Der alte Mann und das Biest

Der schwertschwingende Greis sieht sich einer Bestie gegenüber.
Hinter ihm das Dorf, das es zu retten gilt, vor ihm das Übel, das zu erschlagen nun seine Aufgabe ist.
Die Männer, die Soldaten, waren alle ausgeritten, um dem König beizuwohnen. Nun ist er, als letzte Bastion, dazu verdammt, das Untier zu besiegen.
Wer überhaupt hegt eine Hoffnung für den alten Mann, die Pflicht wirklich zu erfüllen? Am Dorfrand warten bereits die Frauen und Kinder mit Mistgabeln und Knüppeln in reiner Verzweiflung. Kein Einziger besitzt den Glauben, der Alte könne das Übel besiegen. Zu viele Jahre sind vergangen, seit der alte Schwertkämpfer sich das letzte Mal auf dem Schlachtfeld beweisen musste. Träge ist er geworden und faul. Einen Bauch hat er bekommen und die Finger begannen zu zittern. Der Ruhm ist verflossen und die Euphorie ist schon lange aus den Augen des Kämpfers gewichen. Geblieben von den vergangenen Zeiten ist nur die Trunksucht und der Jähzorn.
Und doch steht er hier und jetzt noch einmal da. Als letzte Bastion. Als einsamer Krieger tritt er dem Unheil entgegen.
Nicht einmal er selber besitzt viel Hoffnung. Sein Rücken verkrümmt von der Last der Jahre und seiner Taten, beugt er sich weiter unter den Druck der wartenden Masse hinter ihm. Eine gar klägliche Gestalt gab er ab. Nichts weiter als ein alter Mann, von der Natur gebrochen. Das Biest vor ihm schnauft und rumort voller Kraft und Protz und Hinterlist. Er selbst kann kaum den Kopf oben halten, geschweige denn seine Waffe heben.
Dennoch...
Er muss an die Funken denken, die immer in den Augen der Jüngeren aufblitzen, wenn er von vergangenen Abenteuern erzählt. Von ihren begeisterten Gesichtern und den kleinen Händen, die sie mitfiebernd gegeneinander pressen, während sie an seinen Lippen hängen.
Wie sie hinterher ganz aufgeregt schwatzend aus seiner Hütte stürmen. Oh, wie sehr hat er solche Momente genossen. Wenn er wieder träumen durfte in den eigenen, allmählich verblassenden Erinnerungen. Die Orte, die er gesehen, die Menschen, die er getroffen und die Freunde, die er gewonnen und verloren hatte. Oh, all die wunderschönen Bilder, die sich jedes Mal erneut vor seinem Auge auftaten und von denen er mit wiedergewonnenem Elan in der Stimme posaunte.
Ist es wirklich zu spät? Ist denn der Tod schon vorausgesagt oder doch noch abänderbar?
Einmal, denkt er sich, einmal kann ich das Unmögliche noch versuchen.
So rückt er sich zurecht.
Verrenkt das brüchige Kreuz nach oben, dass die Knochen laut aufstöhnen und knacken. Er streckt die gichtgeplagten Finger aus und greift sein Schwert, das altehrwürdige, das ihm schon so lange treu zur Seite steht.
Eine Frühlingsbrise weht über den Acker, bringt seinen Mantel und das krause weiße Barthaar zum flattern.
Malerisch steht er da, sein Blick wie früher, gestochen scharf. Abgeworfen ist die Last des Alters, er sieht jünger aus, kräftiger, aber wahrscheinlich ist es nur das Mittagslicht, dass sich auf seinem kahlen Schädel fängt.
Manch einer kommt nicht umhin, sich das jüngere Ebenbild des Alten vorzustellen. Ganz aufgerichtet erkennt man wieder die hünenhafte Statur, die ihm einst schon zum imposanten Mannsbild werden lies.
Fast befürchtet er, alles verlernt zu haben, doch seine Muskeln haben nichts vergessen. Jahrelanges Training lässt den Arm automatisch in die richtige Position rücken. Die Hand hört auf, zu zittern. Sein ganzer Körper kommt zur Ruhe. Sein Geist wird klar, das erste mal seit langer Zeit. Das altbekannte, so vertraute und liebgewonnene Gefühl ist zurück.
Die Bestie hat zu grölen aufgehört. Es spürt die Veränderung. Das leises Knistern in der Luft. Die Anspannung. Das Gefühl von Adrenalin, das plötzlich durch die Ader rauscht. Ein Feind ist auf das Schlachtfeld getreten. Jemand mit fester Überzeugung. Mit Idealen. Mit einem Ziel.
Das Monster wird unruhig. Vorsichtig beginnt es, vorzutreten. Scharrt mit den Klauen über den Boden. Fletscht die Zähne. Ohne weitere Warnung stürzt es nach vorne. Staubwolken wirbeln zu beiden Seiten der Hufe empor.
Der Greis grinst ein zahnloses Lächeln. Das Schwert zuckt nach oben. Beide treffen aufeinander.
Schwerthieb um Schwerthieb saust herab und dringt durch Muskelgewebe und Fleisch. Klauen zerreißen die dünne, ledrige Haut und ziehen lange blutige Fetzen. Die Erde wird blutgetränkt.
Die Vögel haben aufgehört, zu pfeifen, denn selbst sie sind von diesem Schauspiel in den Bahn gezogen. Die ganze Welt scheint den beiden ungleichen Monstern zuzusehen, die gegenseitig aufeinander einhacken. Beide geben sich nichts, haben sie doch realisiert, dass keiner von ihnen mehr lebend von diesem Feld marschieren wird.
Der Alte aber schwächelt. Die gewonnenen Kräfte schwinden rapide. Das elendige Alter kehrt mit Wucht zurück.
Ihm knarzen die Knochen. Der Atem schwindet zusehends.
Das Biest grunzt euphorisch. Es sieht seine Chancen, nutzt eine Schwäche in der Deckung des Greises und rammt ihm den Hauer tief in den Brustkorb. Der Mantel reißt entzwei. Ächzend sackt der Alte nach vorne, greift nach dem Elfenbein, dass seine Lunge durchstoßen hat. Urplötzlich fehlt ihm die Luft. Verzweifelt ringt er nach Atem, versucht, sich wegzuziehen, doch die Kraft reicht nicht mehr.
Vor seinem Auge ziehen die Gestalten der Vergangenheit vorüber. Das Leben, das er einst geführt hat. Das Leben, das er jetzt führt. Die Menschen, die es noch zu retten gilt.
Mit einem letzten finalen Aufkeuchen hebt er das Schwert in die Höhe, reckt noch einmal den Glanz und die Pracht der alten Zeit nach oben, um die Klinge anschließend mit gewaltigem Schwung nach unten zu rammen. Mit einem Krächzen und einem endgültig letzten Aufschrei fährt das Metall durch Knochen und Schädel, bleibt auf der Hälfte stecken, bricht schließlich.
Der Biest und der Greis fallen gleichzeitig. Sie sacken aufeinander, der eine umklammert mit der Hand noch immer das Heft des Schwertes.

Die Menge, sie schweigt. Betrachtet lautlos den siegreichen Toten. Geht langsam auf ihn zu.
Dankbarkeit ist in jedem Gesicht zu erkennen, doch niemand ist zum Jubeln zumute.
Denn an diesem Tag, obwohl doch der Kampf gewonnen und die Bestie erschlagen, hat man einen Helden verloren.

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Beschreibung des Autors zu "Der alte Mann und das Biest"

Ein alter Ritter steht einem bedrohlichen Übel entgegen.

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