Er kam mir bekannt vor, ebenso wie die Pyramide mit den Gravierungen. In meiner Kindheit bin ich öfters hier gewesen. Das Kinderheim in dem ich aufgewachsen bin, hatte öfters Ausflüge gemacht, bei denen wir die Fortiaris verlassen hatte, um zu sehen, wie es außerhalb aussah. Während unserer Reisen haben wir auf diesem Platz Rast gemacht. Doch dies war nicht das einzige, was mich mit diesem Platz verband und da dämmerte es mir. In meinem Kopf hallte Phils Stimme nach: „Mit 8 fiel sie der GN5 auf…“

Es passierte eines Ausflugs. Wir hatten den Wetter-Park besucht und hatten uns die Entstehungsgeschichte von den Kontinenten angehört. Ich war gerade erst 8 geworden. Mit einigen der anderen Kinder aus dem Heim spielte ich mit einer aufziehbaren Drohne. Immer und immer wieder ließen wir sie steigen, bis sie plötzlich auf dem Dach eines der Gebäude um uns herum landete. Der Junge, der die Drohne zuletzt steigen ließ, fing fürchterlich an zu weinen, da es uns nicht gestattet war, Spielsachen zu verlieren oder unachtsam zu behandeln. Jede Missachtung der Regeln, bedeutete einen Verstoß gegen die Disziplin und muss bestraft werden. Immerhin war Unachtsamkeit der Grund, weshalb der Planet fast zerstört wurde.

Die Regeln der Gesellschaft wurden uns von klein auf an anerzogen und wir strebten stets diese zu befolgen, daher sah ich es als meine Pflicht, meinen Beitrag zu einem disziplinierten Lebensstil zu leisten. Bereits im Kindesalter verfügte ich über die Fähigkeit Dinge gut einzuschätzen und mit Präzision zu erledigen. Ich blickte zum oberen Rand des Gebäudes und schätzte die Distanz ein. Das Gebäude war nicht hoch. Die Herausforderung bestand jedoch darin, dass die Wände des Gebäudes eine sehr glatte Fläche hatten. Klettern war also ausgeschlossen. Ich lief zur anderen Seite des Platzes und sah mir den Weg zum Gebäude und dann die Mauer bishin zum Dach an. Mein Kopf analysierte und arbeitete an einem Plan, dann sprintete ich los.

Seit meiner Kindheit überraschte ich die Kinderpflegerinnen mit meinen sportlichen Leistungen und täglichem Fortschritt. Aber vor allem überraschte ich sie mit meinem unermüdlichen Ehrgeiz, das zu lernen und zu erreichen, was ich mir vorgenommen hatte oder uns aufgetragen war.

Kurz vor der Mauer machte ich einen Satz und lief die Mauer hoch. Mein Gewicht verlagerte ich dabei nach vorne, parallel zum Gebäude und winkelte die Knie an, wie jemand der in die Hocke ging.

Das erste Mal kam ich bis knapp über die Hälfte der Mauer, dann verlangsamte ich mich und mein Gewicht zog mich nach unten. Ich drückte mich von der Mauer weg und sprang ab.

Mein zweiter Versuch brachte mich bis unter das Dach. Nur wenige Zentimeter trennten mich von meinem Ziel und dennoch ärgerte ich mich über mich selber.

Beim dritten Mal nahm ich noch mehr Anlauf und lief noch schneller. Ich erklomm die Mauer in wenigen Sekunden und meine Hände klammerten sich an den Rand des Daches. Während ich dort hing und mein eigenes Gewicht auf meinen Händen lastete, versuchte ich alle meine Möglichkeiten zu überdenken. Ich wollte nicht loslassen. Dies würde bedeuten, dass ich aufgeben würde und das wollte ich auf keinen Fall, erst recht nicht, da ich so weit gekommen war und die anderen Kinder mich bei meinem Vorhaben erstaunt und bewundernd beobachteten. Meine Füße konnten keine Unebenheiten an der Mauer erkennen, sodass ich mich nicht hoch drücken konnte. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich hoch zu ziehen, doch dafür hatte ich nicht die Kraft.

Ich versuchte dennoch Schwung zu nehmen und mich hochzuschaukeln, um ein Bein auf das Dach zu bekommen. Es wurde zunehmend schwerer, da meine Hände langsam verkrampften und schlapp wurden, da das Blut aus ihnen gewichen war. Trotz allem wollte ich nicht aufgeben und schwang mich mühevoll hin und her.

Meine Hände waren bereits wundgerieben vom Beton und meine Finger rutschten immer weiter von der Kante. Mein Herz schlug heftig gegen meine Brust und ich vergas vor lauter Anspannung zu atmen, da ich merkt, dass ich mich nicht länger halten konnte. Kurz bevor ich komplett abrutschte und meinem Ende entgegenfiel, griff eine grobe, warme Hand nach meinem Handgelenk und zog mich mit einem Mal rauf.

Auf eine Rettung war ich nicht vorbereitet und etwas in mir war beleidigt und im Stolz gekränkt, da ich es selbst geschafft hätte. Ich blickte hinauf zu der Person, die mir wieder Boden unter den Füßen bescherte und schaute in die Augen eines freundlich, jedoch auch einschüchternd wirkenden Mannes. Er war ganz in schwarz gekleidet und hatte ein Scharfschützengewehr in seiner Hand, welches er sich sofort hinter den Rücken schnallte.

„Siehe an, wen wir da haben.“, sagte er. „Eine sehr gewagte Entscheidung von dir, hier hochzukommen - und das für eine Spieldrohne. Wie hattest du gedacht, wieder runterzukommen?“

Erst jetzt fiel mir auf, dass ich mir keine Gedanken darüber gemacht hatte, wie ich wieder runter kam. Immerhin hätte es mich mein Leben kosten können, wäre ich einfach wieder runtergesprungen. Dennoch wollte ich es mir nicht anmerken lassen, dass mein Plan nicht ausgereift war.

„Das geht Sie überhaupt nichts an.“, erwiderte ich und setzte einen zornigen Blick auf.

Der Mann lachte. „Ok, lassen wir das so stehen. Wie heißt du denn?“, fragte er mich mit einem Lächeln auf den Lippen.

Ich hingegen ärgerte mich darüber, dass er über meine Reaktion gelacht hatte. Ich fühlte mich ausgelacht und das mochte ich gar nicht.

„Auch das geht Sie überhaupt nichts an, Sir. Gehen Sie ruhig Ihrer eigenen Aufgabe nach.“, sagte ich und nahm die Drohne. Der falsche Stolz, den ich empfand, spornte mich an einfach vom Dach zu springen und es meinem Retter zu zeigen. Ich setzte an, einen Schritt zum Abgrund zu machen, da packte er mich an der Schulter und riss mich zurück. „Vorsicht!“, rief er und ich sah etwas Besorgtes in seinem Blick.

„Ok, bevor du noch etwas Dummes tust, komm her!“, er nahm mich trotz meines Protestes auf den Arm und sprang vom Dach. Für einen kurzen Moment verstand ich nicht, was der Unterschied zwischen meiner halsbrecherischen Entscheidung vom Dach zu springen und seiner halsbrecherischen Entscheidung vom Dach zu springen war. Doch dann spannten sich an seinem Rücken zwei metallische Flügel auf und trugen uns über die Köpfe der staunenden Kinder hinweg.

Wir landeten sanft auf der anderen Seite des Platzes, wo ich meinen Anlauf startete und er setzte mich ab.

„Das hätte ich auch alleine geschafft!“, murmelte ich immer noch unzufrieden. Ich fühlte mich vor allen anderen blamiert, als hätte ich tatsächlich Hilfe nötig gehabt.

Der Fremde lachte wieder und sprach: „Na gut, junge Lady, da Sie mir Ihren Namen nicht verraten wollen, erlauben Sie es mir zumindest meinen Namen zu nennen. Ich bin Agent Pavel Tesco von der GN5.“

Mein Zorn und verletzter Stolz verflogen sich im Nu und ich hatte Schwierigkeiten mein Staunen zu verbergen. Ein echter Guard stand vor mir, ein Beschützer der Nation, ein Bote der Ordnung und Sicherheit. Schon immer habe ich mir am liebsten Geschichten angehört, wie die Guards of the Nation Tag für Tag für die Sicherheit der Menschen sorgten und die übrig gebliebene Zivilisation vor Katastrophen bewahrten, die in der Vergangenheit die Menschheit beinahe auslöschten.

„Hätten Sie zumindest Interesse daran, in Zukunft unserer Akademie beizutreten? Sie wären eine Bereicherung für uns und könnten Tag täglich solche selbstlose Taten vollbringen.“, fügte er hinzu.

Mein Herz überschlug sich und ich musste mehrmals nach Luft schnappen, um nicht zu ersticken. „Aber selbstverständlich.“, sagte ich immer noch sehr aufgewühlt.

Aus der Menge von Kindern, die sich um uns herum versammelt hatten ertönten Laute des Erstaunens wie „Ah“ und „Oh“. Ich hingegen beachtete sie gar nicht, sondern konnte es kaum fassen, was sich gerade ereignet hatte.

Damit war meine Zukunft bereits besiegelt. Zwei Jahre später trat ich mit dreißig anderen Gleichaltrigen meine Ausbildung zum Guard an und befand mich mit 16 unter den letzten fünf, die die Schulung beendeten.

Nun schritt ich maskiert über den Platz, der mich zu meiner derzeitigen Situation führte und versuchte meinen damaligen Mut und Ehrgeiz wiederzugewinnen. Die Beschuldigungen und die Jagd, die auf mich eröffnet wurde, hatten mir wirklich zugesetzt. Ich hoffte darauf antworten am Tatort zu finden und gleichzeitig war ich mir unsicher, ob es mir überhaupt weiterhelfen würde. Wer auch immer mir den Anschlag anhängen wollte, wollte selber nicht auffallen und hatte sicher seine Spuren sorgfältig beseitigt. Es wäre nur vorhersehbar, dass ich kaum etwas finden würde, was mir weiterhelfen würde.

Ich hatte den Platz bereits überquert und meine Erinnerungen hinter mich gelassen, als ich durch eine weitere Gasse lief und in einer Gegend ankam, in der ich bereits am Tag meines Auftrags gewesen war. Von hieraus kannte ich den Weg auch ohne Phils Hilfe.

Zielsicher bog ich rechts ab und folgte dem Weg, der den ich schon einmal eingeschlagen hatte. Ich erkannte das Gebäude sofort. Es war breiter als die anderen und hinter ihm konnte ich bereits die Fortiaris sehen. Vor dem Eingang standen zwei Guards und vermutlich befanden sich weitere im Gebäude. Ich konnte kein Risiko eingehen und lief in eine Seitenstraße, die sich unmittelbar neben dem Gebäude befand. Sie war menschenleer und dunkel und bot mir genug Tarnung, um unauffällig auf das Dach zu gelangen.

„Dann wollen wir mal die Nanobots testen.“, murmelte ich vor mich hin, während ich mich darauf konzentrierte mit meinen Gedanken die Ausbreitung der Flügel zu aktivieren. Das FlyingGadget öffnete sich und hob mich geräuschlos empor.


© Ronia Tading


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