war im höchsten Grad amüsiert. „Wie geht denn das?“

„Ganz einfach – zuerst bekommen sie ein Gehirn! Damit können sie nur sie nur den Teil des Seins registrieren, der „Universum“ genannt wird, unterhalb der Lichtgeschwindigkeit angesiedelt und mit fleischlichen Sinnen erfahrbar ist“.

„Und dann…?“

„Na, weil sie mit dem Gehirn alleine nicht leben können, bekommen sie noch was dazu…für jeden Bereich dieses Apparates ein Werkzeug…Augen, Ohren, Zunge, Hände, Füße usw. und am Schluss noch ein intaktes Vorstellungsvermögen…das ist ein Vorzug, den nicht jeder für sich in Anspruch nehmen kann…Fluch und Segen zugleich!“

„Und wo ist der Witz?“ erkundigte ich mich, einigermaßen interessiert.

„Ha“ antwortete die Stimme, „der Witz liegt darin, daß sie nun keineswegs `komplett` sind…“

„Sondern?“

„…sich sehnen“.

Davon hatte ich ja bereits etwas gespürt…:„Wonach?“

„Können sie sich das nicht ausmalen? Versuchen sie eine Vorstellung!“

„Ich ahne glaube ich was…“

„Genau! – es kommt darauf an was sie werden möchten, weiblich oder männlich. Den anderen Teil müssen sie sich erträumen, erringen, akzeptieren, dulden, leiden, genießen, je nachdem was sie sich ausgesucht haben, nein, wofür sie ausgesucht wurden!

„Das klingt einfach“.

„Ist es auch – sie haben die Wahl zwischen angeschwollenen Milchdrüsen, multiplem Orgasmus, frei interpretierter Attraktivität, praktisch orientierter Gemeinsamkeitsromantik, Gebärfähigkeit, Geburtsschmerzen, oder Penis, Machtstreben, völlig abstrakter Fantasie, Befruchtungswahn, dominierender Promiskuität, latentem Minderwertigkeitskomplex, dem Wunsch sich andauernd beweisen zu müssen und etwas größerer Körperkraft als Ausrüstung für die unausweichlich bevorstehenden Kämpfe.“

Ich bin entsetzt, entzückt, ent-be-geistert. „Huch, das klingt aber spannend!“ hörte ich mich sagen. „Was kostet denn das Ganze?“
„Energie!“ wurde mir gesagt, „sie geben reine Energie aus dem kompletten Universum, bestehend aus dem Bereich `Leben` ins `Sein` ab. Dafür können sie sich ordentlich austoben, denn durch die Unfähigkeit, das im Voraus zu erblicken was auf sie zukommt und die Unmöglichkeit Ereignisse abwenden zu können, geraten sie in einen Taumel aus Befindlichkeiten der unterschiedlichsten Art“.

„Das ist tatsächlich eine Abwechslung und eine Möglichkeit unter den absurdesten Bedingungen kreativ zu sein“ meinte ich…

„Genau, denn es wird immer anders kommen als sie gedacht haben, egal über welchen Verstand sie verfügen…über wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse sehen wir dabei mal hinweg. Die sind ja auch weder spürbar relevant für ihre Lebensgestaltung – denn der Erfolg hängt von äußeren Umständen ab – noch für die Gesamtentwicklung ihrer Spezies. Berücksichtigt werden sie eh nur soweit sie ins Konzept passen“.

Ich staunte: „Welches Konzept?“

„Na, üben sie doch schon mal das Nachdenken“, sagte die Stimme…“stellen sie sich vor, in der realen Welt käme es immer so wie sich das jeder wünscht (haha) – was denken sie was dabei für ein Chaos entstünde? Deshalb gibt es vorneweg einen Gesamtplan, indem alle Real-Ereignisse wie z.B. Naturkatastrophen, bis hin zu typischen Reaktionen einzelner Charaktere, also bis zu cholerischen oder hysterischen Gefühlsausbrüchen, berücksichtigt, nein, besser `vorausberechnet` sind.

So entsteht ein einheitliches Bild und ein sogenannter `Geschichtsablauf`, der ihr Abenteuer, im Bereich der eingeschränkten Wahrnehmungsfähigkeit, irgendwie nachvollziehbar erscheinen lässt. Zumindest werden sie in der Rückschau auf ihr Erlebtes immer diesen Eindruck haben. Das bewahrt sie davor verrückt zu werden. Ihr Lebensmut wird sich davon ableiten…ableiten lassen.“

„Ich verstehe“ ließ ich mich hören, wusste aber nicht unbedingt was ich damit gemeint hatte, denn von irgendwoher aus dem Sternenzelt vernahm ich Klagen, Gewinsel, Schmerzensschreie und ich sah auch Farben: rotes Blut hauptsächlich! Wenn ich mich in die Richtung drehte, aus der das alles kam (aus dem Zelt), dann bemerkte ich eine riesige Welle aus Energie, die durch seine sämtliche Regionen brandete. Das beeindruckte mich… Es muss schön sein einen Körper zu haben, der aufgehoben ist, in für ihn unentrinnbaren Umständen, meinte ich. Das ist doch ein Privileg!

Also trat ich ein.

„Gehen sie bitte in die Faszinationsabteilung. Das ist dort wo es flimmert. Sobald sie diese betreten haben, werden sie nicht mehr wissen wer sie sind, woher sie kommen und wohin sie gehen. Wenn sie das interessiert wird es die große Frage ihres Lebens werden. So gehört es sich eigentlich für den Besitzer eines Gehirns. Und – halt! Vergessen sie das hier nicht… es ist ihr Auftrag. Sie werden ihm zwar, bei logischer Betrachtung, nicht gerecht werden können,– niemand kann das – aber erfüllen werden sie ihn trotzdem. Das ist der Sinn des Ganzen. Wir wünschen ihnen…“

Das hörte ich aber schon nicht mehr, denn ich wurde gerade geboren! …So lautet meine erste Erinnerung an mich selbst.


© Alf Glocker


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