Furchtbar war der Traum, den ich heute nacht hatte", sagte die Frau des Bergmannes, "ich bitte dich, Mann, geh heute nicht unter Tage!" "Du weißt, dass Träume Schäume sind”, lachte der Bergmann, "die Arbeit im Stollen darf nicht ruhen. Es wird schon nichts geschehen." Er nahm sein Werkzeug und ging hinaus in den dunstigen Morgen. Die Frau sah ihm lange beklommen nach und sie spürte eine unbestimmte Angst im Herzen.

Als der Bergmann an den Kohlehalden vorüberging, kam eine kleine Katze auf ihn zu und zupfte ihn leicht am Hosenbein."Geh nicht in den Schacht", sagte die Katze, "es wird dir heute etwas zustoßen, ich spüre es."

Der Bergmann lachte, beugte sich hinab und streichelte das Tierchen. "Du sprichst ja wie ein Sterndeuter, kleine Katze", sagte er und setzte seinen Weg unbekümmert fort.

Um zum Bergwerk zu gelangen, musste er einen Fluss überqueren. Als er die schmale Brücke betreten wollte, streckte ein Fisch den Kopf aus dem Wasser und rief: "Geh nicht hinunter, Bergmann, sonst wirst du nie wieder zurückkehren!"
Der Bergmann winkte dem Fisch fröhlich zu und sagte: "Unter Wasser scheint man ein wenig pessimistisch zu werden. Mach dir keine Sorgen, Fischlein, ich komme heute abend zurück."

Mit festen Schritten ging er auf den Eingang der Grube zu. Da berührte eine Weide, die am Wegesrand stand, ihn sacht mit einem ihrer Zweige und flüsterte: "Geh schnell wieder heim, Bergmann. Die Grube will dich für immer!" Der Bergmann aber streifte den Zweig von seiner Schulter und ging pfeifend weiter. Er glaubte nicht an Vorahnungen.

Frohen Mutes fuhr er mit den Kameraden in den Schacht ein, man sprach von den reichen Erzlagern, die man entdeckt hatte, und freute sich des Reichtums, den man zutage fördern wollte. Unten angelangt, verabschiedete sich der Bergmann von seinen Freunden, denn sein Arbeitsplatz lag in einem anderen weiter entfernten Stollen.

Als seine Kameraden gegangen waren, schritt er in die Dunkelheit hinein. Auf dem Weg vor ihm zitterte der Lichtkegel der Grubenlampe, deren Schein jedoch aus unerklärlichen Gründen schwächer und schwächer wurde. Schließlich gab die Lampe fast kein Licht mehr, deshalb setzte sich der Bergmann auf einen großen Steinbrocken, um sich auszuruhen und seine Lampe wieder instand zu setzen.
Plötzlich trat ein kleiner Zwerg in gelben Hosen und grünem Wams vor ihn hin, verbeugte sich artig und sagte, indem er seine Zipfelmütze lüftete: "Folge mir, Bergmann, ich zeige dir Dinge, die du noch nie gesehen hast."

Der Bergmann rieb sich die Augen, denn er hielt das alles für einen Traum.
"Zögere nicht, ich werde dich zum glücklichsten Menschen machen, denn was du erleben wirst, hat noch keiner erlebt."

Dem Bergmann war jede Angst fremd und so entschloss er sich mitzugehen. Zwar glaubte er dem Zwerg nicht, doch die Neugier war stärker und brachte ihn schließlich dazu, dem kleinen Wicht zu folgen.

Das Männchen ging voran, und sie kamen zu einer hohen Felswand. Es hob den Arm und murmelte ein unverständliches Wort, da riss die Felswand mitten auseinander, und es tat sich ein breiter Spalt auf, durch den beide hindurchschritten.

Sie kamen in einen großen Saal, an dessen Wänden glitzernde Silberadern dahinliefen. Überall auf dem Boden wuchsen Krokusse und die Äste der Bäume senkten sich unter der Last ihrer Blüten.

"Dies ist das Reich des Frühlings, hier herrscht die Unschuld", sagte der Zwerg. Als er mit der Hand winkte, kamen Scharen fröhlicher Kinder herbeigelaufen.
Heimlich berührte der Zwerg den Bergmann mit einem Zauberstab. Da verwandelte sich dessen Sinn, er begann kindlich zu denken und zu handeln und sah die Dinge mit einem Mal so, wie die Kinder sie sehen. Fremd wurde ihm das Arbeitsgerät, das er noch immer bei sich trug. Er warf es von sich und begann mit den Kindern zwischen den Blüten zu spielen. Von neuem begriff er die Schönheit der Kinderlieder und Tänze, die er seit vielen Jahren vergessen hatte. Die Sorgen, die das Erwachsensein mit sich bringt, fielen von ihm ab, und er wurde nicht müde, sich immer neue Spiele auszudenken.

An einem Tage während eines fröhlichen Reigens trat ein kleines Mädchen mit dunklen Augen vor ihn hin und hielt lachend einen Zweig mit Kirschblüten empor.
"Schade, bald werden die Blüten welken und eine Frucht wird heranwachsen. Die ist dann nicht mehr so schön aber dafür überaus nützlich!" rief der Bergmann. Da ertönte ein Donnergrollen, und der Zwerg stand vor ihm.

"Deine Zeit im Reich der Unschuld ist abgelaufen", sagte der Zwerg, "du bist nicht mehr unbefangen wie es die Kinder sind, sondern sagst Dinge, die aus dem Verstande kommen. Folge mir!"

Traurig begleitete der Bergmann dem Zwerg auf seinem Weg in den Berg. Sie gingen eine Weile und kamen an einen riesigen Felsblock, wo der Zwerg den Arm hob und ein Zauberwort murmelte. Da verschwand der Block vor ihren Augen, und sie kamen in einen noch größeren Saal, als es der erste gewesen war. Golden blinkten Erzlager an Decken und Wänden, und überall wuchsen herrliche Rosen.
"Dies ist das Reich der Rosen", sagte der Zwerg feierlich, "hier herrscht die Liebe." Er berührte den Bergmann wieder mit dem Zauberstab und verwandelte dessen Sinn. Augenblicklich hatte er die Kinderlieder und die unschuldigen Tänze vergessen. Als er zarte Bergfeen erblickte, die von allen Seiten herbeieilten und ihm die herrlichsten Früchte darboten, wußte er, dass das Reich der Liebe noch schöner sein würde als das Reich der unschuldigen Kinder.

Plötzlich tat sich eine Felstür auf, und die Königin der Bergfeen wurde auf einer Sänfte hereingetragen. Der Bergmann sah sie an, sein Herz begann zu beben, und in seinen Adern hämmerte das Blut.

Die Feenkönigin war noch um vieles herrlicher als ihre Dienerinnen. Ihre Gestalt, ihr Lächeln und jede ihrer Bewegungen waren Anmut und Verlockung zugleich. Er taumelte zu ihren Füßen und konnte es kaum fassen, wie schön sie war. Sie raunte ihm zu: "Komm mit mir, du sollst mein Geliebter sein."

Der Bergmann folgte ihr wie von Sinnen, und sie führte ihn in ihre Gemächer. Hier standen die Rosen so dicht, dass man auf ihnen gehen konnte, ohne auch nur ein einziges Blütenblättlein zu zerdrücken. Und dieser Rosenteppich war weicher als der weichste Samt und strömte einen betäubenden Duft aus.

"Nimm mich in die Arme!" bat die Feenkönigin. Der Bergmann schloss wie im Traum seine Arme um sie und küsste sie. Von dieser Stunde an waren sie ständig beisammen. Nachts schmiegte die Feenkönigin ihren schmalen Körper in die starken Arme des Bergmannes, und ihr Leib war leicht und biegsam wie eine Feder.
Eines Tages brachte sie ihm lächelnd eine schwarze Rose. "Sieh", sagte sie, "diese Rose ist unsere Liebe. Sie ist so rot, dass sie aussieht, als sei sie schwarz."
Der Bergmann lächelte vielsagend: "Auch in der reinsten Blume ist der Schatten der Sünde verborgen, vielleicht ist dies das Schwarze, das du siehst. Vielleicht kündigt sich in der Farbe dieser Blüte aber auch schon die Verwesung an, denn alles, auch das Schöne ist vergänglich."

Da scholl ein Donner durch die Felsgrotten und der Zwerg erschien vor dem Bergmann. "Deine Zeit im Reich der Rosen ist um", sagte er streng, "wirkliche Liebe wertet nicht. Wer Liebe mit reinem Herzen schenkt und empfängt, der kann auch nicht über ihre Endlichkeit nachdenken."

Da halfen dem Bergmann keine Tränen, und traurig folgte er dem Zwerg. Als er sich umwandte und zurückblickte, sah er wie die Feenkönigin ihren Blick senkte und weinte. Ihre Tränen fielen auf die Blätter der schwarzen Rose und glitzerten dort wie Diamanten.

Nachdem der Zwerg auch diesmal dem traurigen Bergmann mit einer kleinen Berührung seines Zauberstabes die Erinnerung an das Reich der Rosen und der Liebe genommen hatte, führte er ihn in eine große Tropfsteinhöhle. Er hob den Arm, da bogen sich die Gesteinssäulen auseinander wie Schilfhalme. Nun kamen sie in einen zweiten Saal, der alle bisherigen an Größe und Herrlichkeit übertraf. Er war strahlend hell erleuchtet, obwohl er doch tief im Berg lag. Denn in allen, auch den kleinsten Spalten des Gesteins waren Prismen und geschliffene Linsen aus Bergkristall eingelassen, die das spärliche Licht der Außenwelt in den Berg leiteten, es bündelten und schließlich auf einen steinernen Tron inmitten des Saales leiteten. Auf diesem jedoch saß ein Mann, der den Ellenbogen aufs Knie gestützt und das Kinn in die Hand gelegt hatte. Man konnte von diesem Mann, der dort in angestrengter Denkerpose saß, aber nur eine Silhouette sehen, denn der strahlende Lichtkranz, der ihn umgab, machte es dem Auge unmöglich, Einzelheiten zu erkennen.

„Dies ist das Reich der Weisheit“, sagte der Zwerg und verschwand als hätten die Felswände ihn verschluckt.

Der Bergmann stand mitten in dem strahlend hellen Saal, als plötzlich eine laute, tiefe Stimme ertönte, die – so schien es ihm – von dem sitzenden Mann herkam.
„Ich werde dir ein Rätsel vorlegen, das du lösen musst, wenn du hier in diesem Saale der Weisheit teilhaftig werden willst“, kam es von der Silhouette her, „du musst es gleich lösen, hier und jetzt“.

Der Bergmann schwieg.

„Und dies ist das Rätsel …“, dröhnte die Stimme. Plötzlich verdunkelte sich der Saal und es formte sich ein Bild, das plastisch inmitten des Raumes stand. Aus wildem, brodelndem Chaos ragten zwei riesenhafte Steinbrocken, und der Bergmann erkannte an der Stellung der Sterne, dass diese Szene nicht in unserer Welt spielte.

„Du denkst richtig“, lachte die dröhnende Stimme, die jetzt von überall zu kommen schien, „was du siehst, ist nicht unsere Welt, es ist das Universum der Götter“.
Der Bergmann sah jetzt, dass auf jedem dieser gigantischen Steine ein Gott sass. Und als er genau hinhörte, nahm er wahr, dass sie miteinander sprachen. Ihre Stimmen waren weich und liebevoll, obwohl sie augenscheinlich erregt miteinander diskutierten. In ihrem Streitgespräch ging es um nichts geringeres als die Schöpfung, denn der Bergmann hörte den ersten Gott sprechen:

„Du willst wissen, wie mein Universum aussieht? Nun, ich werde die Erde schaffen mit allen Meeren, Kontinenten und Tieren. Die Winde und die Wolken werde ich formen und zu den Tieren schließlich den Menschen, die Krone der Schöpfung. Auch die Sterne des Himmels, den Mond und die Sonne werde ich schaffen, damit der Mensch auch nachts seinen Weg findet und nicht in unbarmherziger Kälte erfriert. Dann werde ich mich ständig um diese Schöpfung kümmern, ich werde den Raubtieren den Befehl geben, ihre Beute zu schlagen und den Pflanzenfressern, die Blätter von den Bäumen zu reißen. Den Bäumen aber, wenn zuviel an ihnen genagt wird, werde ich die Möglichkeit schenken, die Tiere, die sie bedrohen, mit Gift abzuschrecken, welches ich in ihrem Saft entstehen lasse. Den Menschen werde ich mit einem Gehirn ausstatten, das ihm Bewußtsein gibt und ihm so große Geisteskräfte verleiht, dass er die Bahnen der Sterne erkennen und berechnen kann. Ich werde im Fähigkeiten schenken, die ihn über jede andere Kreatur erheben. Er wird Kathedralen bauen, Symphonien komponieren und Dichtwerke schreiben können, die jeden rühren und erheben, der sie erblickt oder anhört. Alles dieses werde ich tun von jetzt bis in alle Ewigkeit und niemals werde ich aufhören, meine Hand schützend oder strafend über diese Welt zu halten“.

„Nicht schlecht, nicht schlecht“, antwortete ihm der zweite Gott, der auf dem anderen Gesteinsbrocken saß, „ich werden nichts davon tun“.

„Und das soll deine Schöpfung sein?“, fragte lachend der erste Gott.
„Ich werde eine Explosion erzeugen, die am Anfang aller Dinge steht“.
„Und ein solcher Knall soll eine gewaltigere Schöpfung sein als das, was ich erzeugen werde?“

„Meine Explosion ist nichts geringeres als ein Urereignis, das alle Möglichkeiten enthält, die je von irgendeinem Gott gedacht werden können. Selbst ich weiß nicht, was sich aus dieser Explosion entwickeln wird. Ich werde die Schöpfung, die aus ihr entsteht, auch nicht begleiten, geschweige denn, in sie eingreifen. Vielleicht entstehen auch in meiner Welt Menschen, die komponieren, dichten und Bauwerke errichten, vielleicht sind sie aber auch böse und töten sich, möglicherweise zerstören sie sogar den Planeten, der ihre Heimat ist. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass meine Schöpfung eine vollkommene Explosion sein wird, in der alle Möglichkeiten wie in einer Knospe verborgen sind, sich entfalten und zusammenspielen in einem grandiosen Tanz der Entwicklung. Ich weiß, dass in dieser Entwicklung auch eine Intelligenz enstehen wird, die meine Schöpfung letztlich in die richtige Richtung lenken wird. In welche? Das weiß ich nicht, denn meine Schöpfung ist größer als ich. Größer als ein Gott“.

Plötzlich blitzte es und gleißendes Licht erfüllt wieder den Saal.
„Nun Bergmann, dies ist das Rätsel: Welcher der beiden Götter hat nun unsere Welt geschaffen, der Gott, der sie liebevoll in allen Einzelheiten plant und formt, der sie begleitet und schützt, oder der schwachen Gott, der es einmal krachen läßt und sich um den Fortbestand seines Werkes nicht kümmert, ja, der so klein ist, dass er sein eigenes Werk nicht begreift?“

„Wende dich dem ersten Gott zu“, stammelte der Bergmann, „denn er ist ein Vater, er handelt wie ein Vater“.

Da erlosch mit einem Schlag das strahlende Licht in dem Saal, und aus der Dämmerung kam der Zwerg auf den Bergmann zu. „Du hast wiederum versagt“, rief er, „ein Gott, der in der Lage ist, Größeres zu schaffen als sich selbst, ist der gewaltigste aller Götter. Und seine Schöpfung ist das größte von allen Dingen, obwohl sie von einem Schöpfer geschaffen wurde, der kleiner ist als sie – und zugleich größer. Denke über diesen Satz nicht nach, du wirst ihn ohnehin niemals verstehen. Auch erinnern wirst du dich nicht“. Und er berührte den Bergmann mit seinem Stab an der Schulter, so dass dieser augenblicklich den Saal mit dem Mann, der im gleißenden Licht der Weisheit saß, vergessen hatte.

Wieder forderte der Zwerg den Bergmann auf, ihm zu folgen. Und jetzt kamen sie in eine Höhle, deren Wände aus grauem Granit bestanden und in der brennende Mohnblüten wuchsen.

"Dies ist das Reich des Mohnes", sagte der Zwerg, "hier herrscht das Vergessen." Der Bergmann sah sich um, und langsam legten sich wohltuende Schleier über seine Gedanken, und er versank in wundersame Träume.

Er träumte, er schwebe über einer Insel, die mitten im Meer lag. Leicht und lautlos bewegten sich die Wipfel der Bäume, und wenn er im Sturzflug hinabtauchte durch das schon herbstliche, herb duftende Laub, streifte es so sacht seine Wangen, dass ihn tiefe Ruhe überkam. Weit dehnte sich das Meer, heller an den seichten Stellen und dunkelgraugrün über den Tiefen, doch das Wasser war ohne Fische und der weite Himmel über dem Meer ohne Vögel.

Er träumte auch, er ginge durch einen Glaspalast. In den dicken Glaswänden sah man braune und gelbe Blätter. Als seien sie im Fall erstarrt, standen sie bewegungslos in ihrem durchsichtigen Sarg, und zwischen den Blättern verharrten reglos Vögel und Bienen. Zugleich aber meinte er ein Paar dunkle Augen zu sehen und einen halbgeöffneten Mund, der einen nicht enden wollenden hellen Schrei ausstieß. Der Schrei aber tönte fort und fort und zerriss ihm die Seele.

Er träumte, er schritte über ein Mohnfeld, aus dem die Blüten wie rote Feuer hervorleuchteten. Blau und violett zitterte die Luft über dem Feld, und dünn sang die Sonne ihr weißes Lied. Plötzlich sah er, dass sich inmitten der flammendroten Mohnblüten langsam wie ein fremdartiges Tier eine gekrümmte, schwarze Hand erhob, die ihm winkte.

"Das ist der Tod", sagte er schaudernd zu sich.

Da begann ein Donnern in dem weiten Felde, so dass er hochfuhr aus seinem Schlafe.

Vor ihm stand der Zwerg und sagte: "Deine Zeit im Reich des Mohns ist abgelaufen. Den Tod gibt es im Reich der Menschen, aber nicht hier. Der Tod kommt erst dann, wenn dieser Glaspalast zerfallen ist und die im Fluge erstarrten Blätter freigibt, damit sie weiterfallen können. Komm mit mir!"

Wankend und schlaftrunken folgte der Bergmann dem Zwerg. Sie gingen zurück, und noch einmal kamen sie durch das Reich der Weisheit. Noch immer saß der denkende Mann als stumme Silhouette im Licht des Saales. Er hob den Arm und machte dem Bergmann ein Zeichen, dass er weitergehen solle. Dann kamen sie in das Reich der Liebe. Stumm traten die Feen zurück und die Feenkönigin wandte ihre Blicke von ihm ab. Weiter schritt der Bergmann mit dem Zwerg, der ihn führte, durch das Reich des Frühlings. Weinend liefen die Kinder vor dem Bergmann davon, obgleich dieser ihnen freundlich zulächelte.



Plötzlich blendete ihn Tageslicht. Als er sich umsah, war der Zwerg fort, und er stand allein auf dem Marktplatz seiner Vaterstadt. Der Himmel war klar und der Boden von Schnee bedeckt, dessen greller, weißer Widerschein seinen Augen wehtat.

Der Bergmann blickte sich um. Er erkannte die Häuser seiner Stadt, aber manche glichen nur noch entfernt seiner Erinnerung.

Eine Gruppe von Menschen kam über den Platz, dampfend erhob sich der Atem über ihren Mündern. Doch sie gingen grußlos an dem Bergmann vorüber, der mit Erschrecken bemerkte, dass er keinen von ihnen kannte.

Ohne sich aufzuhalten, lief er zu seinem Haus. Er klopfte ungeduldig so lange, bis ein fremder Mann an die Türe kam und nach seinem Begehr fragte.
"Dies ist mein Haus", sagte der Bergmann, "wo sind meine Kinder und meine Frau?"

Der Fremde sah ihn verständnislos an. "Das ist das Haus meines Vaters", sagte er, "der hat es geerbt von meinem Großvater und der von meinem Urgroßvater. Und dessen Vater hat es, so erzählte man mir als Kind, gekauft von einer Frau, die den Verstand verloren hatte."

Da erzählte ihm der Bergmann seine Geschichte. Und als er Jahr und Tag erwähnte, an dem er in die Grube eingefahren war, wurde der Fremde aschfahl und rief: "Mein Gott, das war vor dreihundert Jahren!" Und er schlug die Türe zu und verriegelte sie hastig von innen.

Der Bergmann aber verließ wortlos die Stadt, und niemand hat ihn je wiedergesehen.




© Peter Heinrichs


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