Als ich wieder zu mir kam wurde und langsam die Augen öffnete, war der Scheinwerfer über mir aus und die Lampe, die Phil zuvor für die OP angezogen hat war weg. Es war eine angenehme Dämmerung um mich herum, die meine Augen nicht belastete.

Nur noch ein leichtes Ziehen erinnerte mich an die Kopfschmerzen. Ich spürte weiterhin das Kribbeln in meiner Stirn, doch nun war es nicht mehr unangenehm.

„Miss Mack?“, hörte ich Cainwis‘ Stimme direkt in meinem Kopf. Sie hallte nicht nach, wie sie es im Labor tat, als sie aus den Lautsprechern kam. Stattdessen hörte sie sich an, als wäre sie nur für mich gedacht. „Bitte, erschrecken Sie sich nicht. Sie haben die Operation gut überstanden und die Naniten sind dabei sich in ihrem Organismus zu integrieren. Ihr Gedächtnis wurde nicht beschädigt und die Technologie hat keinerlei Einfluss auf Ihre Gedanken! Machen Sie sich also deswegen keine Sorgen. Dass Sie mich nun in Ihrem Kopf hören und dafür nicht mehr Ihre Sinneswahrnehmungen benötigen ist auch Teil der Neuro-Tablet Funktion. Master Phil wird nun den Rest des Neuro-Tablets einschalten und einige Tests mit Ihnen durchgehen. Haben Sie einen Augenblick Geduld!“

Ich hörte wie auf der anderen Seite des Labors etwas knisterte. Als es sich anfing zu bewegen, erkannte ich, dass Phil wieder auf seinem geliebten Sessel saß, die Beine übereinander geschlagen auf den Tisch gelegt hatte und Chips aß, während er auf er Tastatur, die auf seinem Schoß lag, etwas tippte.

„Master Phil?“, gab ihm Cainwis Bescheid, „Miss Mack ist nun aufgewacht.“

„Japp, danke!“, sagte er. „Dann wollen wir mal.“, murmelte er vor sich hin, während er die Füße vom Tisch nahm und aufstand. Bevor er zu mir kam, nahm er noch einige Gegenstände, die ich nicht erkennen konnte aus dem Regal.

„Wach auf, wach auf, Prinzessin.“, hörte ich ihn sagen, dann trat ging das Licht an und ich sah, dass er am Lichtschalter stand und mich angrinste.

Das Licht bereitete meinen Augen ein unangenehmes Stechen und ich schloss sie für einen kurzen Moment. Automatisch hob ich eine Hand, um mich vor der Beleuchtung abzuschirmen, doch es half nichts. Mit leichtem Blinzeln versuchte ich mich an die hellen Scheinwerfer um mich herum zu gewöhnen. Ich kam mir vor, wie jemand, der gerade von einer GN5 Einheit verhaftet wurde.

Der junge Techniker stand nun neben mir und legte die Gegenstände, die er zuvor aus dem Regal herausgenommen hatte, auf die Behandlungseinheit.

„Soo, Agent Mack. Ich werde dann mal das Tablet starten und dann wollen wir hoffen, dass alles gut läuft.“, er zwinkerte mir zu und seine Mundwinkel zogen sich zu einem breiten, schelmischen Grinsen auseinander.

„Miss Mack, nehmen Sie Master Phil nicht ernst! Natürlich wird alles gut laufen. Der Master ist ein Profi in dem was er tut und ich habe bereits Ihren Körper auf Nebenwirkungen, Unverträglichkeiten und unerwartete Reaktionen untersucht. Ihr Körper scheint bestens mit den Nanorobotern klar zu kommen.“, ertönte es wieder in meinem Kopf.

Phil hatte in der Zeit ein Tablet genommen und berührte den Bildschirm an verschiedenen Stellen. Obwohl das Tablet komplett durchsichtig war, konnte ich nicht erkennen, was er da machte. Doch bald darauf umrandete ein blaues Leuchten mein Sichtfeld. Es war, als würde ich durch eine Brille sehen, dessen Rahmen aufleuchtete.

Auf einmal erschienen so etwas wie eine Zielscheibenmarkierung direkt vor meinen Augen. Während ich meinen Blick durch den Raum schweifte, konnte ich einzelne Gegenstände anvisieren und sah vor meinem inneren Auge Markierungen aufleuchten, die mir Informationen über diese Gegenstände gaben. In der GN5 hatte ich spezielle Brillen tragen müssen, die über solche Funktionen verfügten, nun brauchte ich diese nicht mehr. Sämtliche Funktionen waren nun in meinem Kopf mit meinem Gehirn verbunden.

„Gut. Diese Funktionen arbeiten einwandfrei. Mal sehen, wie es mit Nachtsicht aussieht.“, sagte Phil und berührte wieder das Tablet in seiner Hand. Das gesamte Licht wurde daraufhin ausgeschaltet und sogar die Bildschirme schienen in einen standby-Modus zu gehen. Wir befanden uns in der absoluten Dunkelheit.

Zuerst sah ich nichts, doch als ich einen dumpfen leisen Schlag vernahm, der durch Phil’s Finger auf dem Tablet hervorgerufen wurde sah ich auf einmal den gesamten Raum vor mir. Er war immer noch schwarz, doch nun leuchteten sämtliche Tische, Geräte und Gegenstände grün auf. Auch Phil konnte ich deutlich erkennen. Er schaute auf sein Tablet runter und ich fragte mich, wie er in der Dunkelheit etwas erkennen konnte. Doch dann bemerkte ich einen Aufsatz an seiner Brille. Eine weitere Linse war angebracht. Sie war nicht dunkel wie seine Brillengläser und ich nahm an, dass er damit in der Dunkelheit sehen konnte, wie ich.

„Prima! Sämtliche Funktionen die die optische Wahrnehmung betreffen funktionieren einwandfrei.“, sagt er schließlich und schaltete das Licht wieder an.

Im selben Moment in dem die Helligkeit in den Raum zurückkehrt verschwand der grüne Schimmer in der Umgebung und ich sah wieder alles in seiner gewohnten Farbe und ohne Markierungen.

„Die Funktionen kannst du mit deinen Gedanken steuern. Die jeweiligen Impulse aktivieren die Programme und arbeiten so, wie du es ihnen aufträgst.“, sagte Phil.

Ich betrachtete ungläubig das Genie, welches diese komplexe Technik erschaffen hatte.

„Nun kommen wir zu deinem Anzug.“, er reichte mir ein paar lange schwarze Handschuhe, die ich mir anzog. Sie lagen fast perfekt an meinem Arm und an meiner Hand an, als wären sie nur für mich geschaffen. Das Material fühle sich unglaublich weich an und war äußerst leicht. An die Handschuhe brachte Phil einige Erweiterungen an. Sie verliehen den Handschuhen etwas futuristisch-elegantes und ich war mir sicher, dass darin Waffen, Laser und andere Kampfausrüstung versteckt waren.

„Wenn ich die Funktion für die Bedienung der Gadgets in deinem Anzug freischalte, versuche dich zu fokussieren und deine Gedanken unter Kontrolle zu halten. Du kannst immerhin durch reine Telepathie die Waffen steuern. Schweifst du gedanklich ab, könnte es gefährlich werden.“, wurde mir von dem Macher des Anzugs erklärt.

„Bereit?“, fragte er mich.

„Bereit!“, sagte ich voller Überzeugung, ohne zu wissen, was auf mich zukommen würde. Phil betätigte einen unsichtbaren Knopf auf dem Tablet und sämtliche Gadgets an meinen Handschuhen wurden aktiviert.

„Woooou, ruhig!“, warnte mich der Entwickler dieser Technik.

Konzentrier dich, Mack, versuchte ich mich selbst zu beruhigen. Eine solch mächtige Waffe unter eigener Verantwortung mit seinen eigenen Gedanken zu kontrollieren ängstige mich ein wenig. Immerhin hatte ich so etwas noch nie vorher trainiert. Erst jetzt kam mir die Ausrüstung der GN5 wie lächerliches, veraltetes Spielzeug vor. Es war für mich unbegreiflich, weshalb ich zuvor noch nie davon gehört hatte.

Kaum, dass meine Gedanken kurz meiner Aufsicht entflohen ertönte ein zischendes Geräusch und am anderen Ende des Labors explodierte etwas.

„Achtung, Achtung!“, warte uns eine automatische Stimme. „Sie schweben in Lebensgefahr! Bewahren Sie Ruhe und verlassen Sie zügig die Räume! Die Explosion wird behoben! Achtung, Achtung….“

„Cainwis, schalte den Alarm aus und räum‘ hier auf!“, rief Phil gegen die laute Stimme der Alarmanlage an. „Siehst du?! Das meinte ich, fokussier dich und lasse keine Abschweifungen zu, ich versuche gerade das Programm zu kalibrieren, damit du nicht durch die Nebenaktivitäten deines Gehirns jedes Mal eine Waffe ab feuerst.“

Ich konzentriere mich, wie es mir aufgetragen wurde und versuchte meine Gedanken vollständig darauf auszurichten, die Waffen nicht zu verwenden. Währenddessen hatte der Lärm aufgehört und ein großer Roboterarm der von der Decke hing war dabei, den Schaden, den ich verursacht hatte zu beseitigen.

„Wo ist Jean?“, fragte ich und achtete darauf, dennoch die Waffen unter Kontrolle zu halten.
„Er… musste zur Zentrale.“, teilte mir Phil ganz nebensächlich mit, da er immer noch an der Kalibrierung arbeitete.
„Was? Vermisst du ihn etwa?“, scherzelte er und sein konzentriertes Gesicht entspannte sich wieder zu einem Grinsen. Da hatten wir wieder den Sarkasmus.

„Hat er einen Auftrag?“, fragte ich vorsichtig. Es wäre zumindest durchaus ein kluger Schachzug Jean auf mich anzusetzen.

„Das hat er mir nicht gesagt.“ Phil beendete seine Arbeit: „So, du kannst dich nun entspannen.“

Tatsächlich musste ich mehrmals mit den Augen blinzeln, um meine Gedanken zu lockern. Es war sehr anstrengende gewesen die Konzentration für mehrere Minuten auf einen einzigen Gedanken zu richten, ohne auch nur kurz abzuschweifen.

„Wann kann ich wieder…“ Ich setzte an, um mich darüber zu erkunden, ob die Naniten Nebenwirkungen haben könnten oder eventuell eine Einwirkzeit.

"Oh, die schwer beschäftigte Dame hat es aber eilig! Du darfst jetzt schon zu deiner überwichtigen Mission, aber du darfst für 48 Stunden keine aussehenverändernden Gadgets verwenden!" Der blanke Horror packte mich. Wie sollte ich meinen Fall lösen, wenn ich überall gesucht wurde? Es gab kaum noch Orte die nicht von Drohnen oder Kameras eingefangen wurden! Es war nahezu unmöglich nicht erwischt zu werden. Dazu kommen noch versteckte oder offene Scans, die einen identifizieren konnten und nun patroullierten GN5 Einheiten überall. In weniger als einer Stunde würden die mich haben.

"Aber, Onkel Phil wäre nicht das Genie, das er ist, wenn er dafür nicht eine Lösung hätte!", während er sprach, setzte er spielerisch einen von sich überzeugten Blick auf.

"Wie anfänglich in meiner Ausführung über die jungen Studentinnen erwähnt, verwende ich ein sogenanntes Latensspray, um den Kameras und Drohnen zu entkommen, da ich ja eigentlich geregelte Arbeitszeiten habe."

Phil sah mir direkt in die Augen, um seiner Darbietung den nötigen Effekt zu verleihen.

„Das in das Latensspray eingesprühte Objekt – in dem Fall, du - wird nicht auf der Kamera oder mit Hilfe von technischen Geräten aufgezeichnet. Für die Drohnen bist du unsichtbar. Bleiben nur noch Menschen übrig und die meisten gehen ihrem Alltag nach und werden dich gar nicht beachten. Also bleiben nur Agenten der GN5 übrig und die wirst du überlisten können, da du ja selber eine bist. Das heißt, es gibt keine Probleme!“, er wendete sich ab und begann um mich herum aufzuräumen. Natürlich lag auch wieder ein sarkastischer Unterton in dem, was er sagte.

Sollte das Spray tatsächlich die beschriebene Wirkung haben, hätte ich tatsächlich einen geringen Teil meiner Probleme weniger. Dennoch brauchte ich den kürzesten und unbewachtesten Weg zu dem Gebäude auf dem der andere Schütze lag, geschweige denn einen Plan, wie ich dort reinkommen würde.

„Ich muss dich um einen weiteren Gefallen bitten.“, teilte ich ihm mit.

„Na wer hätte das gedacht!“, sagte Phil.

„Ich brauche den kürzesten Weg zur Fortiaris!“


© Ronia Tading


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