Alles war in ein blaues Licht getauft, was einen enormen Kontrast zu dem weißen Flur bildete. Überall hingen digitale Aufzeichnungen von mir fremden Objekten, auf Regalen türmten sich Bücher und auf den vielen Tischen, die im gesamten Raum zu verschiedenen Gruppierungen angeordnet waren, standen Querschnitte und Modelle von verschiedenen technischen Prototypen.
Wer auch immer dieser Phil war, er war scheinbar ein IT- und Ingeneiurwissenschaftler.

Einige der Prototypen erkannte ich. Sie waren Teil der Grundausrüstungen der GN5 Agenten. Phil arbeitete also für die GN5!

In der Mitte des Raumes stand ein großer Arbeitstisch, auf dem sich mehrere große durchsichtige Bildschirme befanden. Auf jedem einzelnen Bildschirm arbeiteten teilweise mehrere verschiedene Programme auf Hochtouren. So wie ich auf dem ersten Blick erkennen konnte, arbeitete Phil an einem Android oder etwas anderem menschenartigen. Auf der Wand zu meiner rechten Seite, die sich hinter dem Bildschirm befand, hingen vier rießige Bildschirme. Sie schienen Statistiken und Werte von den Prototypen anzuzeigen, die noch in Bearbeitung waren. Zumindest konnte ich erkennen, dass sie die digitalen Abbildungen von den Objekten darstellten, die vor ihnen standen und an verschiedenen Kabeln und Röhren angeschlossen waren.

Ein weiteres Detail, das auffiel, war, dass die Technik, Einrichtung und Ausstattung in einem großen Widerspruch zu dem Eingang des Labors standen. Jemand der über eine solches Equipement verfügte, konnte sich ein bei weitem aufwendigeres Sicherheitssystem leisten und in Phils Fall – selbst designen.

„Aaaaaah. Jean, du hast ja noch nie Besuch mitgebracht!“, sagte die Stimme, die wir zuvor durch die Lautsprecher gehört hatten. Sie gehörte einem jungen Mann, mit schwarzen Locken und einer Brille. Er war vielleicht in seinen Zwanzigern und sportlich gebaut, für jemanden der Tag ein Tag aus in einem Labor verbrachte. Unter seinem weißen Arbeitskittel konnte ich einen grauen Pullover und eine schwarze Hose erkennen, welche sehr untypisch für diese Zeit war. Er saß, nach hinten gelehnt, auf einem großen Drehstuhl aus Leder.

„Phil, das ist…“, Jean setzte gerade an, um mich dem jungen Techniker vorzustellen, als dieser ihm dazwischenredete.

„Ich weiß genau wer sie ist! Agent Imogen Fortia Mack. Geboren am 15.Mai 2133 auf Forteon. Großgezogen worden auf der Kinderstation Fortiaris. Mit 8 fiel sie der GN5 auf, mit 10 trat sie die Ausbildung zum Guard an, mit 16 wurde sie rekrutiert und nun….“, Phil, der bei seinem Vortrag die ganze Zeit mich mit seinem Blick fixierte, machte eine Pause, um die Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was er als nächstes sagen würde, „.. ist sie drauf und dran eliminiert zu werden.“

Der Ingenieur schien eine ausgeprägte sarkastische Ader zu haben, denn das schmunzeln verließ nicht einmal für eine Sekunde seine Lippen und seine Augen funkelten vor Neugier auf meine Reaktion. Er wollte meine Fähigkeiten als Agentin testen und sehen, ob ich es tatsächlich schaffen würde in Anbetracht der Tatsachen mein Pokerface zu behalten, oder ob ich bereits aufgegeben hatte.

„Oh, Verzeihung!“, sprach er plötzlich aus – immer noch mit einem ironischen Unterton. „Wie unhöflich von mir. Ich bin Phil!“

„Du wirst es nicht glauben,“, sagte ich. Es war das erste Mal, dass ich das Wort an ihn richtete, „aber das habe ich mir bereits gedacht.“

„Wiiirklich!?“, fragte er mit einer gespielten Überheblichkeit. „Und bestimmt weißt du auch, woher ich das alles über dich weiß, oder?“
Nun war sein Schmunzeln zu einem amüsierten Grinsen gewachsen.
„Und lass mich raten: Du weißt es, weil du eine Agentin bist!“

Aus dem Blickwinkel bemerkte ich, wie Jean, der gerade zwischen den Regalen her schlich und einzelne Gadgets betrachtete, grinste.

„Ich nehme an,“, sagte ich mit ruhiger Stimme, „dass du für die GN5 arbeitest. Das würde zumindest erklären, warum du viele von den Prototypen unserer Gadgets besitzt. Darüber hinaus hast du diese Prototypen und sämtliche Technik selber angefertigt. Daher fühlst du dich hier in diesem Labor wie ein Gott. Demnach kann ich daraus schließen, dass du auch unser Sicherheitssystem designt hast und bestimmt hast du Zugang zu unserer Datenbank. Die Informationen hattest du bereits, als wir vor deiner Tür standen.“

„Wow! Wie viele Jahre hat man dich trainiert, damit du diese mehr als offensichtlichen Informationen über jemanden herausfindest?“
Phil schien keine Provokation auszulassen.
„Abgesehen davor arbeite ich nicht FÜR die GN5, ich arbeite wenn überhaupt MIT ihr. Es stammen zwar alle Gadgets der letzten 10 Jahre von mir, aber ich bin nicht eure Nutte!“

„Master Phil? Ich nehme mir die Freiheit, Sie darauf hinzuweisen, dass, falls Sie von Agent Mack nicht „ein paar auf’s Maul kassieren wollen“, wie Sie es stets zu sagen pflegen, Sie sich mit Ihren Bemerkungen zurückhalten sollten. Ich vernehme eine stetige Zunahme von Reizen in ihrem limbischen System, die auf Wut und Gereiztheit hinweisen. Außerdem stieg ihr Körpertemperatur um einige Grad an. Sie sollten es wirklich nicht drauf ankommen lassen!“

Cainwis‘ Stimme überraschte mich, aber noch mehr überraschte mich, dass er scheinbar in der Lage war, durch mich hindurch zu sehen.

„Was zum…?“, entwischte es mir meinen Lippen, während ich verwundert zwischen Phil, Jean und dem Bildschirm her blickte, auf dem Cainwis‘ Stimme digital visualisiert wurde.

Ein Lachen ertönte aus der Richtung, in der Jean stand. Ich blickte zu ihm hinüber und er verstummte. Allerdings lag immer noch ein breites Grinsen auf seinen Lippen.

Ich wendete mich wieder zu Phil und sah in fragend an.
„Er kann mich … ,lesen‘?, fragte ich, ohne mir sicher zu sein, dass das der passende Ausdruck war.

„Aaaaah, du bist also mit Cainwis vertraut? Sehr schön! Und ja, er kann dich ‚lesen‘, wenn du das so nennen willst.“, er zeigte Gänsefüßchen mit seinen Händen.
„Wobei ich es eher analysieren nennen würde, auch wenn die Aussprache des Wortes länger dauert, als der Prozess selber.“

„Du hast ihn programmiert!“
Nun war mir klar, woher Jean an das Sicherheitssystem kam. Dennoch wusste ich immer noch nicht, in welcher Beziehung die beiden zu einander standen. Aber vor allem wusste ich nicht, wie dieser kindische, verrückte Wissenschaftler mir bei meinem Fall helfen sollte.

Phil nickte stolz und zufrieden.

Plötzlich fiel mir etwas auf. Es waren sehr leise Klänge zu vernehmen. Sie waren rhythmisch und doch waren sie nicht wie die weichen, zarten Klänge, die wir von Musik gewohnt waren. Diese hatten Schläge – einen erkennbaren Takt. Außerdem konnte man einzelne Stimmen darunter erkennen, die etwas im Takt sprachen.

Jean bemerkte es auch. „Phil, hörst du dir wieder Hip Hop an?“, sagte dieser.

Hip Hop? Diese Musikrichtung gab es seit einem Jahrhundert nicht mehr. Ferner noch war sämtliche Musik, Literatur und Kunst aus der Vergangenheit vor der jetzigen Kontinenten-Konstellation verboten. Alles, was an den damaligen Lebensstil erinnerte und dazu anregen konnte, wurde verbannt. So etwas wie damals durfte unter keinen Umständen nochmal passieren.

„Japp,“, antwortete Phil, „er hilft mir beim Konzentrieren und wenn ich etwas zum Entspannen brauche, lese ich ein paar meiner Schätze.“
Er sah von Jean zu mir, wobei er bei er zum Schluss in Richtung eines Bücherregals nickte. Ich trat näher heran.

Bei genauerem Betrachten las ich Shakespeare auf mehreren der Einbände. Der Name, als auch der Titel waren schwer zu erkennen, da das Einband bereits stark abgenutzt war. Meine Finger glitten wie von selber über die vielen Buchrücken. Bücher in so einer Form hatten schon lange an Aktualität verloren.
Aber vor allem war es suspekt, dass Phil sie besaß.

„Allein die Existenz solcher Bücher ist illegal. Der Besitz könnte dich das Leben kosten.“, wies ich ihn darauf hin, jedoch kannte ich bereits seine Antwort:
„Und wer will mich dafür verhaften? Du etwa?“

Irgendwo hatte er recht. Vor nicht allzu langer Zeit hätte ich ihn augenblicklich verhaftet und ohne zu hinterfragen weggesperrt. Sein Schicksal hätte ich schließlich den führenden Personen überlassen. Doch nun war ich selbst auf der Flucht.

„Nuuun? Warum seid ihr hier?“, erinnerte mich Phil daran, weshalb ich eigentlich hier war.


© Ronia Tading


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Kommentare zu "Forteon - Kapitel 3.2"

Re: Forteon - Kapitel 3.2

Autor: Homo_Ingenuus   Datum: 20.01.2017 18:20 Uhr

Kommentar: Sprachlich sehr schöne Formulierungen und genau das ermöglicht ein flüssiges Lesen.
Da es sich natürlich um ein Kapitel handelt, das "weniger Action" beinhaltet, vermisse ich hier auch keinen großartigen Spannungsbogen.
Bisweilen kam mir "Inspektor Gadget" in Erinnerung :D und ich musste schmunzeln...

Finde ich alles in allem eine gute Fortsetzung. :) Weiter so!

Re: Forteon - Kapitel 3.2

Autor: Ronia Tading   Datum: 20.01.2017 19:50 Uhr

Kommentar: Vielen lieben Dank für dein Lob! :)
"Technisch" gesehen, ist es nicht einmal ein Kapitel (es ist ein minimaler Ausschnitt für die Lesefaulen auf SN, wobei vermutlich auch dieser Textteil zu viel zu Lesen beinhaltet). Aber ja, dieses Kapitel ist recht spannungsfrei und dient mehr der Information (wobei die darin enthaltenen Informationen wichtig für den weiteren Verlauf, als auch für die Auflösung der gesamten Geschichte sind :)).

Wie kommst du auf "Inspektor Gadget"? :D

Nochmal vielen lieben Dank für deinen tollen Kommentar! :))

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