Drei Monate später

Goscha legte den Haufen aus Wäsche neben sich ins Gras. Sie löste die Haarspange. Ihre Hände fuhren durch die Strähnen. Sie wollte zuerst sich waschen, bevor sie das dreckige Gewand anging. Sie löste die Schürze. Ihre Finger tasteten nach der Seife in der Schürzentasche. Sie legte das Seifenstück vorsichtig auf den zusammengefalteten Stoff. Vasa Rem hatte sie aus der Stadt mitgebracht. Sie war eine der kostbarsten Sachen, die sie derzeit besaß. Sie begann damit ihr Kleid auf zu knöpfen. Bevor sie den Stoff von ihren Schultern streifte, blickte sie sich noch einmal um. Ab und zu kam es vor, dass sich Jungen oder Männer vom nahen Dorf hier her verirrten. Goscha war davon überzeugt, dass sie mehr an Miandra als an ihr selbst interessiert waren. Trotzdem wollte sie sich nicht beobachten lassen. Nicht einmal Sin durfte das. Doch sie wusste, dass der Misch irgendwo in den Bäumen hockte und sofort da wäre um sie zu beschützen.
Das Wasser war noch angenehm warm, obwohl der Sommer sich schon den Herbst zuneigte. Das Klima war hier viel milder als sie es gewohnt war. Sie watete bis in die Mitte des Baches. Das Wasser reichte ihr bis zur Mitte ihrer Oberschenkel. Sie hockte sich hin. Dann begann sie an ihren Armen und Beinen zu schruppen, um den gröbsten Dreck abzuwaschen. Schließlich tauchte sie ganz unter. Sie genoss es für eine Weile das Wasser über ihren Körper rinnen zu lassen. Dann griff sie nach der Seife.
Sie schruppte lange mit einem Stein an einem hartnäckigen Fleck. Ihre Finger waren schon komplett aufgeweicht und runzlig. Dann kontrollierte sie den Stoff im Licht. Es war kaum noch etwas zu sehen. Sie seufzte. Ganz würde der Saftfleck wohl nie mehr rausgehen. Sie legte das feuchte Gewand zu den anderen. Die Seife schlug sie sorgfältig in ein Stück Stoff ein. Jetzt konnte sie ihr Kleid über das kurze Unterhemd streifen. Plötzlich hörte sie ein Trällern in den Bäumen. Sie zuckte leicht zusammen. Ihre Finger verhaspelten sich beim zuknöpfen. Sie wusste, dass dieses Trällern von Sin kam. Kein Lebewesen auf der Welt konnte sonst so ein Geräusch von sich geben. Davon war sie überzeugt. Sie griff gleich nach ihrer Schürze und ließ die untersten Knöpfe offen. In dem Moment sprang der Misch aus den Ästen. Er schnatterte. Beunruhigt blickte Goscha durch die Bäume. Dann wanderte ihr Blick zu der Hütte, die man kaum noch sah. Sie sollte Miandra Bescheid sagen. Die wüsste sicher, was zu tun war. Sie hörte es zwischen den Bäumen rascheln. Das weiche Fell an ihren Beinen gab ihr Sicherheit. „Wer ist da?“, rief sie in den Wald hinein. Es raschelte wieder. Sie glaubte einen Schatten erkennen zu können. Dann brach der Busch auseinander. Eine Gestalt stolperte zum Bach. Goscha blinzelte. Es war eine Frau. Sie wirkte noch sehr jung. War sie aus dem Dorf? Sie wirkte irgendwie fremdartig. Aber Goscha konnte es nicht fassen. „Ist der Affe vorhin zu dir gerannt?“ Sie redete auch fremd. Goscha verengte ihre Augen. Sin drängte sich näher an sie heran. „Was?“ Die Frau lächelte verlegen. „Der Affe? Da war ein Affe!“ Goscha trat einen Schritt vorwärts und schüttelte dann den Kopf. „Wieso? Hier gibt es keine Affen!“ Die Frau zuckte mit den Schultern. Dann strich sie verlegen eine Strähne aus dem Gesicht. „Wohnst du in der Hütte?“ Sie deutete zu dem Gebäude hinter den Bäumen. Goscha nickte leicht. Sie musterte die Frau. „Du bist nicht aus dem Dorf!“, stellte sie unnötiger Weise fest. Die Frau wirkte zuerst verwirrt. Dann schüttelte sie aber den Kopf und lachte. Goscha bemerkte das lange Messer an ihrer Seite. Sie hatte noch nie so jemanden in der Kaiserstadt gesehen. „Du bist gar nicht von hier irgendwo aus der Gegend!“ Die Frau blickte kurz zu Boden. Wollte sie etwas verbergen, was man sonst in ihrem Gesicht sehen konnte? „Ich bin auf der Durchreise! Darf ich auf deine Seite kommen?“ Goscha blinzelte leicht. Dann nickte sie doch. Das erste Lächeln dieser Frau hatte sie überzeugt. Außerdem konnte Sin sie vor diesem Messer beschützen. Es wäre nicht das erste Mal.
Sie trug die Hälfte des feuchten Gewandes. „Ich wohne hier nicht allein!“ Sie merkte, wie Röte in das Gesicht der Frau stieg. Sie stockte. „Dann sollte ich lieber nicht mitkommen. Ihr wollt… Du und dein…“ Sie brach ab. Dann erst begriff Goscha, was die Frau so verstörte. „Nein, ich wohne mit einer Freundin zusammen. Kein Mann!“ Die Frau wirkte jetzt fast noch wie ein Kind. Sie presste die Lippen an einander. Dann lächelte sie wieder. Sie wirkte so unendlich harmlos. Deswegen hatte Goscha sie mitgenommen. Doch ganz konnte das unschuldige Gesicht Goscha noch nicht beruhigen. Das Messer war zu deutlich. Sie wurde sich wieder bewusst, dass Sin an ihrem Fuß hing. Wie hatte diese Frau ihn nur sehen können?
Miandra sprang auf, als sie die beiden ankommen sah. Goscha legte das feuchte Gewandt, neben die Wäscheleine. „Wer ist das?“, fragte sie Goscha. Goscha zuckte mit den Schultern. Daraufhin musterte Miandra die Frau eingängig. „Gehört der Affe dir?“ Miandra blinzelte ungläubig. „Affe?“, fragte sie nach. Die Frau nickte. „Affe! Ich habe ihn vorhin durch den Wald huschen sehen. Ich dachte, er gehört vielleicht dir!“ Miandra schüttelte ungläubig den Kopf. Sie warf Goscha einen seltsamen Blick zu. „Affe? Hier gibt es keine Affen!“ Die Frau begann auf ihren Lippen zu kauen. „Ich dachte wirklich, es wäre ein Affe gewesen!“

Er achtete darauf immer in Bewegung zu bleiben. So wie seine Gedanken drehte er sich auch im Kreis. Seine Füße trugen ihn im großen Bogen quer durch die Stadt. Er dachte daran, was Nabo ihm gesagt hatte. Weitere Spione waren in der Stadt aufgetaucht. Das Vertrauen zu irgendwem Fremden sank langsam gegen null. Die Lage schien zu eskalieren. Das hatte Vasa Rem auch schon vorher gewusst. Doch Nabo hatte die Vermutung geäußert, dass Kalo ihn mittlerweile ständig beobachten ließ. Wahrscheinlich ließ er auch ihn beobachten. Deswegen schweifte immer wieder sein Blick hinund her. Doch es war unmöglich festzustellen, ob er verfolgt wurde. Ein Magier konnte sich vor seinen unsichtbaren Fühlern schützen. Und solange er nicht wusste, wen er konkret suchen sollte, waren sie sowieso nutzlos. Menschen gab es schließlich überall. Er fuhr sich durch die Haare. Langsam wusste er gar nicht mehr, was er noch glauben sollte. Hier drehten doch alle nach einander durch.
Obwohl er es eigentlich nicht wollte, verfolgte er langsam die Konsequenzen dieses Faktums. Sie würden nie mehr zu der Hütte können. Vielleicht hatten sie Miandra und Goscha schon entdeckt. Gegenüber Magiern waren die zwei völlig schutzlos. Vasa Rem war davon überzeugt, dass Kalo jedes Mittel recht und billig war, um Nabo zu schwächen. Schließlich hatte er ihn die Zauberprüfung nicht bestehen lassen. Vasa Rem spürte Wut in ihm hoch kommen. Er wollte nicht mehr daran denken. Es war jetzt völlig nebensächlich. Eigentlich wollte er sowieso kein Magier sein. Vielleicht hatte Kalo das auch gesehen. Vasa Rem hatte immer mehr das Gefühl paranoid zu werden. Die ganze Stadt wurde langsam zu seinem Feind. Wann war das nur passiert? Wieso war er überhaupt noch hier?
Er wollte mit Goscha zusammen sein. Zaubern konnte er auch so. Er musste Goscha in Sicherheit bringen. Der Gedanke erfüllte ihn plötzlich mit all der Dringlichkeit. Er blieb stehen. Ein Schaudern durchzuckte ihn. Wieso hatte er das nicht schon vor drei Monaten gemacht? Damals hatte er noch Hoffnungen gehabt. Als ob es jemals Hoffnung gegeben hatte. Er fluchte leise.
Seine Finger schlossen sich um das Stück Papier. Dann zog er es aus der Tasche. Er blickte auf den Namen und die Adresse, die Nabo darauf geschrieben hatte. Es war ein Kaufmann, ein Fremder. Fremde waren vielleicht die einzigen, denen sie noch ein wenig vertrauen konnten. Dieser Mann hatte sicherlich nichts zu verlieren. Er konnte ihnen vielleicht helfen sich nach Westen abzusetzen. Dort war die Wüste. Vasa Rem zerknüllte den Zettel in seiner Hand. Die Wüste war groß. Schnell ließ er den Zettel wieder verschwinden. Er musste diesen Mann so beiläufig wie möglich treffen. Langsam begann er einen Plan zu schmieden. Er bog scharf rechts ab. Dann drang er in das Straßengewirr ein. Er war schon oft zwischen den Häusern rumgerannt. Vielleicht konnte das für ihn ein Vorteil sein. Er schlängelte sich durch ein paar Nebenstraßen in Richtung Hauptplatz. Obwohl der Krieg schon in die Mauern der Stadt gedrungen war, waren die Straßen voller Menschen. Er wusselte sich neben einer laut diskutierenden Gruppe vorbei. Dann bog er in eine Sackgasse ein. Am Ende der Straße war eine Mauer, die zu einem Garten führte. Vasa Rem atmete kurz durch, als er vor ihr stand. Sie war ein gutes Stück über zwei Meter hoch. Er schloss die Augen, konzentrierte sich und sprang. Seine Hände ergriff das Mauerwerk. Er stemmte sich hoch. Dann schwang er sich darüber. Er war noch nie in diesen Garten gewesen. Doch auf der anderen Seite musste er an einer Straße grenzen, die ihn direkt zum Ziel führen konnte. Er bewegte seine Hand und legte einen Schleier um sich. Damit würde ihn niemand so leicht entdecken. Kurz überlegte er sich, ob er warten sollte, ob sein Verfolger auch die Mauer hochspringen würde, falls es ihn überhaupt gab. Doch dann wandte er sich zum Gehen. Er wusste nicht wie lange er den Schleier aufrechterhalten konnte. Die Zeit war immer gegen ihn.
Aus dem Haus kam ein kleines Mädchen gerannt. Hinter dem Kind lief eine Bedienstete in den Garten. Keine von beiden bemerkte ihn. Er nickte zufrieden. Mit großen Schritten durchquerte er die Wiese. Dann war er bei der anderen Seite. Seine Hände berührten das kühle Mauerwerk. Er tat das für Goscha. Diesen Gedanken musste er immer wieder vor sich hin sagen, um nicht zu verzweifeln. Mit der Hilfe von Magie schaffte er es auch diesmal leicht auf die Mauer. Die Straße unter ihm war fast leer. Ein Bettler streckte erwartungsvoll die Hand aus, falls doch noch jemand vorbei kommen sollte. Vasa Rem sprang. Er hielt den Schleier aufrecht, als er die Mauer entlang lief. Tief in seinem Inneren spürte er bereits die Erschöpfung. Es war nicht mehr weit. Er dachte an Goscha und hoffte, dass das ihm Kraft geben würde. Der Bettler hatte ihn auf jeden Fall nicht bemerkt.
Er klopfte an dem Tor des Anwesens. Langsam ließ er den Schleier fallen. Es dauerte nicht enden wollende Sekunden, bis ein Sichtfenster geöffnet wurde. Der Mann betrachtete ihn argwöhnisch. „Was wollen Sie?“ Vasa Rem schluckte. „Nabo schickt mich!“ Das Gesicht des Mannes veränderte sich nicht. Vasa Rem kam ein wenig ins Schwitzen. Was würde er machen, wenn ihn der Mann nicht rein lassen würde? „Ich möchte mit Kiras sprechen!“ Der fremde Name glitt ihm fast vertraut über die Lippen. „Das wollen sie alle!“, meinte der Mann. Vasa Rem seufzte. „Aber Nabo schickt mich! Er hat einen Termin!“ Die Klappe schloss sich ohne Vorwarnung. Völlig verwirrt blieb Vasa Rem stehen. Dann fluchte er. Für ein paar Minuten blieb er stehen. Dann klopfte er noch mal. So schnell war seine Hoffnung nicht unter zu kriegen. Diesmal dauerte es länger bis sich die Klappe öffnete. Doch ein neues Gesicht erfüllte sie jetzt. Mehrere dunkle Flecken zogen sich über die rechte Gesichtshälfte. „Bist du Kiras?“ Ein Runzeln trat auf seine Stirn. „Deine Vertrautheit ist unangebracht!“ Doch Vasa Rem ließ nicht locker. „Du musst Kiras sein. Deine Flecken verraten dich. Nur die Leute aus Siruna haben diese Flecken.“ Die Augen des anderen verengten sich. „In Siruna gibt es viele Leute.“ Vasa Rem schüttelte den Kopf. „Aber nicht viele haben Siruna verlassen. Außerdem stammst du von einer noblen Familie! Deine Flecken sind ganz klar! Keiner aus deiner Familie würde sich dazu herablassen anderen Sirunen zu dienen.“ Er hörte es hinter dem Tor klacken. Vasa Rem atmete fast erleichtert aus. „Du kennst dich ja richtig gut aus!“
„Nabo schickt dich also! Konnte er nicht selbst kommen?“ Vasa Rem schüttelte nur den Kopf. Er wäre gerne selbst gekommen. Sie hatten lange darüber diskutiert. Kiras fragte auch nicht nach den Gründen. Offensichtlich wollte er gar keine Antwort auf seine Frage oder er konnte die Antwort bereits erahnen. „In zwei Tagen bricht meine Karawane auf!“ Vasa Rem erschrak fast. So bald schon würden sie aufbrechen müssen. „Auch ich werde diesen Ort für immer verlassen!“ Vasa Rem fragte sich, wieso der Sirune plötzlich so vertraut war. Er führte Vasa Rem zu einem kleinen Tisch im Garten. „Ich hoffe, es macht dir nichts aus, wenn wir im Garten bleiben!“ Vasa Rem schüttelte den Kopf. Kiras ließ sich mit einer bewundernswerten Geschmeidigkeit auf einen der Sessel fallen. Seine Augen schienen sich fast in Vasa Rem zu bohren. „Meine Herkunft hätten wir also geklärt. Jetzt möchte ich mehr über deine wissen! Nabo hat schon das eine oder andere fallen lassen, aber wir wissen beide, wie sparsam er mit Informationen ist.“ Vasa Rem schluckte leicht. „Da gibt es nichts Besonderes zu erzählen“, behauptete er. Kiras lächelte freundlich. Doch diese Freundlichkeit trug. „Dieser Meinung bin ich nicht ganz! Du stammst nicht aus der Kaiserstadt! Das verratet nicht nur dein leichter Akzent.“ Vasa Rems Stirn legte sich in Falten. Kiras lächelte breit. Jemand stellte Tee auf den Tisch. Vasa Rem zuckte zusammen. Er hatte den Bediensteten nicht kommen hören. Es war kein Wunder, dass Kiras sich hier drinnen locker geben konnte. Vasa Rem war ihm ausgeliefert. Kiras bedankte sich für den Tee und wartete bis der Mann ging, als er weiter sprach. „Sirunen haben ein gutes Gehör und sie haben auch einen guten Blick für Details! Du stammst auch aus dem Westen, aus der Wüstengegend.“ Kiras griff nach der Teetasse. Er hob sie leicht an, trank einen Schluck und stellte sie dann wieder hin. Vasa Rem nickte leicht. Er ließ seine Tasse unangetastet. Das Gespräch gefiel ihm nicht. Kiras lächelte plötzlich wieder. „Ich mag es lieber, wenn ich über die Leute Bescheid weiß, mit denen ich reisen soll. Geld allein stellt mich nicht zu frieden. Aber vielleicht magst du mir dein Geheimnis ja verraten, wenn wir unterwegs sind. Wir werden viel Zeit dazu haben!“

Er stand in seinem Schlafzimmer. Liebevoll strich er über die Bücher. Würde er sie jemals wieder sehen? Nabo wusste es nicht. Er klaubte das kleine in Leder gebundene Buch heraus. Er wog es in der Hand. Dann schob er es in seinen Rucksack zu den anderen Sachen, die er nicht hergeben konnte. Es waren nicht viele. Eigentlich war es eine magere Ausbeute für das Leben, das er in der Stadt verbracht hatte. Er würde spurlos verschwinden. Fast war es so, als würde er sterben. Er schloss seine Augen und sah augenblicklich Miandras Gesicht vor sich. Es war immer so. Dagegen konnte er nichts tun. Alles, woran er hing, war sie. Er blickte noch einmal in den Rucksack. Er würde dieses Leben nicht vermissen. Kroscha war ihm zu bitter geworden. Er wollte in den Tagen, die ihm noch verblieben, mehr Honig kosten. Es war eine schwere Entscheidung gewesen und doch war er froh sie endlich getroffen zu haben. Fast ärgerte es ihn, dass er nicht schon früher losgelassen hatte.
Er hatte gerade seinen Kleiderkasten geplündert, als ihn ein seltsames Geräusch hochfahren ließ. Er schloss die Augen und horchte intensiv. Der Lärm kam aus seinem Büro. Er hatte es abgeschlossen, doch die Tür dorthin nur angelehnt. Lautlos ließ er den Rucksack auf den Boden sinken. Er spürte die Anwesenheit von Menschen, Magier. Er atmete tief durch. Kalo war unter ihnen. So oft hatte er schon seine magische Aura gespürt. Er lehnte sie kurz an die Wand neben der Tür. Der Gang war noch frei. Schnell schlich er in die Küche. Nabo wusste nicht, ob Kalo ihn auch spüren konnte. Noch einmal sog er Kraft aus Miandras Anblick. Sie musste ihm jetzt beistehen. Kalo wäre nicht einfach so in sein Büro eingedrungen, wenn er nur plaudern wollte. Plötzlich merkte er, dass er Angst hatte. Seine Hand tastete nach dem nächst besten Messer, das er finden konnte. Sie waren zu dritt. Das spürte er jetzt deutlich. In der freien Hand formte sich eine Feuerkugel. Was für einen lächerlichen Eindruck musste er machen? „Ich bin in der Küche, Kalo!“
Er spürte den Stahl im Rücken. Sein Atem war flach. Die Klinge vibrierte. Er hielt den Feuerball noch immer. Er musste sich gedulden. Er wollte nicht der erste sein, der zuschlug. Miandras Lachen hallte in seinem Ohr wieder. Mit den Sekunden wurde es schrill. „Wieso seid ihr hier eingedrungen?“ Seine Stimme war brüchig. Plötzlich hatte er Angst Miandra nie wieder sehen zu können. Hätte er ihr doch nur einmal noch gesagt, wie sehr er sie liebte. „Du weißt wieso!“, murrte Kalo. Nabo schluckte leicht. Er wusste genau wieso, aber er wollte es noch einmal hören. Er wollte es aus Kalos eigenen Mund hören. Sonst konnte er es noch nicht glauben. „Findest du nicht, dass es feige ist zu dritt zu kommen!“ Der Stahl kratzte durch sein Hemd. Er spürte den Schnitt. „Du wirst sterben, Nabo!“, platzte Kalo schließlich heraus. „Deine Machenschaften haben hier ein Ende. Du wirst mich nie besiegen, nie meinen Thron besteigen.“ Nabo presste die Augenlider zusammen. Er spürte Tränen darunter hervorquellen. „Muss es wirklich so enden?“ Er hatte sich das nicht gewünscht. Im Grunde mochte er Kalo doch. Nabo wirbelte herum. Das Schwert schnitt über seine Hand. Er merkte es kaum. Der Feuerball entglitt ihm und zerschellte in Kalos Gesicht.
Er starrte auf das Messer, das in Kalos Brust steckte. Er musste es dort hin gelenkt haben, aber er konnte sich nicht so recht erinnern. Sein Blick wurde langsam in rot getaucht. Kalo blickte leicht verstört an seinem Körper hinab. Sein Gesicht wirkte seltsam zerstört. So leicht war es also? Er konnte es nicht so recht glauben. So leicht war es jemanden zu töten.


© lerche


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