Dröhnend tauchte das fremdartige Raumschiff in die Erdatmosphäre ein. Der Kommandant hielt ein Fernglas in seinen Tentakeln und hielt Ausschau nach einem geeigneten Landeplatz. Das Schiff befand sich über Europa, das in den Holotheken seines Heimatplaneten, wo das gesammelte Wissen seiner Artgenossen in Form von Hologrammen gespeichert war, als Hort und Zentrum der Erdkultur dargestellt wurde.

In Hologrammen aus früheren Zeiten kam diese Auszeichnung für lange Zeit China zu, aber der Kommandant stufte Europa dennoch als geeigneten Landeplatz ein, zumal der Treibstoff bis China knapp werden und nach seinen Berechnungen für diesen Besuch nicht reichen würde.

Er gab also dem Navigator den Befehl, sich auf die Landung einzustellen. Seine Befehle in der gutturalen Sprache seines Heimatplaneten wurde leiser, denn alle Befehle wurden dort desto leiser gegeben, je drängender sie waren. Allgemeine Dialoge oder gar Smalltalk wurden geschrieen, besonders wichtige Anordnungen fast nur noch gehaucht.

Der Navigator schaltete die Bremsraketen ein und fuhr die Federbeine des Raumschiffes aus. Und schon wenige Minuten später setzte es sanft auf dem Boden des Zielplaneten Erde auf.

Man öffnete die Schleusen und die ersten Crew-Mitglieder, die durch die Außenluke blickten, prallten zurück. Sie blickten fassungslos auf ein Trümmerfeld, ein Chaos der Zerstörung. Aus dem All hatte dieser Planet wie ein blauer Edelstein ausgesehen, doch jetzt bot sich ihnen ein Bild des Grauens.

Trümmer zerfallener Gebäude, zwischen den Trümmern ausgebleichte Knochen. kleine und große halb zerbrochene Schädelknochen, Schlüsselbeine und Schulterblätter. Die Forschungsmannschaft, die von dem fernen Planeten zur Erde aufgebrochen war, wusste nicht, dass Europa von drei Atomkriegen und – als sollte dieser Kontinent vom Himmel dafür bestraft werden – auch noch von einem Asteroiden verwüstet worden war, der – wie ihre Computer berechneten – wohl die Größe eines Bergmassivs gehabt hatte. Das letzte Ereignis hatten die Wissenschaftler auf ihrem Heimatplaneten zwar wahrgenommen, dem minimalen Ausschlag auf ihren Messinstrumenten jedoch keine ernsthafte Bedeutung zugemessen.

Die Mitglieder der siebenköpfigen Crew legten ihre Helme an, die sie vor dem aggressiven Sauerstoff der Erdatmosphäre schützten, und stiegen auf den Boden hinab; vorsichtig tasteten die fremdartigen Wesen den Boden mit ihren Tentakeln ab und stellten eine stark radioaktive Strahlung fest, die sie jedoch nicht weiter beunruhigte. Im Gegenteil, eine gewisse Menge Strahlung machte diese Wesen munter und gab ihnen zusätzliche positive Energie.

Sie begaben sich auf die Suche nach Resten der untergegangenen Kultur, die hier vielleicht noch unter den Trümmern zu finden waren. Sie fanden keine, allerdings entdeckten sie hinter Buschwerk an einem Berghang den Eingang zu einer Höhle, die weit in den Berg hineinführte. Hier waren zahlreiche Gegenstände eilig zu Haufen hingeworfen worden. Offenbar hatten die Erdbewohner versucht, in höchster Eile viele schnell greifbaren Gegenstände vor der Zerstörung in Sicherheit zu bringen. Die Fremden Wesen stießen, als sie die Höhle durchsuchten, auf zerstreut umherliegende bedruckte Seiten, die sie durch ihre Scanner laufen ließen. Jeder von ihnen trug einen Quantencomputer von der Größe einer Streichholzschachtel bei sich, dessen künstliche Intelligenz den Inhalt dieser Seiten zügig entschlüsselte. Hier hatten sie offensichtlich die Überreste einer Bibliothek gefunden. Nach den Ergebnissen, die ihre Computer ausspuckten, war es die Bibliothek eines Institutes für Maschinenbau.

Der Kommandant lächelt abschätzig, denn der Stand der technischen Entwicklung, den diese Buchseiten offenbarten, ließ Rückschlüsse auf die Intelligenz der Menschen zu, die hier täglich aus und eingegangen waren. Er entsprach in etwa dem der Schlachttiere auf ihrem Heimatplaneten. Wie der Kommandant verknoteten auch die anderen Mitglieder der Besatzung zwei ihrer zahlreichen Tentakel, was für diese Wesen einem abschätzigen Grinsen entsprach.

Die Gruppe bewegte sich langsam weiter durch Höhle; aus ein paar bleichen Knochen, die sie aufhoben und vor ihre Scanner hielten, konnten sie
auf die Größe der Erdlinge schließen, die hier einst gelebt hatten. Sie betrug in Erdmaßen ca. 2 Meter. Riesig für die Fremdlinge, deren Größe lediglich etwa 30 Zentimeter betrug. Die Schwerkraft auf ihrem Heimatplaneten ließ keine größeren Körpermaße zu, deshalb galt Größe dort als Schwäche.

Im Hintergrund der Höhle fanden sie flache etwa handgroße Plastikstücke. Auf einem erkannten ihre Scanner noch verwaschen die Wörter „iPho...“, auf anderen „Sam...ng“ und „H...wei“. Der Kommandant äußerte die Vermutung, dass diese Teile vielleicht der Kommunikation gedient hatten, denn sie glichen Fernsprechgeräten, die in längst vergangenen Zeiten auch auf ihrem Heimatplaneten zur Kommunikation genutzt wurden, heute aber als steinzeitlich galten. Da die Plastikstücke, die sie hier fanden, keinerlei Reaktionen zeigten, wenn man auf ihre paar Knöpfe drückte, vermuteten die Fremden schließlich, dass sie wohl eher als funktionslose Wurfgeschosse in kriegerischen Auseinandersetzungen gedient hatten. Dafür sprach, dass manche der umherliegenden Skelette ein solches Teil noch in den zusammengekrampften Knochenfingern hielten.

Plötzlich sahen sie in einer dunklen Ecke der Höhle etwas silbriges unter einem Trümmerberg. Es waren kleine runde Scheiben, die sie vor die Objektive ihrer Scanner hielten. Dieser tastete die Oberfläche ab und gab daraufhin einige Minuten lang Töne und Gesang von sich. Den Inhalt der Worte in dieser Musik, die in den Hörorganen der Fremden eher wie ein amorphes Geräusch klang, identifizierten ihre Computer als den Text: „....alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt“.

Ein Flügel! Offensichtlich hatte ein Racheengel mit dem Schlagen seiner Flügel hier strafend eingegriffen, weil die Menschen zu Brüdern geworden waren. Brüder bezeichnete also Erzfeinde und ein Bruder war jemand, der zur Eliminierung anderer Lebewesen bereit war. Achtlos warfen sie die silbernen Scheiben wieder fort und gingen weiter in die Höhle hinein, wo sich Menschen- und Tierknochen zu Haufen stapelten.

Sie kamen in einen Seitengang der Höhle, in dem teilweise zerfallende Bruchstücke von Sitzgelegenheiten lagen, die wohl einmal von noch nicht ausgewachsenen Erdlingen genutzt worden waren, denn ihre Computer errechneten aus der Größe der Bruchstücke die Körpermaße derer, die einst darauf gesessen hatten; sie betrug etwa einen Meter. Ein paar Papierfetzen lagen auch herum, auf denen mit ungeschickten Strichen Sterne und eine Sonne gemalt waren, auf anderen bunte Männchen mit kurzen Beinchen und großen Augen. Auf einem identifizierten ihre Computer den Satz „Anna is doof“. Dieser Text erschien den Besuchern wenig beachtenswert, sie schlossen aus diesem Satz lediglich, dass die Erdlinge bereits schon ihre noch nicht ausgewachsenen Exemplare zur Aggression erzogen hatten. Sie warfen den kindlichen Kram fort.

Doch schließlich fanden sie einen Fetzen, auf den eine etwas größere Menge Schriftzeichen gekritzelt waren. Der Kommandant steckte ihn in seine Bauchtasche, und als sie später die Höhle verlassen hatten und auf einem Trümmerberg sitzend zusahen, wie der Feuerball des Zentralgestirns, blutrot durch den Feinstaub in der Atmosphäre, am Erdhorizont versank, griff der Kommandant in seine Tasche, um ein Fernglas herauszuholen, Dabei fiel ihm der Zettel in die Hand, den er achtlos weggesteckt und schon fast vergessen hatte. Er hielt ihn vor die Linse seines Scanners. Der Computer benötigte diesmal etwas länger, den Inhalt der Krakeleien zu entziffern, denn es waren ja diesmal keine Druckbuchstaben, sondern ungeschickt hingeschmierte Lettern.

Und während ihre Computer minutenlang mit der Entzifferung der ungeschickten Zeichen beschäftigt waren, gingen ihre Blicke noch einmal entsetzt über das Feld der Zerstörung, das jetzt, nachdem die Sonne untergegangen war, rings in verstörendem Halbdunkel lag.

Abscheu erfasste sie vor dieser Welt, die ihnen vor wenigen Tagen noch als einladender blauer Edelstein erschienen war. Abscheu vor einem Planeten, auf dem offensichtlich nur Hass unter verfeindeten Brüdern, Vernichtung und Zerstörungswut geherrscht hatten.

Und dann gab der Computer schließlich auch den Inhalt der Worte preis, die von Kinderhand auf das Zettelchen geschmiert worden waren. Sie lauteten:

„Kom Herr Jesus, sei unsa Gast, und segne, was du uns beschered hasd“.




© Peter Heinrichs


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Beschreibung des Autors zu "Der Besuch"

Ein außerirdischer Besuch findet in den Überresten unserer Zivilation einen entlarvenden Zettel

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