Baileys Motel

Der Motor des alten Wagens stotterte, der ganze Wagen ruckelte und ruckte, bis er dann ganz stehen blieb. John Hopkins fluchte: „Verdammt, das jetzt auch noch! Als ob ich nicht heute schon einen verdammt schlechten Tag gehabt hätte“. Mit beiden Händen hielt John immer noch das Lenkrad umklammert und ließ erschöpft den Kopf darauf sinken. So saß er einige Minuten, während draußen ein wahres Unwetter tobte. Es regnete seit Stunden in Strömen und einige Straßen waren schon überschwemmt. John überlegte, was er jetzt tun sollte, mitten in einer Einöde, weit weg von den nächsten Orten. Mit dem Handy hatte er hier keinen Empfang, das Ganze hier war ein einziges Funkloch. Es war 23.20 Uhr und stockfinster. Wahrscheinlich würde heute kein Wagen mehr durch diese einsame Gegend fahren. Also musste er zu Fuß gehen, bis er ein Haus oder den nächsten Ort erreichen würde. Er hatte keine Ahnung, in welche Richtung er gehen sollte, denn er hatte sich auch noch verfahren. John stieg aus und ging Richtung Westen. Er hatte sich einfach auf sein Gefühl verlassen. Mit einer kleinen Taschenlampe leuchtete er die Straße entlang und stellte fest, dass die Batterie schon sehr schwach war. Es regnete immer noch in Strömen und John fluchte. An solchen Tagen wie heute, überlegt man schon, ob es sich lohnt, überhaupt weiter zu leben. Vor drei Tagen war er von Wantage, New Jersey nach New York gefahren, weil er pünktlich bei seiner Scheidungsverhandlung erscheinen musste. Diese Verhandlung war heute. Er hatte in jeder Hinsicht verloren. Was blieb ihm noch? Nichts! Seine Exfrau, der er ihre Untreue nicht hatte nachweisen können, bekam alles, das Haus, das Geld und die beiden Kinder. Nun war John wieder auf dem Rückweg nach Wantage und dann dieses. Er stapfte immer noch über den nassen Asphalt. Seine Jacke war vom Regen durchnässt und die Straße wurde immer schmaler. Fast wäre er gegen ein Schild gelaufen. Im letzten Moment sah er es. Er blieb stehen und schaute nach vorn. Jetzt sah er zwischen den Bäumen einen Lichtschimmer. Er ging die Straße noch ein Stück weiter um die nächste Kurve. Nun sah er ein beleuchtetes Schild an einem Haus. „Baileys Motel“ stand auf diesem Schild und zwei Fenster in der unteren Etage waren beleuchtet. Am Eingang gab es eine Klingel. John drückte auf den Klingelknopf und wartete. Es dauerte nicht lange und auf dem Flur ging ein Licht an. Ein Schlüssel wurde im Türschloss gedreht und die Tür öffnete sich. Ein Mann Ende sechzig kam hinter der Tür zum Vorschein. „Guten Abend“, grüßte John. „Hätten sie vielleicht für heute Nacht ein Zimmer frei“, fragte er. „Guten Abend mein Herr, bei dem Wetter noch so spät unterwegs“, antwortete er. „Ja, wir haben in Tat gerade heute ein Zimmer vorbereitet. Als hätten wir geahnt, dass heute noch Gäste eintreffen“. „Wie teuer ist denn eine Übernachtung bei Ihnen“, erkundigte sich John. „Eine Übernachtung mit Frühstück kostet 20 Dollar“, antwortete der Alte. „Bitte treten Sie doch ein“, fügte er hinzu und schloss die Tür hinter John. Die Füße des alten Mannes schlurften über das abgenutzte Linoleum, das wohl noch aus den dreißiger Jahren stammte. Beim Gehen ging der Alte so gebückt, als ober sich mit seiner großen Nase den Weg erriechen müsste.
Auch die Rezeption hatte die besten Jahre hinter sich. Die sonstige Einrichtung und Technik stammten wohl aus den Sechzigern. Irgendwo im Hintergrund plärrte ein Radio. Der Alte hielt ihm ein Anmeldeformular hin, das John ausfüllte. Währenddessen plärrte das Radio weiter, was John ziemlich nervte. Zwischendurch wurde die Musik immer wieder von einem Werbeslogan unterbrochen: „Nehmen Sie die Glückssteine mit. Glückssteine, jetzt im Angebot“. Schon plärrte die Musik weiter. „Ist wohl mal wieder was Neues“, sagte John zu dem Alten. „Glückssteine, die vermarkten mal wieder alles Mögliche, um den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen“. „Ich habe noch einen Beutel hier“, antwortete der Alte. „Für einen Dollar können Sie den Beutel mitnehmen“. John seufzte und willigte genervt ein. „Schaden wird es mir ja wohl nicht, außer dass mir von meinen letzten 50 Dollar noch ein Dollar weniger bleibt“. Der Alte reichte ihm ein kleines Plastikbeutelchen mit rund 20 unscheinbaren Kieselsteinen in unterschiedlichen Größen. Der größte Stein hatte einen Durchmesser von einem halben Zentimeter, die anderen waren etwas kleiner bis winzig. John nahm den Beutel entgegen und steckte ihn achtlos in seine Jackentasche. Inzwischen war sogar das Radio verstummt. Nun gab der Alte ihm den Zimmerschlüssel mit der Nummer 7. Er brachte John zur Tür und schloss hinter ihm ab. John lief eilig über den Parkplatz, den er überqueren musste, um sein Zimmer Nr. 7 zu erreichen. Es regnete immer noch stark. John schloss auf und war froh, dass er sich endlich ausruhen konnte. Das Zimmer war sauber und das Bett frisch bezogen. Auch das Zimmer war im sechziger Jahre Stil eingerichtet. Die hellen Schleiflackmöbel hatten die üblichen Gebrauchsspuren und statt einem modernen Lattenrost, waren unter der Matratze noch die typischen Sprungrahmen zu spüren, sobald man sich in das Bett legte. John nahm noch schnell eine heiße Dusche, legte sich hin und schlief sofort ein.

Lautes Vogelgezwitscher weckte ihn am Morgen. Im Halbschlaf nahm John wahr, dass er mit dem Kopf vornüber auf etwas Hartem lag. Er öffnete die Augen und sah, dass sein Kopf auf dem Lenkrad seines Wagens lag. Seine Hände hielten noch immer das Lenkrad umklammert. John hob verwundert seinen Kopf und kam langsam zu sich. Wieso war er in seinem Wagen? Er konnte sich genau daran erinnern, dass er im Motel übernachtet hatte. Er musste jetzt erst einmal eine Zigarette rauchen, um über alles nachzudenken. Als er nach dem Päckchen mit den Zigaretten in der rechten Jackentasche suchte, fühlte er einen kleinen, mit Steinen gefüllten Plastikbeutel in seiner Tasche. Er nahm den Beutel aus der Tasche und betrachtete die Steine. Sie hatten sich verändert, nicht in der Größe aber im Aussehen. Sie waren durchsichtig und strahlten in der Sonne wie Diamanten. John war nun merkwürdig zumute. Jetzt versuchte er, den Wagen zu starten. Er sprang sofort an und der Motor machte absolut normale Geräusche. Nun fuhr John die Straße in der Richtung entlang, in die er heute Nacht gegangen war. Er fuhr und fuhr aber es war kein Motel auf dieser Strecke zu finden. Etwa 20 Meilen weiter kam der nächste Ort. Für sein letztes Geld´tankte er und fuhr dann zurück nach Wantage. In Wantage angekommen, ließ er die Steine untersuchen. Es handelte sich um lupenreine Diamanten, die einen Wert von mehreren Hunderttausend Dollar hatten.


© dagmar scholz


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Beschreibung des Autors zu "Baileys Motel"

John Hopkins durchlebt gerade die größte Pechsträhne seines Lebens. Nun streikt auch noch sein Auto mitten in der Nacht in einer von Gott verlassenen Gegend.

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