Die Nacht brach bereits an, als Julius die St. Louis Street erreichte. Die Straßen wurden normaler Weiße von Lampen erhellt. Aber hier brannte fast kein Licht. Nur vereinzelt brannte mal eine Laterne. Julius stand an der Stelle, die ihn die jungen Männer beschrieben hatte. Doch alles was er fand, waren Spuren, von etwas das weggeschleift wurde. Er zog den Stern aus seiner Tasche und schaute sich dann in der Straße um. Als er gerade eine kleine Seitengasse passierte hörte er ein Lachen aus der Gasse kommen. Julius blieb stehen und blickte in die dunkle Gasse hinein, hoffend er könnte etwas erkennen. Plötzlich bemerkte er, dass er mitten in Nebel eingehüllt war. Nebel war in London nichts Ungewöhnliches. Durch die Nähe zur Themse stieg jeden Morgen Nebel auf. Aber normaler Weiße nicht am Abend oder nachts. Julius war die Sache nicht geheuer. Er sollte machen, dass er nach Hause kommt. Es war sowieso zu spät, jetzt noch den Stern seinem Besitzer zurückzubringen. Julius machte auf dem Absatz kehrt und ging wieder in die Richtung, aus der er gekommen war. Der Nebel war dichter als Julius erwartet hatte. Bereits nach wenigen Schritten merkte er, dass er so die Orientierung verlieren würde. Er versuchte sich an die Häuserwand zu bewegen, fand sie jedoch nicht. Julius stolperte noch eine Weile durch den Nebel, ohne Anhaltspunkt, wo er hingeht. Auf einmal merkte Julius, wie sich der Nebel lichtete. Er lächelte und freute sich. Als er dann einen Moment später aus dem Nebel trat, zeichnete sich ein Bild des Grauens vor ihm ab. Wo auch immer er jetzt war, es war nicht die Straße, wo er vor einigen Minuten noch war. Vor ihm lag die Straße einer zerstörten und vergessenen Stadt, in der schon seit Jahrhunderten niemand mehr lebte Der Himmel war schwarz und der Wind wehte unnachgiebig. Und es war kalt. Unerträglich kalt. Julius schlotterte. Wo war er hier? Und wie war er hierhergekommen? Er blickte sich um, aber von dem Nebel, durch den er gekommen ist, war nichts zu sehen. Er suchte sich nach einem Unterschlupf um, aber die Stadt war komplett ausgestorben. Kein Gebäude war noch intakt, dass ihm noch hätte Unterschlupf bieten können. Plötzlich fällt sein Blick auf eine kleine Tür, die etwas in die Straße hineingelassen worden war. Ein Funken Hoffnung flammte in Julius auf. Er sprintete durch den Wind über die Straße und auf die Tür zu. Er hatte Glück, denn die Tür ließ sich ohne Probleme öffnen. Julius hechtete hinein und verriegelte die Tür hinter sich. Nachdem er die Tür geschlossen hatte und sicher war, dass sie nicht von alleine aufgehen kann, schaute Julius sich in dem Raum um. Er befand sich in einem etwas größeren Zimmer. Die Decke war knappe zwei Meter tief. Der Raum selbst bemaß vielleicht vier zu sechs Meter und spärlich eingerichtet. Nur zwei Stühle und ein kleinerer Holztisch standen in dem Zimmer. Es gab keine weiteren Gänge oder Treppen, oder zumindest konnte er keine entdecken so ganz ohne Licht. Denn in dem Zimmer war es ansonsten dunkel. Nur durch ein Loch in Decke fiel etwas Licht hinein. Das blaue Schimmern sorgte für eine geheimnisvolle Atmosphäre. Julius seufzte laut in den Raum. Immerhin war es nicht mehr so kalt wie draußen. Er lehnte sich gegen die Tür, das Gefühl von Erschöpfung machte sich in ihm breit. Was ist das für ein Ort?
Julius: Wo bin ich hier nur hineingeraten?
Unerwartet bekam er eine Antwort. Ein Wispern ertönte im Raum.
Stimme: Es ist unwichtig, wo du bist.
Julius schrak hoch. Er sah sich hektisch in dem Raum um, konnte aber niemanden entdecken.
Julius: Was zum…
Er trat in die Mitte des Raumes und sah sich noch einmal ganz langsam um. Nichts. Es war niemand mit ihm im Zimmer. Julius schüttelte den Kopf.
Julius: Jetzt höre ich auch schon Stimmen.
Keine Antwort. Irgendwie hatte er gehofft, dass er sich die Stimme doch nicht nur Einbildung war. Julius setzte sich auf einen der Holzstühle. Er versuchte seine Gedanken zu sortieren. Er war nicht mehr in der wirklichen Welt, so viel steht fest. Entweder er war bewusstlos und er bildete sich das alles nur ein, oder er war hier in einer anderen Welt. Und es gibt einen einfachen Weg, das zu überprüfen. Julius kneift sich in den Arm. Es schmerzte, aber die Welt blieb. Das hatte er befürchtet. Panik machte sich in Julius breit. Wie sollte er hier wieder rauskommen? Nach draußen würde er nicht mehr gehen. Dort wartete nur der Tod auf ihn. Aber hier drinnen konnte er auch nicht bleiben. Sein Magen knurrte. Er hatte nichts gegessen, seitdem er die Universität verlassen hatte. Plötzlich klopfte es an der Tür. Julius schrak aus seinen Gedanken auf und wäre beinahe vom Stuhl gefallen. Erneut klopfte es an der Tür.
Julius: Hallo? Wer ist da?
Keine Antwort. Nur ein weiteres Klopfen. Julius fasste sich ein Herz, stand auf und trat an die Tür. Er wartete nochmal einen Moment, aber es kam kein weiteres Klopfen. Dafür hörte Julius jetzt Musik. Ganz leise, so als käme sie von weit weg. Julius öffnete die Tür. Doch das was er sah, konnte nicht sein. Vor ihm lag eine riesige prunkvolle Halle. Julius kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Irgendwie hatte sich die unwirtliche Welt von vorher in einen Festsaal verwandelt. Unsicher wagte er einen Schritt hinein. Kaum hatte er die Türschwelle übertreten, hörte er, wie die Tür ins Schloss fiel. Als Julius sich umdrehte, war die Tür verschwunden. Es gab kein zurück. Er wandte sich wieder nach vorne und betrachtete den Saal genauer. Der Saal war riesig, die Wände gut 4 Meter hoch. In der Mitte stand ein Banketttisch, eine Tafel, auf der allerlei Schalen und Speisen aufgereiht dalagen. Und am Ende der Tafel, ihm zugewandt, saß eine Frau mit langem schwarzen Haar. Sie hatte den Kopf auf die Hände gestützt und schaute ihm direkt in die Augen. Als ihre Blicke sich trafen, spürte Julius, ein Verlangen zu dieser Frau zu treten. Und dieses Verlangen übertraf alle anderen Gefühle und übernahm die volle Kontrolle über seinen Geist. Und sein Körper setzte sich von ganz alleine in Bewegung. Er war wie in Trance. Langsam torkelte er zu der Frau. Er versuchte etwas anderes wahrzunehmen, aber sein Blick klebte nur an der Frau. Als er fast vor ihr stand, deutete sie auf den Stuhl zu ihrer linken. Er setzte sich, wie ihm gehießen war. Es kostete Julius unglaubliche Anstrengung zu sprechen.
Julius: Wer bist du?
Frau: Erstaunlich.
Julius spürte, wie der Druck auf seinem Geist etwas nachließ, aber nicht vollständig verschwand. Auch konnte er jetzt zum ersten Mal die Frau genauer anschauen. Sie trug ein rotes Kleid, das sich an ihren Körper schmiegte und so aussah, als wollte es sie nicht mehr loslassen. Das lange schwarze Haar fiel ihr über die Schultern. Doch zwei Sachen waren seltsam an ihr. Erstens hatte sie ein paar schwarze Hörner auf dem Kopf, die sich leicht nach hinten bogen. Und dann waren da ihre Augen. Sie hatten eine gelbe Iris und sahen mehr aus wie Schlangenaugen, als wie die eines Menschen.
Julius: Was bist du?
Sein Gegenüber lachte, und es war, als würde die Welt sich dabei krümmen. Ein fürchterliches Lachen.
Frau: Kannst du es dir nicht denken? Ich bin mir sicher, du hast bereits einen Verdacht, oder Julius?
Julius weitete die Augen.
Julius: Woher kennst du meinen Namen?
Das Wesen lachte erneut.
Frau: Ich kenne den Namen eines jeden Wesens, das meine Domäne betritt. Aber du bist meiner Frage ausgewichen.
Julius schüttelte den Kopf. Er hatte nicht die leiseste Ahnung. Er wusste weder, was diese Frau war, noch wo er hier war. Seine Gedanken waren so zäh, als steckten sie in einem Sumpf fest.
Frau: Ich bin ein Dämon.
Jetzt weitete sich Julius Blick. Was hatte sie gerade gesagt? Ein Dämon? Julius wusste, was ein Dämon ist. Schließlich hatte er mythologische Wesen sein Leben lang studiert. Aber das war es, was sie waren. Mythologische Wesen. Es gibt sie nicht. Und doch behauptet das Wesen, diese Frau, vor ihm, es wäre ein Dämon. Das war unmöglich. Plötzlich erinnerte sich Julius an etwas aus der nordischen Mythologie. Und er erinnerte sich, daran wie die Welt ausgesehen hatte, als er hier ankam. Es passte zur Beschreibung von Niflheim. Kalt, trostlos, verloren. Und ein stetiger stürmischer Wind, der über die Ebenen zieht. Die Toten waren verdammt auf ewig durch das kalte Ödland zu ziehen. Auf der Suche nach Schutz, den es nicht gab. Er konnte nicht anders, er musste sie Fragen.
Julius: Soll das heißen, dass ich tot bin?
Erneut lachte der Dämon vor ihm.
Dämon: Aber nein, wo denkst du hin? Du bist nicht in Niflheim, falls du das geglaubt hast. Nein du bist noch in Midgard, wenn auch du in meiner Domäne bist.
Julius schluckte. Er verstand nichts mehr. Midgard? Domäne? Er wollte sie fragen, was das alles bedeutet, stockte dann aber. Der Blick des Dämons war so, als würde sie in weite Ferne starren. Und ihre Miene verriet Unmut. Einen Augenblick später, schaute sie ihn wieder an. Mit dem gleichen Blick wie zuvor. Diesem besitzergreifenden, gierigen Blick. Bevor er etwas sagen konnte, schnitt ihm der Dämon das Wort ab.
Dämon: Ich will dir ein Angebot machen.
Julius: Ein Angebot?
Der Dämon nickte.
Dämon: Allerdings. Ich, Paimon, biete dir an, meiner Dämonenlegion beizutreten. Du wirst unvorstellbare Macht haben. Ich kann dir alle Fragen beantworten. Alle Geheimnisse der Welt werden sich dir offenbaren. Alles was ich dafür von dir verlange ist, dass du dein Leben als Mensch hinter dir lässt.
Ihre Stimme war betörender geworden. Mit jedem Wort das sie sprach, wollte er mehr und mehr auf ihr Angebot eingehen.
Paimon: Komm an meine Seite. Ich werde alle deine Wünsche erfüllen.
Sie streckte ihm ihre Hand entgegen. Julius Körper bewegte sich von alleine. Er streckte die Hand aus und ging auf Paimon zu. Er war wie hypnotisiert. Paimon veränderte sich. Ihre Haut nahm eine Art schwarzen Ton an. Ihre Haare wurden länger. Ihr Kleid wurde zu Flügeln und umfassten sie und ihn. Sie streckte ihre krallenbesetzten Hände aus, ergriffen seinen Leib und zogen ihn an sich. Sie legte eine ihrer Hände auf seine Brust. Aber er konnte sich nicht wehren. Konnte ihr nicht wiederstehen.
Paimon: Gib mir deine Seele.
Plötzlich wurde Julius aus der Kontrolle gerissen. Um sie herum schlugen spitze Gegenstände in den Boden ein. Explosionen rissen Steine aus dem Boden, deren Splitter durch den Raum flogen. Julius taumelte zurück, verwirrt darüber, was gerade geschehen ist. Ein Projektil schlug neben ihm ein und riss ihn von den Beinen. Danach hörte er einen schrecklichen Schrei, ein Kreischen. Staubwolken vernebeltem ihm die Sicht. Er versuchte sich aufzurappeln, schaffte es aber nicht. Sein Körper wollte ihm nicht gehorchen. Durch den Schutt und dem Staub konnte er eine Person ausfindig machen. Sie bewegte sich schnell und gleißend. In der Hand eine Art Bogen. Die Person hechte an ihm vorbei in Richtung, wo Paimon noch vor wenigen Minuten gestanden hatte. Plötzlich löste sich aus dem Staub ein Schatten und stürzten auf ihn zu. Die Gestalt packte ihn und drückte ihn zu Boden. Die Luft wich aus seinen Lungen. Über ihm stand Paimon, hielt ihn am Boden. Sie stieß ihre Krallen in seinen Brustkorb. Was kam war kein Schmerz, sondern ein Gefühl, dass seinen ganzen Körper, seine Seele, sein ganzes Sein, aufschreien ließ und sich dagegen wehrte. Aber keine Chance. Eine Eiseskälte erfasste ihn. Dunkelheit schob sich in seinen Blick. Die Welt verschwand. Er sank in die Leere. Und er fragte sich, ob er jemals wieder erwachen würde.


© Sora Hataki


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